Zwanzig Jahre haben Bündnis 90/Die Grünen gebraucht, um an die Bundesregierung zu gelangen, kein halbes Jahr, um sich am blutigsten Krieg auf europäischem Boden seit 1945 zu beteiligen. Würde man alle Diskussionspapiere, Resolutionen und Beschlüsse nebeneinanderstellen, die in der Parteigeschichte gegen den Krieg verfaßt wurden, sie würden mehrere Bücherregale füllen. Jetzt sind sie nur noch Makulatur. Selten zuvor hat sich eine Partei so von den Ereignissen treiben lassen, ist eine Partei so schnell so tief gefallen.
Die Außerordentliche Bundesdelegiertenkonferenz, die am 13. Mai in Bielefeld zur Diskussion des Kosovo-Kriegs zusammentritt, wird diesen Scherbenhaufen nicht aufräumen. Eine offene oder gar ehrliche Diskussion ist nicht zu erwarten. Statt dessen wird man über Sprachregelungen streiten, die es den Delegierten erlauben, ihr Gewissen zu beruhigen, und den Regierungsmitgliedern, den Krieg fortzusetzen.
Der Leitantrag des Bundesvorstands ist ganz auf diesen Ton gestimmt. Er schildert in bewegten Worten die Gewissensnöte, in die der Krieg die Partei gestürzt hat. Von einem "Dilemma" ist die Rede und von einem "Zielkonflikt" zwischen "Absage an Gewalt" und "Wahrung der Menschenrechte". Den Kriegsgegnern wird ausdrücklich Respekt gezollt: "Wir sprechen keiner Seite weder die politische Ernsthaftigkeit noch den moralischen Willen ab. Wir sind überzeugt, daß wir auf der Grundlage des gegenseitigen Respekts trotz der gewichtigen politischen Differenzen weiter zusammenarbeiten können."
"Die grundsätzliche Orientierung am Pazifismus werden wir nicht aufgeben," verkündet der Parteivorstand sogar trotzig. Im Prinzip ja, aber... Im selben Antrag wird der weiteren militärischen Zerstörung Jugoslawiens das Wort geredet. "Forderungen nach einem generellen Ende der militärischen Aktionen der NATO" lehnt der Parteivorstand kategorisch ab. Allenfalls für einen "befristeten Stop der Bombenangriffe" will er sich einsetzen. Das entspricht zwar auch nicht der Linie von Außenminister Fischer, aber dieser "kann damit leben", wie ein Vorstandsmitglied der Presse erläuterte. Schließlich ist die Partei nicht verpflichtet, hundertprozentig mit der Beschlußlage der NATO übereinzustimmen.
Die Kriegsgegner wollen statt eines "befristeten" einen "unbefristeten" Bombenstop. Das widerspricht schon eher der Regierungslinie, aber letztlich entscheidet darüber nicht die deutsche Regierung und schon gar nicht die grüne Partei. Und auf einen Sturz der Regierung wollen es auch die Kriegsgegner nicht ankommen lassen, das haben ihre Wortführer, allen voran Christian Ströbele, in zahlreichen Interviews deutlich gemacht.
Man wird sich also nach bewährter Manier einen Tag lang über die Vorsilbe "un" streiten, Kritik und Selbstkritik üben, Seitenhiebe auf die Nato, die Amerikaner und selbst Parteiidol Fischer verteilen, dabei nicht an Dramatik und Emotionen sparen... und am Ende alles beim alten lassen.
Nur eine Frage wird tabu sein: die nach den wirklichen Gründe für den Krieg. Klassische Kriegsgründe, darin sind sich Kriegsgegner und Kriegsbefürworter einig, spielen in diesem Konflikt keine Rolle. Es geht nicht um Eroberungen, geostrategische Interessen, den Kampf um Handelsrouten, Absatzmärkte und Rohstoffvorkommen. - Warum nicht? Warum sollte eine Regierung, der sich in steuer- und sozialpolitischen Fragen täglich den Forderungen der Wirtschaft beugt, ausgerechnet in der Außenpolitik frei von solchen Einflüssen sein?
Diese Frage wird vorsichtshalber gar nicht erst gestellt. Denn verfolgt dieser Krieg andere Ziele als offiziell angegeben, dann entpuppt sich das hohe moralische Roß, auf das sich die Grünen so gerne setzen, als heruntergekommene Schindmähre voller Tücke und Verschlagenheit, dann fällt die Behauptung, dieser Krieg werde für Menschenrechte geführt, wie ein Kartenhaus in sich zusammen, dann sind die Krokodilstränen für die vertriebenen Kosovaren nichts weiter als der propagandistische Deckmantel für ein Verbrechen.
Der Leitantrag des Bundesvorstands enthält in dieser Hinsicht eine verräterische Passage. Die Mitglieder und Wähler der Grünen, heißt es darin, hätten "die Luftangriffe in der Hoffnung mitgetragen, daß die Vertreibung und Ermordung tausender Kosovo-AlbanerInnen dadurch verhindert oder wenigstens begrenzt werden könnte." Diese Hoffnungen, heißt es weiter unten, hätten sich nicht erfüllt. "Heute ist festzustellen: Die humanitäre Katastrophe wurde beschleunigt, sie wurde größer, als die meisten wirklich befürchtet hatten, und sie dauert immer noch an."
Muß man da nicht so ehrlich sein und zugeben, daß die vom Parteivorstand geschürte Hoffnung auf falschen Voraussetzungen beruhte, daß die Mitglieder und Wähler entweder getäuscht oder belogen wurden? An entsprechenden Warnungen hat es nun wirklich nicht gefehlt. Doch solche Aufrichtigkeit liegt den Grünen fern, würde sie doch sofort wieder die unangenehme Frage nach den wirklichen Motiven und Zielen dieses Krieges aufbringen.
Es besteht ein Zusammenhang zwischen Mittel und Zweck. Und nach fünfzig Tagen Krieg läßt sich kaum mehr leugnen, daß das angewandte Mittel - die systematische Zerstörung Jugoslawiens einschließlich des Kosovo - in krassem Widerspruch zum angeblichen Zweck - der Rettung der Kosovo-Albaner vor Verfolgung und Vertreibung - steht.
Wirtschaft, Politik und Krieg
Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn man den gegenwärtigen Krieg im Lichte der bisherigen ökonomischen und politischen Interventionen der Großmächte auf dem Balkan betrachtet. Dann erweist er sich in der Tat als Fortsetzung der Politik mit anderen, militärischen Mitteln.
Seit Anfang der achtziger Jahre hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Jugoslawien Wirtschaftsprogramme diktiert, die die Schließung unzähliger "verlustbringender" Unternehmen und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten zur Folge hatten. Das Aufbrechen der ethnischen Gegensätze, die heute den Vorwand für den Krieg liefern, und das Auseinanderbrechen des jugoslawischen Vielvölkerstaats waren eine direkte Folge davon.
Die amerikanische Autorin Susan Woodward hat in ihrem Buch "Balkantragödie" diesen Zusammenhang beschrieben: "Ein über zehn Jahre währender Sparhaushalt und die Zerstörung des Lebensstandards erschütterten das gesellschaftliche Gefüge und die Rechte und Sicherheiten, auf welche die Individuen und Familien sich verlassen hatten. Normale politische Konflikte zwischen der zentralen und lokalen Regierungen über Wirtschaftsbestände und ökonomische und politische Reformen im Rahmen des Schuldentilgungsprogramms wuchsen sich zu Verfassungskämpfen und dann sogar zu einer Staatskrise aus, weil die Politiker zu keinen Kompromissen bereit waren." (Susan Woodward, Balkan Tragedy)
Die politischen Interventionen der Großmächte - angefangen mit der überstürzten Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die deutsche Regierung 1991 - haben diese Entwicklung beschleunigt. Im Endergebnis läuft sie auf eine immer größere politische und wirtschaftliche Abhängigkeit der gesamten Region von den westlichen Mächten hinaus.
Im Falle Bosnien-Herzegowinas tritt dies am deutlichsten zu Tage. Laut Dayton-Abkommen kann der von den USA und der EU ernannte Hohe Repräsentant alle Entscheidungen der zentralen und regionalen Regierungen verwerfen und demokratisch gewählte Politiker absetzen. Die Wirtschaftspolitik liegt in den Händen der internationalen Finanzinstitutionen. Der Vorsitzende der Zentralbank wird vom IWF ernannt und darf laut Verfassung "kein Bürger Bosnien-Herzegowinas oder eines benachbarten Staates sein". Die Bank darf den Kreditrahmen nicht durch die Herausgabe von Geld erweitern und muß alle internationalen Kredite zur Finanzierung der im Land stationierten ausländischen Truppen verwenden. Eine wirtschaftliche Erholung ist so nahezu ausgeschlossen, die Bevölkerung auf lange Zeit zu einem Leben in Armut verdammt.
Einem Protektorat Kosovo und einem militärisch besiegten Serbien würde es in dieser Hinsicht nicht besser ergehen. In diesem Zusammenhang müssen die Pläne für einen "Marshall-Plan" zum Wiederaufbau der Region nach dem Krieg gesehen werden. Daß dieselben Regierungen, die im eigenen Land seit Jahren Sozialabbau betreiben, sich ausgerechnet in Jugoslawien als finanzielle Wohltäter erweisen werden, kann wohl niemand ernsthaft glauben. Von einem solchen Plan würden höchstens westliche Konzerne und einige Neureiche vor Ort profitieren, nicht aber die Masse der Bevölkerung. Er würde als Hebel benutzt, um jede Art von Sozialleistungen systematisch zu zerstören. Der "Aufbau" des deutschen Ostens liefert in dieser Hinsicht genügend Anschauungsmaterial.
Deutsche Konzerne machen im Kielwasser des Krieges schon jetzt gute Geschäfte. So rühmte sich der Generalbevollmächtigte von DaimlerChrysler, Matthias Kleinert, kürzlich in der Stuttgarter Zeitung, daß der Konzern 1997 in Kroatien Aufträge von 500 Mio. DM hereingeholt habe. Derzeit laufen intensive Verhandlungen über die Lieferung von Flugzeugen, Eisenbahnzügen und Feuerwehrautos aus den Unternehmen des Konzerns - nicht zu vergessen die Mercedes-Benz-Dienstwagen für die Regierung.
Die Grünen sind blind gegenüber solchen Zusammenhängen, weil sie sich selbst längst zum Prinzip des Shareholder-Value bekehrt haben. Die Zeiten, in denen sie die Sozialpolitik der SPD von links kritisierten und oppositionelle Gewerkschafter in ihren Reihen sammelten, sind vorbei. In Fragen der Steuer-, Sozial- und Wirtschaftspolitik stehen sie in der Bonner Regierungskoalition auf dem äußersten rechten Flügel. Eine wirkliche Opposition gegen den Krieg müßte mit einer Mobilisierung von unten gegen die eigene Regierung beginnen, die diesen Krieg manipuliert und vorantreibt. Aber dazu sind die Grünen als Regierungspartei weder willens noch fähig.
Geostrategische Interessen
Die wirtschaftlichen Interessen, die dem Kosovo-Krieg zugrunde liegen, werden wesentlich deutlicher, wenn man über die Grenzen des Balkans hinausblickt. In amerikanischen und europäischen Think Tanks wird intensiv über die geostrategische Bedeutung des Kaukasus und des Kaspischen Meers diskutiert. Dort werden die nach dem Golf größten Öl- und Gasreserven der Welt vermutet. Im amerikanischen Kongreß wird zur Zeit ein "Seidenstraßenstrategiegesetz" diskutiert, daß die gesamte Region zwischen dem Balkan und China - die historische Seidenstraße - als amerikanische Einflußsphäre definiert.
In einer Denkschrift der konservativen "Heritage Foundation" heißt es dazu: "Die Region ist jetzt eine potentielle Lokomotive des wirtschaftlichen Wachstums, die den Pazifik mit Europa verbindet. Aber amerikanische Arbeitsplätze und Investitionsmöglichkeiten werden durch eine Welle blutiger ethnischer Konflikte und die antiwestliche Politik der beiden wichtigsten regionalen Mächte, Rußland und Iran bedroht."
Für Leser, denen es schwer fällt zu verstehen, wie im Kaukasus amerikanische Arbeitsplätze bedroht werden können, heißt es in einer Fußnote: "Zur Zeit stehen amerikanische Firmen an der Spitze aller ausländischen Investoren in der Region, die über Ölreserven im Wert von mehr als zwei Billionen Dollar verfügt. Die wirtschaftliche Entwicklung der Seidenstraße hat das Potential, in der amerikanischen Öl- und Gas-, Schwermaschinen-, Transport-, Telekommunikation- und anderen Industrien Arbeitsgelegenheiten und Einkommensströme im Wert von vielen Milliarden zu schaffen." (Ariel Cohen, Ethnic Conflicts threaten US Interests in the Caucasus)
Auch die Bundeswehr hat zu diesem Thema einen "Reader" herausgegeben, der bezeichnenderweise unter dem Titel steht: "Die Bundeswehr vor neuen Herausforderungen".
Eine militärische Präsenz in der Region wird als wichtige Voraussetzung zur Sicherung des politischen und wirtschaftlichen Einflusses betrachtet. In einem Artikel der Frankfurter Rundschau heißt es dazu: "In den Denkfabriken der US-Außenpolitik kursiert seit langem das Schlagwort vom Erdbebengürtel‘, der vom Balkan über den Kaukasus bis an die Grenzen Chinas reiche. Diese Zone müsse im Interesse des Weltfriedens und des Handels stabilisiert‘ werden. Mit Altruismus habe das nichts zu tun - das Fundament bildeten die eigenen Werte und Interessen. Das sicherste Mittel zu deren Durchsetzung scheint aus Sicht mancher US-Denker die wirtschaftliche, ideologische - notfalls militärische - Besetzung des Terrains." (27. April 1999)
Wie steht der Kosovo-Konflikt zu dieser Frage in Beziehung? In mehrerer Hinsicht.
Für ein militärisches Engagement im Kaukasus ist die Osterweiterung der Nato von großer Bedeutung. Das setzt stabile Verhältnisse und die Stationierung größerer Truppenkontingente auf dem Balkan voraus. US-Präsident Clinton hat in diesem Zusammenhang ein langfristiges politisches, militärisches und wirtschaftliches Engagement angekündigt. Die Stationierung von Truppen im Kosovo dient dann nicht nur der Befriedung der Region, sondern auch als Brückenkopf für ein Eingreifen östlich des Schwarzen Meers.
Auch als "geostrategischer Korridor" ( le monde) hat die Region Bedeutung. Die kürzesten Transportwege vom Schwarzen Meer nach Europa führen über den Balkan. Seit der Eröffnung des Rhein-Main-Donaukanals können Schiffe über die Donau bis an die Nordsee fahren. Hier bildet Serbien einen Riegel, dessen friedliche Sprengung - so der bereits zitierte Artikel in der Frankfurter Rundschau - gescheitert sei.
Vor allem aber muß der Krieg um den Kosovo als Generalprobe für ein Eingreifen in der kaspischen Region betrachtet werden, wo es an ethnischen Konflikten, die bei Bedarf aktiviert und benutzt werden können, nur so wimmelt.
Interventionsbündnis Nato
In dieser Hinsicht hat die Nato ein zentrales Ziel bereits erreicht: Ihre Verwandlung aus einem Verteidigungs- in ein Interventionsbündnis, das auf der ganzen Welt die wirtschaftlichen, politischen und geostrategischen Interessen seiner Mitglieder durchsetzt.
Diese Verwandlung ist seit der Auflösung des Warschauer Pakts von Militärs und rechten Politikern systematisch angestrebt worden. In den offiziellen Richtlinien der Bundeswehr waren schon 1992 folgende Aufgaben neu definiert worden: "Förderung und Absicherung weltweiter politischer, wirtschaftlicher, militärischer und ökologischer Stabilität" und "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen".
Mit dem Kosovo-Krieg sind Bundeswehr und Nato der Verwirklichung dieser Ziele einen erheblichen Schritt näher gekommen. Erstmals führt die Nato Krieg gegen ein Land, von dem sie weder bedroht noch angegriffen wurde. Erstmals führt sie Krieg außerhalb des eigenen Territoriums. Und erstmals hat sie das Prinzip der nationalen Souveränität praktisch außer Kraft gesetzt. Es ist unschwer zu sehen, daß hier ein Präzedenzfall geschaffen wird.
Die Mißachtung der Vereinten Nationen hat in diesem Zusammenhang symptomatische Bedeutung. Seit dem Zweiten Weltkrieg war die UNO das wichtigste Forum zur Regelung internationaler Konflikte. Mit ihrer faktischen Ausschaltung wird auch das Prinzip der Gleichheit der Nationen außer Kraft gesetzt. Die militärisch und ökonomisch stärksten Nationen - allen voran die USA - behalten sich das Recht vor, einzugreifen, wo immer es ihnen paßt. Die nationalen Befreiungskämpfe der Nachkriegszeit - von Algerien über Vietnam bis Nicaragua - hatten sich gegen diese Form der imperialistischen Einmischung gewandt. Nun erleben wir eine Rückkehr zu den traditionellen Formen des Kolonialismus.
In den meisten ehemaligen Kolonialländern wird die Bedeutung des Kosovo-Konflikts so eingeschätzt. Typisch ist ein Kommentar in der Times of India, einer führenden indischen Tageszeitung, zum jüngsten Nato-Gipfel. "Das Protzen der Nato mit Atombomben," heißt es darin, "ihr aggressives Selbstverständnis und ihr Verhalten in Jugoslawien muß alle in Angst versetzen, die an Frieden und Demokratie glauben. Das neue strategische Konzept ist ein nihilistischer Text voller böser Absichten. Es scheint, daß seine Autoren nichts aus der Geschichte des Jahrtausends - oder Jahrhunderts - gelernt haben, das eben zu Ende geht."
Kriegsfolgen
Sind die Grünen einäugig gegenüber den Ursachen des Krieges, so sind sie völlig blind gegenüber seinen Folgen.
Wer das zunehmend gewalttätigere Auftreten des amerikanischen Militarismus beobachtet und die blutrünstigen Kommentare in der amerikanische Presse verfolgt, kann kaum daran zweifeln, daß der Kosovo-Krieg nur der Auftakt zu weiteren bewaffneten Interventionen ist. Selbst eine direkte Konfrontation mit Rußland oder China wird von Teilen des amerikanischen Establishments nicht mehr ausgeschlossen; anders kann die ständige provokative Demütigung der beiden Atommächte nicht interpretiert werden.
Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter Präsident Carter und einer der einflußreichsten strategischen Köpfe der USA, bezeichnet in seinem jüngsten Buch Die einzige Weltmacht als wichtigste strategische Aufgabe der amerikanischen Außenpolitik, "das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht" auf dem europäischen und asiatischen Kontinent zu verhindern. Das ist auch eine Drohung an Europa.
Obwohl die atlantischen Partner Jugoslawien noch gemeinsam bombardieren, nehmen die Koflikte zwischen Amerika und Europa zu. Einige Kriegsgegner - wie der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer - betrachten die Schwächung Europas durch die USA sogar als eigentlichen Zweck des Krieges, und der ständig sinkende Kurs des Euro scheint sie zu bestätigen. Vor allem in der unterschiedlichen Haltung gegenüber Rußland und der UNO äußern sich die wachsenden Spannungen innerhalb der Nato.
Die europäischen Mächte verfolgen in diesem Krieg selbst eigennützige Ziele. Sie betrachten ihn als Preis, der bezahlt werden muß, damit sie ihre eigenen Interessen in verschiedenen Teilen der Welt verfolgen können. Der Ruf nach einer eigenständigen militärischen Rolle Europas wird dabei immer lauter. Der neue Präsident der EU-Kommission, Romano Prodi, fordert sogar schon die Schaffung einer europäischen Armee.
Das wird teuer werden. Schon jetzt rufen die Militärs laut nach besseren und teureren Waffen. Gleichzeitig gewinnt die Forderung an Gewicht, die Bundeswehr müsse aus einer Wehrpflichtigenarmee, die sich für Verteidigungsaufgaben eignet, in eine hochspezialisierte Berufsarmee umgewandelt werden, die weltweit intervenieren kann. Ein solcher Schritt würde das soziale und politische Gewicht der Militärkaste, die in der deutschen Geschichte eine so verhängnisvolle Rolle gespielt hat, unweigerlich erhöhen. Es ist bezeichnend, daß auch die Grünen diese Forderung unterstützen.
Die einstigen Pazifisten sind im Kosovo-Konflikt zum propagandistischen Wegbereiter des Krieges geworden, und alles deutet darauf hin, daß sie diese Rolle auch nach der Konferenz in Bielefeld spielen werden.