Zehntausende Ägypter strömten am Freitag zum Tahrir-Platz in Kairo, um auf die vergangenen zwei Wochen seit dem Sturz des verhassten Diktators Hosni Mubarak aufmerksam zu machen und um gegen das Fehlen von echten Veränderungen zu protestieren. Unterdessen bricht die Streikwelle in Ägypten nicht ab und in praktisch allen Sektoren der Wirtschaft werden die Kampfmaßnahmen ausgeweitet.
Im Jemen fanden am selben Tag die größten Demonstrationen der aktuellen Protestwelle statt. Hunderttausende demonstrierten gegen die andauernde Herrschaft von Washingtons Verbündetem Präsident Ali Abdullah Saleh. 50.000 oder mehr marschierten in der Hauptstadt Sanaa, während bis zu 100.000 Menschen an Protesten in Taiz teilnahmen, das sich im Südwesten des Landes befindet.
Während das Weiße Haus weiterhin schweigt, beziehungsweise in Libyen zu intervenieren droht, um die Kontrolle über den Ölnachschub zu übernehmen, bemühen sich die Menschenmassen im Nahen Osten und Nordafrika weiterhin den Druck aufrecht zu erhalten, um sich von korrupten, tyrannischen Regimes zu befreien, die seit Jahrzehnten mit der vollen Unterstützung seitens der USA, Großbritanniens, Frankreichs und anderer imperialistischer Mächte regiert haben.
In Ägypten waren die Demonstranten in Kairo und in anderen Städten am 25. Februar besonders empört über die Umgruppierung des Kabinetts von Ministerpräsident Ahmed Shafiq in dieser Woche, bei der zahlreiche Freunde Mubaraks weiterhin Machtpositionen besetzten. Shafiq ist der frühere Chef der ägyptischen Luftwaffe und ein ehemaliges Kabinettsmitglied unter Mubarak.
Am Donnerstag, dem Tag vor den jüngsten Kundgebungen, hat der regierende Militärrat eine Erklärung abgegeben, dass er "alles unternehmen werde, um seine Versprechen zu erfüllen, damit es keine Rückkehr zur Vergangenheit gebe. Es sei sein Ziel, den Hoffnungen und Ansprüchen dieser großen Nation Genüge zu tun."
Die öffentliche Feindseligkeit gegenüber dem Militär wächst trotz dieser beruhigenden Worte an. Das Nachrichtenmagazin Christian Science Monitor stellte fest, dass am Freitag "das Schlagwort 'Konterrevolution' häufig in der Menge zu hören war".
Reuters berichtete, dass Aktivisten skandierten: "Wir wollen Shafiq nicht mehr, auch wenn sie mit Kugeln auf uns schießen" und "Revolution bis zum Sieg, Revolution gegen Shafiq und den Palast." Einige der Demonstranten versammelten sich rund um das Kabinettsgebäude und riefen: "Wir werden nicht zurückweichen! Er muss gehen!" Die gleiche Parole wurde auch bei den Protesten gegen Mubarak skandiert, um diesen aus seinem Amt zu drängen.
Auf einem Transparent bei den Protesten am Tahrir-Platz war zu lesen, "Shafiqs Regierung dient dem korrupten Regime." Ein Demonstrant, der Museumsdirektor ist, sagte gegenüber dem Christian Science Monitor: "Es haben nicht Hunderte von Menschen ihr Leben dafür geopfert, um dies zu erreichen. ... Ahmed Shafiq ist ein Schüler von Mubarak. Wir haben einen Neuanfang gefordert, und Ahmed Shafiq ist kein Teil davon. Wir lehnen ihn ab."
Ein 32-jähriger Demonstrant sagte der Nachrichtenagentur Associated Press: "Mubarak ist immer noch auf freiem Fuß und reist herum. Seine Söhne und seine Frau und die Mitglieder seines Regimes können sich, abgesehen von ein paar Sündenböcken, immer noch frei bewegen." Er stellte zudem fest, dass das Militär von Mubaraks Herrschaft profitiert habe und fügte hinzu: "Das Volk muss die Armee zu Veränderungen zwingen. Wenn wir das der Armee überlassen, dann werden wir wieder eine Diktatur haben."
Demonstranten in Kairo verlangten die Auflösung der verhassten und für ihre Unterdrückung und Folter berüchtigten Geheimpolizei.
Haaretz, eine israelische Zeitung, stellte am Freitag den verbreiteten Verdacht fest, dass die Ermordung eines koptischen (ägyptische Christen) Priesters am 23. Februar in Asyut, die sowohl Proteste in jener Stadt wie auch in Kairo provozierte, möglicherweise die Arbeit des Sicherheitsapparats gewesen sein könnte. Die Schuld für solche Vorfälle wird oft dem religiösen Extremismus zugeschoben, um "die Beibehaltung des Ausnahmezustandes rechtfertigen zu können, der den Sicherheitskräften unbegrenzte Macht verleiht, die politische Opposition zu unterdrücken und deren Anhänger zu verhaften.
Die interreligiöse Gewalt, die während der Revolution völlig abwesend war, würde eine gute Ausrede bieten, um die 'Ordnung wiederherstellen zu können' und um die Polizei und die Armee dazu einzusetzen, die Reformen zu stoppen“, schreibt Haaretz.
Die Menschenmengen demonstrierten am Freitag in Kairo auch in Solidarität mit dem libyschen Volk, wobei sie "Nieder mit Gaddafi!" skandierten und libysche Fahnen schwenkten.
Reuters berichtete am Freitag von Demonstrationen mit Zehntausenden Teilnehmern in Ismailia, Arisch, Suez und Port Said. Um die 7.000 Menschen demonstrierten in Suez und forderten eine neue Verfassung, die Absetzung von Shafiq und den Rücktritt des örtlichen Gouverneurs. In Ismailia, im Nordosten Ägyptens, am Westufer des Suez-Kanals, demonstrierten gemäß der Nachrichtenagentur über 10.000 Menschen, wobei sie skandierten, "dass die Revolution noch nicht vorbei sei und dass sie noch nicht alle ihre Ziele erreicht hätte."
Eine große Zahl von ägyptischen Arbeitern führt ihre Offensive für bessere Löhne, menschenwürdige Lebensbedingungen, ein Ende der Korruption und Demokratie am Arbeitsplatz fort.
Al-Masry Al-Youm (eine ägyptische Tageszeitung), berichtete in ihrer englischen Internet-Ausgabe am Freitag über mindestens ein Dutzend neuer Streiks oder Proteste.
Hunderte von Bergarbeitern organisierten am Donnerstag eine Arbeitsniederlegung in der Oase Bahariya in Nordägypten, um gegen die "schlechten Lebensbedingungen" zu protestieren. Etwa 50 Arbeiter des Ministeriums für religiöse Stiftungen forderten zur gleichen Zeit Lohnerhöhungen und Dutzende von temporären landwirtschaftlichen Aufsichtsbeamten protestierten für eine Festanstellung.
Al-Masry Al-Youm berichtete auch von einer Demonstration im Gebiet von Port Said: "Hunderte von Bewohnern im Dorf Radwan verlangten eine Untersuchung bezüglich Verstößen beim Verkauf von Hochschulabsolventen zugeteiltem Land (unter Mubaraks Projekt zur Förderung junger Akademiker) ohne offizielle Erlaubnis."
"In Beni Suef [ein landwirtschaftliches Zentrum am Nil, etwa 120 Kilometer südlich von Kairo] protestierten 1000 Hochschulabsolventen, Arbeiter und Lehrer den zweiten Tag in Folge vor dem Gebäude des Bildungsministeriums des Gouvernements. Sie forderten echte und dauerhafte Beschäftigungsmöglichkeiten. Demonstranten versuchten in das Gebäude einzudringen, doch die Sicherheitskräfte hielten sie davon ab. ... Sie drohten die Lehrergewerkschaft zu erstürmen und das Gebäude des Bildungsministeriums in Brand zu setzen, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden."
In Suez blockierten rund 1.200 Metallarbeiter eine Hauptstraße und klagten, dass die entsprechenden Regierungsbehörden noch nichts zur Lösung ihrer Probleme unternommen hätten und ihren Forderungen in keiner Weise nachgekommen seien. Die Arbeiter des Stahlrohr-Produzenten "Amiron Stahl Ägypten" setzten ihre Arbeitsniederlegung in der Firmenzentrale für bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen fort. "In Kafr al-Scheich, streikten Busfahrer der Stadt Desouk, um gegen die Erhöhung der Kosten für ihre Versicherungen zu protestieren."
In Assuan präsentierten rund 700 Arbeiter der Al-Nasr Bergbau-Gesellschaft in Edfu der offiziellen Gewerkschaft ihren Protest. Sie forderten ein neues temporäres Verwaltungskomitee, das sich aus Arbeitern zusammensetzt, und verkündeten, dass sie dem bestehenden Gewerkschaftskomitee ihr "Vertrauen entziehen".
Ahram (eine weitere ägyptische Zeitung) berichtete am 25. Februar über Tausende von Arbeiterprotesten und anderen Arten von Protesten als Folge von Mubaraks Absetzung. Die ägyptische Webseite schrieb: "An einem Tag konnten Passanten in der Innenstadt von Kairo an einer Gruppe von Arbeitern des Unternehmens "Nil-Gesellschaft für Baumwolle" vorbeikommen, die einen Sitzstreik vor dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft durchführten, sowie einer Gruppe von Lehrern vor dem Bildungsministerium oder an Mitarbeitern der vor kurzem privatisierten Warenhaus-Kette "Omar Effendi", die am Hauptsitz des Unternehmens protestierten."
Haaretz berichtete am selben Tag, dass "Tausende von Arbeitern in ganz Ägypten ihren Streik für höhere Löhne und zum Sturz der korrupten Verwaltung fortsetzten. ... Wut braut sich unter der Oberfläche zusammen und droht bald auszubrechen, je mehr Zeit ohne den erhofften Wandel vergeht und je länger die gestellten Forderungen nicht erfüllt werden."
Die israelische Zeitung berief sich auf den Fall einer Ziegelfabrik im Golf von Suez, dessen Besitzer, Mohamed Abou El Enein, "ein hochrangiger Mitarbeiter von Mubaraks Nationaldemokratischer Partei ist." Mehr als 9.000 Arbeiter in fünf seiner Werksstandorte starteten einen Protest, weil Enein sich weigerte, über ihre zahlreichen Lohnforderungen zu verhandeln. Gemäß der ägyptischen Tageszeitung Al-Shuruq, setzte der Besitzer bewaffnete Banden ein, um den Protest zu zerschlagen.
Haaretz berichtete ebenfalls, dass "ungefähr 1.800 Arbeiter in einer landwirtschaftlichen Verarbeitungsanlage im südlichen Teil des Landes drohten, die Anlage in Brand zu setzen, wenn ihre Forderungen nach angemessenen Löhnen nicht erfüllt würden."
Die Proteste in Jemen
Reuters berichtete, dass Zehntausende Demonstranten in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen, skandierten: "Das Volk fordert den Sturz des Regimes."
Ein Korrespondent des Wall Street Journals beobachtete: "Außerhalb der Universität von Sanaa, wo Studenten seit Wochen ihr Lager aufgeschlagen haben, sind die Straßen mit Menschen überflutet. Mehr als 30.000 nahmen am Freitagsgebet an der Universität teil, um ihre Unterstützung zu zeigen und um den Tod von zwei Demonstranten zu betrauern, die am Dienstag spät in der Nacht von loyalen Anhängern der Regierung erschossen und ermordet wurden. ... Die lokalen Medien berichteten von zwischen 50.000 und 80.000 Demonstranten gegen die Regierung."
Viele Frauen beteiligten sich ebenfalls an den Protesten und skandierten "Raus, raus!" Und "Gott bezeugt deine Taten, Abdullah“, womit sie Jemens langjährigen Präsidenten Ali Abdullah Saleh meinten.
Die Regierung setzte eine große Zahl an Polizisten und Soldaten ein. Die Behörden behaupten, "dass es ihr Anliegen sei, Zusammenstöße zwischen den Anti-Regierungs-Demonstranten und den Pro-Saleh Unterstützern zu verhindern, die angeblich von der Regierung angestiftet und bezahlt werden. Den Letzteren, obwohl es viel weniger sind, wurde in den letzten zehn Tagen erlaubt, heftige Angriffe auf die Anti-Saleh Demonstranten zu führen. Dutzende von Demonstranten wurden bei diesen Angriffen getötet.
Einer der Redner an der enormen Protestkundgebung in Sanaa, Tawakul Kermal, erklärte an Saleh gewandt: "Wir kommen, um dich aus dem Präsidentenpalast zu drängen." Die Veranstalter nannten die Proteste am Freitag "den Anfang vom Ende" des Regimes.
Die New York Times berichtete, dass in Taiz "bis zu 100.000 Demonstranten gemeinsam das Freitagsgebet abhielten, bei dem ein lokaler Geistlicher den Scharen von Männern und Frauen predigte, die auf dem Asphalt saßen." Die Menge "brach anschließend in Sprechchöre aus, die seit der Revolution in Tunesien überall in der arabischen Welt auf großes Echo stoßen: "Die Menschen wollen den Sturz des Regimes."
Eine Demonstration von mindestens 10.000 Menschen fand in der südlichen jemenitischen Hafenstadt Aden statt, wo Sicherheitskräfte Tränengas einsetzten und mit scharfer Munition in die Luft schossen, um die Menschenmenge zu zerstreuen. In dem Bezirk Mansour der Stadt stürmten Demonstranten ein Gebäude des Stadtrates und setzten ein Regierungsfahrzeug in Brand.
Die Zeitung Jemen Post schrieb am Donnerstag, dass die Anti-Regierungs-Proteste in jeder Provinz des Landes fortgesetzt würden.
Saleh, der außerhalb Sanaas wenig Macht ausübt, manövriert verzweifelt mit den bürgerlichen Oppositions-Parteien, um sich an der Macht zu halten. Bei diesem Bemühen hat er die volle Unterstützung der Obama-Regierung, die sein Regime als einen zentralen Verbündeten im "Krieg gegen den Terror" betrachtet.
Der jemenitische Präsident kündigte am Donnerstag die Bildung eines Ausschusses zur Eröffnung einer Diskussion mit seinen Gegnern an. Die offizielle Nachrichtenagentur des Landes, SABA, erklärte, dass Saleh seinem Ministerpräsidenten befohlen habe, den fünfköpfigen Ausschuss zu leiten, um "einen konstruktiven und offenen Dialog mit den jungen Brüdern, inklusive den Demonstranten zu führen ... und um ihre Bedingungen und Visionen anzuhören."