Wir veröffentlichen hier einen Vortrag, den Nick Beams, nationaler Sekretär der SEP, am 3. April 2010 bei einer Parteiversammlung der Socialist Equality Party (Australien) gehalten hat.
Zu Beginn dieser Diskussion möchte ich erst einmal auf die Wirtschafts- und Finanzkrise eingehen, die am 15. September 2008 mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers begann, und auf ihre Einschätzung durch das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) hinweisen. Wir haben von Anfang an darauf gepocht, dass es sich nicht um eine konjunkturelle Krise handelte, nach der man einfach zum vorherigen Zustand zurückkehren könne, sondern dass die bis dahin herrschende kapitalistische Akkumulationsweise zusammengebrochen sei.
Was heißt das? Es bedeutet nicht, dass die kapitalistische Wirtschaft zum abrupten Stillstand kommen, oder in eine unerbittliche Abwärtsspirale hineingezogen würde. Nicht einmal, dass es unausweichlich zu einer dauerhaften Rezession kommen wird. Die Bedeutung dieses Zusammenbruchs lag für uns in der Tatsache, dass er eine neue Ära eröffnete - eine Ära, die von einer Neuordnung der Klassenbeziehungen und der Beziehungen zwischen den verschiedenen kapitalistischen Mächten geprägt ist.
Um den Kern unserer Analyse zu erfassen, müssen wir uns der Entwicklung des kapitalistischen Systems historisch nähern. Die große Epoche kapitalistischen Fortschritts endete auf dramatische Weise am 4. August 1914. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges war kein versehentlicher, unglücklicher Zusammenstoß zwischen den Großmächten. Er war, wie Trotzki es ausdrückte, "der gewaltigste geschichtliche Zusammenbruch eines ökonomischen Systems, das aufgrund seiner inneren Widersprüche zerstört wurde". Diese 1915 getroffene Analyse wurde durch alles, was folgte, bestätigt. Das Kriegsende brachte keine Rückkehr zum vorherigen Zustand, sondern drei Jahrzehnte gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Unruhen, die im Zweiten Weltkrieg gipfelten. Dieser brachte noch mehr Zerstörung mit sich als der erste. Nur weil die revolutionären Kämpfe der Arbeiterklasse verraten wurden, kam in den späten vierziger Jahren ein neuer kapitalistischer Aufschwung in Gang. Dieser Aufschwung erhob sich, wie Trotzki gewarnt hatte, auf dem Blut und den Knochen von Millionen von Arbeitern. Wirtschaftlich lebte er von der Macht des US-Imperialismus und der Ausbreitung der produktiveren Methoden des US-Kapitalismus über die ganze Welt.
Ein wichtiger Baustein dieser kapitalistischen Expansion war die Stabilisierung Europas - die Lösung der "deutschen Frage". Das heißt, es wurde ein politisches und wirtschaftliches Gerüst entwickelt, das es ermöglichte, den dynamischen deutschen Kapitalismus einzugliedern, ohne dass es zu einem Krieg kam. Und im Osten wurde das Problem gelöst, das man die "japanische Frage" nennen könnte. Ich möchte die Bedeutung dieser beiden Regelungen besonders im Lichte der gegenwärtigen Situation betonen: der Turbulenzen um die europäische Gemeinschaft und ihre Währung (das Kind der Nachkriegsregelung), und den wachsenden Konflikt zwischen China und den USA.
Der Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung der Nachkriegszeit setzte sich bis in die frühen siebziger Jahre fort, als sich die inneren Widersprüche in der kapitalistischen Wirtschaft wieder bemerkbar machten. Dies war eine Periode revolutionärer Erhebungen, die nur durch den stalinistischen und sozialdemokratischen Verrat an der Arbeiterklasse, den die Pablisten unterstützten, beendet wurde. Als es darum ging, eine revolutionäre Orientierung in der Arbeiterklasse zu verhindern, entlarvte die Rolle der Pablisten die wahre Bedeutung ihrer Angriffe auf die programmatischen Grundlagen der Vierten Internationale in den frühen 1950er Jahren. Die verschiedenen theoretischen und programmatischen Revisionen, die vom Pablismus vorgenommen wurden, waren Ausdruck eines kleinbürgerlichen Aufstandes gegen den Trotzkismus. Sie gingen von der Voraussetzung aus, dass sich die Erfahrungen der Oktoberrevolution von 1917 niemals wiederholen würden.
Auf der Grundlage des Verrats an den revolutionären Kämpfen von 1968 - 1975 begann die Bourgeoisie einen sozialen und politischen Angriff auf die Arbeiterklasse. Dies war ein wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Neuordnung des Weltkapitalismus. Sie wurde erforderlich, da sich die alte Akkumulationsweise der fünfziger und sechziger Jahre erschöpft hatte. Aber diese Offensive gegen die Arbeiterklasse führte von sich aus nicht zu einem neuen kapitalistischen Aufschwung auf der Grundlage einer neuen Akkumulationsweise. Ein solcher Aufschwung wurde erst möglich, nachdem sich eine gewaltige Veränderung in der geopolitischen Landschaft vollzogen hatte: der Zusammenbruch, oder, korrekter ausgedrückt, die Liquidierung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie und die Eingliederung billiger Arbeitskräfte in vielen Teilen der Welt in den Kreislauf des globalen Kapitals.
Dies führte zu einem gewaltigen Anwachsen der internationalen Arbeiterklasse, worüber es verschiedene Schätzungen gibt. Einige Studien geben an, sie habe sich verdoppelt, andere sprechen von einer Zunahme in der Größenordnung von 300 bis 500 Millionen. Wie auch immer die genaue Zahl, es ist klar, dass dies eine der entscheidenden Veränderungen in der Geschichte der Weltwirtschaft war. Diese Veränderung, dieser Wandel in der Struktur des Weltkapitalismus, lieferte die Grundlagen für den kapitalistischen Aufschwung, der in den frühen 1990er Jahren begann. Die Möglichkeit einer derartigen Entwicklung war von Trotzki vorweggenommen worden, als er in den zwanziger Jahren bemerkte, dass ein neuer kapitalistischer Aufschwung möglich sein werde, falls die Sowjetunion falle und China unter die Herrschaft der imperialistischen Mächte gelange. Wir wissen heute, dass die Geschichte einen anderen Weg eingeschlagen hat. Aber der Kern von Trotzkis Analyse behält seine Gültigkeit.
Die Eingliederung der Arbeiterklasse Chinas, Indiens und anderer Länder in den globalen Kreislauf des Kapitals und die Entwicklung neuer IT-Technologien und Leistungssteigerungen in den Bereichen Transport, Kommunikation usw. schufen die Bedingungen für einen neuen kapitalistischen Aufschwung. Der Grund für diese Entwicklung lag im Kampf des Kapitals gegen den Fall der Profitrate, der die vorherige Akkumulationsweise, die auf Fließband-Produktion basierte, zum Einsturz brachte.
Dieser Aufschwung in der Kurve der kapitalistischen Entwicklung war allerdings äußerst instabil und jenem ähnlich, der in der Mitte der 1890er Jahre begann und zum Zusammenbruch von 1914 führte. (In einem Kommentar, den ich kürzlich las, beruhigte der Autor seine Leser damit, dass die Krise von 2008 der amerikanischen Bankenkrise von 1907 ähnlich sei. Er vermied geflissentlich zu erwähnen, was sieben Jahre später passierte.)
Der Aufschwung der vergangenen beiden Jahrzehnte basierte einerseits auf der Ausbeutung billiger Arbeitskraft und andererseits auf der Entwicklung finanzieller Mechanismen und Vorgehensweisen, mit denen die größeren kapitalistischen Ökonomien sich diese angewachsene Masse an Mehrwert einverleibten.
Wie stark sich die wirtschaftliche Struktur mehrerer größerer kapitalistischer Länder verwandelt hat, wird in einigen Zahlen für Großbritannien deutlich. In einer Kolumne, die am 25. März in der Financial Times erschien, schrieb Wirtschaftsredakteur Martin Wolf: "Das ökonomische Erbe des Thatcherismus war verblüffend. Wie der Haushalt belegt, waren Dienstleistungen von 1997 bis 2006 für vierzig Prozent des wirtschaftlichen Wachstums verantwortlich, und Finanzgeschäfte für weitere dreizehn Prozent. Der Beitrag der Produktion lag nahe Null. Das war das Ergebnis des Marktes. Die britische Wirtschaft wuchs schneller als die anderer europäischer Länder. Deshalb schien das Wachstum zufriedenstellend und nachhaltig."
Die neue Art der Akkumulation sorgte für gewaltige Veränderungen in den urbanen Landschaften. Städte, in denen Fabriken gestanden hatten, wurden zugunsten von Stadt-, Einkaufs- und Finanzzentren saniert. Doch sie alle waren auf die eine oder andere Weise mit der Aneignung von Mehrwert verbunden, der an anderer Stelle geschöpft wurde.
Die Ausweitung des Finanzsektors nahm in den kapitalistischen Ökonomien schnell zu. In anderen Worten, Profite wurden zunehmend in der Finanzwirtschaft statt durch Handel oder Warenproduktion erzielt. In den USA stieg der Anteil der Finanzwirtschaft an allen Unternehmensprofiten von weniger als zehn Prozent im Jahr 1980 auf etwa vierzig Prozent im Jahr 2008.
Eine Untersuchung der zehn wichtigsten kapitalistischen Länder, einschließlich der USA und Großbritanniens, die kürzlich vom McKinsey Global Institute durchgeführt wurde, fand heraus, dass die Gesamtschuld dieser Länder seit 2000 um etwa vierzig Billionen Dollar angewachsen ist, eine Zunahme von sechzig Prozent. Die gesamte Fremdkapitalquote - privat und staatlich - wuchs im Schnitt von etwa 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 1990 auf mehr als 330 Prozent im Jahr 2008 an. In Großbritannien wuchs die Schuldenrate im selben Zeitraum von 200 Prozent auf 450 Prozent an. Ein großer Teil der Schulden sollte nicht industrielle Produktion, sondern Finanztransaktionen finanzieren.
Die zunehmende Verschuldung beschleunigte das Anwachsen des Finanzsektors und die Illusion eines neuen goldenen Zeitalters. Macht man sich allerdings von der Wahnvorstellung der Bourgeoisie und ihrer Ideologen frei, dass Geld aufgrund seines Wesens mehr Geld erzeugen könne, dann wird klar: Die durch das Finanzkapital entstandenen Profite sind letztlich ein Wechsel auf den Mehrwert, der aus der Arbeiterklasse herausgepresst wird. Finanzprofite sind letztlich durch den verfügbaren Mehrwert begrenzt.
Das heißt nicht, dass die Tätigkeit des Finanzkapitals von diesem Gesetz jederzeit im Zaum gehalten wird. Im Gegenteil, es trotzt ihm. Aber es kann sich ihm nicht entziehen, und das Wertgesetz setzt sich, wie Marx im allerersten Kapitel des "Kapital" anmerkte, "als regelndes Naturgesetz gewaltsam durch[..], wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt".
Fiktives Kapital ist Kapital, das nicht selber direkten Mehrwert schöpft, sondern nur einen Anspruch auf andernorts geschöpften Mehrwert darstellt. Fiktives Kapital war in der Lage, wachsende Profite einzustreichen, oft durch immer dubiosere Finanzoperationen, und das in einem Tempo, das die Zunahme des aus der Arbeiterklasse herausgepressten Mehrwerts weit übertraf. Es war indessen durch den Druck des Marktes gezwungen, so zu handeln, selbst da, wo die Gefahren erkannt wurden. Der Chef der Citigroup, Chuck Price, drückte es im Juli 2007 so aus: "Solange die Musik spielt, müssen alle mittanzen."
Aber die Gesetze des kapitalistischen Systems setzten sich schließlich durch und ließen das ganze Kartenhaus einstürzen, als eine seiner Stützen zusammenbrach. Das war die Absicherung der Sub-Prime-Hypotheken, ein Mechanismus, der die Profitakkumulation sichern sollte. Erst brach ein Teil des Hauses ein, dann stürzte das gesamte Gebäude in sich zusammen.
Der kapitalistische Staat sprang ein, um die Banken und Finanzhäuser zu retten. Faktisch übernahm er die Schulden der Banken in seine eigenen Bücher. Oder, um es anders auszudrücken, er beglich die Verbindlichkeiten der Banken und der Finanzinstitutionen. Dies hieß allerdings nicht, dass das Problem beseitigt war.
Die Krise brach aus, weil aufgrund der Arbeitsweise der Finanzmärkte die Forderungen des Finanzkapitals den für ihren Bedarf verfügbaren Mehrwert überstiegen. Das ist die gesellschaftliche Bedeutung sogenannter "toxischer" oder wertloser Vermögenswerte. Der Staat greift ein und übernimmt die Verbindlichkeiten, doch das Problem - dass nämlich die Masse fiktiven Kapitals bei weitem größer ist als der Mehrwert, auf den es Anspruch erhebt - bleibt bestehen. Keineswegs ist auf wundersame Weise mehr Mehrwert erschaffen worden. Folgendes ist passiert: Der Staat hat die Forderungen der Banken und der Finanzhäuser übernommen, sie ausbezahlt, als seien sie verfügbar, und damit selber die Aufgabe übernommen, den notwendigen zusätzlichen Mehrwert aus der Arbeiterklasse herauszupressen.
Man stelle sich das Ausmaß des Geschehens vor. Zwischen Juli 2007 und März 2009 fielen die Aktienkurse der globalen Banken um 75 Prozent, ein Marktkapitalisierungsverlust von fünf Billionen Dollar. In Großbritannien fielen die Bankenwerte um 80 Prozent. Zusammen mit dem Absturz anderer Vermögenswerte belief sich der Verlust weltweiten Vermögens auf über 25 Billionen Dollar oder fast 45 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktes. Die Vermögensverluste in Großbritannien und den USA erreichten jene der Großen Depression. Die direkte Unterstützung des Finanzsystems durch den kapitalistischen Staat entspricht einem Viertel des globalen Bruttoinlandsproduktes. In den USA und in Großbritannien entspricht es fast drei Vierteln des Bruttoinlandsproduktes dieser Länder.
Diese staatlichen Eingriffe haben die Stellung der Banken wieder gefestigt. Aber sie haben der Wirtschaft nicht auf die Beine geholfen. Die Banken konnten ihre Profite steigern, weil ihnen billiges Kapital zur Verfügung gestellt wurde, aber dies hat nicht zu wirtschaftlichem Wachstum geführt.
Die Zahlen zum Anstieg der Staatsverschuldung machen deutlich, wie viel aus der globalen Arbeiterklasse herausgepresst werden muss, um diese Rettungsaktionen zu bezahlen. Der IWF hat vorausgesagt, dass die Quote von Staatsverschuldung zu Bruttoinlandsprodukt in 67 Ländern von 80 Prozent im Jahr 2007 auf 125 Prozent im Jahr 2014 ansteigen wird. In Großbritannien und den USA wird eine Verdoppelung vorausgesagt. In den OECD-Ländern schätzt man den Anstieg der Haushaltsdefizite in den letzten drei Jahren auf 20 bis 30 Prozentpunkte gegenüber dem Bruttoinlandsprodukt. Eine Studie der Bank für internationalen Zahlungsausgleich sagt für den Fall, dass der gegenwärtige Trend über die nächsten Jahre anhält, einen Anstieg auf 300 Prozent in Japan, auf 200 Prozent in Großbritannien und 150 Prozent in Frankreich, Irland, Italien und den USA voraus. Zinszahlungen werden insgesamt von heute fünf Prozent der Staatsausgaben auf zehn Prozent klettern, in Großbritannien gar auf 27 Prozent.
Jetzt kommen wir zur Bedeutung dieser Zahlen für die politische Ökonomie der kommenden Periode. Wir können die Bedeutung der Haushaltskrise des Staates klarer erkennen. Alle Regierungsausgaben für soziale Dienste, Gesundheit, Erziehung usw. werden letztlich von dem Mehrwert abgezogen, der dem Kapital zur Verfügung steht. Die Einschnitte in Sozialausgaben, die jetzt von den kapitalistischen Regierungen in aller Welt vorgenommen werden, und die Angriffe auf die gesellschaftliche Stellung der Arbeiterklasse sind Maßnahmen, mit denen der Staat sich den Mehrwert aneignet, den er braucht, um die Rettung der Banken und Geldinstitute zu finanzieren.
Dieser Prozess schafft die objektiven Voraussetzungen für eine neue Periode revolutionärer Kämpfe. Die Konfrontation kann nicht vermieden werden - schließlich gibt es keine neue Technologie oder frische Quelle billiger Arbeit, die solche Mengen an Mehrwert in das kapitalistische System pumpen könnte, der dem Vermögen entspräche, das den Banken bereits ausgehändigt wurde. Der kapitalistische Staat muss massive Mengen an Mehrwert, die er vorher für soziale Ausgaben bereitgestellt hatte, zurücknehmen.
Kurz gesagt, haben wie es mit der Entstehung objektiver Bedingungen für die soziale Revolution zu tun. Der kapitalistische Staat kann nicht länger in der alten Weise funktionieren, und die Arbeiterklasse kann unter der neuen Herrschaft nicht leben.
Unsere Analyse der ökonomischen Ursachen für den Zusammenbruch hat große politische Bedeutung. Die objektive Grundlage des Klassenkampfes im Kapitalismus ist der Konflikt zwischen der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse um die Verteilung des Mehrwerts, der im Verlaufe des kapitalistischen Produktionsprozesses aus der Arbeiterklasse herausgepresst wird. Heute haben wir es nicht mit einem Konflikt zu tun, der sich zwischen verschiedenen Teilen der Arbeiterschaft und verschiedenen Teilen der Kapitalistenklasse abspielt, und bei dem der kapitalistische Staat zu einem bestimmten Zeitpunkt eingreift. Der kapitalistische Staat selbst ist zum ausführenden Organ der Bourgeoisie geworden - insbesondere ihres dominierenden Teils, des Finanzkapitals. Der Staat ist zur entscheidenden Instanz zur Schöpfung von Mehrwert geworden oder, um es korrekter auszudrücken, zur Neuzuweisung des Mehrwertes, der eigentlich für soziale Ausgaben bestimmt war. Das bedeutet, dass politische Kämpfe unvermeidlich ausbrechen werden und die Frage der politischen Macht unmittelbar auf die Tagesordnung kommt. Der Kampf der Arbeiter, auch nur die elementarsten sozialen Bedingungen zu verteidigen, wird sofort zum Kampf gegen den kapitalistischen Staat, der verlangt, dass diese Mittel der Finanzierung der Bankenrettung vorbehalten werden.
In diesem Gesamtrahmen müssen wir die Situation in Griechenland betrachten. Wie das IKVI in seiner Erklärung vom 17. März erklärte, markiert die griechische Krise ein neues Stadium in der internationalen Krise, die 2007-08 begann. Das Sparprogramm der Papandreou-Regierung nimmt den Mehrwert zurück, der dem Erhalt der gesellschaftlichen Position der Arbeiterklasse zugewiesen war. Es ist nur ein erster Schuss in einem anhaltenden und sich vertiefenden Angriff auf die Arbeiterklasse in allen größeren kapitalistischen Ländern, nicht zuletzt in Australien.
Die Papandreou-Regierung könnte die finanziellen Interessen der Schichten, die sie vertritt, niemals durchsetzen, hätte sie nicht die Unterstützung der Gewerkschaften. Vor allem die ex-radikalen und pseudo-linken Organisationen spielen eine üble Rolle. Die Ereignisse in Griechenland unterstreichen die Bedeutung unserer Analyse dieser Kräfte. Sie gebärden sich als Gegner des sozialen Kahlschlags, bestehen aber gleichzeitig darauf, dass der Kampf gegen die Kürzungen den Gewerkschaften untergeordnet werden müsse, um die "Einheit der Linken" und der Arbeiterklasse zu wahren. Die Gewerkschaften wiederum sehen ihre Aufgabe darin, die Arbeiterklasse der Regierung unterzuordnen.
Der Kampf gegen die sozialen Angriffe muss sich auf eine politische Rebellion gegen den Gewerkschaftsapparat stützen. Mehr noch, die Maßnahmen, die das Finanzkapital von der Papandreou-Regierung fordert, können nur auf der Grundlage einer Perspektive bekämpft werden, die bewusst und direkt die Frage der politischen Macht und der Reorganisation der gesamten Wirtschaft auf sozialistischer Grundlage stellt. Für diese Perspektive muss nicht nur die Arbeiterklasse in Griechenland, sondern in Europa und weltweit gewonnen werden.
Die Europäische Gemeinschaft in der Krise
Ein weiterer Aspekt der griechischen Situation ist sehr wichtig. Der Zusammenbruch der bisherigen Akkumulationsweise setzt nicht nur die Neuordnung der Klassenbeziehungen auf die Tagesordnung, - man könnte sie die vertikalen Beziehungen des kapitalistischen Systems nennen -, sondern auch die Beziehungen zwischen den kapitalistischen Großmächten - die horizontalen Beziehungen.
Der Konflikt in Europa um die Rettung Griechenlands oder, genauer gesagt, die Weigerung der deutschen Bourgeoisie, eine solche Rettung zu organisieren, hat eine tiefe Krise in der Europäischen Gemeinschaft ausgelöst. Dabei hat der deutsche Kapitalismus beträchtlich von der schuldengetriebenen Expansion der Wirtschaft Griechenlands, wie auch Irlands, Spaniens, Italiens und Portugals profitiert.
Man muss diese Krise in ihrem historischen Zusammenhang sehen. Das Projekt der europäischen Einigung im Kapitalismus stößt an seine Grenzen. Wenn es jedoch nicht fortgesetzt werden kann, heißt das aber nicht, dass es einfach stecken bleibt. Es wird sich zersetzen, mit möglicherweise katastrophalen Folgen.
Die EU entstand auf der Grundlage einer Serie von Maßnahmen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ergriffen wurden. Sie sollten sicherstellen, dass das deutsche Wirtschaftswachstum sich im Rahmen einer allgemeinen Entwicklung der europäischen Wirtschaft vollzog, und dass die Konflikte zwischen Deutschland und Frankreich, die in den vorangegangenen siebzig Jahren dreimal ausgebrochen waren, nicht wieder aufflammten. Die wirtschaftliche Integration begann mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Sie wurde 1951 durch den Vertrag von Paris ins Leben gerufen. Westdeutschland, Frankreich, Italien und die drei Beneluxstaaten beteiligten sich daran. 1957 folgte mit dem Vertrag von Rom die Gründung der Wirtschaftsgemeinschaft.
Als Reaktion auf den Zusammenbruch des Bretton-Woods-Abkommens in den frühen siebziger Jahren gab es diverse Versuche, eine europäische Währungsvereinbarung herbeizuführen. Doch keiner von ihnen war sonderlich erfolgreich. Die Situation spitzte sich nach der Liquidierung der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges zu.
Der Kalte Krieg und die darauf folgende Teilung Europas spielten für die Bourgeoisie eine entscheidende Rolle, denn sie trugen zu einer Lösung des umstrittenen Problems Deutschland bei. Dem geteilten Deutschland war eine Ausdehnung nach Osten verwehrt. Direkt nach dem Fall der Berliner Mauer ließ die Aussicht auf eine deutsche Wiedervereinigung Europa erzittern. Thatcher und Mitterrand wendeten sich gegen ein vereinigtes Deutschland, da sie die Folgen seiner wirtschaftlichen und politischen Macht fürchteten. "Wir haben sie zweimal geschlagen, und jetzt erheben sie sich schon wieder", soll Thatcher gesagt haben. Offenbar forderte sie Gorbatschow auf, ihre öffentlichen Aussagen zu der Frage nicht zu beachten, sondern dafür zu sorgen, dass Deutschland geteilt bliebe.
Großbritannien und Frankreich konnten die Wiedervereinigung nicht verhindern, aber sie schafften es, eine Lösung herbeizuführen, die Deutschland zwar nicht eindämmte, aber zumindest sicherstellte, dass es an ein expandierendes Europa gebunden blieb. Dies war die Grundlage der Maastrichter Verträge.
Ihnen folgte die Entscheidung, den Euro als europäische Gemeinschaftswährung einzuführen. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel der Versuch, eine Alternative zum US-Dollar zu entwickeln. Grundlage des Euro war die Zustimmung Deutschlands, seine Währung aufzugeben und flankierende Maßnahmen für das Projekt zu liefern. Im Gegenzug verlangte Deutschland ein striktes Stabilitätsregime in der Eurozone.
Aber diese Vereinbarung bröckelte, kaum war ein Jahrzehnt vergangen. Als die Finanzkrise 2008 ausbrach, waren Gegensätze schon erkennbar. Jetzt hieß es: Jeder ist sich selbst der Nächste, oder besser: Jede Regierung helfe den eigenen Banken.
Das deutsche Modell ist für die EU, wie die Financial Times anmerkte, ganz einfach nicht lebensfähig. Es verlangt, dass alle EU-Länder ihre Defizite kürzen, ihre Produktivität steigern und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern. In einer Kolumne vom 30. März schreibt Martin Wolf:
"Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates, konstatierte nach dem Treffen: ’Wir hoffen, dass alle Halter griechischer Anleihen nun mit der Gewissheit leben können, dass die Eurozone Griechenland niemals fallen lassen wird’. Diese Zusage kann nur auf zwei Wegen eingehalten werden: Entweder die Mitglieder stellen einander Blankoschecks aus, oder sie übernehmen die Staatsfinanzen und damit die Regierung in Schieflage geratener Länder. Deutschland würde ersteres, die Politiker der anderen größeren Länder letzteres niemals zulassen. Deshalb erscheint van Rompuys Aussage absurd."
Martin Wolf zitiert dann ein Statement des EU-Rates, in dem es heißt: "Die gegenwärtige Situation zeigt die Notwendigkeit, den bestehenden Rahmen zu stärken und zu ergänzen, um die fiskalische Nachhaltigkeit in der Eurozone zu garantieren und ihre Fähigkeit zu stärken, in Zeiten der Krise zu handeln. Für die Zukunft müssen die ökonomischen und Haushaltsrisiken und die Instrumente zu ihrer Verhinderung, einschließlich scharfer Defizitprozeduren, stärker überwacht werden."
Dies kommentiert Wolf mit den Worten: "Hier wird suggeriert, dass die Schwächung fiskalischer Positionen in Ländern der Peripherie einen Mangel an Haushaltsdisziplin zeige. Dies gilt für Griechenland und in abgeschwächter Form für Portugal. Irland und Spanien dagegen hatten ganz offenbar bombensichere Haushalte. Ihre Schwächen lagen in finanziellen Defiziten des privaten Sektors. Erst als der private Sektor nach der Krise Korrekturen vornahm, explodierte das Haushaltsloch. Da das Problem im privaten und nicht im öffentlichen Sektor lag, muss die Überwachung auch auf den privaten und nicht nur den öffentlichen Sektor gerichtet werden.
Die Vermögensblasen und die Kreditausweitung im privaten Sektor an der Peripherie waren allerdings auch das Spiegelbild fehlender Nachfrageentwicklung im Inneren. Auf diese Weise schuf die Geldpolitik der EZB eine mehr oder weniger angemessene Expansionsrate der gesamteuropäischen Nachfrage. Sobald wir deshalb nach der grundlegenden Ursache der heutigen Haushaltskatastrophen fragen, müssen wir feststellen, dass sie letztendlich das Ergebnis des Vertrauens in eine auf Kredit ausgerichtete Geldpolitik waren, die man angewendet hatte, um die schwache Nachfrageentwicklung im Inneren der Eurozone, vor allem in Deutschland, auszugleichen."
Wolf schrieb weiter: "Solch eine Diskussion über Nachfrage und Ungleichgewichte innerhalb der Eurozone mögen die deutschen Politiker überhaupt nicht. So lange das der Fall ist, sind die Aussichten für eine ’verbesserte wirtschaftliche Koordinierung’, die in der Erklärung des Rates erwähnt wird, gleich Null. Schlimmer noch, Deutschland möchte von seinen Partnern unbedingt Maßnahmen zur Senkung von Haushaltsdefiziten sehen. Die Eurozone, zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, wäre dann auf dem Weg zu einem Großdeutschland mit chronisch schwacher Binnennachfrage. Deutschland und andere ähnliche Volkswirtschaften könnten über erhöhte Exporte an Schwellenländer einen Ausweg finden. Für seine strukturell schwächeren Partner - insbesondere jene, die durch Kosten belastet sind, die den Wettbewerb schwächen - wären bestenfalls Jahre der Stagnation das Ergebnis. Soll man das als ‘Stabilität’ rühmen?"
Wolf sieht das Projekt der Währungsunion vor riesigen Herausforderungen. Es gebe keine einfache Lösung der griechischen Frage. Aber viel wichtiger sei, dass die Eurozone nicht so arbeiten wolle, wie Deutschland das gern hätte. Er schrieb: "Die Eurozone kann nur germanischer werden, indem sie riesige Angebotsüberschüsse exportiert, oder indem sie große Teile der Eurozone in eine lang anhaltende Rezession treibt, oder - was wahrscheinlicher ist - beides. Deutschland könnte Deutschland sein, solange andere es nicht wären. Wenn die Eurozone selbst deutsch würde, könnte ich mir nicht vorstellen, wie das funktionieren sollte.
Offensichtlich kann Deutschland sich kurzfristig durchsetzen, aber es kann die Eurozone nicht auf die Art und Weise zum Erfolg bringen, die es sich wünscht. Hohe fiskalische Defizite sind ein Symptom der Krise, nicht ihre Ursache. Gibt es einen zufrieden stellenden Weg aus dem Dilemma? So weit ich sehen kann, gibt es ihn nicht. Das ist wirklich furchterregend."
Was verlangt Deutschland? Ein wirtschaftlich starkes Europa. Aber das erweist sich als unmöglich auf der Grundlage einer Föderation. Man fühlt sich an die Haltung erinnert, die Hitler in seinem nicht veröffentlichten, so genannten "Zweiten Buch" einnahm. Darin äußerte er die Ansicht, Europa müsse vereinigt werden, um der wirtschaftlichen Herausforderung durch die Vereinigten Staaten entgegenzutreten. Aber es könne nicht als Föderation vereinigt werden. Es müsse auf die Weise vereinigt werden, wie Rom sein Imperium gegründet hatte, oder auf die Weise, wie Preußen ein vereintes Deutschland geschaffen hatte, das heißt, als Reichs- Projekt.
Schaut man über die griechische Krise und Europa hinaus, stellt sich die Frage: Wie haben sich die Beziehungen zwischen den kapitalistischen Großmächten entwickelt, seit die Krise ausgebrochen ist? Sind sie sich nähergekommen, um gemeinsame Probleme zu lösen, oder haben sich die Konflikte und Antagonismen verschärft? In Europa liegt die Antwort auf der Hand.
Weltweit herrscht wachsende Verbitterung, trotz der G-20, von denen man zuletzt nicht viel gehört hat. Ende des vergangenen Jahres war der scharfe Ton in Kopenhagen nicht zu überhören. Heute zeigt sich erbitterte Schärfe in den wirtschaftlichen Konflikten zwischen den USA und China. Ob China letztlich offiziell beschuldigt wird, seine Währung zu manipulieren, oder nicht - die Gräben werden sich vertiefen. Und im Fall eines Konfliktes mit China wird die Obama-Regierung ihre Verbündeten um Beistand ersuchen.
Das hat Auswirkungen auf Australien. Es ist gut vorstellbar, dass es hier, wie bereits in anderen Ländern der Region, zu einer Situation kommt, in der die Bourgeoisie in zwei Lager gespalten wird, eine Pro-China- und eine Anti-China-Fraktion.
Australien
Wenden wir uns der Situation in Australien zu.
Die vergangenen Monate waren von einer Reihe überraschender politischer Wendungen geprägt. Im Zentrum der Politik der Regierung unter Kevin Rudd (Labor Party) stand 2009, nach den Stimuluspaketen, die Einführung des Emissionshandelssystems ETS. Teile des Finanzkapitals sahen dies als gute Möglichkeit für einen profitablen Karbonhandel in der asiatischen Region. Auf dieser Grundlage wurde ETS vom Führer der Liberalen, Malcolm Turnbull, unterstützt. Die Verhandlungen zwischen Rudd und Turnbull liefen darauf hinaus, die Wirtschaftsinteressen, die sich gegen die Gesetze aussprachen, zu bestechen, um das Projekt ohne öffentliche Prüfung zu verabschieden. Schließlich zerbrach die Liberale Partei daran, und Turnbull wurde seines Amtes enthoben. Dann veränderte das Scheitern des Kopenhagener Gipfels die internationale Landschaft. Turnbulls Entlassung und die Wahl von Tony Abbott zum Führer der Liberalen sollte eine Wende in der Rudd-Regierung herbeiführen. Das war vielleicht nicht so sehr eine Wende, als vielmehr eine Rückbesinnung auf die Aufgabe, Kosten senkende Maßnahmen durchzusetzen und die Produktivität und die internationale Wettbewerbsfähigkeit voranzutreiben.
Die Regierung verstand die Botschaft, die ihr durch die bürgerlichen Medien, insbesondere die Murdoch Presse, übermittelt wurde. Sie ließ das Projekt ETS, nach Rudd "das größte moralische Thema unserer Zeit", als Kernstück des Regierungsprogramms stillschweigend fallen. An seine Stelle trat die Restrukturierung des Gesundheitswesens, das von der Bundesregierung übernommen wurde. Das Projekt läuft im Wesentlichen auf Kostensenkung hinaus. Kevin Rudd unterstrich dies in einer wichtigen Rede am 29. März, in der er die Ausrichtung der Regierung in dieser Frage umriss. Er begann mit der Rechtfertigung der Regierungsmaßnahmen nach dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers im September 2008 und wendete sich dann seinen weiteren Plänen zu:
"In meiner ersten Ansprache an den australischen Business Council als Oppositionsführer sagte ich 2007: ’In einer dynamischen und vom Wettbewerb geprägten Welt stillzustehen heißt rückwärts gehen. Deshalb verschreibe ich mich ganz und gar dem Reformprozess.’ Dieser Reformprozess muss im Wachstum der Produktivität verankert werden, die Arbeiterschaft muss aktiv daran teilnehmen, und eine makellose Nationalökonomie muss entwickelt werden."
Auf die Frage der Produktivität eingehend, fuhr er fort, der langfristige Rückgang der Produktivität seit den späten 1990ern sei sehr besorgniserregend. "Von 1994-99 hatte Australien unter den OECD-Ländern den zweithöchsten Produktivitätszuwachs. Seither hat sich der Produktivitätszuwachs Australiens verlangsamt. Zwischen 1999 und 2007 sind wir auf den 14. Platz unter den OECD-Staaten gerutscht."
Rudd bezeichnete die Infrastruktur als kritisch für den zukünftigen Produktivitätszuwachs. Er stellte auch die so genannte Gesundheitsreform in diesen Zusammenhang:
"Ich lege großen Wert darauf, dass die Gesundheitsreform der australischen Regierung ein wichtiger Schritt in Richtung der Bereinigung der Staatsfinanzen ist. Sie kann damit die staatlichen Investitionen auf wichtige Infrastrukturmaßnahmen neu ausrichten. Die Regierung wird sich um die Gesundheitsreform kümmern, um so auch die Bundesfinanzen zu reformieren. Wird das nicht geschehen, würden Gesundheit und Krankenhäuser nach einer Schätzung des Finanzministeriums in den nächsten 20 bis 30 Jahren sämtliche Einnahmen der Bundesstaaten verbrauchen - die gesamten Einnahmen!
Die Reformen der Regierung werden den Bundesstaaten im kommenden Jahrzehnt etwa fünfzehn Milliarden Dollar Ausgaben für Gesundheitskosten ersparen. Dies wird ihnen zusätzliche Kapazitäten verschaffen, um in das Straßennetz, den öffentlichen Verkehr und die urbane Infrastruktur zu investieren, die für unsere Städte und Regionen auch in Zukunft wichtig sind."
Hier wird der wirkliche Inhalt der so genannten Gesundheitsreform der Regierung enthüllt. Durch die Reduzierung der Gesundheitsausgaben auf Staatsebene, so argumentiert Rudd, werde Geld für den Ausbau lebensnotwendiger Infrastruktur freigemacht, um Australiens Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
Aber kein Problem wird dadurch gelöst, dass die Bundesregierung das Geld ausgibt, das eigentlich die Einzelstaaten hätten ausgeben müssen. Es bedeutet nur, das Geld aus der einen Tasche in die andre zu stecken. Die Bundesregierung, die die finanzielle Verantwortung an sich gezogen hat, wird letzten Endes auch die Kosten senken müssen.
Das ist der eigentliche Zweck von Rudds "Gesundheitsreform": ein landesweit betriebenes, von oben nach unten durchorganisiertes System zur Senkung der Kosten. Natürlich stellt er dies als fortschrittliche Initiative dar. Wir werden das in der nächsten Zeit immer wieder erleben, dass jeder Schritt zur Kostensenkung als Fortschritt dargestellt wird.
Zweifellos könnte man heute Diabetes und andere chronische Krankheiten viel besser behandeln, als es zurzeit der Fall ist. Und zweifellos wäre ein zentralisiertes System, das den Patienten allgemeinärztliche Dienste bieten und Krankenhausaufenthalte verkürzen würde, dem heutigen bei Weitem vorzuziehen. Aber das wird weder durch dieses, noch durch andere Vorhaben bezweckt. Verpackt in schöne Worte, die die Notwendigkeit besserer medizinischer Behandlung betonen, werden sie nichts anderes als die Kürzung von Staatsausgaben erreichen.
Seit Rudd erneut betont hat, dass dies seine Regierungspolitik ist, stärken die Medien ihm wieder den Rücken. Ein Beispiel dafür liefert Jessica Irvines Artikel im Sydney Morning Herald vom 2. April mit dem Titel "Abbotts dünnes Lügengewebe". Nach den Bemerkungen des Senators der Queensland National Party, Barnaby Joyce, dass er den Bericht der Produktivitätskommission nur als Toilettenpapier für brauchbar halte, schrieb Irvine, die Druckfassung der Rede des Oppositionsführers Tony Abbott könnte denselben Zweck erfüllen.
Es kommt selten vor, dass die Massenmedien einen Landespolitiker der "Lüge" bezichtigen. Noch seltener kommt ein solcher Vorwurf, wenn ein Führer der Liberalen Partei zur Wirtschaftspolitik spricht. Die Härte des Angriffs zeigt, dass er sicherlich nicht von Irvine alleine stammt, sondern die Ansichten mächtiger Teile der herrschenden Elite widerspiegelt. Sie halten die Labourregierung in dieser Phase nach wie vor für das beste Instrument, um ihr Programm zur Senkung der Staatsschulden durch Ausgabenkürzung durchzusetzen, besonders wenn es um den Gesundheitssektor geht.
Die Situation in Australien ist nicht genau gleich wie in anderen Ländern. Sie ist jedoch eine einzigartige Kombination grundlegender Prozesse der gesamten weltweiten Entwicklung. Wie in jedem größeren kapitalistischen Land steht die Kürzung der Sozialausgaben im Zentrum der Regierungspolitik. Während die Erträge des Exportbooms nach China der australischen Bourgeoisie einen gewissen Spielraum erlaubten, gibt es klare Anzeichen dafür, dass sich eine "zweigleisige" Wirtschaft entwickelt hat, bei der es in mehreren Branchen des produzierenden Gewerbes zu Schließungen und Entlassungen kommt. Unterdessen schreitet die Prekarisierung der Beschäftigten voran. Das hat gewaltige Auswirkungen auf junge Menschen.
Die Beziehungen der australischen Wirtschaft zu China können sich dramatisch verändern. Wenn die USA sich zu Sanktionen entschließen, wird China versuchen, außerhalb des amerikanischen Marktes zu expandieren. Es gibt bereits Anzeichen für eine derartige Entwicklung. Mit welchem Regime wird die australische Bourgeoisie gemeinsame Sache machen? Es wird auf das "Alptraum-Szenario" hinauslaufen - die Entscheidung zwischen USA und China. Ungeachtet dieser Veränderungen wird jeder Rückgang in Chinas Investmentboom - gar nicht zu sprechen von einem Platzen der chinesischen Wirtschaftsblase - ausgesprochen schwerwiegende Folgen für den australischen Kapitalismus haben.
Immer schärfere und unvorhersehbare Wendungen liegen vor uns, und wir werden auf den Fortschritten aufbauen, die wir mit dem Gründungskongress der SEP erreicht haben. Diese Fortschritte liegen in der Klärung einiger grundlegender Fragen und Probleme, denen sich die revolutionäre Bewegung im Aufbau einer marxistischen Führung in der australischen Arbeiterklasse stellen muss.
Die Hauptaufgabe der Partei wird in der nächsten Zeit die Teilnahme am Wahlkampf Ende des Jahres sein. Unter den neuen Bedingungen des Zusammenbruchs des Weltkapitalismus wird sich die SEP für eine sozialistische Strategie für die Arbeiterklasse einsetzen. Wir stützen uns dabei auf eine historische Weltperspektive. Wir gehen davon aus, dass objektive Tendenzen, die in den Strukturen des globalen Kapitalismus verwurzelt sind, zum Ausbrechen von Massenkämpfen der Arbeiterklasse führen. Unser Eingreifen in diese Kämpfe mit der notwendigen revolutionären Perspektive und Führung wird von der politischen Erziehung und Entwicklung neuer Schichten der Jugend und der Arbeiterklasse abhängen, die nach einer echten Alternative zur gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung suchen.