Verdi setzt Streiks der Erzieherinnen und Sozialarbeiter aus

Trotz zahlreicher Streiks in den letzten zwei Monaten stehen die Erzieherinnen und Sozialarbeiter mit leeren Händen da. Ende letzter Woche wurden die Verhandlungen zwischen der Gewerkschaft Verdi und den Kommunalen Arbeitgebern ergebnislos abgebrochen. Bis in den August soll es keine weiteren Streiks geben.

Wann die nächsten Verhandlungen stattfinden, ist unklar. Es steht aber zu befürchten, dass Verdi und die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber (VKA) noch vor der Wiederaufnahme der Kampfmaßnahmen einen faulen Kompromiss schließen.

Dabei haben die 220.000 Beschäftigten der Erziehungs- und Sozialdienste auch noch in dieser Woche gezeigt, dass ihre Kampfbereitschaft ungebrochen ist, um mehr Geld und einen besseren Gesundheitsschutz zu erzwingen.

Montag und Dienstag dieser Woche streikten nochmals Zigtausende Erzieherinnen und Sozialarbeiter städtischer Einrichtungen in vielen Bundesländern. In Duisburg kamen am Montag 10.000 Streikende, vor allem Erzieherinnen, zu einer Großkundgebung zusammen.

Die VKA hatte am Freitag vergangener Woche ein Angebot unterbreitet, dass angeblich Einkommenserhöhungen von "durchschnittlich 11,62 Prozent" gegenüber den jetzigen Löhnen und Gehältern beinhaltet. Je nach Beschäftigungsdauer, behauptet die VKA, sollen die Monatsbruttoeinkommen zwischen 110 und 340 Euro (ab dem 16. Beschäftigungsjahr) steigen.

Verdi hat das Angebot abgewiesen und vorgerechnet, dass das Angebot für Ledige nur eine Erhöhung von 0,3 Prozent und für Verheiratete sogar eine Kürzung um 3,6 Prozent bedeutet. Zum Gesundheitsschutz seien "in der Substanz" keinerlei verbesserte Angebote gemacht worden.

Der große Unterschied bei der Berechnung ergibt sich daraus, dass VKA und Verdi verschiedene Tarifsysteme zugrunde legen. Die VKA bezieht sich auf den aktuell geltenden Tarifvertrag öffentlicher Dienst (TVöD), Verdi dagegen auf den alten Bundesangestelltentarif (BAT) von 1990. Die Ablösung des BAT durch den TVöD vor vier Jahren war mit drastischen Gehaltseinbußen verbunden.

Verdi hatte den TVöD im Jahr 2005 selbst vereinbart und damals in den höchsten Tönen gepriesen. Man kann ihr also nicht trauen, wenn sie sich jetzt auf den alten Tarifvertrag beruft. Sollte sie sich in den kommenden Wochen mit der VKA einigen, wird auch sie das Ergebnis schön rechnen, ohne dass sich die Lage der Betroffenen wesentlich verbessert.

Mit dem Abschluss eines neuen umfassenden Tarifregelwerks für den öffentlichen Dienst hat Verdi vor vier Jahren eine beispiellose Lohnspirale nach unten eingeleitet. Offiziell begründete die Gewerkschaft ihre Zustimmung zum TVöD damit, dass Ledige, Jüngere und Kinderlose nicht länger benachteiligt würden. Tatsächlich half der Vertrag den Kommunen, ihren Haushalt auf Kosten der Beschäftigten zu sanieren.

Die Wochenarbeitszeiten wurden in zahlreichen Ländern und Städten erhöht, in Bayern auf über 40 Stunden. Es wurde ein Niedriglohn von 1.286 Euro eingeführt, der 300 Euro unter der untersten Lohngruppe des BAT liegt. Die Verheirateten- und Kinderzuschläge entfielen. 2007 wurden das Urlaubs- und Weihnachtsgeld zugunsten einer Jahressonderzahlung gestrichen, die je nach Entgeltgruppe nur noch 60 bis 90 Prozent eines Monatsgehalts beträgt. Bei einem Stellenwechsel beginnt man wieder auf der untersten Stufe seiner Entgeltgruppe, als sei man Berufsanfänger. Das kann Lohnverluste von mehreren Hundert Euro im Monat bedeuten, im Extremfall sogar über 1.000 Euro.

Neu eingestellte Erzieherinnen erhielten zwar ab Oktober 2005 etwa 100 Euro brutto mehr als zuvor im BAT, dafür sank der mit der Beschäftigungsdauer verbundene Lohnzuwachs. Über die gesamte Lebensarbeitszeit (theoretisch, bis zum 65. Lebensjahr) ergibt sich ein Verlust zwischen 145.000 Euro bei einer ledigen Erzieherin und 238.000 Euro bei einer verheirateten Erzieherin mit zwei Kindern.

Bei Abschluss des TVöD hatte Verdi daher den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes versprochen, spätestens bis Ende 2008 über eine bessere Eingruppierung zu verhandeln. Dies ist jedoch bei den Erzieherinnen nicht geschehen. Während die Löhne in den Kindertagesstätten sowie den Jugend- und Sozialdiensten in den letzten Jahren niedrig blieben, nahm die Arbeitsbelastung stark zu. Das hat zu der großen Kampfbereitschaft geführt, die in den Streiks der vergangenen Wochen zum Ausdruck kam. Für die Beschäftigten ist die Schmerzgrenze erreicht.

Verdi spielt dagegen in dieser Auseinandersetzung ein doppeltes Spiel. Die Gewerkschaft ist über die SPD, die Grünen und auch die Linkspartei eng mit den öffentlichen Arbeitgebern verflochten. In der Regel sitzen sich bei den Tarifverhandlungen Mitglieder derselben Gewerkschaft und derselben Parteien gegenüber. Verdi-Mitglieder wechseln von der Spitze der Gewerkschaft in Führungsfunktionen der Verwaltung und öffentlicher Unternehmen und umgekehrt.

So ist Verdi-Chef Frank Bsirske Mitglied der Grünen. Bevor er den Vorsitz von Verdi übernahm, war er Personaldezernent in der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover und baute dort wegen "leerer Kassen" 1.000 von 16.000 Arbeitsplätzen ab. Der Tarifgegner, VKA-Präsident Dr. Thomas Böhle, ist seinerseits Mitglied von SPD und Verdi.

Verdi hat sich letztlich immer dem Argument der "leeren Kassen" gebeugt und Arbeitskämpfe entweder unterdrückt oder ausverkauft. Der TVöD, gegen dessen Auswirkungen die Erzieherinnen jetzt streiken, ist nicht zufällig von Verdi ausgehandelt worden.

Auch jetzt argumentiert VKA-Präsident Böhle wieder mit den "leeren Kassen" - natürlich ohne zu erwähnen, dass SPD, Grüne und Union diese Kassen jahrelang geplündert haben, um die Gelder den Konzernen und Reichen zuzuschieben.

Selbstverständlich wolle auch er "eine Aufwertung des Erzieherinnenberufes durch eine verbesserte Bezahlung", sagte Böhle, der im Hauptberuf Stadtrat und Personalchef in der bayerischen Landeshauptstadt München ist. Der VKA trage aber auch Verantwortung für die Kommunalfinanzen. "Und hier gehen die Einnahmen infolge der Wirtschaftskrise dramatisch zurück. Gleichzeitig werden die Ausgaben für Sozialleistungen steigen. Daher können die Wünsche der Gewerkschaften nicht in den Himmel wachsen."

Wenn die öffentlichen Arbeitgeber über die leeren Kassen stöhnen, wissen Bsirske und die anderen Verdi-Funktionäre, was zu tun ist: Die Kassen sanieren auf Kosten der Beschäftigten.

Sie haben die Streiks der Erzieherinnen von Anfang an ins Leere laufen, indem sie sie auf einzelne Tage beschränkten und isolierten. Als die Gewerkschaft am 15. Juni in Köln zu einer Großkundgebung aufrief, lud sie Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), SPD-Chef Franz Müntefering, Renate Künast (Grüne) und Gregor Gysi (Linkspartei) als Redner ein, und nicht andere Beschäftigte des öffentlichen Diensts oder die Beschäftigten von Karstadt/Arcandor und Opel, die um ihre Arbeitsplätze kämpfen.

Verdi versucht mit allen Mitteln zu vermeiden, dass sich eine breite soziale Bewegung entwickelt, die in Konflikt mit der Großen Koalition in Berlin und den Vertretern von SPD, Grünen, Linkspartei und Union in den Kommunalverwaltungen gerät. Stattdessen beschränkt sie sich auf hohle Appelle und bereitet einen Ausverkauf vor.

Die Kommunalbehörden fühlen sich dadurch ermutigt und gehen mit wachsender Aggressivität gegen den Streik vor. In Hamburg, Kiel, Jena, Görlitz, Bautzen, Bielefeld und Neuruppin versuchten die Stadtverwaltungen den Streik mit Hilfe der Gerichte zu verbieten. Letzten Donnerstag startete die Süddeutsche Zeitung einen Versuchsballon und bezeichnete den Streik insgesamt als "illegitim". Weil die nächste Gehaltsrunde erst zum Jahreswechsel anstehe, herrsche "Friedenspflicht". Die Forderung nach einem besseren Schutz der Gesundheit, mit der Verdi den Streik offiziell begründet, sei "nicht ernstgemeint".

Ähnlich wie die Lokführer vor zwei Jahren stehen die Erzieherinnen und Sozialarbeiter in ihrem Streik einer breiten Front aus Gewerkschaft, Berliner Parteien, Gerichten und Medien gegenüber. Die Erzieherinnenmüssen gewarnt sein. Verdi wird in den Sommerferien versuchen, einen faulen Kompromiss zu schließen, der die Einkommen und den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in den Kitas sowie in den Jugendhilfe- und Sozialdiensten den Sparplänen der Behörden opfert.

Siehe auch:
Kita-Streik: 30.000 demonstrieren in Köln
(17. Juni 2009)
Erzieherinnen kämpfen für bessere Bezahlung und Gesundheitsschutz
( 13. Juni 2009)
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