Opel Europe

Bundesregierung erwägt Insolvenz

Vor zwei Monaten verkündeten Gewerkschaft, Betriebsräte und Bundesregierung bereits die "Rettung" Opels. Grundlage davon sollte das Ende Mai mit Magna getroffene "Memorandum of Understanding" darstellen. Die WSWS charakterisierte das völlig unverbindliche Papier mit dem Magna-Konzern schon damals als ein "groß angelegtes Täuschungsmanöver", um einen Arbeitskampf der Beschäftigten zu verhindern.

Bis zur Bundestagswahl im September sollte der Eindruck erhalten bleiben, die Bundesregierung arbeite an einer "sozialverträglichen Lösung". Inzwischen zeichnet sich allerdings ab, dass die Bundesregierung von Beginn an erwogen hat, auch den europäischen Teil General Motors, den Opel-Konzern, in die Insolvenz zu führen.

Ein für Montag angesetztes Gespräch zwischen GM-Managern, Regierungsvertretern und den beiden verbleibenden Investoren fand nicht statt. Nachdem der chinesische BAIC-Konzern in der letzten Woche aus den Verhandlungen um eine Übernahme Opels ausgestiegen ist, bemühen sich nun noch zwei Bewerber um Opel: der kanadisch-österreichische Autozulieferer Magna mit seinen russischen Partnern, dem Autohersteller GAZ und der staatlichen Sberbank, sowie die belgische Investmentgesellschaft RHJ International.

Die Bundesregierung und Regierungen der Länder mit Opelstandorten haben sich bislang in der Öffentlichkeit für den Magna-Konzern ausgesprochen, die GM-Verhandlungsführer favorisieren RHJ. Am letzten Wochenende verdichteten sich jedoch die Anzeichen, dass die Bundesregierung auch öffentlich auf die Linie von Bundeswirtschaftsminister Theodor zu Guttenberg (CSU) einlenkt. Dieser hatte von Anfang an erklärt, eine Insolvenz Opels sei das Beste.

Was die Bundesregierung wirklich vor hat, zeigt sich auch daran, dass sie den ehemaligen Continental-Vorstandsvorsitzenden Manfred Wennemer zu ihrem Abgesandten im Beirat der Opel-Treuhand gemacht hat, die derzeit 65 Prozent von Opel Europe hält (35 Prozent sind bei GM verblieben). Wennemer hat sich bei Continental als eiskalter Rationalisierer auf Kosten der Belegschaft einen Namen gemacht. So hatte er Tausende Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlagert und die verbliebene Belegschaft erpresst. Er setzte eine 42- bis 43-Stunden-Woche durch - ohne Lohnausgleich.

Das Handelsblatt berichtete am Freitag, dass Wennemer sich in einer ersten Sondierungsrunde mit GM-Managern dafür ausgesprochen habe, Opel in eine Planinsolvenz zu entlassen und danach mit staatlicher Hilfe einen Neuanfang zu versuchen. Der hessische FDP-Schatzmeister und Insolvenzberater Dirk Pfeil, der als Vertreter der vier Länder mit Opel-Standorten im Beirat der Opel-Treuhand sitzt, plädiert dem Bericht zufolge für einen Verkauf an den Investor RHJ.

Pfeil steht in engem Kontakt mit dem RHJ-Vorstandsvorsitzenden Leonhard Fischer. Der ehemalige Dresdner-Bank-Vorstand Fischer ist ein alter Bekannter in der deutschen Finanzbranche. Er hatte seine Karriere in Frankfurt bei der US-Investmentbank J.P. Morgan begonnen. Im Alter von nur 36 Jahren übernahm er den Führungsposten bei der Dresdner, wechselte dann aber zur Schweizer Großbank Credit Suisse und übernahm Anfang 2007 die Leitung der RHJ International.

Fischer und die RHJ sind vor allem daran interessiert, so viel Staatsgelder wie möglich für GM-Europe zu bekommen. In Medienberichten heißt es, er habe in einer der langen Opel-Nächte im Bundeskanzleramt auf die Frage von Bundeskanzlerin Angela Merkel, warum RHJ am Unternehmen interessiert sei, geantwortet: "Wegen der asymmetrischen Risikoverteilung." Das Hauptrisiko der Opelrettung trage der Staat.

Am Samstag teilte der Beirat der Opel-Treuhand mit, dass noch keine Entscheidung gefallen sei. "Bisher haben die Verhandlungsführer von General Motors weder eine Empfehlung noch einen Antrag zu einer Entscheidung durch die Treuhandgesellschaft vorgelegt." Dem Treuhandbeirat gehören neben Wennemer und Pfeil zwei Repräsentanten von GM sowie der Präsident der amerikanischen Handelskammer in Deutschland Fred Irwin.

Doch schon vor Monaten berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, die Rechtsanwaltskanzlei Clifford Chance arbeite bereits Insolvenzpläne aus. Laut Unternehmenskreisen berate zudem der Insolvenzverwalter Jobst Wellensiek den Opel-Vorstand.

Ebenfalls am Samstag berichtete die Online-Ausgabe der Financial Times Deutschland, dass ein im Auftrag der Bundesregierung erstelltes Papier der Investmentbank Lazard zu dem Schluss gelangt sei, dass Opel und die Schwestermarke Vauxhall in jedem Fall zu klein blieben, um als eigenständiger Autokonzern zu überleben. Die kritische Masse eines eigenständigen Volumenherstellers sei "kaum erreichbar". Das "streng vertrauliche" Papier diene Wennemer und Pfeil als Basis für ihre Verhandlungen mit dem Mutterkonzern General Motors (GM), hieß es.

Der CDU-Haushaltspolitiker Steffen Kampeter erklärte, die Insolvenz sei tatsächlich eine Option: "Dass im Übrigen eine Planinsolvenz für die Beschäftigten wirtschaftlich vernünftig sein kann, zeigt die steigende Zahl von erfolgreichen Planinsolvenzen in Deutschland."

Ein Insolvenzplan wird bei etwa 1 Prozent aller Insolvenzen angewendet, wie das Bonner Institut für Mittelstandsforschung berichtete. Welche Folgen dies für die Beschäftigten beinhaltete, wurde nicht mitgeteilt. Die Behauptung Kampeters, Wirtschaftsminister zu Guttenberg (CSU) handele richtig, wenn er über milliardenschwere Staatshilfen "nicht aus dem Bauch heraus, sondern auf der Grundlage von Fakten und Analysen" entscheide, entbehrt jeder Grundlage. Die Faktenanalyse der Investmentbank umfasste, den Berichten zufolge, nicht mehr als vier Seiten.

Die Planinsolvenz ist 1999 mit der Neufassung der Insolvenzordnung eingeführt worden. Eine solche Planinsolvenz von Opel Europe soll ebenso wie die Insolvenz nach Chapter 11 von GM in den USA vor allem die Belegschaften bluten lassen.

"Der Insolvenzplan hat viele Vorteile", schreibt die Financial Times Deutschland : "Im Schnitt bleiben 60 Prozent der Arbeitsplätze im insolventen Unternehmen erhalten." Zudem dauere das Verfahren längst nicht so lange wie eine normale Insolvenz - und die Gläubiger bekämen etwa doppelt so viel Geld. Denn: "Grundsätzlich gilt: In Deutschland sollen nach der Zahlungsunfähigkeit einer Firma vorrangig die Ansprüche der Gläubiger befriedigt werden, indem das restliche Vermögen des Unternehmens verwertet wird." Auch nach der Reform des Insolvenzrechts im Jahr 1999 stünden die Interessen der Kredit- und Kapitalgeber im Vordergrund, das führe oft zur Zerschlagung eines Unternehmens.

Die Reaktion von IG Metall und Betriebsrat

Betriebsräte und IG Metall reagierten nervös und hektisch auf die Entwicklungen der vergangenen Woche. In einer Resolution, die am Samstag in der Frankfurter Rundschau zitiert wurde, appelliert der Betriebsrat (die Zeitung schreibt, "die Belegschaft", aber die ist in Betriebsferien, kann also derzeit keine "Resolutionen" verabschieden) an die Regierungen des Bundes und der betroffenen Länder, "konsequent zu bleiben und die Übernahme von Opel durch RHJ abzulehnen". Man sei nicht bereit, für RHJ irgendwelche Opfer zu bringen.

Das ist nachweislich falsch. Der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall haben schon vereinbarte Lohnerhöhungen und das Urlaubsgeld geopfert, obwohl überhaupt noch nicht feststeht, wer Opel übernehmen wird. In Bochum weigert sich die Belegschaft, nachdem die IGM auch dort die Nichtauszahlung der Lohnerhöhung durchgeboxt hat, auch noch das Urlaubsgeld zu opfern. "Ich finanziere doch nicht mit meinem Geld die Wegrationalisierung meines Arbeitsplatzes", so ein Bochumer Arbeiter gegenüber der WSWS.

Zudem haben die Betriebsräte schon "Opfer" der Belegschaft in Höhe von 1 bis 1,5 Milliarden Euro zugestimmt, wenn dafür die Betriebsräte mithilfe der Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesellschaft einen Eigenkapitalanteil erreichen können.

Diese Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesellschaft, die besser Betriebsrätebereicherungsgesellschaft heißen sollte, ist jedoch bei einer Insolvenz gefährdet. Daher - und nicht wegen der Folgen für die Arbeiter - laufen die Betriebsräte Sturm gegen eine Insolvenz.

Auf das Papier der Investmentbank Lazard, nach dem kein Konzept der Bieter das Überleben von Opel und Vauxhall sichere, reagierte der Opel-Gesamtbetriebsratsvorsitzende und Vize-Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Franz erbost. Er sagte am Samstag den Nachrichtenagenturen, das Wirtschaftsministerium arbeite gezielt daran, die Insolvenz herbeizuführen.

Am Montag forderten die Opel-Betriebsräte, bei der Investorensuche stärker beteiligt zu werden.

Beide Investoren verlangen in ihren Konzepten weitgehende Einschnitte von der Belegschaft. Tausende von Arbeitsplätzen sollen abgebaut, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen und Löhne gekürzt werden. In der Presse ist von einem "Sanierungsbeitrag der Beschäftigten" zwischen 1,25 und 1,5 Milliarden Euro in den nächsten fünf Jahren die Rede.

"Ohne eine Beteiligung am Entscheidungsprozess werden wir keine Beiträge in das Unternehmen einbringen - unabhängig davon, für welchen Investor GM sich entscheidet", teilte der Konzernbetriebsrat am Montag nach einer Sondersitzung mit. Im Umkehrschluss heißt das, dass bei einer Beteiligung der Betriebsräte und IGM bei den Verhandlungen mit den Investoren sehr wohl "Beiträge der Belegschaft" in das Unternehmen eingebracht werden.

Betriebsrat und Gewerkschaft versuchen ihren Judaslohn für ihre Tätigkeit in die Höhe zu treiben. Sie sind nur bereit, Lohnsenkung und Sozialabbau zu unterschreiben, wenn im Gegenzug ihr Einfluss im Unternehmen gestärkt wird.

Darüber hinaus verlangen sie den Zugang der Marke Opel zu allen wichtigen Weltmärkten, was GM bislang verhindert haben soll. Der Einfluss von GM müsse beschnitten, das aus Detroit geforderte Vorkaufs- oder Rückkaufsrecht abgelehnt und die europäischen Tochterunternehmen Opel/Vauxhall eine eigenständige Aktiengesellschaft werden. Die Synergien mit den Amerikanern in der Entwicklung und im Einkauf müssten aber weiter genutzt werden. Mit anderen Worten, Opel soll frei sein, eigenständig Profite auf allen Märkten erzielen und gleichzeitig die Vorteile der Zusammenarbeit mit GM nutzen zu können.

Um den geplanten Lohn- und Sozialabbau durchsetzen zu können, fordern die Betriebsräte eine "Zukunftsgarantie für die bestehenden Opel- und Vauxhall-Werke bis 2014". Jeder weiß, dass derartige Garantien nicht das Papier wert sind, auf dem sie geschrieben wurden. Für die von der Schließung bedrohten Standorte im belgischen Antwerpen, im thüringischen Eisenach, im britischen Luton sowie die Powertrain-Werke Bochum, Rüsselsheim, Kaiserslautern und im polnischen Tychy müssten "Alternativen" gefunden werden, heißt es in der Betriebsräte-Verlautbarung.

Das wirkliche Ziel ihrer Forderungen erläutern Betriebsrat und IGM recht deutlich: Der künftige Investor müsse "erhebliche Anstrengungen auf der Einnahmenseite unternehmen und den Umsatz ausbauen". "Es wird nicht akzeptiert, dass die erheblichen Potenziale von Opel nicht genutzt, gleichzeitig aber Lohn- und Gehaltskürzungen bei den Beschäftigten gefordert werden", hieß es in der Erklärung. Mit anderen Worten: Lohn- und Gehaltskürzungen würden akzeptiert, wenn der Umsatz - und der Gewinn - gesteigert würden.

Die Gewinnbeteiligung der Betriebsräte über die Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesellschaft im Auge, argumentieren die IGM- und BR-Funktionäre schon ganz wie die Konzernleitung und fordern hohe Rendite.

Um die Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft zu realisieren, sind die Betriebsräte und IGM-Funktionäre bereit, Kürzungen in bisher nicht gekanntem Ausmaß zu unterschreiben. Nur eines fürchten sie noch mehr als eine Insolvenz Opels: einen gemeinsamen Kampf der Arbeiter in Europa, den USA und weltweit.

Schon bereiten sie das Terrain vor, auch einer Übernahme durch RHJ International zuzustimmen, die sie noch am Samstag via Frankfurter Rundschau so vehement ablehnten. Der Frankfurter IG-Metall-Bezirksleiter Armin Schild erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, eine gemeinsame Übernahme Opels von RHJ und Magna sei "denkbar". "Ich habe immer gesagt, dass eine Kombination von einem Finanzinvestor und einem strategischen Investor Sinn machen könnte."

Siehe auch:
Der Opel-Betrug - Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkung und Spaltung der Arbeiter
(4. Juni 2009)
Opel-Betriebsräte unterstützen den Abbau von über 10.000 Arbeitsplätzen
(18. Juli 2009)
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