Die Wahl im Iran vom 12. Juni hat praktisch das gesamte Milieu der "progressiven" und "linken" Organisationen der Welt auf die Linie ihrer jeweiligen Regierungen gebracht. Gemeinsam unterstützen sie die Oppositionsbewegung unter Führung des geschlagenen Präsidentschaftskandidaten Mirhossein Mussawi.
Diese Gruppen unterstützen nicht nur unkritisch Mussawis Behauptung, die Wahl sei gefälscht worden, sondern sie ignorieren auch die rechte Wirtschafts- und Außenpolitik der iranischen Opposition, den bürgerlichen Charakter ihrer Führung und die Tatsache, dass ihre gesellschaftliche Basis hauptsächlich aus besser gestellten Teilen der Mittelschichten besteht. Die Masse der iranischen Arbeiter hat sich an den Protesten nicht beteiligt. Dagegen haben sich die imperialistischen Regierungen der USA und Europas wie ein Mann hinter die Opposition gestellt, was einiges über den angeblich demokratischen und progressiven Charakter von Mussawis Bewegung sagt. Das gibt diesen Gruppen offenbar nicht zu Denken.
So hat sich als Reaktion auf die Ereignisse im Iran ein allgemeines politisches Phänomen entwickelt. Dies ist immer ein Anzeichen für scharfe Veränderungen in der politischen Orientierung bestimmter gesellschaftlicher Schichten. In diesem Fall ist es Ausdruck davon, dass sich Teile der Mittelschichten, die einst die linke öffentliche Meinung bestimmten, ins Lager der politischen Rechten bewegen.
Das Magazin The Nation, das Flaggschiff der "progressiven" liberalen Meinung, geriert sich als besonders enthusiastischster Anhänger der iranischen Opposition. Das Magazin hat seine Berichterstattung über die Ereignisse im Iran Robert Dreyfuss übertragen.
Die World Socialist Web Site hat schon darauf hingewiesen, dass Dreyfuss sich kaum als angeblicher Champion der Demokratie im Iran auszeichnet. Dreyfuss war früher Mitglied der faschistoiden Organisation von Lyndon LaRouche und hat als "Nahost Aufklärungsdirektor" für deren Magazin Executive Intelligence Review gearbeitet. 1981 veröffentlichte Dreyfuss ein Buch - Hostage to Khomeini - in dem er die Reagan-Regierung aufforderte, die islamische Republik zu stürzen, und Präsident Carter anklagte, er habe den Schah verraten.
In der aktuellen Ausgabe der Nation gibt es einen längeren Artikel von Dreyfuss mit dem Titel "Die Grüne Welle im Iran". Bemerkenswert an diesem Artikel ist seine freimütige Charakterisierung der Kräfte, die die iranische Opposition bestimmen, und ihrer reaktionären und arbeiterfeindlichen Politik.
Dreyfuss schreibt als Anhänger "einer Art Gegen-Establishment", wie er es nennt. Dazu gehören "relativ moderate, pragmatische Konservative und die reiche Wirtschaftselite, verkörpert von Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, dem gerissenen Milliardär, Mullah und Strippenzieher, der in den 1990er Jahren Präsident war". Zu der Koalition gehören auch "viele konservative Hardliner".
Er interviewt Geschäftsleute, Mullahs, ehemalige Funktionäre der islamischen Republik und einen langjährigen amerikanischen Diplomaten. Er zitiert aus seinen Gesprächen mit protestierenden Studenten.
Er interviewt aber keine Arbeiter. Die Arbeiterklasse oder die Armen auf dem Land erwähnt er nicht einmal, mit Ausnahme einer Bemerkung über einen " staubigen Arbeiterstadtteil" im Süden Teherans.
Zu Mussawis Image als Demokrat bemerkt er beiläufig: "Weltliche Liberale, Linke und militantere Reformisten erinnerten misstrauisch an die Zeit, als Mussawis Ministerpräsident war [Mussawi war in den 1980er Jahren Ministerpräsident], weil in dieser Zeit einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen stattfanden, darunter Massenexekutionen."
Dreyfuss betont, Obamas Gesprächsangebot sei in der iranischen Wirtschaft auf großen Widerhall gestoßen, weil sie sich ein Ende der Sanktionen und bessere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wünsche.
Er lobt die Unterstützung der iranischen Wirtschaftselite für die Opposition: "Ich will Ihnen einen Eindruck davon vermitteln, wie die Wirtschaft denkt", schreibt er. "In der Woche der Wahl nahm ich in den Büros der liberalen Zeitung Etelaat an einem Forum teil, in dem die Firmenchefs dichtgedrängt saßen. Acht ehemalige Öl-, Industrie- und Bergbauminister kritisierten die Inkompetenz der Regierung scharf... Später sagte mir einer von ihnen, Mohammed Reza Nematzadeh, der unter Khatami Industrieminister gewesen war, in Mussawis Wahlkampfbüro: "Ich bin Geschäftsmann und ich zögere, mich in die Politik einzumischen...Aber die meisten Kollegen in der Wirtschaft wollen die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten wieder herstellen’."
Übrigens hat die Zeitung Etelaat, die das Forum veranstaltete, früher den Schah unterstützt.
Ein wichtiges Anliegen der Opposition, schreibt Dreyfuss, besteht darin, dass Ahmadinedschad "den Ölreichtum des Landes vergeudet und dem Iran schädliche Sanktionen beschert hat, die ihn von der Technologie und den Auslandsinvestitionen abschneiden, die er so dringend benötigt". Es erübrigt sich zu sagen, dass die Opposition im Gegenzug für ein Ende der Sanktionen bereit wäre, sich den imperialistischen Interessen der USA in der Region gegenüber aufgeschlossen zu zeigen und selbst die Kolonialkriege, die Amerika in drei dem Iran benachbarten Ländern - im Irak, in Afghanistan und in Pakistan - führt, nicht allzu sehr zu kritisieren.
Dann wendet sich Dreyfuss der nächsten Bastion der Opposition zu: "Neben Reformisten, Studenten, Frauen und Geschäftsleuten verlieren Khamenei und Ahmadinedschad auch ihre Kerntruppen: den Klerus." Er behauptet, mehr als die Hälfte der Ajatollahs, "darunter viele Großajatollahs", hätten sich der Opposition angeschlossen.
Wie schon in vorherigen Artikeln zitiert Dreyfuss an mehreren Stellen zustimmend Ibrahim Yazdi, Außenminister der ersten Stunde der islamischen Republik und seit 1995 Leiter der Freiheitsbewegung des Iran. In seinem Buch Hostage to Khomeini bezeichnete Dreyfuss Yazdi noch als Teil einer "Seilschaft erfahrener, vom Westen ausgebildeter Geheimagenten". An anderer Stelle in dem Buch nannte er Yazdi "vom Mossad beeinflusst".
Es gibt andere Hinweise darauf, dass Yazdis Freiheitsbewegung des Iran mit Washington in Verbindung steht. Der Gründer der Bewegung, Mehdi Bazargan, war Ministerpräsident der provisorischen Regierung nach dem Sturz des Schahs im Februar 1979. Im November des Jahres traf er sich mit US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski in Algerien.
Weder Dreyfuss noch der Nation sind solche Verbindungen offenbar peinlich. Im Gegenteil, sie scheinen regelrecht stolz darauf zu sein, mit so erlesenen Kreisen in Kontakt zu stehen. Gegen Ende seines Artikels zitiert Dreyfuss "Tom" Pickering und bezeichnet ihn als "alt gedienten amerikanischen Diplomaten, der in inoffizielle Kontakte mit iranischen Kollegen involviert war".
Thomas Pickering ist langjähriger Mitarbeiter des amerikanischen Außenministeriums. Er diente in der 1980er Jahren als Botschafter in El Salvador und war in den Iran-Contra-Skandal verwickelt. Später war er US-Botschafter in Israel und bei den Vereinten Nationen. Unter Clinton war er in Russland eingesetzt.
Pickering sitzt im Aufsichtsrat des Amerika-Iran Rats. Diese Organisation erhielt die Erlaubnis der US-Regierung, ein Büro im Iran zu eröffnen. Sie ist damit "die einzige, nicht-staatliche Friedens- und Konfliktlösungsorganisation im Iran".
Es bestehen wenig Zweifel am Charakter von Pickerings "inoffiziellen Gesprächen mit iranischen Kollegen".
Dreyfuss schließt seine Bestandsaufnahme der "Grünen Welle" mit dem Rat an die Obama-Regierung, wie die Opposition am besten für die Förderung der imperialistischen Interessen der USA im Iran zu nutze wäre. Er schreibt: "Obamas ausgestreckte Hand hat die Hardliner in die Defensive gedrängt und den Reformern im Iran und den Millionen, die Mussawi als Vehikel sahen, die amerikanisch-iranischen Beziehungen zu verbessern, psychologischen Auftrieb verschafft. Wenn Obama die Opposition unterstützen will, dann sollte er dem Iran weiter seine Hand reichen."
Hier habt ihr die "Reformbewegung", die die Nation so enthusiastisch unterstützt: Es ist eine Koalition aus der Wirtschaftselite und von Dissidenten des etablierten Klerus, unterstützt von CIA und US-Außenministerium. Sie mobilisiert einen Teil der Studenten und der Mittelschichten für ein marktwirtschaftliches Programm und für eine Verständigung mit dem US-Imperialismus.
Dreyfuss’ Artikel ist der Beleg für die Flucht der kleinbürgerlichen und "linken" Kräfte in das Lager des Imperialismus. Er spiegelt eine politische Polarisierung wider, die mit einer gesellschaftlichen Polarisierung der Klassenkräfte einher geht. Diese ist schon seit längerem im Gang, wird aber durch die Weltwirtschaftskrise beschleunigt.
Diese Entwicklung ist der Höhepunkt einer längeren Periode. Die Protestpolitik der "linken" Gruppen hat die Klassenfrage immer mehr in den Hintergrund gedrängt und durch alle möglichen Formen der Identitätspolitik ersetzt. Darin zeigt sich ihre immer stärkere Abwendung von der Arbeiterklasse und ihre Integration in die Gewerkschaftsbürokratie und das reformerische Establishment. Unter Bush konnten sie sich noch als Gegner des Imperialismus aufspielen, aber mit der Wahl eines afroamerikanischen Präsidenten nimmt ihre Rechtsentwicklung die Form offener Unterstützung für rechte Regierungen und deren imperialistische Politik an.
Die Nation und viele andere, scheinbar linkere Publikationen sprechen für privilegierte und selbstzufriedene Schichten der Gesellschaft. In der Obama-Regierung haben sie die Erfüllung ihrer beschränkten und egoistischen Ziele gefunden. Sie fühlen sich von der iranischen Opposition angezogen, weil - und nicht etwa, obwohl - ihr die Unterstützung der Arbeiterklasse fehlt. Sie finden es gut, dass die Opposition selbst minimale populistische Maßnahmen ablehnt, weil das den Reichtum der Elite beschneidet, und sie identifizieren sich mit deren Forderung nach einer kapitalistischen Politik des freien Marktes.
Wirkliche Opposition gegen den Imperialismus findet sich nur noch in der Arbeiterklasse. Die internationale Arbeiterklasse wird die gesellschaftliche Kraft sein, die an der Spitze einer Bewegung gegen den Imperialismus und für die Verteidigung demokratischer Rechte steht, wenn sie unter dem Banner der sozialistischen Revolution kämpft.