Jüngste Entwicklungen haben den bürgerlichen und politisch reaktionären Charakter der iranischen Protestbewegung der Anhänger des geschlagenen Reformkandidaten Mirhossein Mussawi noch deutlicher werden lassen.
Der politische Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen der islamischen Republik nimmt an Schärfe zu. Das versuchen die imperialistischen Mächte zu nutzen, um Druck auszuüben und die Sache der "Reform"-Tendenzen zu stärken. Diese streben eine scharfe Wende der iranischen Außenpolitik (d.h. eine Anpassung an die Ziele der USA und Europas im Nahen Osten und in Zentralasien) und der Wirtschaftspolitik im Sinne der raschen Einführung einer Marktwirtschaft an.
Die europäischen Mächte haben in einer konzertierten Aktion gedroht, ihre Botschafter aus dem Iran abzuziehen und haben die jeweiligen iranischen Botschafter einbestellt, um gegen die Festnahme von Beschäftigten der britischen Botschaft zu protestieren.
Eine besonders provokative Aktion startete US-Vizepräsident Joe Biden, als er der New York Times sagte, die USA würden kein Veto gegen einen israelischen Militärschlag gegen den Iran einlegen. Der Zeitpunkt von Bidens Bemerkung ist politisch bedeutsam. Inmitten eines akuten Machtkampfs im iranischen Establishment warnt Biden - vor allem die Strippenzieher im Iran, die sich noch nicht festgelegt haben, - dass die USA und ihre Satelliten nicht ewig warten werden, bis die Dissidenten einen Regimewechsel im Iran herbeiführen.
Um keinen Spielraum für Interpretationen zu lassen, was Biden gemeint haben könnte, legte Roger Cohen in einer Kolumne der New York Times nach. Cohen ist gerade aus Teheran zurückgekehrt, wo er die Propagandakampagne der Times nach der Wahl geleitet hatte. In seiner Kolumne drängt Cohen die Gegner Ahmadinedschads in der islamischen Republik, endlich den Präsidenten "abzuhalftern".
Diese und ähnliche Entwicklungen entlarven den reaktionären Charakter der Demonstrationen nach der Wahl, sowie ihre begrenzte gesellschaftliche Basis im Kleinbürgertum. Demgegenüber versuchen verschiedene linke Gruppen ihre Unterstützung für Mussawi zu rechtfertigen. Von der amerikanischen International Socialist Organization bis zur französischen Nouveau Parti Anti-capitaliste (NPA) haben sie Artikel veröffentlicht, in denen sie den angeblich revolutionären Charakter der Protestbewegung besingen.
Ein Leser der britischen International Marxist Tendency (IMT) griff in einem Leserbrief die Berichterstattung der World Socialist Web Site über die Irankrise an. Er schrieb: "Ich war entsetzt, dass die WSWS an diesem Wendepunkt der Geschichte ihre Energie darauf verwendet, zu beweisen, dass die Wahl nicht gefälscht war, und andere Linke angreift, die anderes behaupten. Mit anderen Worten, sie werfen sich für die islamische Republik in die Bresche."
Die Frage, die dieser Kritiker der WSWS aufwirft, ist die der Mittel, mit denen diese "linken" Sympathisanten Mussawis ihre politischen Ziele zu erreichen hoffen. Der Autor dieses Angriffs ist empört, dass die WSWS sich weigert, sich auf die Seite der Fraktionen der iranischen Bourgeoisie zu stellen, die vom amerikanischen und europäischen Imperialismus in ihrem Kampf gegen Ahmadinedschad unterstützt werden. Der Standpunkt dieser Kritiker ist, dass die Zerstörung der islamischen Republik zu begrüßen ist, gleich welche Klassenkräfte im Iran oder international dahinter stehen. Das ist nicht nur die Position des Leserbriefschreibers, der von der IMT zustimmend zitiert wird. Die französische NPA hat in einer öffentlichen Stellungnahme erklärt, dass sie alle Gegner der islamischen Republik unterstütze. Diese Erklärung kam gerade in dem Moment heraus, als der französische Präsident Sarkozy sich an die Spitze der europäischen Kampagne gegen den Iran stellte!
Der politische und theoretische Bankrott der kleinbürgerlichen Linken findet einen besonders vollendeten Ausdruck in einem Artikel von IMT-Führer Alan Woods vom 26. Juni zur Irankrise ("Regime im Iran verstärkt Terror - ein Generalstreik ist notwendig"). Er liefert eine detailliertere Darstellung der politischen Fehleinschätzungen, die dem Angriff des IMT-Lesers auf die WSWS zugrunde liegen.
Woods versucht die eigentlich recht offensichtliche Tatsache zu leugnen, dass Mussawis Protestbewegung eine rechte Bewegung ist: "Einige auf der Linken stellen in Frage, dass die Bewegung im Iran progressiv ist. Sie sind der Propaganda anheim gefallen, dass die Bewegung lediglich eine "imperialistische Verschwörung" zum Sturz des islamischen Regimes sei."
Über was für eine "Propaganda" spricht Woods? Seit Wochen führen die Massenmedien in den USA und Europa eine gnadenlose Kampagne, um die öffentliche Meinung zu desorientieren und zu manipulieren. Das Flaggschiff des "progressiven" Liberalismus, das Magazin Nation, legitimierte diese Kampagne mit Berichten eines Korrespondenten, der früher das Schah-Regime verteidigt hatte. In Opposition zu dieser massiven Desinformationskampagne versuchen einige wenige Publikationen, darunter die WSWS, die sozialen und politischen Wurzeln der von Mussawi geführten Proteste zu analysieren. Für Woods ist offensichtlich alles, was der offiziellen Linie der Massenmedien widerspricht, illegitim.
Wenn Woods behauptet, die Kritiker der offiziellen Linie der Medien stellten die Demonstrationen der Opposition lediglich al seine "imperialistische Verschwörung" dar, so baut er einen Pappkameraden auf. Die Analyse der WSWS zeigte, dass die Demonstrationen wirkliche Spaltungen im iranischen Regime widerspiegelten. Wir erklärten, dass an den Demonstrationen auch Kräfte beteiligt waren, die ehrlich gegen das islamische Regime waren. Aber letztlich wurden die Demonstrationen politisch von Teilen der iranischen Bourgeoisie geführt, von privilegierten Teilen der städtischen Mittelschichten getragen und vertraten ein Programm, das sich vollkommen gegen die Interessen der Arbeiterklasse richtete. Außerdem ist der Aspekt einer "imperialistischen Verschwörung" bei weitem nicht so weit hergeholt, wie Woods seine Leser glauben machen will. Woods kann die Unterstützung der IMT für Mussawis Bewegung nur rechtfertigen, wenn er über das Klassenprogramm ihrer Führung und die damit einhergehenden Ziele der imperialistischen Mächte hinweggeht.
Er schreibt: "Es gibt nicht den leisesten Zweifel, dass die USA gegenwärtig verdeckt auf einen Regimewechsel im Iran hinarbeiten, wie sie das seit dreißig Jahren tun. Wir wissen, dass es in Washington einen speziellen Fond gibt, der für diesen Zweck bestimmt ist." Und dann fährt Woods fort, als ob diese Tatsachen in der aktuellen Situation keine Rolle gespielt hätten und ohne weiteres vernachlässigt werden könnten: " Aber das Besondere an der gegenwärtigen Situation ist, wie umsichtig sich die Amerikaner verhalten." [Hervorhebnung hinzu gefügt]
Das ist eine wirklich außerordentliche Erklärung. Wie in praktisch jedem anderen Aspekt ihrer politischen Ausrichtung auch, passt sie sich die IMT schlicht an die Linie der Massenmedien an. Die behaupten, Obama gehe an die Ereignisse im Iran zurückhaltend heran. In Wirklichkeit geht die Reaktion der USA auf die Irankrise völlig mit der allgemeinen Politik der Umzingelung des Iran und der ständigen Drohung mit einem Angriff konform. Dazu gehört auch Bidens jüngste Drohung. Diese Umzingelung besteht in der Invasion der Nachbarstaaten Irak und Afghanistan und der Errichtung von Militärstützpunkten am ganzen Persischen Golf. Diese Politik ist nicht umsichtig, sondern aggressiv und kriminell.
Aber das reicht noch nicht aus, um die Frage imperialistischer Intervention im Iran ganz wegwischen zu können. Woods unterstützt das Regime von Hugo Chavez in Venezuela, eines bürgerlichen Populisten, den Washington auch lieber heute als morgen los wäre. Woods muss zugeben, dass "viele Leute in Venezuela (nicht nur Chavez) eine Parallele zwischen der reaktionären Bewegung der Mittelschichten, die versuchen, die bolivarische Regierung [d.h. Chavez] zu destabilisieren, und den iranischen Protesten ziehen."
Woods reagiert darauf ärgerlich: "Was hat das mit der Situation im Iran zu tun? Die Regierung im Iran ist nicht progressiv und für die Arbeiterklasse, sondern eine reaktionäre theokratische Diktatur.... Die Tatsachen zeigen, dass es an der Herrschaft der Mullahs im Iran nichts Progressives gibt, und dass es keine Grundlage für einen Vergleich mit Venezuela oder Bolivien gibt."
Worum es wirklich geht, ist Woods prinzipienlose und feige Haltung gegenüber dem Imperialismus. Seine Opposition gegen imperialistische Einmischung in allen unterdrückten Ländern hat nichts mit einem prinzipiellen Klassenstandpunkt zu tun.. Er ist gegen imperialistische Intrigen gegen bürgerliche Regimes in der dritten Welt, die er mag, und ignoriert sie, wenn sie sich gegen Regimes richten, die er nicht mag.
Dann versucht Woods seine Perspektive für die Protestbewegung Mussawis zu erläutern. Er sagt, sie "hat einen verwirrten Charakter", aber erklärt hoffnungsvoll, dass "die frühen Stadien einer Revolution immer von widersprüchlichen und verwirrten Vorstellungen charakterisiert sind". Als Beispiel einer verwirrten und komplexen Situation führt er die Februarrevolution von 1917 in Russland an. Damals wurde der Zar gestürzt und der Boden für die Machteroberung der bolschewistischen Partei in der Oktoberrevolution einige Monate später gelegt.
Diese Analogie ist unhaltbar. In der Februarrevolution stürzte ein Massenaufstand der Arbeiterklasse den Zaren; die Mussawi-Bewegung ist hingegen ein kleinbürgerlicher Protest ohne Massenunterstützung.
Woods verheddert sich noch mehr, wenn er zu erklären versucht, wie sich Mussawis Bewegung weiterentwickeln könnte. Er spricht über "demokratische Illusionen" bei den Sympathisanten Mussawis und sagt, dass die Iraner einige harte Lehren über ihre "demokratischen’ Führer" werden lernen müssen. Er erklärt: "Die Reformer’ wollen nur kosmetische Veränderungen, was soviel wie keine Veränderungen bedeutet. Die bürgerlichen Liberalen wollen einen Wandel, der sie an die Macht bringt und ihre Macht und ihre Privilegien effektiver sichern kann."
Das ist seine Sicht der politischen Führung der Bewegung, die er gegen den Vorwurf verteidigt, nicht fortschrittlich zu sein!
Woods argumentiert wie ein reaktionärer kleinbürgerlicher Politiker, der sich zügig an die bürgerliche öffentliche Meinung anpasst. Sein Artikel ist ein Beispiel für die Politik der überwältigenden Mehrheit der linken Gruppen, die die Bewegung Mussawis unterstützen. Diese Unterstützung spricht Bände über ihre eigene soziale und politische Orientierung. Diese kleinbürgerlichen Gruppen machen keine Klassenanalyse der Bewegungen, die sie unterstützen, gehen über die Geschichte des Iran als unterdrücktes halbkoloniales Land hinweg und fallen auf die jüngste Farben-Kampagne für "Demokratie" herein.