Heftige Debatte über Verdi-Ausverkauf

Beschäftigte der Berliner Verkehrsbetriebe schreiben an die WSWS

Der Abbruch des Streiks bei den Berliner Verkehrsbetrieben BVG und der von der Gewerkschaft Verdi ausgehandelte Tarifvertrag haben heftige Auseinandersetzungen zwischen Beschäftigten und Gewerkschaftsfunktionären ausgelöst. Ein Aufruf der WSWS, bei der Urabstimmung vom 19. bis 22. Mai mit Nein zu stimmen, wurde von Kollegen herunter geladen und verbreitet. Verdi-Funktionäre haben teilweise heftig dagegen polemisiert. Wir veröffentlichen hier einige Briefe, die die Redaktion dazu erhalten hat.

Ich bin zu 100% einverstanden mit dem Artikel. Ich bin BTer und von Anfang an als Streikleitung dabei. Aber dass die Leute sauer sind, reicht leider nicht. Ich befürchte, dass die 25% für die Bestätigung zusammen kommen, weil der Ostteil des Betriebes nicht an den Arbeitskampf glaubt und sich der Einzelne nicht in der Lage sieht, was zu ändern.

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Bitte überprüfen Sie dieses M[...]. Es ist mir zu Ohren gekommen, dass [Verdi-Verhandlungsführer] Frank Bäsler bald Personaldirektor BVG-U-Bahn werden soll, stimmt das? Wenn ja, dann sind die fetten Verdi-Jahre vorbei und es ist an der Zeit dagegen zu kämpfen.

Mit freundlichen Grüßen, BT-Busfahrer

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Habe Euer PDF-File an Kollegen weitergeleitet.

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Sehr geehrte Damen und Herren,

mit viel Interesse lese ich Ihre Beiträge, insbesondere die, in denen es um die BVG geht, da ich selbst Arbeitnehmer in diesem Unternehmen bin, als Busfahrer.

Die Wahrheit, die Sie schreiben - und ich bin davon überzeugt, dass es die Wahrheit ist - ist einfach skandalös.

Ich selbst hatte im Februar dieses Jahres zwei Schreiben an Herrn Bäsler geschickt und als offenen Brief auf meinem Betriebshof in Britz ausgelegt, und sie auch an viele Kollegen verteilt. Eine Antwort habe ich nicht erhalten.

Machen Sie weiter so!

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Zum Artikel: Verdi-Vertrauensmann verteidigt Ausverkauf und beschimpft die Arbeiter vom 13. Mai 2008

Bravo, da sprecht Ihr Dinge an, die viele BVGer verärgert haben.

Dem Personalrat Rainer Sommer, der schon in der vorigen Woche gegen den WSWS-Artikel böse polemisiert hatte, habe ich (und hoffentlich nicht nur ich alleine) bereits eine Antwort geschickt. Auch wenn ich keineswegs Ihren Meinungen und Gesinnungen in vollem Umfang zustimme, so sollte man doch immer ALLE Meinungen zu einem Thema hören (bzw. lesen), bevor man sich selbst eine Meinung dazu bildet. Wer nur die BZ oder die BILD liest, wird die Welt auch nicht im richtigen Licht sehen, dazu gehören mindestens noch die Meinungen der TAZ oder/und ausländischer Presseerzeugnisse.

Ich möchte Ihnen meine Antwort an Rainer Sommer nicht vorenthalten.

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Original-Mail an Personalrat Rainer Sommer

Lieber Kollege Sommer,

natürlich vertritt diese Internetseite eine politische Richtung, die nicht unbedingt jedermanns Sache ist. Dennoch gehört auch die dort vertretene Meinung zum Spektrum, das man sich ansehen und anhören sollte, und es werden ein paar Wahrheiten (oder Weisheiten?) verbreitet, die für ver.di nicht sehr schmeichelhaft sind.

Tatsache ist jedoch, dass man einen Arbeitskampf kaum ungeschickter und dilettantischer führen kann, als den bei der BVG gerade beendeten - oder sollte ich lieber sagen, unterbrochenen. Und wer hier polemischer auftritt, wenn man Deine Meinung gerade gelesen hat, sei wohl dahingestellt....

Letztlich habt Ihr doch tatsächlich Erwartungen geweckt, die nun nicht erfüllt werden. Wie haben doch die Personalräte laut gerufen "Unter 8% schließen wir diesmal gar nicht ab!" - und haben damit natürlich die Erwartungen der Mitarbeiter sehr hoch geschraubt. Jeder kann sich nun - selbst wenn er nur das kleine Einmaleins beherrscht - ausrechnen, dass die Streiktage ihm mehr Verluste gebracht haben, als er in den nächsten zwei Jahren zusätzlich verdient, wahrhaft ein "tolles Ergebnis".

Und wenn Du schon schreibst, dass auf der Internetseite "z.T. falsche Aussagen getroffen werden", dann konkretisiere doch diese Aussagen und teil auch mit, welche das wären und wie die "Wahrheit" (= ver.di-Wahrheit) lautet.

Ich hoffe übrigens auch, dass die Urabstimmung für Euch negativ ausgeht, weil Ihr mit Eurem eigenen Verhalten eigentlich nichts anderes verdient habt, als nun bloßgestellt zu werden - und hilflos vor einer Situation zu stehen, die dem Bankrott der ver.di-Streikführung gleichkommt. Auch ich würde alle auffordern mit "NEIN" zum erzielten Ergebnis zu stimmen. Aber das muss eben jeder für sich entscheiden, und dabei sollte er sich auch von den ver.di-Verantwortlichen nicht beeinflussen lassen.

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Rainer Sommer, Personalrat der BVG-Hauptverwaltung, hatte folgendes Schreiben verbreitet:

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man sich schon solch trotzkistisches o.ä. Kampfgeschwafel reinziehen will, sollte man trotzdem nicht seinen Kopf ausschalten und mit kritischen Hintergedanken lesen: In dem Artikel werden (unabhängig von seiner politischen Grundausrichtung) z.T. falsche Aussagen getroffen, die m.E. darauf hinweisen, daß da jemand am Werk war, der von innerbetrieblichen Dingen nicht viel Ahnung hat und auch nicht an der Tarifauseinandersetzung beteiligt war - nicht mal als "Nur-Streikender".

In meinen Augen wird in diesem Artikel aus einer bestimmten, politischen Zielrichtung heraus mit demagogischen Mitteln polemisiert, was ich für eine fundierte Meinungsbildung zur kommenden Urabstimmung nicht hilfreich finde.

Übrigens: der recht späte Termin für die Urabstimmung ist u.a. der Lage der Pfingstferien geschuldet, damit wir eine höhere Beteiligung erzielen.

Siehe auch:
Verdi-Vertrauensmann verteidigt Ausverkauf und beschimpft die Arbeiter
(13. Mai 2008)
Verdi unterschreibt Ausverkauf des Verkehrsarbeiterstreiks in Berlin - Stimmt in der Urabstimmung mit Nein!
(7. Mai 2008)
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