Bewaffnung afghanischer Milizen verschärfen Spannungen mit USA

Bemerkungen eines US-Generals über die britische Politik in Afghanistan haben erneut Spannungen zwischen den beiden wichtigsten Besatzungsmächten im Land deutlich werden lassen.

Generalmajor Robert Cone, der für die Ausbildung der afghanischen Polizei verantwortliche amerikanische General, hat den britischen Plan kritisiert, örtliche Milizen im Süden des Landes zu bewaffnen, um sie in die Lage zu versetzen, gegen Aufständische vorzugehen. Die Bemerkungen des zweithöchsten US-Soldaten in Afghanistan vertiefen die Differenzen zwischen London und Washington über die Frage, wie der Aufstand generell am besten bekämpft werden kann.

Cone sagte: "Alles, was von der Schaffung einer professionellen, gut ausgebildeten, gut geführten Polizeitruppe ablenkt, ist der falsche Weg."

Cone ist der zweite US-Kommandeur, der die britische Initiative kritisiert.

Vergangenen Monat hatte der britische Premierminister Gordon Brown erklärt, Großbritannien beabsichtige, "dörfliche Verteidigungsinitiativen stärker zu unterstützen, die nach dem Modell der traditionellen afghanischen Arbakai örtliche Freiwillige zur Verteidigung von Häusern und Familien rekrutieren". Das Arbakai -System bedeutet, unausgebildete afghanische Männer zu bewaffnen, die sich bereit erklären, beim Schlag einer Trommel zu Hilfe zu kommen, wenn sich ihre Dorfältesten bedroht fühlen.

Britische Diplomaten und Militärstrategen hatten gehofft, die Arbakai -Initiative könne in der unruhigen Südprovinz Helmand dazu beitragen, die bekanntermaßen korrupte Polizeitruppe zu stützen, die nicht in der Lage ist, sich gegen Angriffe der aufständischen Taliban zu schützen. Mindestens zehn Polizisten starben im Januar bei einem einzigen Angriff der Taliban auf einen Straßenkontrollpunkt in Kandahar.

Dem Independent zufolge arbeitet Cone an einer "Reform an Kopf und Gliedern" der afghanischen Polizei, die seit 2001 "schlecht ausgerüstet, schlecht bezahlt, schlecht ausgebildet und von Korruption gelähmt ist". Die US-Regierung hat 7,4 Mrd. US-Dollar zugesagt, um die afghanischen Sicherheitskräfte von jetzt bis Oktober auf Vordermann zu bringen. Aber Cone gibt zu, dass es für das Land "kein Modell für die richtige Polizeiarbeit gibt. Wenn die Afghanen wissen, was eine gut ausgebildete und gut bezahlte Polizei wert ist, dann werden sie danach verlangen", sagte er. "Aber im Moment wissen sie das einfach noch nicht."

US-Vertreter haben deutlich gemacht, dass sie nicht die Absicht haben, das Risiko einzugehen, bewaffnete Milizen heranzuzüchten. Sie könnten unter die Kontrolle von Warlords geraten, die nicht loyal gegenüber der von den USA unterstützten Karzai-Regierung sind.

Generalmajor Cone und andere US-Vertreter haben Vergleiche zwischen Browns Plan und einer desaströsen internationalen Initiative zum Aufbau einer Polizeihilfstruppe gezogen, die im vergangenen Jahr wieder eingestellt wurde.

Hilfspolizisten waren damals nach nur ein paar Tagen Grundausbildung mit Gewehren und Uniformen ausgestattet worden und erhielten den Auftrag, in ihren Heimatorten für Ordnung zu sorgen.

Cone sagte: "Die Hilfspolizei war der Versuch, eine Abkürzung zu nehmen. Wenn wir uns Gedanken über ein informelles Programm machen, dass nicht eine professionelle Polizeitruppe zum Ziel hat, dann muss unbedingt verstanden werden, warum die Nationale Afghanische Polizeihilfstruppe nicht funktioniert hat."

Auch die UN waren über Browns Arbakai -Plan nicht erbaut, weil er ihre bisherigen Bemühungen bedrohe, verbotene Milizen zu entwaffnen. Bei den meisten anderen NATO-Ländern fand er ebenfalls keinen Anklang.

Letztes Jahr sagte General Dan McNeill, US-Kommandeur der NATO-Truppen in Afghanistan, der Plan werde den Aufstand wahrscheinlich weiter beflügeln. Er fügte diplomatisch hinzu, dass er in kleinen Teilen des Landes möglicherweise funktionieren könne, aber nicht in Helmand, wo die meisten der 7.700 britischen Truppen stationiert sind. Er hatte gesagt: "Aus meinem Studium der Geschichte Afghanistans entnehme ich, dass Arbakai nur in Paktia, Chost und im südlichen Teil von Paktika funktionieren, aber wahrscheinlich nicht in anderen Gegenden."

Als McNeill im Juli vergangenen Jahres den britischen General David Richards als Chef der NATO-geführten International Security Assistance Force (ISAF) ablöste, war eine seiner ersten Amtshandlungen eine beißende Kritik an dem gescheiterten britischen Plan, die Sicherheit der Stadt Musa Kala in den Provinz Helmand örtlichen Stammesführern zu übertragen.

In den vergangenen Wochen brachen auch immer wieder Spannungen zwischen den USA und ihren NATO-Verbündeten auf, weil Washington ständig monierte, die anderen prominenten Mitglieder der Allianz kämen ihrer militärischen Verantwortung in Afghanistan nicht nach.

US-Verteidigungsminister Robert Gates sagte, andere NATO-Mitglieder wüssten nicht, wie man Aufstände bekämpfe. Am 16. Januar sagte Gates der Los Angeles Times : "Ich mache mir Sorgen, dass wir Militärberater schicken, die nicht ordentlich ausgebildet sind, und ich mache mir Sorgen, dass wir einige Verbände haben, die nicht wissen, wie Aufstandsbekämpfung aussieht."

Er fügte hinzu: "Die meisten europäischen NATO-Truppen sind nicht in Aufstandsbekämpfung ausgebildet; sie wurden für die Fulda-Lücke ausgebildet." Die Fulda-Lücke ist die Region in Deutschland, wo die NATO-Strategen im kalten Krieg eine sowjetische Landoffensive in Westeuropa für am wahrscheinlichsten hielten.

Die Niederlande bestellten den US-Botschafter ins Verteidigungsministerium ein, um sich Gates’ Äußerungen erklären zu lassen.

Britische Verteidigungsexperten teilten der Presse mit, Gates habe umgehend Verteidigungsminister Des Browne angerufen und ihm versichert, seine Bemerkungen hätten sich nicht gegen die über 7.000 britischen Soldaten in der Provinz Helmand gerichtet, wo sie neben holländischen, kanadischen, amerikanischen, tschechischen und estnischen Truppen kämpfen.

Britische Quellen wiesen spitz darauf hin, dass Gates seine Kritik gegen die ganze NATO gerichtet habe und nicht gegen ein einzelnes Land.

Pentagon-Sprecher Geoff Morrell sagte: "Insgesamt ist der Eindruck entstanden, dass der Verteidigungsminister mit der Leistung einzelner Länder in Afghanistan unzufrieden sei. Das trifft nicht zu."

Offizielle Dementis können aber nicht die tiefen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Besatzungskräften verdecken. Der Guardian merkte an: "Gates’ Bemerkungen sind Ausdruck der tiefen Spannungen und Frustration in der NATO über die Frage, wie der Aufstand der Taliban in den Griff zu bekommen sei. Ironischerweise haben britische Militärkommandeure die USA beschuldigt, unvernünftig harte Taktiken, wie zum Beispiel Luftangriffe, anzuwenden - die häufig zu zivilen Opfern führten -, und die Frage in den Raum gestellt, ob dafür Amerikas Mangel an Erfahrung in der Aufstandsbekämpfung verantwortlich sein könnte. Im Gegenzug haben US-Kommandeure in Afghanistan kürzlich britische Pläne kritisiert, lokale Milizen und zivile Verteidigungskräfte im Süden des Landes zu unterstützen."

Ein kürzlicher Artikel in der Washington Post machte klar, dass selbst die jüngste Ankündigung der Entsendung weiterer 3.200 US-Truppen nach Afghanistan die internationalen Spannungen nicht verringerte, sondern zu gegenseitigen Anwürfen der an der Besatzung beteiligten Länder führte:

"Hinter dem amerikanischen Plan, in diesem Frühjahr weitere 3.200 Marines in das unruhige Südafghanistan zu schicken, steckt die Hoffnung des Pentagon, wenn es die zögerlichen NATO-Verbündeten schon nicht durch Druck dazu bringen könne, mehr Soldaten an die afghanische Front zu schicken, das Gleiche vielleicht dadurch zu erreichen, dass es sie beschäme, sagten amerikanische Sprecher. Aber die unmittelbare Reaktion der an den Kämpfen beteiligten NATO-Partner auf die geplante Entsendung bestand darin, die USA aufzufordern, endlich ihre eigenen Anstrengungen zu erhöhen."

In der NATO, schrieb die Post, "liegen die Nerven in ungefähr jeder Frage des Konflikts blank, seien es Truppenstärke, Aufgaben, Wiederaufbau, Rauschgiftanbau und die Strategie in der Aufstandsbekämpfung". Hohe US- und NATO-Sprecher enthüllten unter dem Siegel der Anonymität, welche Frustration durch steigende Opferzahlen, Druck aus der Heimat und durch das Gefühl, der Krieg laufe nicht gut, entstanden ist.

Washingtons NATO-Verbündete sind verärgert, weil sie in die schärfsten Kämpfe involviert waren und die größten Verluste hinnehmen mussten. Die Hälfte der Truppen in Afghanistan sind Amerikaner, aber Großbritannien, Kanada und die Niederlande sind im unruhigen Süden regelmäßig in Kämpfe verwickelt.

"Wir haben nur ein Zehntel der Truppen, aber wir kämpfen mehr als ihr", sagte ein kanadischer Sprecher über die 2.500 Soldaten seines Landes in der Provinz Kandahar. "Den Holländern geht es genauso." Die Zahl der kanadischen Gefallenen im Verhältnis zur Gesamtzahl ihrer Truppen ist höher als die der US-Truppen in Afghanistan oder im Irak, schloss eine Analyse der kanadischen Regierung im vergangenen Jahr.

Die britischen Operationen konzentrieren sich in Helmand, der Provinz mit dem umfangreichsten Opiumanbau, wo die NATO-Truppen immer wieder in intensive Gefechte verwickelt werden. Die amerikanischen Truppen sind in der viel ruhigeren östlichen Region stationiert. Ein amerikanischer Sprecher sagte der Post, wenn der Osten weniger unruhig sei, dann sei es der überlegenen amerikanischen Taktik zu verdanken.

Hinter den ganzen Unstimmigkeiten steht die Tatsache, dass die amerikanischen und die Nato-Truppen auch nach sieben Jahren Besatzung nicht in der Lage sind, den afghanischen Widerstand zu brechen.

Die Sicherheitslage hat sich in fast ganz Afghanistan in den letzten beiden Jahren veschlechtert. Obwohl die schlimmste Gewalt im Süden und Osten des Landes herrscht, wo die Mehrheit der amerikanischen und NATO-Truppen stationiert ist, hat sich die Instabilität auch in andere Gegenden ausgebreitet. 2007 gab es etwa 140 Selbstmordanschläge. Das Jahr war damit das tödlichste seit Beginn der Besatzung.

Aber das alarmierendste Signal für die Besatzungstruppen in Afghanistan ist vielleicht die zunehmende Instabilität in der schwer bewachten Hauptstadt selbst. Im Dezember führten die Taliban in Kabul zwei Selbstmordanschläge aus. Bei einem wurden dreizehn Personen getötet. Ende des Monats forderte ein Raketenangriff in der Nähe des Gouverneurspalastes in Kabul fünf Menschenleben.

Aber der kühnste Angriff ereignete sich am 14. Januar, als Kabuls Hotel Serena - ein schwer bewachtes Luxushotel und Symbol des Nachkriegs-Afghanistans - mit Gewehren und Sprengsätzen angegriffen wurde. Sieben Menschen wurden getötet, während die Gäste, unter ihnen der norwegische Außenminister, im Hotelkeller in Sicherheit gebracht wurden.

Das Hotel Serena wird von zahlreichen ausländischen Botschaften und Unternehmen genutzt. Wohlhabende Geschäftsleute, Diplomaten und Würdenträger sowie Journalisten und Vertreter von NGO’s steigen dort ab. Das Hotel ist ständig schwer gegen Angriffe bewacht und verbarrikadiert.

Auf der Web Site des Hotels Serena findet sich folgende Beschreibung seiner Kabuler Niederlassung: "Diese Luxusoase in einer vom Krieg verwüsteten Stadt bietet (nach örtlichem Standard) unerhörten Luxus: 177 Räume, alle mit eleganter weicher Möblierung, marmornen Bädern, Satellitenfernsehen und auf Wunsch Internetanschluss. Zu den Annehmlichkeiten für die Gäste zählen ein Business Centre, Gesundheitsclub, Swimming Pool und ein Schönheitssalon."

Die Präsidentensuite ist gegenwärtig für 1.350 Dollar die Nacht zu haben. Das Durchschnittseinkommen eines afghanischen Arbeiters beträgt heute 1 Dollar pro Tag.

Obwohl die britische Außenpolitik in der Nachkriegszeit besonders seit der Suez-Krise eng den USA gefolgt ist, haben die beiden Mächte in manchen Punkten doch unterschiedliche geopolitische Interessen. In Afghanistan sind sie zu der Auffassung gekommen, dass sie einander brauchen. Das US-Militär braucht zusätzliche Truppen, und die Briten können mehr Einfluss ausüben, wenn sie das zweitgrößte Kontingent unterhalten.

Die koloniale Vergangenheit Großbritanniens in Zentralasien ist von brutalen, wenn auch letztlich vergeblichen Versuchen geprägt, aufständische Bevölkerungen zu unterdrücken. Obwohl die wichtigsten politischen und militärischen Führer heute diesen Lehren der Geschichte nicht zugänglich sind, blitzen sie immer wieder an unerwarteter Stelle auf.

Der Ex-Führer der Liberaldemokraten, Paddy Ashdown, der in Nordirland und Bosnien gedient hat, hat diesen Monat die Bedingungen für eine neue Rolle in Afghanistan ausgehandelt. Er koordiniert die internationalen Anstrengungen und die Verbindung zur Karzai-Regierung. Er fasste die US/NATO Mission in Afghanistan so zusammen: "Wir haben verloren, und ein Erfolg ist nicht zu erwarten."

Siehe auch:
Blairs Auslandsreise wirft Schlaglicht auf militärische Krise in Afghanistan
(28. November 2006)
Washington beunruhigt über zunehmendes Desaster in Afghanistan
( 1. September 2006)
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