Die Besuche des britischen Premierministers Tony Blair in Pakistan und Afghanistan sowie seines Schatzkanzlers Gordon Brown im Irak verraten eine gewisse Verzweiflung, die sich in London breit macht. Nachdem die Bush-Regierung von den amerikanischen Wählern bei den Kongresswahlen am 7. November abgestraft wurde, bemüht sich die Blair-Regierung dringend um Schadensbegrenzung, was ihre eigenen imperialistischen Ambitionen betrifft.
In einer außenpolitischen Grundsatzrede Mitte November vor Vertretern der britischen Handels- und Finanzelite forderte Blair ein stärkeres Engagement von regionalen Mächten wie Syrien und dem Iran im Irak, um dem wachsenden Aufstand Herr zu werden.
Seine Vorschläge sind allerdings nicht viel mehr als fromme Wünsche. Ob diese wahr werden, liegt nicht in britischer Hand, sondern ist vielmehr von anderen, äußeren Faktoren abhängig.
Dass es Brown überlassen wurde, einen nicht angekündigten Besuch im irakischen Basra zu unternehmen, ist ein Anzeichen für das Ausmaß der Probleme, vor denen die Regierung steht. Die britische Irakpolitik befindet sich mehr oder weniger in der Schwebe. Da sie völlig von den USA abhängt, bleibt sie so lange im Ungewissen, wie in Washington der Fraktionskampf nicht entschieden ist. Im Moment hofft Großbritannien darauf, dass die Iraq Study Group im US-Parlament einen Zeitplan für den schrittweisen Abzug empfiehlt, aber dies kann keineswegs als sicher gelten. Sicher ist nur, dass die Republikanische wie die Demokratische Partei auf keinen Fall den Eindruck entstehen lassen wollen, der Aufstand habe gesiegt. Damit sind eher neue Höhepunkte der Gewalt und des Blutvergießens zu erwarten als ein Nachlassen der Feindseligkeiten.
Für die Blair-Regierung wäre eine Niederlage im Irak ebenso vernichtend und würde die strategischen Interessen des britischen Imperialismus empfindlich treffen.
Brown konnte in Basra nicht mehr tun, als zusätzliche britische Finanzhilfen für den Wiederaufbau im Irak zu versprechen und einen Truppenrückzug an einem unbestimmten Zeitpunkt in Aussicht zu stellen. Aber ohne eine dramatische Verringerung der Militärpräsenz droht Großbritannien eine Niederlage in Afghanistan - mit genauso schädlichen Folgen.
Blair besuchte Lahore und Kabul nicht nur, um dem Irak aus dem Weg zu gehen. Seine Treffen mit dem pakistanischen Präsidenten Pervez Muscharraf und seinem afghanischen Amtskollegen Hamid Karsai waren notwendig, da sich die Lage der britischen Truppen ständig verschlechtert. 41 britische Soldaten sind gestorben, seit der Krieg 2001 unter Führung der Vereinigten Staaten begonnen wurde, davon alleine 36 seit Juni dieses Jahres.
Blair nutzte die Treffen mit den beiden Führern und eine Ansprache vor britischen Soldaten, um für ein stärkeres Engagement der Nato-Mächte im Afghanistan-Konflikt zu werben. In einer fünfminütigen Rede vor 800 Soldaten im Camp Bastion in der afghanischen Provinz Helmand erklärte Blair: "Hier, in diesem außergewöhnlichen Stück Wüste, wird die Zukunft der Weltsicherheit im frühen 21. Jahrhundert entschieden."
Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte Blair noch ähnliche Behauptungen über die zentrale Bedeutung des Irak aufgestellt, um einen Krieg zu rechtfertigen, der lediglich zur Destabilisierung des gesamten Nahen Ostens geführt hat. Es ist nicht weniger verhängnisvoll, das Schicksal der Weltsicherheit von der Unterwerfung Afghanistans abhängig zumachen. Diese Region konnte das britische Empire selbst auf der Höhe seiner Macht nie unter Kontrolle bekommen.
Einzig die Installierung einer Marionettenregierung, die außerhalb der Hauptstadt kaum über Autorität verfügt, wurde seit dem Sturz der Taliban durch die Offensive unter US-Führung erreicht. In ganz Afghanistan ist die 31.000 Mann starke Internationale Schutztruppe (ISAF) permanenten Angriffen ausgesetzt.
Der einstige US-Präsident Theodore Roosevelt fasste seine Außenpolitik einmal in den berühmten Satz: "Sprich mit sanfter Stimme, aber halte den großen Knüppel bereit". Die britische Außenpolitik unter Blair läuft darauf hinaus, dass ein großes Geschrei herrscht und dazu mit dem dürren Zweig gewackelt wird.
Um die Truppen zu motivieren, erklärte er: "Wenn euer Feind euch bekämpft - und es handelt sich um unsere Feinde - dann muss eure Antwort lauten, noch härter und noch entschlossener zurückzuschlagen." In Karsais Begleitung versprach er, "bei der Stange zu bleiben, bis die Arbeit erledigt ist".
Großbritannien hat allerdings weniger als 6.000 Soldaten im Einsatz, die bisher nicht in der Lage waren, die unruhige Provinz Helmand effektiv unter Kontrolle zu bringen. Hinsichtlich des Versprechens, erst nach getaner Arbeit abzuziehen, sagte Blair weiter, es handele sich in Afghanistan um einen "Kampf von Generationen" - nur um schnell hinzuzufügen, dass er damit nicht die Dauer der britischen Militärpräsenz gemeint habe.
Trotz all dieses Kampfgeschreis war der tatsächliche Zweck von Blairs Besuch ein anderer. Eigentlich will er, dass jemand anders kommt und das Kriegführen übernimmt.
Mit seinem Besuch in Pakistan wollte er die Unterstützung der Muscharraf-Regierung für die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan gewinnen. Im Hintergrund standen dabei Klagen von Generalleutnant David Richard, dem britischen Nato-Kommandeur in Afghanistan, dass Pakistan die eigene Grenze nicht ausreichend überwacht und der pakistanische Geheimdienst ISI die Taliban unterstützt.
Angesichts dieser Kritik und heftiger Drohungen aus Washington hat die pakistanische Armee bereits mehrere Militäroperationen durchgeführt. Unter anderem wurde bei einer solchen Aktion eine Koranschule in Chingai zerstört und im Zuge dessen mindestens 80 Schüler und Lehrer getötet.
Inzwischen gehen die Forderungen viel weiter. Blair machte klar, dass Gelder für die Muscharraf-Regierung künftig an eine strenge Überwachung der weit über 2.000 Kilometer langen pakistanisch-afghanischen Grenze und die Unterdrückung des islamischen Extremismus in Pakistan geknüpft sind. Großbritannien und die USA kritisieren das Abkommen, das Muscharraf im vergangenen Monat mit den paschtunischen Stämmen der autonomen Nordwestprovinzen an der afghanischen Grenze geschlossen hat. Sie behaupten, dass sich die Taliban dort verstecken und neu aufstellen.
Ebenso bedeutsam ist Blairs Versprechen einer engeren Zusammenarbeit zwischen den britischen Geheimdiensten und dem ISI. Der ISI war auch bisher schon ein Hauptlieferant von geheimdienstlichen Informationen zu großen Terrorverschwörungen wie den Bombenanschlägen in London am 7. Juli 2005. Offenbar kein Hindernis für diese Kooperation ist dabei die Tatsache, dass der ISI selbst mit islamistischen Fundamentalisten und Terroraktivitäten verbunden ist, politische Gegner verfolgt, foltert und Beweise fälscht.
Dass Blair sich auf den ISI verlässt, beweist nur ein weiteres Mal, wie wenig es in Großbritanniens neokolonialer Politik darum geht, "Demokratie zu verbreiten". Dies wird die Angriffe auf demokratische Rechte in Großbritannien und anderswo nur verstärken und beschleunigen. Und selbst wenn Muscharraf allen Forderungen Blairs nachgäbe, würde das nur die Gefahr erhöhen, dass der afghanische Konflikt auf Pakistan übergreift.
Muscharraf warb auf der gemeinsamen Pressekonferenz verzweifelt für ein am Marshall-Plan angelehntes Hilfsprogramm, das die einzig effektive Waffe im Kampf gegen den Terrorismus sei. Blair bot daraufhin lächerliche 700 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln für Bildung, Frauenförderung und den Aufbau "moderater" Islamschulen an.
Letztlich hofft Blair auf eine stärkere militärische Beteiligung der europäischen Mächte in Afghanistan.
Sein Besuch fiel in die Vorbereitungszeit des Nato-Gipfels, der am 28. und 29. November in Riga stattfindet. Die Nato-Mächte Deutschland, Italien, Frankreich und Spanien haben ihren relativ kleinen Truppenkontingenten in Afghanistan starke Beschränkungen auferlegt, die einen Kampfeinsatz ausschließen. Blair will, dass diese Restriktionen fallen. Seine Position wird von Nato-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer, von Kanada und den Vereinigten Staaten unterstützt. In Washington sagte der Leiter der Abteilung Europäische und Eurasische Angelegenheiten im US-Außenministerium Daniel Fried, in der Nato solle es "keine Länder geben, die sagen, 'Nein, wir kämpfen nicht. Wir machen uns nicht die Hände schmutzig.'"
Aber obwohl die europäischen Mächte durchaus interessiert sind, ihre militärische Rolle auf der Weltbühne zu stärken, bedeutet das noch lange nicht, dass sie sich in den afghanischen Konflikt hineinziehen lassen wollen. Kanzlerin Angela Merkel schloss vor der Konferenz in Riga ausdrücklich aus, Teile der 2.900 deutschen Soldaten in Afghanistan zum Kampfeinsatz in den Süden des Landes zu schicken. Die Bundeswehr erfülle "eine wichtige und gefährliche Aufgabe" im Norden, wo sie Sicherheit garantiere und den Wiederaufbau unterstütze, sagte Merkel vor dem Parlament. Die Bundeswehr werde ihre Verantwortung im Rahmen des Mandats weiterhin wahrnehmen, aber: "Ich sehe kein über dieses Mandat hinausgehendes militärisches Engagement".