Nahezu täglich belegen neue Zahlen und Prognosen den weltweiten Absturz der Autoindustrie.
Die Autoindustrie ist der Hauptpfeiler der deutschen Industrie. Von ihr hängt jeder siebente Arbeitsplatz ab und sie ist im besonderen Maße von der internationalen Krise betroffen. Am Mittwoch gab der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) seine düstere Prognose bekannt. "Die Automobilmärkte haben eine Talfahrt genommen, die in dieser Geschwindigkeit und Ausprägung noch nie vorher stattgefunden hat", sagte der VDA-Präsident Matthias Wissmann.
Der Verband rechnet damit, dass im kommenden Jahr auf dem deutschen Markt nur noch 2,9 Millionen Neuwagen verkauft werden. Das wäre das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990.
Auch der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer, sieht für Jahr 2009 einen dramatischen Rückgang um 8,2 Prozent voraus. Dudenhöffer zufolge sei "dies ist ein absoluter Tiefpunkt in der Entwicklung des deutschen Automarktes".
Dudenhöffer hält 100 000 Arbeitsplätze im Jahr 2009 für gefährdet. "Im Laufe des Jahres 2009 werden 20.000 Arbeitsplätze bei deutschen Autokonzernen und Zulieferern wegfallen, außerdem dürfte die Zahl der Zeitarbeiter um 80 000 reduziert werden". Dieser drastische Rückgang werde sich auch negativ auf die Vertriebsnetze der Autohersteller auswirken. Nach seiner Prognose wird jeder vierte Autohändler vom Markt verschwinden.
Alleine im November war der Automarkt in Deutschland erneut um 18 Prozent eingebrochen, teilte das Kraftfahrtbundesamt (KBA) bereits am Dienstag mit.
Sämtliche deutschen Autohersteller haben im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit Produktionseinschränkungen oder Produktionsstopps begonnen. Massenentlassungen und die Schließung ganzer Fabriken werden bereits erwogen.
Opel:Angesichts der Krise des Mutterkonzerns General Motors in den USA und dem Absatzeinbruch in Europa steht Opel mit dem Rücken zur Wand. Im November verkaufte der Rüsselsheimer Konzern in Deutschland fast 36 Prozent weniger Autos, als vor einem Jahr. In den Fertigungsstätten Eisenach und Bochum standen bereits mehrere Wochen die Bänder still. Weitere Produktionsstopps, die den ganzen Dezember und länger andauern könnten, sind in Vorbereitung.
Die IG-Metall und die Betriebsräte haben bereits freiwillig eine 15-prozentige Lohnsenkungen angeboten. Diese Kompromissbereitschaft den Konzernvorstand zu immer neuen und weitergehenden Angriffen. Im Werk Bochum haben bereits Verhandlungen über eine weitere Runde von Arbeitsplatzabbau und Reduzierung von Lohnbestandteilen begonnen, an deren Ende die schrittweise Schließung des Werks stehen könnte. Die Betriebsräte halten gezielt alle Informationen zurück und versuchen die Belegschaft in Sicherheit zu wiegen.
Daimler:Beim Stuttgarter Autokonzern betrug der Rückgang im November 30 Prozent. Die Marke Mercedes-Benz verbuchte sogar ein Absatzminus von 38,2 Prozent. Nur der Kleinwagen Smart konnte einiges wettmachen. Laut Medienberichten soll es bei Daimler weitere massive Einschnitte geben. Im kommenden Jahr sollen 150 000 Mercedes-Pkws weniger gebaut werden und ein neues Sparprogramm ist in Planung. Im Mercedes-Werk Sindelfingen droht bereits im Januar Kurzarbeit.
Die Kernsparte Mercedes Car Group mit ihren Marken Mercedes-Benz, Smart und Maybach, soll davon besonders betroffen sein. Gleich mehrere Unternehmensberatungen seien beauftragt worden, Konzepte zur Kostensenkung und Effizienzsteigerung vorzustellen.
Das letzte Sparprogramm "Core", das zwischen 2005 und 2007 durchgeführt wurde, hat das Konzernergebnis um insgesamt 7,1 Milliarden Euro gesteigert. Den Kürzungen fielen allerdings 10.000 Arbeitsplätze zum Opfer.
Laut einen Bericht der Fachzeitschrift Automobilwoche der sich auf interne Planzahlen stützt, beabsichtigt Daimler 2009 unter anderem die Produktion der S- Klasse von Mercedes um 18 000 Fahrzeuge zu senken und der E-Klasse um 34.000 Autos.
Außerdem erwäge das Management, die Produktion in den so genannten Faschingsferien im Februar für eine Woche und über Ostern weitere sechs Tage lang zu stoppen. Bereits jetzt drosselt Daimler die Produktion mit allen Mitteln. In Sindelfingen sollen die Bänder vom 12. Dezember bis 12. Januar stillstehen.
BMW:Die Bayerischen Motorenwerke mussten Einbußen von rund 21 Prozent im November hinnehmen. Von der Marke BMW waren es gar 36,1 Prozent. Nur der Kleinwagen Mini konnte schlimmeres verhindern. Der Konzern will die Produktion jetzt sogar um 40 000 Fahrzeuge zurückfahren. Ursprünglich kündigte das Unternehmen eine Reduzierung um 25 000 Pkws an.
Im Münchner Stammwerk sollen die Werksferien verlängert werden. Laut Münchner Merkur soll die Weihnachtspause schon am kommenden Montag beginnen und bis zum 9. Januar andauern. Auch im BMW-Werk in Regensburg sollen zum Jahreswechsel für einen Monat die Bänder stillstehen. Im BMW-Werk Leipzig wurden die Beschäftigten bereits tagelang in Zwangsurlaub geschickt.
BMW hat die Streichung von mehr als 8000 Stellen angekündigt, darunter 5000 Zeitarbeitsplätze. Mindestens 2500 weitere könnten bald hinzukommen, heißt es in Medienberichten.
Ford:Die Arbeiter im Motorenwerk des Kölner Autobauers Ford befinden sich bereits seit dem 3. November in Kurzarbeit. Auch werden einige Hundert Zeitverträge zum Jahresende nicht verlängert. Im Gegensatz zu Opel, müssen die 23 600 Mitarbeiter in den Ford-Werken Köln und Saarlouis angeblich nicht mit Entlassungen oder Kurzarbeit rechnen, so Ford-Chef Bernhard Mattes gegenüber Auto Motor Sport. Vor wenigen Tagen wurde allerdings noch darüber diskutiert, ob das Kölner Motorenwerk mit seinen 750 Beschäftigten ganz stillgelegt werden soll. Und auch der Vorschlag die Produktion des Ford Fusion von Köln nach Rumänien zu verlegen, steht noch immer im Raum und dient dazu den Beschäftigten Zugeständnisse abzuringen.
VW: Volkswagen verkaufte beinahe 19 Prozent weniger Autos im November. Der VW-Konzern will die Produktion für voraussichtlich drei Wochen, vom 18. Dezember bis 11. Januar ruhen lassen. Die Beschäftigten sollen ihre Überstundenkonten abbauen oder Urlaub dafür nehmen. Dieser Produktionsstopp ist für das Stammwerk Wolfsburg vorgesehen, in dem die Modelle Golf, Touran, Tiguan gefertigt werden. Betroffen davon wären dann aber auch die Zulieferwerke etwa in Kassel oder Salzgitter.
Porsche: Selbst der erfolgsverwöhnte Sportwagenhersteller Porsche wurde von der Krise kalt getroffen. Schon im Oktober brach der Absatz von Porsche in den USA im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent ein. Im November ging der Neuwagenverkauf insgesamt um 21 Prozent zurück.
Die Produktion wurde gedrosselt und die Bänder im Stammwerk Stuttgart-Zuffenhausen standen erstmals still. Weitere Ausfalltage wird es im Januar geben. Da die Arbeitszeitkonten der Porschearbeiter wegen der hohen Produktionsauslastung im letzten Jahr gut gefüllt sind, wurde noch keine Kurzarbeit angekündigt.
Zur geplanten mehrheitlichen Übernahme von VW sagte Porsche-Chef Wiedeking: "Angesichts des gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeldes wird es zunehmend unwahrscheinlicher, dass wir dieses Ziel noch in diesem Kalenderjahr erreichen können". Porsche halte aber an den Plänen fest, im kommenden Jahr seine Anteile bei VW auf 75 Prozent aufzustocken, nur der Zeitplan sei noch unklar.
Porsche teilte auf seiner letzten Bilanzpressekonferenz einen deutlichen Umsatzrückgang mit. In den ersten vier Monaten des Geschäftsjahres, also ab August 2008, ging der Umsatz von 2,36 Milliarden Euro auf zwei Milliarden zurück. Der Absatz brach im selben Zeitraum um ca. 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein.
Allerdings hat die Porsche-Führungsriege mit ihren ausgeklügelten Aktientransaktionen bei VW noch einen satten Rekordgewinn erzielt. Das Konzernergebnis vor Steuern war um rund drei Milliarden Euro auf 8,57 Milliarden Euro gestiegen. Davon stammte nur ein kleiner Teil, nämlich eine Milliarde Euro aus der Produktion von Sportwagen. Der Rest wurde durch Aktienspekulation erzielt, was zur absurden Situation führte, dass Porsche mehr Gewinn als Umsatz machte.
Dieses überaus erfolgreiche Geschäftsjahr 2007/2008 ließ sich die Konzernführung entsprechend vergolden. Die sechs Vorstandsmitglieder erhielten für das abgelaufene Geschäftsjahr 143,5 Millionen Euro an Vergütungen. Dem Vernehmen nach, kassiert Porsche-Chef Wendelin Wiedeking 75 bis 80 Millionen Euro. 2006 waren die sechs Porsche-Manager gemeinsam "nur" auf 112,7 Millionen Euro gekommen.
Zulieferindustrie:Die Auswirkungen der Krise auf die stark mittelständisch geprägte Zulieferindustrie wird nicht weniger verheerend sein. Sie beschäftigt 328 000 Menschen, d.h. fast die Hälfte aller Arbeitsplätze in der Autoindustrie. Im vergangenen Jahr setzte sie 76 Milliarden Euro um.
Die Zulieferer produzieren mittlerweile nicht nur fast 80 Prozent eines Autos, sie übernehmen auch die Entwicklung und Produktion ganzer Fertigungsstufen und Systeme.
Die größten unter ihnen, wie Bosch, ZF Friedrichshafen, der Kolbenspezialist Mahle, der Kühlerhersteller Behr, Knorr-Bremse, Brose, oder Hella, haben jeweils Tausende Beschäftigte. Doch es gibt weitere 600 kleinere Zulieferer alleine in Deutschland. Diese Familienunternehmen spüren die Finanz- und Absatzkrise unmittelbar und doppelt. Die Autohersteller bestellen nichts, oder erheblich weniger und von den angeschlagenen Banken bekommen sie keine Kredite mehr.
Ende November wurde in letzter Minute die Insolvenz des Zulieferers Gimotive/Stankiewicz GmbH in Celle vorerst abgewendet: Die 1300 Arbeitsplätze des Herstellers für Schallisolationen und Gummibeläge gelten aber nur als "vorerst" gesichert.
Stellvertretend für viele Zulieferungsbetriebe, hier nur zwei aktuelle Beispiele:
So hat die Goodyear-Dunlop-Gruppe eine Zwangspause für alle sechs Reifenwerke der Gruppe in Deutschland für die Jahreswende angekündigt Außerdem würden Verträge für Zeitarbeiter nicht verlängert.
Bosch, der als größter Autozulieferer der Welt gilt, hat bereits Kurzarbeit in seinen Werken Bamberg und Rommelsbach eingeführt, ungefähr 4000 Arbeiter sind davon betroffen. Die Einbeziehung weiterer Standorte ist im Gespräch und wird gegenwärtig mit den Betriebsräten abgestimmt.
Am Wochenende kündigte Continental an, Tausende Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken. Die Schaeffler-Gruppe, die Conti übernehmen will, fährt im kommenden Jahr die Investitionen nach unten und schließt Kurzarbeit ebenfalls nicht aus. Wie viele der bundesweit 50 000 Mitarbeiter die Kurzarbeit treffe, sei noch nicht abzuschätzen, erklärt die Unternehmensleitung. 1700 Leiharbeiter in Deutschland würden "weitestgehend nicht mehr abgefragt", teilte ein Firmensprecher mit.
Obwohl Tausende Beschäftigte an allen Standorten mit denselben Problemen konfrontiert sind, weigern sich die Gewerkschaften und die Betriebsräte einen gemeinsamen Kampf zu organisieren. Stattdessen arbeiten sie aufs engste mit den Konzerleitungen zusammen und spielen die Beschäftigen in den einzelnen Werken und über die Grenzen hinweg gegeneinander aus.