Der amerikanische Justizminister Alberto Gonzales gab am Montag seinen Rücktritt bekannt. Er ist tief in die demokratiefeindlichen Maßnahmen und Methoden der Bush-Regierung verstrickt.
Der Rücktritt ist ein weiteres Anzeichen für die Krise der Bush-Regierung, und Gonzales ist auch nicht ihr erstes Opfer. Der letzte prominente Politiker, der erst Anfang August seinen Hut nehmen musste, war Bushs wichtigster Berater Karl Rove. Gleichzeitig ist Gonzales’ Rücktritt ein Versuch, den andauernden Angriff beider Parteien auf die demokratischen Grundrechte in den USA auf eine stabilere Grundlage zu stellen.
Gonzales gab am Montag eine äußerst knappe Erklärung vor den Medien ab und beantwortete keinerlei Fragen. Er sagte, er trete zum 17. September von seinem Amt zurück.
Im Laufe des Tages verurteilte Bush in einer Erklärung die Kritiker Gonzales’. Sie hätten ihn "seit Monaten unfair behandelt" und "seinen guten Namen aus politischen Gründen durch den Schmutz gezerrt".
Darauf meldeten sich führende Demokraten, die ihre Bereitschaft bekundeten, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, und der Hoffnung Ausdruck verliehen, zu einer Übereinkunft kommen zu können. Am deutlichsten wurde Senator Charles Schumer, demokratisches Mitglied des Justizausschusses, der das Weiße Haus "anflehte", "mit den Demokraten zusammen zu arbeiten". "Wählt nicht den Weg der Konfrontation... Wir sind bereit, euch [bei der Wahl des neuen Justizministers] auf halbem Weg entgegen zu kommen", sagte er.
Während ein wichtiges Regierungsmitglied nach dem andern zurücktritt, wird die öffentliche Ablehnung des Irakkriegs immer größer und die Unterstützung für den Präsidenten schwindet. Die Krise der Irakbesatzung hat zu tiefen Spaltungen im herrschenden Establishment geführt. Gonzales war der letzte der Bush-Leute, der noch auf seine Amtszeit als Gouverneur von Texas zurückgeht. Neben Rove waren im April 2006 auch schon Andrew Card als Stabschef des Weißen Hauses und im Januar 2007 die Rechtsberaterin des Weißen Hauses, Harriet Miers, zurückgetreten.
Als Nachfolger für das Amt des Justizministers wird an erster Stelle der Minister für Homeland Security, Michael Chertoff, genannt. Andere mögliche Kandidaten sind der ehemalige stellvertretende Justizminister Larry Thompson und der Ex-Justizstaatssekretär und prominente republikanische Strippenzieher Theodore Olson. Der amtierende Justizstaatssekretär Paul Clement wird bis zur Ernennung eines neuen Justizministers dessen Amtsgeschäfte führen.
Der unmittelbare Hintergrund von Gonzales’ Abgang sind Spannungen zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress über die Säuberung von neun US-Bundesstaatsanwälten im Jahre 2006 und über die Ausweitung inländischer Überwachungsprogramme unter der Bush-Regierung. Bei Befragungen im Kongress zu diesen Themen hat Gonzales mehrfach Aussagen gemacht, denen von anderen aktuellen und ehemaligen Regierungsvertretern widersprochen wurde. Einige Demokraten wollten schon die Einsetzung eines Sonderermittlers fordern, weil der Verdacht von Meineid bestand. Sogar führende Republikaner forderten Gonzales’ Rücktritt.
2004 spielte Gonzales bei einem Streit innerhalb der Bush-Regierung eine zentrale Rolle, als es um das geheime und nicht gerichtlich kontrollierte Abhörprogramm der National Security Agency (NSA) ging. Bush hatte dieses Überwachungsprogramm nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zum ersten Mal autorisiert. Nachdem Juristen des Justizministeriums zum Schluss gekommen waren, dass es für das Programm keine gesetzliche Grundlage gebe, weigerte sich der damalig amtierende Justizminister James Comey, das Programm zu verlängern.
Gonzales, damals Rechtsberater des Weißen Hauses, versuchte sich im Verein mit dem damaligen Stabschef des Weißen Hauses Card an Comey vorbei an Justizminister John Ashcroft zu wenden, der halb bewusstlos im Krankenhaus lag. Comey sagte im Mai über diesen Zwischenfall aus.
Unter Eid hatte Gonzales erklärt, dass es bei dem Streit nicht um das so genannte "Terrorist Surveillance Program" (Terroristen-Überwachungsprogramm) gegangen sei, dessen Existenz im Dezember 2005 bekannt geworden war. Damals hatte Bush nur eine begrenzte Aktion gegen Terrorverdächtige eingeräumt. Gonzales betonte, bei dem Streit in der Regierung in 2004 sei es "um andere Geheimdienstaktivitäten" gegangen.
Ende vergangenen Monats sagte FBI-Direktor Robert Mueller vor dem Justizausschuss des Repräsentantenhauses aus. Er stützte Comeys Aussage und machte deutlich, dass es bei dem Streit in der Tat um das Abhörprogramm der NSA gegangen sei.
Auch bei der Entlassung der Bundesstaatsanwälte spielte Gonzales eine Schlüsselrolle, und mehrfach wurde er der Lüge überführt, wenn es um seinen Anteil an der Sache ging. Der Zweck der Säuberung bestand darin, anstelle der Entlassenen loyale Bush-Anhänger einzusetzen. Von ihnen erwartete man, dass sie ihre Stellung dazu ausnutzen würden, Fälle des Wahlbetrugs durch demokratische Kandidaten und Wählerregistrierungsgruppen im Umfeld der Demokraten zu konstruieren, um möglichst viele traditionelle Demokratische Wähler aus den Wahllisten zu entfernen.
Bei seiner Aussage vor dem Justizausschuss des Senats im vergangenen Monat weigerte sich Gonzales, Fragen zur Entlassung der Bundesstaatsanwälte zu beantworten. Die Regierung stellt sich auf den Standpunkt, dass gegenwärtige oder frühere Mitarbeiter des Weißen Hauses die Aussage zu diesen Fragen vor Parlamentsausschüssen verweigern können. Sie stützt sich dabei auf eine äußerst weit gefasste Interpretation des Exekutivprivilegs.
Bei diesen beiden Fragen geht es in Wirklichkeit um die ungewöhnlich weit gehenden Angriffe auf demokratische Grundrechte in den Vereinigten Staaten. Das war der Kern der Zusammenarbeit von Gonzales und Bush in all diesen Jahren. Das begann schon in den 1990er Jahren, als Gonzales während Bushs Amtszeit als Gouverneur von Texas als dessen Rechtsbeistand fungierte und für die Prüfung sämtlicher Gnadengesuche von zum Tode Verurteilten in Texas zuständig war. Bush hob nur ein einziges Todesurteil auf und bestätigte 152 Hinrichtungen.
Als Präsidentenberater spielte Gonzales eine Schlüsselrolle bei der Erstellung von Rechtsgutachten, die juristisch "begründeten", dass der Präsident als Oberkommandierender die umfassende Vollmacht habe, sich über internationales Recht hinwegzusetzen und die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung mit Füßen zu treten. In einem Memorandum vertrat er die Ansicht, dass die Genfer Konventionen für al-Qaida-Mitglieder und Talibankämpfer keine Gültigkeit hätten, und dass einige ihrer Bestimmungen "völlig veraltet" seien.
Gonzales war auch Initiator des "Folter-Memos", das von anderen juristischen Experten der Regierung ausgearbeitet wurde und Folter derart eng definierte, dass Misshandlungen erlaubt gewesen wären, die sowohl nach amerikanischem wie auch nach internationalem Recht verboten sind. In diesem Memo wurde pseudo-juristisch argumentiert, dass der Präsident aufgrund seiner quasi unbeschränkten Vollmachten in Kriegszeiten sogar Folter erlauben könne.
In seiner Erklärung vom Montag hob Bush einige von Gonzales’ weiteren Leistungen hervor. "Gonzales hat eine entscheidende Rolle bei der Ausarbeitung unserer Politik im Krieg gegen den Terror gespielt.... Der Patriot Act, das Gesetz über die Einführung von Militärkommissionen und andere wichtige Gesetze tragen seinen Stempel."
Das Gesetz über die Militärkommissionen wurde 2006 mit der Duldung der Demokratischen Kongressführer verabschiedet. Es entzog den Gefangenen in Guantanamo den Schutz der Habeas-Corpus-Akte, stellte dem Präsidenten anheim, die Genfer Konventionen nach seinem Gusto zu interpretieren und begründete das System willkürlicher Militärkommissionen. Letztere traten an die Stelle derjenigen, die der Oberste Gerichtshof für verfassungswidrig erklärt hatte - und die im Übrigen auch aus der Feder von Gonzales stammten.
Bush wies auch darauf hin, dass Gonzales eine wichtige Rolle bei der Bestätigung der beiden rechten Richter am Obersten Gerichtshof, John Roberts und Samuel Alito, gespielt hat, und dass er "hervorragende Arbeit bei der Auswahl und Empfehlung der besten Kandidaten für äußerst wichtige Posten an Bundesgerichten geleistet" habe. Die Regierung hat ganz bewusst daran gearbeitet, mittels Ernennungen im Justizapparat die Gerichte in Fragen demokratischer Rechte, der Wirtschaftsregulierung, der Trennung von Kirche und Staat und der Vollmachten des Präsidenten nach rechts zu rücken.
Zwar wurde der Rücktritt von Gonzales in den letzten Monaten von den Demokraten im Kongress und selbst von einigen Republikanern immer offener gefordert, aber die grundlegende Frage demokratischer Rechte stand dabei keineswegs im Zentrum. Beim Skandal um die Entlassung der Bundesstaatsanwälte spielten die Demokraten die wichtigste Frage, um die es ging, herunter, nämlich den Versuch, Wahlen zu manipulieren. Bei der Kontroverse um die Ausspähung der Bevölkerung stand die Frage im Zentrum, ob Gonzales 2004 über den Streit vor dem Kongress gelogen hatte, aber nicht die Tatsache, dass das Abhörprogramm, das nach wie vor in Kraft ist, völlig illegal und verfassungswidrig ist.
Die Demokraten verfolgten bei den Kongressanhörungen von Gonzales die Absicht, ihre Anhänger zu besänftigen, während die Demokratische Partei gleichzeitig den Irakkrieg weiter finanzierte und der Politik der Bush-Regierung die Hand reichte. Ob es um die Verabschiedung des Patriot Act, die Bestätigung von Gonzales als Justizminister oder die Verabschiedung des Gesetzes über die Militärkommissionen ging - immer waren die Stimmen der Demokraten entscheidend und trugen dazu bei, den antidemokratischen Inhalt dieser Maßnahmen zu verschleiern.
Anfang dieses Monats verabschiedete die demokratische Mehrheit im Kongress eine Änderung des Auslandsaufklärungsgesetzes, das dem Präsidenten breite Möglichkeiten einräumt, auch das eigene Volk auszuspionieren.
Gonzales wurde nicht durch den Widerstand der Demokraten zum Rücktritt gezwungen, sondern durch die wachsende Opposition führender Republikaner. Unter ihnen waren Senator Arlen Specter, das ranghöchste Mitglied der Republikaner im Justizausschuss des Senats, und Tom Coburn, ein weiteres Mitglied des Justizausschusses. Die Republikaner waren besorgt, Gonzales könnte aufgrund seiner Inkompetenz und seines Vertrauensverlustes nicht mehr in der Lage sein, die Position der Regierung zu verteidigen.
Die Hauptsorge der Demokraten und Republikaner im Kongress galt der Gefahr, dass Gonzales zu einer Hypothek für das korrekte Funktionieren des Justizministeriums geworden war. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi (Demokratin aus Kalifornien) sagte am Montag, das Verhalten von Gonzales habe "das öffentliche Vertrauen in unser Justizsystem ernsthaft belastet". Der Vorsitzende des Senats-Justizausschusses, Patrick Leahy (Demokrat aus Vermont), sagte, das Justizministerium unter Gonzales mache "eine ernste Führungskrise durch", wobei die Gefahr bestehe, "dass unser Justizsystem durch politische Einflussnahme korrumpiert wird".
Der Rücktritt von Gonzales ist ein Versuch der Bush-Regierung, ihren Kritikern entgegenzukommen, um den Angriff auf demokratische Rechte weiter führen zu können. Die offensichtliche Parteilichkeit und Verlogenheit von Gonzales hatten ihn zu einem Hindernis für die Weiterführung dieser Politik werden lassen.
Die Tatsache, dass Chertoff ganz oben auf der Liste der möglichen Nachfolgekandidaten steht, ist ein Hinweis darauf, dass die Grundlinien der Politik sich nicht ändern werden. Als Minister für Homeland Security ist Chertoff tief in die Angriffe auf die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung verwickelt. In einem Interview mit CNN am Montag gab der Demokratische Senator Schumer, der eine führende Rolle bei den Untersuchungen gegen Gonzales gespielt hatte, zu erkennen, dass er bereit sie, die Nominierung Chertoffs für das Amt des Justizministers zu unterstützen.