Der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte im Irak, General David Petraeus, hat den Propagandafeldzug gegen den Iran weiter zugespitzt. Er hat neue Vorwürfe erhoben, die Quds-Einheit der Iranischen Revolutionsgarde sei für den Tod amerikanischer Soldaten im Irak verantwortlich. Petraeus äußerte seine Vorwürfe am vergangenen Wochenende in einer Militärbasis nahe der iranischen Grenze gegenüber Journalisten. Zuvor waren in Washington Hinweise durchgesichert, die Bush-Administration bereite sich unter dem Vorwand des "Gegen-Terrors" auf Luftschläge gegen den Iran vor.
Petraeus erklärte provokativ, Teherans Botschafter in Bagdad, Hassan Kazemi Qomi, sei Mitglied der Eliteeinheit Quds. Die Bush-Administration überlegt, diese formell als "terroristische Organisation" einzustufen. Petraeus gab zu, dass Kazemi diplomatische Immunität genieße und deshalb nicht Ziel von Ermittlungen sei, aber die Bemerkungen des Generals schaffen das politische Klima für die Forderung der USA, den Diplomaten auszuweisen oder andere Strafmaßnahmen zu verhängen.
Das US-Militär hat im vergangenen Jahr mehrere iranische Beamte festgenommen, neben anderen auch akkreditierte Diplomaten. Im letzten Dezember hatten US-Truppen mindestens fünf Iraner verhaftet, einschließlich zweier Diplomaten, und Druck auf die irakische Regierung ausgeübt, sie aufgrund der haltlosen Behauptung auszuweisen, sie seien in die Unterstützung schiitischer Milizen im Irak involviert.
Im Januar hatte Präsident Bush angekündigt, die USA würden iranische Netzwerke im Irak "suchen und zerstören". Wenige Stunden danach drangen Spezialtruppen der USA in ein iranisches Büro in der nordirakischen Stadt Irbil ein. Fünf iranische Beamte wurden bei dem frühmorgendlichen Überfall festgenommen. Im vergangenen Monat hatten amerikanische Soldaten den iranischen Beamten Aghai Farhadi verhaftet. Er gehörte zu einer Delegation, die mit der kurdischen Regionalregierung Gespräche über Handelsbeziehungen führte. Die USA unterstellen Farhadi und den fünf Iranern aus Irbil, Mitglieder der Quds zu sein. Sie sind immer noch in Haft - trotz der Forderung der irakischen Regierung, sie freizulassen. Bisher wurde keine Anklage erhoben.
Vergangene Woche sagte einer der Oberkommandierenden der USA im Irak, Generalleutnant Raymond Odierno, gegenüber der Washington Post : "Militärisch gesehen, sollten wir sie [die Iraner aus Irbil] festhalten". Er führte nicht aus, welchen militärischen Nutzen das hätte. Aber die Zeitung berichtete im April, dass Dick Cheney bei einer Diskussion über ihr Schicksal der iranischen Beamten im Weißen Haus darauf insistierte, sie weiter festzuhalten, um Teheran deutlich zu machen, dass "seine Aktivitäten beobachtet werden". Mit anderen Worten: die Fünf werden als Geiseln festgehalten.
Die Vorwürfe von Petraeus gegen Irans Botschafter sind Teil einer wahren Flut von Beschuldigungen. Er warf der Revolutionsgarde vor, "Waffen bereitzustellen und für die Ausbildung, für die finanzielle Unterstützung und in manchen Fällen für Befehle für Operationen verantwortlich zu sein, bei denen US-Soldaten getötet wurden." Die Revolutionsgrade ist ein 125.000 Mann starker Bestandteil der iranischen Streitkräfte.
Gegenüber CNN erklärte Petraeus: "Es ist keine, absolut keine, Frage, dass der Iran RPGs [raketengestützte Granaten] liefert, RPG 29s. Er hat Stinger-artige, von der Schulter abgefeuerte, Luftabwehrraketen geliefert. Er hat EFP’s (explosively formed projectiles, geeignet als Bomben gegen Fahrzeuge) geliefert, sowie 244-mm Raketen, Mörser und andere kleinkalibrige Waffen."
Der General behauptete auch, die Iraner seien "in die Ermordung einiger Gouverneure der südlichen Provinzen verstrickt". Er äußerte sich mit Verachtung über die Gespräche zwischen den Botschaftern der USA und des Iran in Bagdad, die auf eine Initiative des US-Außenministeriums zurückgehen und die Stabilisierung der US-Besatzung des Irak zum Inhalt hatten. Zu den Beteuerungen des Irans erklärte Petraeus: "Wir fordern jetzt unmissverständlich: Legt Beweise auf den Tisch’."
Petraeus’ Hetze fügt sich in die wachsende Flut amerikanischer Propaganda ein, die dem Iran vorwirft, gegen die USA agierende Aufständische im Irak zu bewaffnen und auszubilden. Sprecher der USA brandmarken mittlerweile routinemäßig jeden Angriff auf ihre Streitkräfte in schiitischen Gebieten als Werk einer "vom Iran gestützten Miliz".
Am vergangenen Freitag sind durch Luftangriffe auf ein mehrheitlich von Schiiten bewohntes Dorf in der Provinz Diyala mindestens 25 Menschen ums Leben gekommen. Das US-Militär behauptete, dass die Operation gegen den Anführer einer "Spezialeinheit" gerichtet gewesen sei, von der es heißt, sie sei mit der Quds verbunden, und dass alle Opfer schiitische Milizionäre gewesen seien. Augenzeugen und ein Sprecher der irakischen Polizei sagten gegenüber AFP, dass bei dem Angriff, bei dem mindestens vier Häuser dem Erdboden gleich gemacht wurden, Frauen und Kinder verletzt und getötet worden seien.
Die Kampagne der USA erinnert an die Lügenkampagne, die 2002 und 2003 den casus belli für die illegale Invasion und Okkupation des Irak schuf. Der einzige Versuch des Pentagon, eine iranische Einmischung im Irak zu belegen, war ein Dossier, das ausgewählten Journalisten im Februar in Bagdad präsentiert wurde. Im Iran gefertigte raketengestützte Granaten, Mörser und EFP’s wurden vorgezeigt, um zu "beweisen", dass Teheran Waffen liefere. Auf die Frage, woher er wisse, dass "die höchsten Stellen in der iranischen Regierung" involviert seien, musste der nicht namentlich genannte amerikanische Sprecher eingestehen, dass das nur eine Vermutung sei.
Großbritannien "an Bord"
Der eskalierende Wortkrieg gegen den Iran entspricht einer taktischen Umorientierung im Weißen Haus. In einem detaillierten Artikel im New Yorker erklärte der Journalist Seymour Hersh letzte Woche, dass die Bush-Administration einen neuen Vorwand für einen Krieg gegen den Iran gefunden habe. Jetzt geht es nicht mehr um die Bedrohung durch das angebliche Nuklearwaffen-Programm des Iran, sondern um seine "Einmischung" im Irak. Laut den Quellen von Hersh sind die militärischen Pläne für einen Luftkrieg weit gediehen. Sie schließen Cruise Missiles und Präzisionsraketen ein, die gegen Ausbildungslager, Vorratsdepots und Kommando- und Kontrollzentren der Revolutionsgarde eingesetzt werden sollen. Kriegsschiffe und Flugzeuge der Navy sind bereits vor Ort.
Ein Grund für diesen Wechsel ist der Widerstand Russlands und Chinas gegen eine neue UN-Sicherheitsratresolution zur Verschärfung der Sanktionen gegen das Nuklearprogramm des Iran. Striktere Sanktionen wurden auf Ende November verschoben; und es ist sehr unwahrscheinlich, dass die beiden Veto-Mächte militärischen Sanktionen gegen den Iran zustimmen werden. Wenn das Weiße Haus den casus belli jetzt verändert, dann zweifellos mit dem Ziel, das Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen zu können - aller Wahrscheinlichkeit nach als Antwort auf einen "iranischen" Zwischenfall (sei er provoziert oder fabriziert), bei dem amerikanische Soldaten ums Leben kommen.
Die veränderte Taktik hängt auch mit dem Bemühen der USA zusammen, sich die Unterstützung der engsten Verbündeten zu sichern. Hersh bemerkte, dass der Vorschlag "die positivste Aufnahme" bei der britischen Regierung fand; es gab aber auch "Zeichen von Interesse" bei Australien, Israel und anderen Ländern. Der britische Telegraph behauptete gestern, dass Premierminister Gordon Brown den Plan nicht nur erwogen habe, sondern bei Luftschlägen der USA gegen den Iran mit "an Bord" sei.
Der Telegraph berichtete, dass Brown die Unterstützung der Briten für einen Angriff auf Irans Nuklearanlagen ausgeschlossen habe, nicht aber für einen Angriff auf die Revolutionsgarde. "Beamte des Pentagon haben bekannt gegeben, Präsident Bush habe von Gordon Brown im Juli die Zustimmung Großbritanniens für Luftschläge erhalten, wenn diese als Antiterroroperationen gerechtfertigt werden können". Wie die Zeitung mitteilte, "finden seitdem zwischen Ministern und Beamten des Pentagon und dem [britischen] Verteidigungsministerium Diskussionen darüber statt, was Großbritannien militärisch dazu beitragen könnte, iranische Vergeltungsmaßnahmen zu neutralisieren, die den Luftschlägen der USA folgen würden".
Der frühere Spitzenbeamte der CIA, Vincent Cannistraro, sagte dem Telegraph, dass laut seinen Quellen im US-Militär und Geheimdienst britische Flugzeuge nicht direkt an dem anfänglichen Überfall teilnehmen würden. Er sagte: "Die Briten spielen eine wichtige unterstützende Rolle in diesem Plan. Das gilt nicht nur für die politische Ebene: Die USA haben nicht viele Minenräumkapazitäten im Golf. Die Niederländer und die Briten haben sie. Es wird eine neue Diskussion mit Beamten des britischen Verteidigungsministeriums darüber geben, welche Rolle Großbritannien zur See spielen kann. Wenn es einen Vergeltungsschlag durch die Iraner gibt, könnten diese die Straße von Hormus schließen, und das hätte Auswirkungen auf den gesamten Westen."
Brown hat versucht, die durchgesickerten Informationen herunterzuspielen. Ein Sprecher von Downing Street sagte den Medien: "Wir werden Details der Unterredungen zwischen dem Premierminister und dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht kommentieren; aber diese Version können wir nicht bestätigen." Der Telegraph fügte allerdings hinzu, eine "Brown nahe stehende Quelle" habe bestätigt, dass die beiden Männer im Juli über den Iran gesprochen hätten.
Die britische Unterstützung für einen Luftkrieg gegen die Revolutionsgarde wird von einer deutlichen Eskalation der Rhetorik der Bush-Administration begleitet: Iranische Aktivitäten sollen angeblich nicht nur im Irak, sondern auch in Afghanistan stattfinden, wo - nach Behauptungen von US-Vertretern - der Iran Waffen an seine früheren Feinde, die Taliban, liefere. In den letzten drei Monaten wurde der Iran auch mehrfach beschuldigt, al-Qaida im Irak zu beliefern und hinter Raketenangriffen auf US-Basen zu stehen. General Petraeus beschuldigte in seinem Bericht vor dem Kongress im vergangenen Monat den Iran, im Irak "einen Stellvertreter-Krieg" gegen die USA zu führen.
Die Artikel im New Yorker und im Telegraph sagen übereinstimmend, dass Bush noch keinen "Marschbefehl" erteilt habe. Aber die politische Stimmung für ein neues militärisches Abenteuer, die sich in Washington zusammenbraut, ist unverkennbar. Die Artikel betonen auch den begrenzten Charakter der geplanten Luftschläge. Doch ganz unabhängig von allen ursprünglichen Berechnungen und Plänen hat jeder Angriff auf den Iran das Potenzial, in einen Krieg zu eskalieren, der in einen großen überregionalen Konflikt ausufert. Das Hauptanliegen der Bush-Administration ist nicht die Zerstörung der Revolutionsgarde oder der Nuklearanlagen des Iran, sondern die unangefochtene Dominanz der USA im Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien.