Kurz bevor die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag auf der Ranch des amerikanischen Präsidenten im texanischen Crawford eintraf, erklärte Georg W. Bush: "Wir brauchen definitiv die Hilfe Deutschlands bei Problemen wie Iran." Damit wurde deutlich, dass der Besuch der deutschen Kanzlerin, der unmittelbar auf die Washingtoner Gespräche des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy erfolgte, in direktem Zusammenhang mit den amerikanischen Kriegsdrohungen gegen den Iran steht.
In einem Gespräch mit dem deutschen Nachrichtensender n-tv wiederholte Bush seine Drohungen gegen den Iran und seine Warnung vor einem Dritten Weltkrieg. Der Iran müsse sein Programm zur Urananreicherung stoppen, sagte er. "Wissen Sie, wenn Sie einen Dritten Weltkrieg erleben wollen, müssen Sie nur Israel mit einer Atombombe angreifen." Er fügte hinzu, dies sei "weder eine Voraussage noch ein Wunsch".
Die deutsche Kanzlerin hatte vor ihrer Abreise in Berlin erklärt, sie fahre mit einer klaren Botschaft nach Texas. Sie wolle alles daransetzen, den amerikanischen Präsidenten von der Notwendigkeit einer diplomatischen Lösung im Atomstreit mit dem Iran zu überzeugen. Die Financial Times Deutschland zitierte Merkel mit den Worten, ein Militärschlag "darf einfach nicht stattfinden".
Doch diese Worte waren weniger an die Adresse Washingtons gerichtet, als für die heimische Bevölkerung bestimmt. Laut Spiegel-Online hatte der Beraterstab der Kanzlerin geraten, sie solle sich beim Besuch auf der Bush-Ranch nicht all zu offensichtlich an den amerikanischen Präsidenten anpassen und zumindest nach außen hin Distanz wahren. Ihre Reise solle "als Gegenentwurf zum französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy" wahrgenommen werden, der gerade "eine emotionstrunkene Versöhnungs- und Umarmungstour durch die US-Hauptstadt absolviert" habe.
Andernfalls müsse Merkel mit einem umgekehrten Schröder-Effekt rechnen. Der Ex-Kanzler hatte 2002 seine Wiederwahl angesichts der starken Antikriegsstimmung in der Bevölkerung durch Verbal-Attacken gegen Bush gesichert. Ein allzu offensichtlicher Schmusekurs Merkels mit Bush könne den gegenteiligen Effekt haben.
Ihre wirkliche Haltung hatte die deutsche Regierungschefin zwei Tage vorher deutlich gemacht, als sie sich für schärfere Sanktionen gegen Teheran aussprach. Der Berliner Zeitung sagte sie, sie setze "weiter auf die Geschlossenheit der Staatengemeinschaft, einschließlich Russland und China". Sollten die "jetzt laufenden Gespräche" aber nicht erfolgreich sein, dann werde "auch Deutschland zu weiteren und schärferen Sanktionen gegen den Iran bereit sein".
Wie schon in früheren Stellungsnahmen versuchte Merkel, schärfere Sanktionen als Instrumente einer Verhandlungslösung darzustellen. Doch das ist Augenwischerei. Im Berliner Kanzleramt weiß man sehr wohl, dass die Verschärfung des wirtschaftlichen und politischen Drucks auf die iranische Regierung Teil einer Eskalationsstrategie ist, mit der die aggressivsten Teile der US-Administration einen militärischen Angriff gegen den Iran vorbereiten. Vor fünf Jahren wurde der Irakkrieg nach demselben Muster eingeleitet.
In Wirklichkeit sind die Würfel im Kanzleramt längst gefallen. Zwar würde die Berliner Regierung eine weitere militärische Eskalation im Nahen Osten gerne vermeiden, da sie einen unkontrollierbaren Flächenbrand mit unabsehbaren Folgen fürchtet. Falls aber der amerikanische Waffengang gegen Teheran nicht zu verhindern ist, stellen sich die Kanzlerin und ihr sozialdemokratischer Außenminister an die Seite Washingtons. Das ist die wahre Botschaft, die Merkel ins texanische Crawford bringt.
Hinter den schwülstigen Bildern von freundschaftlichen Umarmungen und gemeinsamen Spaziergängen der Ehepaare Merkel und Bush verbirgt sich die Komplizenschaft imperialistischer Regime am Vorabend eines neuen militärischen Abenteuers mit verheerenden Konsequenzen.
Es gibt mehrere Gründe für die Veränderung der Außenpolitik Deutschlands und Frankreichs. Sie ist nicht vorrangig ein Ergebnis des Regierungswechsels in beiden Ländern. Vielmehr haben der Irakkrieg und das durch ihn verursachte militärische und wirtschaftliche Desaster die Beziehungen zwischen den Großmächten verändert. Seit längerem wird in Berliner Regierungskreisen die Frage diskutiert, wie man am besten "auf den selbstverschuldeten Niedergang der USA" (Ex-Außenminister Joschka Fischer) reagieren soll.
Bushs wiederholte Forderung: "Wir brauchen die Deutschen", wird an der Spree mit Genugtuung registriert. Die deutsche Regierung strebt wieder nach Weltmacht und Einfluss und glaubt, die eigenen imperialistischen Interessen am besten an der Seite der US-Regierung durchsetzen zu können - zumindest im gegenwärtigen Stadium der Entwicklung.
Bei der Kanzlerin kommt noch hinzu, dass ihre Anbiederung an Washington nicht neu ist. Sie stand Bushs Kriegspolitik von Anfang an unkritisch gegenüber. Ähnlich wie die Führungsschicht in den osteuropäischen Ländern Osteuropa kam die in der DDR aufgewachsene Merkel während des Zusammenbruchs der stalinistischen Regime in die Politik. Ihr Antikommunismus und ihre Begeisterung für den Kapitalismus sind eng mit einer Faszination für die hemmungslose Bereicherung in den USA und die daraus resultierende Weltmachtpolitik verbunden.
Mit ihrer Unterstützung für Bush übernehmen die deutsche wie auch die französische Regierung Mitverantwortung für eine Ausweitung der Kriege im Nahen Osten, die angesichts der wachsenden Spannungen mit Russland und China einen Weltbrand auslösen können. Bushs Warnungen vor einem Dritten Weltkrieg müssen ernst genommen werden.
Trotz der freundschaftlichen Umarmungen und dem gegenseitige Austausch von Lob und Nettigkeiten zwischen Bush und Merkel wachsen die transatlantischen Spannungen. Auch wenn sie sich an die Seite der USA stellt, verfolgt die deutsche Politik ihre eigenen Interessen mit wachsender Aggressivität.
In der jüngsten Ausgabe des Iran-Report, der monatlich von der Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen herausgegeben wird, finden sich Einzelheiten über heftige Auseinandersetzungen zwischen den USA, Frankreich und Deutschland über die jeweilige wirtschaftliche Tätigkeit im Iran.
Laut dem Bericht wirft Außenminister Steinmeier (SPD) der amerikanischen Regierung Heuchelei vor. Sie benutze die Sanktionen, um die deutsche Wirtschaft aus wichtigen Märkten im Iran zu drängen, während amerikanische Firmen den Boykott wirkungsvoll unterliefen, indem sie ihre Geschäfte über Briefkastenfirmen in Dubai abwickelten.
Unter der Überschrift "Deutschland nicht mehr Irans führender Handelspartner" heißt es in dem Report, die deutsche Wirtschaft habe "nach fast drei Jahrzehnten" die Rolle als führender Handelspartner Irans an China abtreten müssen.
Die Arbeiterklasse muss auf der Hut sein. Mit der Unterstützung der amerikanischen Kriegspolitik kehrt die deutsche Politik zur Tradition eines brutalen und aggressiven Imperialismus zurück. Das beschränkt sich nicht auf die Außenpolitik. In Deutschland und anderen europäischen Ländern war der äußere Frieden eng mit dem inneren - in Form von Sozialpartnerschaft und weitgehendem gesellschaftlichen Ausgleich - verbunden. Die Rückkehr zur imperialistischen Gewaltherrschaft leitet auch ein neues Stadium von Angriffen auf soziale und demokratische Rechte ein.