Der Streik der Telekom-Beschäftigten, der von 96, 5 Prozent der betroffenen Gewerkschaftsmitglieder beschlossen wurde und Anfang der Woche begonnen hat, wirft grundlegende politische Fragen auf.
Der Konzernvorstand hat entschieden, 50.000 Beschäftigte in eine betriebseigene Billiglohnfirma auszugliedern mit dem erklärten Ziel, die Löhne drastisch zu senken und die Arbeitszeit zu erhöhen, was einer Einkommenssenkung von bis zu 40 Prozent entspricht. Diese Entscheidung leitet ein qualitativ neues Stadium von sozialen Angriffen ein, die sich gegen Arbeiter und Angestellte in allen Industrie- und Dienstleistungsbetrieben richten.
Die Unternehmerverbände hoffen, dass der Telekomvorstand sich gegen die Streikenden durchsetzt, damit sie dann ähnliche Maßnahmen, die bereits fertig ausgearbeitet in den Schubladen liegen, gegen die eigenen Beschäftigten einführen können.
Mit anderen Worten: Die streikenden Telekom-Beschäftigten stehen an der Spitze eines Kampfs gegen Angriffe, die darauf abzielen, die Löhne und den Lebensstandard aller Arbeiter auf das Niveau ihrer Großväter und Urgroßväter hinabzudrücken.
Gleichzeitig richtet sich der Streik nicht nur gegen eine aggressive Konzernleitung, sondern gegen die Regierung der Großen Koalition, die hinter ihr steht. Tatsache ist, dass auch nach der Privatisierung des ehemaligen Staatskonzerns die Bundesregierung noch 32 Prozent der Aktienanteile besitzt und damit über eine Sperrminorität verfügt. Vertreter der Bundesregierung sitzen im Aufsichtsrat und nutzen diesen Einfluss, um die Angriffe auf die Löhne und Arbeitsbedingungen voranzutreiben.
Deshalb rufen wir alle Arbeiter auf, diesen Streik zu unterstützen und zum Ausgangspunkt für eine breite politische Mobilisierung gegen die Regierung der Großen Koalition zu machen.
Verdi ist nicht bereit, einen solchen politischen Kampf zu führen. Stattdessen versuchen die verantwortlichen Gewerkschaftsfunktionäre den Streik zu beschränken, zu isolieren und totlaufen zu lassen. Von Anfang an wurden nur die 50.000 Beschäftigte in den Arbeitskampf eingebunden, die unmittelbar von der Umsetzung in die geplante konzerneigene Billiglohnfirma und von den damit verbundenen Einkommensverlusten betroffen sind. Das ist nur ein Fünftel der Beschäftigten des größten europäischen Telekommunikationsunternehmens.
Darüber hinaus hat Verdi bereits Kompromissbereitschaft signalisiert. Die Gewerkschaft lehnt die Bildung einer betrieblichen Billiglohnfirma nicht ab, sondern verlangt lediglich "Übergangsmaßnahmen" und einen befristeten "Bestandsschutz", um die schlimmsten sozialen Härten abzumildern. Es geht ihr nicht darum, den sozialen Niedergang prinzipiell zu verhindern, sondern ihn so zu gestalten, dass er gegen den Widerstand der Beschäftigten durchgesetzt werden kann.
Schon jetzt, wenige Tage nach Streikbeginn, muss man mit aller Deutlichkeit sagen: Bleibt dieser Streik unter der Kontrolle der Verdi-Funktionäre, ist er zum Scheitern verurteilt.
Die Unterstützung des Streiks muss folglich mit einem Kampf gegen die opportunistische Politik der Gewerkschaft einhergehen. Der Angriff der Konzernleitung und der hinter ihr stehenden Regierung erfordert eine grundlegend neue politische Strategie. Die Produktion muss der Kontrolle der Finanzaristokratie entrissen und in den Dienst der Gesellschaft als Ganzer gestellt werden.
Der Streik muss zum Ausgangspunkt gemacht werden, mit den alten nationalen Organisationen, den Gewerkschaften und der SPD, zu brechen und Arbeiter in allen Branchen und an allen Standorten europa- und weltweit zusammenzuschließen, um für eine sozialistische Reorganisation der Gesellschaft zu kämpfen.
Das erfordert, der Realität ins Auge zu blicken und sich der kapitalistischen Logik zu widersetzen.
Die sozialdemokratische Mehrheit im Telekom-Aufsichtsrat
Die Verdi-Streikführer klagen gegenwärtig mit markigen Worten die Aggressivität und Unverantwortlichkeit des Telekom-Vorstands an. Ganz besonders René Obermann, der Vorstandsvorsitzende, den sie oft als "Dobermann" titulieren, ist ihnen ein Dorn im Auge. Ohne Zweifel gehört Obermann zu jener Generation junger Manager, deren Arroganz und Rücksichtslosigkeit mit ihrer Faszination für das amerikanische System "Profit ohne Grenzen" einhergeht.
Doch es gibt noch etwas anderes, das den relativ unerfahrenen Mittvierziger Obermann ermutigt, derart radikale Lohnsenkungen durchzusetzen und Beschäftigte, die seit Jahrzehnten bei Telekom arbeiten, in den finanziellen Ruin zu treiben. Er weiß, dass er von den Verdi-Funktionären und Betriebsräten nichts zu fürchten hat. Er kennt das Doppelspiel der Gewerkschaft, deren Vertreter im Aufsichtsrat nur deshalb gegen die geplante Umstrukturierungsmaßnahmen gestimmt haben, weil sie wussten, dass der Beschluss auch gegen ihre Stimmen gefasst würde.
Obermann weiß, dass der gegenwärtige Verhandlungsführer der Gewerkschaft, Verdi-Vorstandsmitglied Lothar Schröder, gleichzeitig stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Telekom ist. Er weiß auch, dass Schröder für diesen Posten gut bezahlt wird und die Probleme des Unternehmens aus genau derselben kapitalistischen Perspektive betrachtet, wie die Aufsichtsratsmitglieder der Kapitalseite.
In Wirklichkeit ist Obermann nur das ausführende Organ der Regierung. Alle wichtigen strategischen Entscheidungen in Bezug auf die Telekom werden in der Regierung in enger Absprache zwischen dem Finanzministerium von Peer Steinbrück (SPD) und dem Arbeitsministerium von Franz Müntefering (SPD) getroffen.
Neben sechs Gewerkschaftern und Betriebsräten sitzen noch zwei Spitzenvertreter der SPD im Aufsichtsrat der Telekom. Ingrid Matthäus-Maier, die frühere stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, vertritt die Kreditanstalt für den Wiederaufbau (KfW), die sich im Besitz von Bund und Ländern befindet. An ihrer Seite sitzt Thomas Mirow, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und rechte Hand von Steinbrück. Mirow spielte eine Schlüsselrolle bei der Ausarbeitung und Durchsetzung der so genannten Lissabon-Strategie zur Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit der EU-Staaten. Viele Initiativen zur Reorganisation der Telekom in Richtung Senkung der Personalkosten stammen aus seinem Büro.
Mit Matthäus-Maier und Mirow haben die so genannten Arbeitnehmervertreter und Sozialdemokraten die Mehrheit im 15-köpfigen Aufsichtsrat und könnten, wenn sie wollten, sogar das Doppelstimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel aushebeln.
Hier wird deutlich, wie sehr es sich beim Verhalten der Verdi-Funktionäre um ein abgekartetes Spiel handelt. Die radikalen Töne, die gegenwärtig auf Streikversammlungen zu hören sind, dienen nur dazu, die Spuren der eigenen opportunistischen Politik zu verwischen.
Erpressung mit der Drohung einer "ausländischen Übernahme"
Seit Streikbeginn warnt Konzernchef Obermann bei jeder Gelegenheit, dass eine "feindliche Übernahmen aus dem Ausland" drohe, falls die Beschäftigten die "geplante Reform" und die damit verbundene Senkung der Personalkosten verhinderten.
Diese Drohung soll vor allem den Gewerkschaften helfen, den Streik möglichst schnell abzuwürgen. Bisher haben sie Sozialabbau und Lohnsenkungen immer mit dem Argument zugestimmt, nur so könne der nationale Standort verteidigt werden.
In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt. Der Abbau der Sozialstandards ist Bestandteil der Vorbereitung auf eine weitere Ausschlachtung und Zerschlagung des Unternehmens im Interesse der Profitsteigerung. Obermanns Drohung, die von den Gewerkschaften weitergegeben wird, gleicht einem Aufruf zum Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Ein Blick zurück auf die bisherige Entwicklung der Telekom macht deutlich, wie absurd dieses Argument ist.
Bis zum Jahr 1989 war das Anbieten von Telekommunikationsdiensten Aufgabe einer staatlichen Behörde namens Bundespost, die dem "Gemeinwohl" verpflichtet war. Ein Jahr später begann die Zerschlagung der Deutschen Bundespost in Post, Telekom und Postbank. Damit wurde der Weg für die Privatisierung der drei neuen Unternehmen geebnet. 1995 wurde die Deutsche Telekom AG gegründet, und im Herbst 1996 erfolgte der erste Börsengang des Unternehmens. Begleitet von einem pompösen propagandistischen Aufwand wurde die T-Aktie als Symbol einer neuen deutschen "Aktienkultur" gefeiert.
Ab 1998 wurde dann der Sprachtelefondienst vollständig für den Wettbewerb geöffnet. Mit Privatisierung und schonungslosem Wettbewerb wurden die Telekommunikationsdienste zur Ware und die TK-Unternehmen auf Profit getrimmt. Es entstanden neue Anbieter, die entweder eine eigene Netzinfrastruktur aufbauten oder die Netze der Telekom nutzten und Telefonverbindungen über "Call-by-Call" billiger anboten. Zunehmende Umsatzeinbußen und Verluste bei Gesprächsgebühreinnehmen versuchte die Telekom durch eine Expansion im Ausland auszugleichen. In Ost- und Westeuropa übernahm sie viele ehemals staatliche TK-Unternehmen.
Die bedeutendste Übernahme war wohl der Kauf der US-amerikanischen Mobilfunkunternehmen VoiceStream und Powertel, mit denen die Telekom zum "Global Player" wurde. In der Unternehmenswerbung wurde die Telekom nun als Inbegriff der Globalisierung in Deutschland dargestellt. Die Übernahmekosten und die mit der internationalen Ausdehnung verbundenen Investitionen schufen aber einen schnell wachsenden Schuldenberg, der 2001 schon auf 67 Mrd. Euro angewachsen war.
Nun begannen drastische Rationalisierungsmaßnahmen. Der Personalabbau wurde beschleunigt. Im Jahrzehnt 1995 bis 2005 wurden über Hunderttausend Arbeitplätze vernichtet. Im Herbst 2003 wurde eine unternehmenseigene Personalservice-Agentur namens "vivendo" gegründet, um "freigesetzte Beschäftigte", die aufgrund ihrer Betriebszugehörigkeit und rechtlicher Bestimmungen nicht problemlos gekündigt werden konnten, zu meist wesentlich schlechteren Bedingungen im Konzern "umzusetzen". Vor zwei Jahren beschloss die Geschäftsleitung, bis 2008 noch einmal 25.000 Beschäftigte abzubauen.
Parallel dazu gab der Vorstand die Erwirtschaftung eines Konzernüberschusses von 5,6 Mrd. Euro für das Jahr 2005 bekannt. Das war der höchste Gewinn seit Bestehen des Unternehmens. Gleichzeitig versprach der damalige Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke eine Steigerung der Rendite auf 9 Prozent bis 2007.
Die Heuschrecke namens "Blackstone"
Um eine "nachhaltige Gewinnsteigerung" durchzusetzen, wurde im Frühjahr vergangenen Jahres die in London ansässige Investment-Gesellschaft Blackstone-Group International Ltd. angeheuert. Zur selben Zeit als Franz Müntefering vor internationalen Hedge-Fonds warnte und sie als "Heuschrecken" bezeichnete, die florierende Unternehmen aufkaufen, gewinnbringend ausschlachten und den Rest samt Belegschaft "verschrotten", leitete Finanzminister Steinbrück höchst persönlich die Beteiligung von Blackstone bei Telekom ein.
Die Bundesregierung verkaufte einen Teil ihres Aktienpakets, so dass Blackstone nun über einen Anteil von 4,5 Prozent verfügt. Angesichts des großen Streubesitzes von Kleinaktionären ist Blackstone damit nach dem Bund der größte Anteilseigner.
Die Blackstone-Group verfügt weltweit über Beteiligungen an etlichen Unternehmen in Industrie, Gesundheitswesen, Energie und Entsorgung, Medien- und Unterhaltungsbranche und Gastronomie. In Deutschland hat sie große Wohnungsbestände von Wohnungsbaugesellschaften zum Beispiel in Kiel, Wuppertal oder Mönchengladbach aufgekauft. Vertreten wird sie in Deutschland von Roland Berger (Unternehmensberatung) und Ron Sommer, der in der Zeit von 1995 bis 2002 selbst Vorstandsvorsitzender der Telekom war.
Seit dem Kauf der Telekom-Anteile treibt Blackstone die Umstrukturierung des Unternehmens heftig voran. Sie hat sich für René Obermann als neuen Vorstandsvorsitzenden eingesetzt. Ziel ist, alle unprofitablen Bereiche des ehemals bundeseigenen Unternehmens abzustoßen und nur die Filetstücke zu erhalten. Dabei sind die jetzigen Pläne erst der Anfang.
Eine sozialistische Perspektive ist notwendig
Verdi trägt ein hohes Maß an Mitschuld für die Misere, in der sich die Telekombeschäftigten befinden. Die Gewerkschaft hat allen Kürzungen und Umstrukturierungsmaßnahmen zugestimmt. Verdi stimmte 2001 einem neuen Besoldungssystem zu, das eine Abkehr vom System des öffentlichen Dienstes mit steigendem Lohn im Alter und Zuschlägen für Familien und Kinder beinhaltet.
Verdi leistete keinen Widerstand gegen die Ausgliederung in Tochtergesellschaften, sondern schloss in den neuen Gesellschaften Billigtarife ab, die als Hebel benutzt werden, um das Lohnniveau im ganzen Konzern zu senken. Verdi stimmte der Gründung der Personalagentur vivendo zu, wohlwissend dass deren Aufgabe ausschließlich darin besteht, Umsetzungen und Abgruppierungen zu organisieren, usw.
Ein Bruch mit den Gewerkschaften und Betriebsräten ist die Grundvoraussetzung, die Angriffe der Geschäftsleitung und der hinter ihr stehenden Großen Koalition zurückzuschlagen. Dazu ist es notwendig, eine eigene Streikleitung unabhängig von Verdi aufzubauen. Alle Verhandlungen mit der Geschäftsleitung müssen von Vertretern der unabhängigen Streikleitung überwacht werden. Vereinbarungen und Verträge, die Verdi oder die Betriebsräte hinter dem Rücken der Belegschaft abschließen und die nicht auf einer Streik- oder Belegschaftsversammlung beschlossen wurden, müssen für null und nichtig erklärt werden.
Gleichzeitig muss die unabhängige Streikleitung Verbindung zu den Telekom-Beschäftigten in allen anderen Bereichen, die bisher von Verdi vom Arbeitskampf ausgeschlossen wurden, aufnehmen und eine Ausweitung des Arbeitskampfs vorbereiten. Dasselbe gilt für die Beschäftigten in Telekommunikationsunternehmen in anderen europäischen Ländern und weltweit.
Wir rufen dazu auf, dass in möglichst vielen Betrieben und Verwaltungen Verteidigungskomitees gegen Massenentlassungen und Sozialabbau aufgebaut werden, um den Streik der Telekom-Beschäftigten in eine breite politische Bewegung gegen die Große Koalition zu verwandeln. Der Aufbau solcher Verteidigungs- und Solidaritätskomitees muss mit Diskussionen über eine sozialistische, internationalistische Perspektive verbunden werden. Diese muss vom internationalen Charakter der modernen Produktion und den gemeinsamen Interessen aller Arbeiter weltweit ausgehen. Und sie muss für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten. Die gesellschaftlichen Interessen müssen Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne haben.
Wir wenden uns an alle Telekom-Beschäftigten und an alle, die den Streik unterstützen oder sich am Aufbau von Verteidigungskomitees in anderen Betrieben beteiligen möchten. Nehmt Kontakt auf mit der Redaktion der World Socialist Web Site (WSWS) und diskutiert diese Fragen mit Kollegen.