Frankreich: Sarkozy konzentriert die Macht in seinen Händen

Der neu gewählte französische Präsident Nicolas Sarkozy hat seine ersten Tage im Amt genutzt, um eine Machtfülle in seinen Händen zu konzentrieren, die nur mit derjenigen von General de Gaulle vergleichbar ist. Noch bevor im Juni das Parlament neu gewählt wird, versucht er Fakten zu schaffen, die ihm ein weitgehend unkontrolliertes Regieren ermöglichen. Dabei beansprucht er die Verfassung der Fünften Republik bis an ihre Grenzen - und darüber hinaus.

Die derzeitige französische Verfassung ist ganz auf die Bedürfnisse ihres Urhebers, General de Gaulle, zugeschnitten. Als dieser 1958 auf dem Höhepunkt der Algerienkrise die Macht übernahm, ließ er eine Verfassung verabschieden, die dem Präsidenten außerordentliche Vollmachten verleiht und die Kompetenzen des Parlaments stark beschneidet. Der Präsident ernennt nicht nur den Regierungschef und sitzt den wöchentlichen Kabinettssitzungen vor, er kann auch jederzeit das Parlament auflösen und verfügt damit über einen mächtigen Hebel gegenüber den gewählten Volksvertretern.

Seit de Gaulles Rücktritt im Jahr 1969 hat die Verfassungspraxis zahlreiche Wandlungen erfahren. Insbesondere in Zeiten der so genannten "Kohabitation", in denen Präsident und Parlamentsmehrheit aus unterschiedlichen politischen Lagern stammten, war der Präsident gezwungen, sich mit der Parlamentsmehrheit zu arrangieren, die Innenpolitik der Regierung zu überlassen und sich auf sein eigentliches Vorrecht, die Außenpolitik zu konzentrieren.

Sarkozy hat nun deutlich gemacht, dass er die Machtfülle des Präsidentenamts voll auszuschöpfen gedenkt. Er will die Regierungsarbeit bis ins letzte Detail selbst bestimmen. Mit François Fillon hat er einen seiner engsten Gefolgsleute zum Regierungschef ernannt. Und obwohl die Berufung der einzelnen Minister eigentlich Aufgabe des Regierungschefs und nicht des Präsidenten wäre, sind sämtliche Minister vom Elysée, dem Sitz des Präsidenten, ausgewählt und der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Fillon steht damit, bevor er sein Amt überhaupt angetreten hat, als reiner Erfüllungsgehilfe des Präsidenten da.

Sarkozys selbstherrliche Bestrebungen beschränken sich nicht auf die Beherrschung des Regierungsapparats. Er versucht sich auch von der Kontrolle des eigenen politischen Lagers zu befreien, das in mehrere konkurrierende Flügel zerspalten ist. Dabei bedient er sich klassischer bonapartistischer Herrschaftstechniken. Indem er zwischen den politischen Parteien laviert, sie gegeneinander ausspielt und sich mit populistischen Appellen über die Klassen hinweg direkt ans "Volk" wendet, versucht er seinen politischen Handlungsspielraum zu erweitern.

Diesem Zweck dient die sogenannte "Öffnung" - die Aufnahme von Mitgliedern anderer Parteien und humanitärer Organisationen in die Regierung, die Besetzung der Hälfte der Ministerposten mit Frauen, die Ernennung einer Ministerin nordafrikanischer Abstammung - sowie die Einbindung der Gewerkschaftsbürokratie in die Regierungsarbeit. Weit davon entfernt, Kompromissbereitschaft und Entgegenkommen zu signalisieren, verschafft sich Sarkozy damit zusätzlichen Freiraum für die Verwirklichung seines rechten Programms. Bisher waren alle Versuche, ein solches Programm zu verwirklichen, auf den heftigen Widerstand der Bevölkerung gestoßen und hatten entsprechende Krisen innerhalb der herrschenden Elite ausgelöst.

"Sozialistische" Minister

Letztlich beruht Sarkozys Fähigkeit, sich als starker Präsident aufzuspielen, ganz auf der unterwürfigen Haltung der so genannten "Linken" und der Gewerkschaftsbürokratie. Nachdem die Kandidatin der Sozialistischen Partei, Ségolène Royal, bereits im Wahlkampf versucht hatte, den Nationalismus und die Law-and-order-Rhetorik Sarkozys zu übertrumpfen, ist es nur folgerichtig, dass nun einige ihrer Weggefährten ins Lager des Wahlsiegers wechseln.

Prominentester unter ihnen ist der 67-jährige Bernard Kouchner, der in der neuen Regierung das Amt des Außenministers übernimmt. Der Mitbegründer der "Ärzte ohne Grenzen" war bis zu seinem Regierungseintritt eingeschriebenes Mitglied der Sozialistischen Partei und diente zwischen 1988 und 2002 unter mehreren sozialistischen Premierministern als Staatssekretär und Minister. Von 1999 bis 2000 war er Kosovobeauftragter der UN.

Kouchner begann seine politische Laufbahn in der Kommunistischen Partei, aus der er 1966 ausgeschlossen wurde. Nach einem Rotkreuz-Einsatz in Biafra wandte er sich humanitären Aufgaben zu, die er völlig losgelöst von ihren sozialen und politischen Wurzeln betrachtete. Er befürwortete die imperialistischen Militärinterventionen in Bosnien und im Kosvo und unterstützte später sogar den Irakkrieg.

Für Sarkozy ist Kouchner aus mehreren Gründen von Nutzen. Erstens als linkes Feigenblatt für seine rechte Sozial- und Innenpolitik. So wird Kouchner nun regelmäßig mit dem Minister für Immigration und nationale Identität, dem Sarkozy-Vertrauten Brice Hortefeux, an einem Tisch sitzen, nachdem er im Wahlkampf die Schaffung des entsprechenden Ministeriums noch als "historisch skandalösen Niedergang" bezeichnet hatte.

Zweitens als Befürworter "humanitärer" Militärinterventionen in Afrika, das Sarkozy zu den wichtigsten Interessensphären des französischen Imperialismus zählt. So will Kouchner eine internationale "Kontaktgruppe" bilden, die den Sudan wegen der Darfour-Krise unter Druck setzt - bis hin zur militärischen Intervention. Kouchner befürwortet sogar einen Boykott der olympischen Spiele in Peking, um China zum Abbruch seiner Handelsbeziehungen zum Sudan zu zwingen.

Und drittens ist Kouchner wie Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel für die Verabschiedung einer vereinfachten europäischen Verfassung ohne erneutes Referendum sowie bessere Beziehungen zu den USA. Über die Schlüsselfragen der Außenpolitik wird zudem nicht der Außenminister entscheiden sondern, wie in Frankreich üblich, der Präsident.

Als weiterer ehemaliger Sozialist ist Jean-Pierre Jouyet der neuen Regierung als Staatssekretär für europäische Angelegenheiten beigetreten. Im Gegensatz zu Kouchner hat Jouyet zwar nie eine prominente Rolle in der Sozialistischen Partei gespielt, er hat aber eine lange Karriere in wichtigen Regierungsämtern hinter sich. So war er stellvertretender Büroleiter von Premierminister Lionel Jospin. Außerdem ist er seit dem gemeinsamen Studium vor dreißig Jahren eng mit dem Paar Royal-Hollande, der Präsidentschaftskandidatin und dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, befreundet. Jouyet hatte bereits vor drei Jahren hochrangige Ämter in der gaullistischen Regierung übernommen.

Eric Besson hat im Gegensatz dazu erst während des Wahlkampfs mit der Sozialistischen Partei gebrochen. Er gehörte als Wirtschaftsexperte zu Royals Wahlkampfteam, griff diese dann aber öffentlich an, weil sie die Kosten ihrer Reformvorschläge nicht benennen wollte. Dafür ist er nun mit dem Posten eines Staatssekretärs belohnt worden, der die Regierungsarbeit bewerten soll.

Als vierter ehemaliger "Linker" im Kabinett gilt Martin Hirsch, der bisher die von Abbé Pierre ins Leben gerufene Stiftung Emmäus für Obdachlose leitete. Er führt den hochtrabenden Titel "Hochkommissar für Solidarität gegen die Armut", ohne allerdings über ein Ministerium oder einen Verwaltungsapparat zu verfügen. Hirsch hatte in der Regierung von Lionel Jospin ebenfalls hohe Ämter inne, unter anderem unter Gesundheitsminister Kouchner.

Der Parteivorsitzende François Hollande griff die Abtrünnigen öffentlich als "Verräter" an. Andere führende Parteimitglieder weigerten sich dagegen demonstrativ, die Überläufer zu verurteilen - so Ségolène Royal und der ehemalige Finanzminister Dominique Strauss-Kahn. Sie halten sich damit die Möglichkeit einer zukünftigen Zusammenarbeit mit Sarkozy offen. Der ehemalige Kulturminister Jack Lang traf sich sogar mit Sarkozy zu einem Gespräch.

Rechte Minister in Schlüsselressorts

Alle anderen Ministerämter, vor allem die für die Innen-, Wirtschafts- und Sozialpolitik zuständigen, hat Sarkozy mit engen Vertrauten oder mit Schwergewichten der Regierungspartei UMP besetzt.

Einzige Ausnahme bildet das Verteidigungsministerium, das an den Fraktionsvorsitzenden der rechts-liberalen UDF, Hervé Morin, ging. Morin hatte im Wahlkampf den UDF-Kandidaten François Bayrou unterstützt, sich im zweiten Wahlgang dann aber im Unterschied zu Bayrou, der keine Empfehlung abgab, voll hinter Sarkozy gestellt. Seine Ernennung zum Minister soll Bayrou, der für die Parlamentswahlen eine neue Partei namens "Demokratische Bewegung" gegründet hat, offenbar das Wasser abgraben.

Stellvertretender Regierungschef, zuständig für Umwelt, Energie und Verkehr, ist Alain Juppé. Von Jacques Chirac 1995 zu seinem ersten Premierminister ernannt, musste Juppé 1997 sein Amt an den Sozialisten Lionel Jospin abgeben, nachdem im Jahr zuvor eine Streikwelle gegen seine Rentenpläne das Land wochenlang lahm gelegt hatte. Juppé galt lange Zeit als Kronprinz Chiracs, musste seine präsidialen Ambitionen dann aber wegen der Verwicklung in einen Korruptionsskandal aufgeben.

Das Innenministerium hat Michèle Alliot-Marie, die bisherige Verteidigungsministerin übernommen. Sie war ebenfalls eine enge vertraute Chiracs.

Justizministerin ist die 41-jährige Rachida Dati. Aufgewachsen in einer 14-köpfigen, aus Nordafrika stammenden Arbeiterfamilie vertritt sie eine aggressive Aufsteigerideologie. Ihr wird die Aufgabe zufallen, die von Sarkozy versprochene drastische Verschärfung des Jugendstrafrechts in Paragraphen zu gießen.

Die Bereiche Wirtschaft, Soziales und Finanzen sind von Sarkozy völlig neu gegliedert worden, um die angekündigten "Reformen" durchzusetzen. Zuständig sind drei erprobte UMP-Mitglieder: Der bisherige Sozialminister Jean-Louis Borloo für Wirtschaft, Finanzen und Arbeit, der frühere Gesundheitsminister Xavier Betrand für Soziales und der ehemalige Staatssekretär Eric Woerth für öffentliche Finanzen und Verwaltung.

Einbindung der Gewerkschaften

Auffallend viel Zeit hat Sarkozy darauf verwendet, die Gewerkschaften in seine Regierungsarbeit einzubeziehen. In den beiden Tagen vor der Amtsübernahme und der Ernennung der Regierung verwandte er mehrere Stunden darauf, mit den Vorsitzenden der sechs größten Gewerkschaftsverbände Einzelgespräche zu führen. Alle erklärten sich hinterher bereit, mit seiner Regierung zusammenzuarbeiten.

Seine erste inner-französische Amtsreise führte Sarkozy dann nach Toulouse, wo er zu den von Massenentlassungen bedrohten Beschäftigten des Airbus-Konzerns sprach und hinterher in der Werkskantine speiste. Sarkozy versprach, den Anteil des französischen Staats am, Mutterkonzern EADS zu erhöhen und den Sanierungsplan Power 8 zu überarbeiten. Er garantiere außerdem den Erhalt des von der Schließung bedrohten Werks im nordfranzösischen Méaulte.

Vor allem die Gewerkschaftsfunktionäre zeigten sich hinterher begeistert. Was sie an Sarkozy anzieht, ist sein hemmungsloser Nationalismus, den er auch in der Wirtschaftspolitik zur Geltung bringt. In Berlin löste Sarkozys Ankündigung dagegen Alarmstimmung aus. Die deutsche Regierung fürchtet um ihren eigenen Einfluss bei dem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern.

Niemand sollte sich von Sarkozys populistischen Vorstößen täuschen lassen. Er wird seine präsidiale Machtbefugnis und die Unterstützung der Gewerkschaften nutzen, um die Angriffe auf die sozialen Errungenschaften und demokratischen Rechte durchzusetzen, die sein Freunde im Unternehmerverband und die internationalen Finanzmärkte seit langem verlangen.

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