EU-Russland Gipfel ein diplomatisches Debakel

Das Gipfeltreffen von Europäischer Union (EU) und Russland am 18. Mai in der russischen Stadt Samara endete für die europäischen Mächte in einem Debakel, während die Gegensätze zwischen den Vereinigten Staaten und Russland die Belastungsgrenze erreichen.

Die USA haben entscheidend dazu beigetragen, Russland gegen sich aufzubringen, und haben mit ihren jüngsten Plänen für ein neues Raketensystem einen Keil zwischen die europäischen Staaten getrieben. Polen und Tschechien haben den Raketenplan gebilligt, der sich gegen Russland richtet. Russland seinerseits hat auf die US-Initiative mit dem verstärkten Bemühen reagiert, seinen Einfluss in den benachbarten ehemaligen Sowjetrepubliken zu verstärken. Die Europäische Union ist zwischen die Fronten dieses Konflikts geraten.

Die tiefen Gegensätze zwischen der EU und Russland und innerhalb der EU selbst haben zu einer der intensivsten und erbittertsten Zusammenstöße mit Moskau geführt. Der Gipfel wurde fast abgesagt, noch bevor er begonnen hatte, weil mehrere osteuropäische Regierungschefs drohten, nicht zu erscheinen oder ihn als Bühne zu nutzen, um ihrem Ärger über Moskaus Außenpolitik Luft zu machen. Es gab keine gemeinsame Erklärung über die Entschlüsse des Gipfels, weil nichts Substanzielles entschieden werden konnte.

Organisiert während der sechsmonatigen EU-Präsidentschaft Deutschlands sollte der Gipfel die Grundlagen für die Erneuerung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens legen, das seit zehn Jahren den Rahmen der ökonomischen und politischen Beziehungen zwischen der EU und Russland bildet. Die EU bezieht etwa ein Viertel ihres Öls und Gases aus Russland, während mehr als die Hälfte der russischen Exporte in die EU geht.

Auf dem Gipfeltreffen tauschten der russische Präsident Wladimir Putin, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und Bundeskanzlerin Angela Merkel diplomatisch kaum verhüllte Beleidigungen aus. Merkel äußerte sich besorgt über die Behandlung russischer Putin-Gegner, die draußen vor dem Veranstaltungsort festgenommen, oder an der Reise nach Samara gehindert wurden. Sie sagte: "Ich hoffe, sie werden die Gelegenheit haben, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen."

Barroso erklärte, die habe EU "heilige Prinzipien", zu denen "Demokratie, Pressefreiheit, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit" gehören.

Putin antwortete, indem er die EU attackierte, weil sie die - wie er es nennt - Verfolgung der russisch sprechenden Minderheit in Estland nicht kritisiere. Estland ist eine ehemalige Sowjetrepublik, die seit 2004 EU-Mitglied ist. Außerdem wies er darauf hin, dass auch in Deutschland das Demonstrationsrecht der G8-Gegner eingeschränkt und Vorbeugegewahrsam angekündigt worden sei.

Die Liste der Konfliktpunkte zwischen den europäischen Staaten und Russland ist lang und wird immer länger.

Die 2004 der EU beigetretenen osteuropäischen Staaten äußerten ihre Feindschaft gegen Russland am lautesten. Polen und Litauen traten sogar für eine Absage des Gipfels ein. Sie sind über die Politik Russlands, die sich gegen sie richtet, empört und außerdem argwöhnisch gegenüber den Bemühungen Deutschlands, die Politik der EU gegenüber Russland in eine Richtung zu lenken, von der Berlin profitiert, vor allem auf dem Gebiet der Energieversorgung.

Polen erklärte, dass es gegen Verhandlungen über das Partnerschaftsabkommen stimmen werde. Als Begründung wird ein russischer Boykott polnischer Fleischimporte angeführt. Litauen wehrt sich gegen den Stopp russischer Energielieferungen, den viele Kommentatoren als Versuch sehen, die Regierung in Vilnius zu zwingen, russischen Interessen einen größeren Einfluss auf seine Energieinfrastruktur einzuräumen.

Besonders angespannt sind die Beziehungen zwischen dem Kreml und dem neuen EU-Mitglied Estland, weil letzteres ein Denkmal zu Ehren der Soldaten der Roten Armee, die im zweiten Weltkrieg starben, beseitigt hat. Moskau benutzt diesen Vorfall, um die Regierung in Tallin unter Druck zu setzen. Estland beschuldigt Moskau der Internetsabotage, mit der die IT-Infrastruktur des Landes gestört werden soll. Die NATO hat "Cyberterrorismus"-Experten nach Estland geschickt, um den Schaden zu begrenzen.

Russland reagiert inzwischen aggressiver auf die Versuche der USA und der EU, ihren Einfluss in dem Bereich zu verstärken, den Moskau als seine höchst eigene Einflusssphäre ansieht. Der Kreml schlägt auch einen härteren Kurs gegenüber den osteuropäischen Ländern an, von denen es glaubt, dass sie seine Rolle als Regionalmacht in Frage stellen. Der russische Botschafter in Brüssel, Wladimir Chizhov, sagte, der Beitritt der ehemaligen Ostblockstaaten zur EU habe das Verhältnis zwischen Brüssel und Moskau "komplizierter" gemacht.

Barroso warnte, dass jede Maßnahme Russlands gegen einen einzelnen EU-Mitgliedstaat als Maßnahme betrachtet werde, die gegen alle Mitglieder gerichtet sei. "Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass die EU auf Solidaritätsprinzipien basiert, wenn Sie eine enge Zusammenarbeit mit uns wünschen", sagte er.

Obwohl Brüssel, das die Interessen Berlins und der anderen großen EU-Mächte ausdrückt. bereit ist, die Kritik der osteuropäischen Länder an Russland bei den Verhandlungen zu benutzen, spielen die Interessen dieser schwachen und verarmten Länder für die imperialistischen Ziele der EU keine zentrale Rolle. Vielmehr sind die europäischen Mächte besorgt, dass das wachsende Durchsetzungsvermögen Moskaus an seiner Westgrenze zu einer Bedrohung ihrer eigenen Vorherrschaft in der Region werden könnte.

Es gibt in mehreren wichtigen außen- und wirtschaftspolitischen Fragen scharfe Meinungsverschiedenheiten zwischen Brüssel und Moskau. Die EU setzt sich z.B. für eine UN-Resolution ein, die die Lostrennung des Kosovo von Serbien befürwortet. Damit würde die Zerschlagung Jugoslawiens vollendet, die Anfang der 1990er Jahre unter deutscher und amerikanischer Ägide begann. Moskau unterhält traditionell enge Beziehungen zu Serbien und betrachtet es als Verbündeten auf dem Balkan. Deshalb droht es, sein Veto gegen jede UN-Resolution einzulegen, die von der serbischen Regierung abgelehnt wird.

Das Krieg-der-Sterne-Projekt der USA

Ein wesentlicher Aspekt von Moskaus neuer aggressiver Außenpolitik ist der Versuch, den Plänen Washingtons, Teile ihres "Krieg der Sterne" genannten Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien zu stationieren, eine Abfuhr zu erteilen. Moskau betrachtet es als direkte Bedrohung der militärischen Ressourcen Russlands. Russland hat darauf mit der Ankündigung reagiert, seine Rüstungsausgaben drastisch zu erhöhen, aus dem ABM-Vertrag auszuscheren und einen Teil seines Atomwaffenarsenals auf Ziele in Polen und Tschechien zu richten. Ein wichtiges Element der US-Strategie, seine eigenen Waffensysteme auf europäischem Boden zu entwickeln, besteht darin, einen Keil zwischen die EU-Mitgliedstaaten im Westen und Osten zu treiben. Das Debakel in Samara zeigt, dass die US-Strategie Früchte trägt.

Während die großen EU-Mächte, besonders Deutschland und Frankreich, Argwohn gegen das "Krieg-der-Sterne"-Programm hegen und einiges Verständnis für die Einwände des Kreml zeigen, verstärkt der Streit die Abhängigkeit der osteuropäischen EU-Mitglieder von der militärischen Macht der USA und macht es noch wahrscheinlicher, dass Moskau eine aggressivere Haltung in der Region einnehmen wird.

Moskaus aggressiveres militärisches Auftreten und sein Bemühen, als Weltmacht anerkannt zu werden, fand seinen klarsten Ausdruck im Angriff Putins auf die US-Außenpolitik bei der Münchener Sicherheitskonferenz Anfang des Jahres. Ein kürzlich veröffentlichtes außenpolitisches Dokument des Kreml zur Außenpolitik erklärt: "Der Mythos der unipolaren Welt ist im Irak ein für allemal geplatzt" und "Ein starkes, selbstbewussteres Russland ist integraler Bestandteil positiver Veränderungen in der Welt geworden."

Auch im Nahen Osten spielt die russische Regierung eine aktivere Rolle. Sie führt hochrangige Gespräche mit Saudi-Arabien und den Golfscheichtümern, droht mit einem Veto gegen die von den USA betriebenen Sanktionen gegen den Iran und führt Gespräche mit der Hamas.

Diese selbstbewusstere Rolle hat unmittelbare Auswirkungen auf die europäischen Großmächte, die sich von Moskaus wachsender ökonomischer Stärke und seinem mit militärischen, diplomatischen und ökonomischen Mitteln erzielten zunehmenden geostrategischen Einfluss bedroht fühlen.

US- und EU-Energiepolitik im Kaspischen Becken: "ein Scherbenhaufen"

Das wichtigste Ereignis, das den Gipfel überschattete, war die Unterzeichnung eines Vertrages zwischen Russland, Kasachstan und Turkmenistan am 12. Mai über den Bau einer neuen Öl- und Gaspipeline entlang dem Kaspischen Meer mit Anschluss an das russische Energieversorgungs-Netzwerk. Der Vertrag ist ein schwerer Schlag gegen Pläne der EU und der USA, ihren Zugang zu der energiereichen Region unabhängig von Moskau zu verbessern. Für Moskau ist er ein gelungener Streich bei seinen Bemühungen, die Versorgungswege für Öl und Gas auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu beherrschen.

Die EU hatte gehofft, eine Übereinkunft mit Russland treffen zu können, um eine stabilere Energieversorgung aus Russland zu erreichen. Das sollte mit gewissen Handelszugeständnissen und besserem Marktzugang Russlands zur EU erkauft werden. Europäische Regierungen, vor allem die deutsche, sind über die selbstbewusstere Energiepolitik Moskaus beunruhigt und versuchen, verlässlichere Abmachungen mit Putin zu treffen, und gleichzeitig Russland stärker für Investitionen der europäischen Großkonzerne zu öffnen. Russland und der staatseigene Energiegigant Gasprom haben in den vergangenen zwei Jahren mehrfach die Öl- und Gasversorgung der Ukraine, Weißrusslands und Litauens gekappt, um höhere Preise durchzusetzen und politischen Einfluss auszuüben. Diese Politik bedroht die westeuropäischen Energieinteressen.

Am 11. Mai hatte die EU hohe Vertreter aus den öl- und gasfördernden Länder der kaspischen Region in der polnischen Stadt Krakau getroffen. Die EU hatte gehofft, Russland bei seinen Bemühungen für eine Sicherung seiner Interessen in der Region zuvorzukommen, und sich eine bessere Verhandlungsposition für den Gipfel in Samara zu verschaffen.

Moskaus Vertrag mit Kasachstan und Turkmenistan am folgenden Tag zog der EU dann den Teppich unter den Füßen weg. Der Analyst Wladimir Socor von der Jamestown Foundation schrieb am 14. Mai im Eurasia Daily Monitor, dass die Verlautbarungen aus der turkmenischen Stadt Turkmenbashi "einen dunklen Schatten auf den Krakauer Gipfel geworfen" und die Bemühungen Washingtons und der EU in der Kaspischen Region zu "einem Scherbenhaufen" gemacht haben.

Die Führer Russlands, Kasachstans und Turkmenistans erklärten in Turkmenbashi, dass der endgültige Vertrag über die kaspische Küsten-Gaspipeline am 1. September 2007 unterzeichnet werde, und die Arbeiten in der zweiten Hälfte von 2008 beginnen werden. In einer vorher mit dem usbekischen Präsidenten Islam Karimow abgesprochenen Erklärung gaben die drei eine umfangreiche Modernisierung zweier Pipelines aus der sowjetischen Ära bekannt, die turkmenisches Gas durch Usbekistan und Kasachstan nach Russland leiten.

Das Abkommen wird wahrscheinlich dazu führen, dass 90 Milliarden Kubikmeter Gas aus dem kaspischem Becken nach Russland exportiert werden. Das wären 80 Prozent mehr, als im Moment.

Russland ist jetzt bei der entscheidenden Belieferung Europas und des Weltmarkts mit Öl und Gas in einer viel stärkeren Position, und der Kreml wird das benutzen, um zu versuchen, seinen Rivalen günstigere Bedingungen zu diktieren. Den US- und EU-Plänen für eine trans-kaspische Pipeline von Baku in Aserbeidschan durch Georgien bis zum türkischen Hafen Ceyhan, die russisches Territorium umgehen sollte, droht jetzt das Aus. Die BBC-Analystin Natalja Antelewa bezeichnete das als "schweren Schlag für Washington, Brüssel und Peking", die sich alle einen direkten Zugang zu den riesigen Gasvorkommen Turkmenistans sichern wollten.

Der russische Energieminister Viktor Kristenko kommentierte am 12. Mai: "Von heute an ist das transkaspische Gaspipeline-Projekt tot." Aber es geht für die EU und Washington in dieser Region um zu viel, als dass sie zulassen könnten, dass Moskau mit einem solchen Coup davonkommt. Die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline ist ein zentraler Baustein der westlichen Energiepolitik, bei dem es um Milliarden Dollar geht, und die notwendig ist, um Russland zu umgehen und seinen globalen Einfluss in der Energiepolitik zu schwächen. Der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdimuhammedow und der kasachische Führer Nursultan Nasabarjew haben zwar das Abkommen mit Russland geschlossen, aber sie halten die Tür für die EU und die USA in der Pipelinefrage offen.

Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass bei allem Aufplustern in der Frage der Menschenrechte zwischen der EU und Russland sowohl Moskau wie Brüssel wild entschlossen sind, mit despotischen Regimes in Zentralasien ins Geschäft zu kommen, wie denen von Karimow und Berdimuhammedow, der kürzlich den verstorbenen Tyrannen Saparmurat Nijasow nach einer Wahl beerbte, die allgemein als manipuliert angesehen wurde. Merkel hat die Menschenrechtsverletzungen Putins kritisiert, aber ihre eigene Unterstützung für den US-Krieg gegen den Irak zeigt, dass sie selbst nur Verachtung für diese Rechte hat, wenn es um die Interessen der großen imperialistischen Akteure geht.

Siehe auch:
Deutsche Großmachtpolitik hinter europäischer Fassade
(28. März 2007)
Russischer Ölstop verschärft internationalen Kampf um Rohstoffe
(10. Januar 2007)
Russische Balkan-Pipeline soll Türkei umgehen
(4. April 2007)
Putin greift amerikanische Außenpolitik scharf an
(13. Februar 2007)
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