Die Unterbrechung der wichtigsten Ölpipeline zwischen Russland und Europa hat heftige Debatten über die zukünftige Energieversorgung Europas ausgelöst.
Der russische Pipeline-Monopolist Transneft hat in der Nacht zum Montag die Druschba-Pipeline unterbrochen, die wichtigste Verbindung zwischen den Ölfeldern Westsibiriens und den Raffinerien Europas. Allein Deutschland bezieht über diese Pipeline mit einer Kapazität von täglich zwei Millionen Barrel (318 Millionen Liter) einen Fünftel seines Ölbedarfs. Auch Polen ist weitgehend davon abhängig.
Grund für die Unterbrechung ist ein Streit zwischen Russland und Weißrussland, über dessen Territorium die Pipeline verläuft.
Der vom Kreml kontrollierte Gazprom-Konzern hatte den Gaspreis für Weißrussland zum Jahreswechsel von 46 auf 100 Dollar pro 1000 Kubikmeter erhöht. Außerdem führte Russland eine Gebühr von 180 Dollar für jede Tonne Öl ein, die nach Weißrussland exportiert wird. Damit, so die Begründung, solle verhindert werden, dass Weißrussland billig importiertes Öl zum Weltmarktpreis weiterverkauft.
Das Regime in Minsk revanchierte sich, indem es für Rohöl, das von Russland nach Europa fließt, eine Transitgebühr von 45 Dollar pro Tonne erhob. Als sich Transneft weigerte, diese Gebühr zu bezahlen, soll Weißrussland russischen Angaben zufolge eigenmächtig Öl aus der Pipeline entnommen haben. Transneft drehte darauf den Ölhahn zu.
Ein Ende des Konflikts ist bisher nicht abzusehen. Dennoch wird in Europa nicht mit einem unmittelbaren Energieengpass gerechnet. Zum einen verfügen die meisten Länder über Erölvorräte, die den Bedarf für zwei bis drei Monate decken. Zum anderen gibt es Möglichkeiten, das Öl teilweise über andere Pipelines oder den Seeweg zu transportieren.
Umso schwerwiegender werden dagegen die langfristigen Folgen eingeschätzt. Die Europäischen Union importiert 82 Prozent ihres Öl- und 57 Prozent ihres Gasverbrauchs aus Drittstaaten. In 25 Jahren wird dieser Anteil auf 93 Prozent beim Öl und 84 Prozent beim Gas gestiegen sein.
Vor allem die frühere deutsche Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte zur langfristigen Sicherung der Energieversorgung auf ein Bündnis mit Russland gesetzt, das zu Sowjetzeiten als verlässlicher Lieferant galt. Schröder selbst unterhält bis heute enge persönliche Beziehungen zum russischen Präsidenten Putin und leitet inzwischen im Solde Gazproms den Aufsichtsrat des Ostsee-Gaspipeline-Konsortiums.
Bereits vor einem Jahr hatte ein Streit zwischen Russland und der Ukraine zur kurzfristigen Unterbrechung der russischen Gaslieferungen nach Europa geführt. Nach der jüngsten Unterbrechung der Ölzufuhr wird die Abhängigkeit von russischen Energieimporten nun zunehmend als Risikofaktor eingeschätzt.
Der russisch-weißrussische Energiestreit zeige, dass sich Deutschland nicht einseitig von einem Energie-Lieferanten abhängig machen dürfe, kommentierte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel den Konflikt. Sie hat die Energiesicherheit zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Präsidentschaft erklärt, die am 1. Januar begann.
Auch Ernst Uhrlau, der Chef des deutschen Auslandsgeheimdiensts BND, meldete sich zu Wort. Die Unterbrechung der deutschen Versorgung belege die große Bedeutung des Themas Energiesicherheit für Deutschland und für die Sicherheitsbehörden, sagte er.
Der Bundesverband der Energie-Abnehmer (VEA) warnte ebenfalls vor einer wachsenden Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas und Öl. "Das was Russland jetzt mit den ehemaligen Sowjetstaaten macht, kann uns auch blühen", sagte VEA-Vorstand Manfred Panitz in Hannover. "Die Abhängigkeit von Russland ist schädlich, ich sehe das mit Sorge."
Die nachlassende Förderung von Erdöl aus der Nordsee dürfe nicht durch zusätzliche Importe aus Russland kompensiert werden, fügte Panitz hinzu. Der russische Anteil an der deutschen Ölversorgung könne sonst schnell von 30 auf 50 Prozent steigen.
Die Suche nach alternativen Energiequellen hat weitreichende politische Folgen. Sie bringt Europa in Konflikt mit anderen Großmächten, die sich ebenfalls um die knapper werdenden Energievorkommen bemühen - den USA, Japan und den energiehungrigen Aufsteigern China und Indien. Hinzu kommt, dass sich die europäischen Regierungen trotz aller Bemühungen um eine gemeinsame Energiepolitik alles andere als einig sind, wenn es um die Sicherung der eigenen Versorgung geht.
Schon mit dem Krieg gegen Afghanistan und den Irak haben die USA hauptsächlich das Ziel verfolgt, die umfangreichen Öl- und Gasreserven Zentralasiens und der Golfregion unter ihre Kotrolle zu bringen. Das war der Grund für die Ablehnung des Irakkriegs durch die deutsche, die französische und andere europäische Regierungen. Sie sahen ihre eigenen imperialistischen Interessen gefährdet und bemühten sich um ein Zusammengehen mit Russland.
Das selbstbewusste Auftreten Russlands, das sein Öl und Gas als außenpolitisches Druckmittel einsetzt, treibt sie nun zurück in die Arme der USA. Bundeskanzlerin Merkels erste Reise nach Übernahme des EU-Ratsvorsitzes führte nach Washington, wo sie dem politisch bedrängten Präsidenten den Rücken stärkte. Sie äußerte keine Silbe der Kritik an Buhs Plänen, die Truppen im Irak weiter aufzustocken, oder an der überstützten Hinrichtung Saddam Husseins. Der französische Präsident Jacques Chirac arbeitet mittlerweile im Libanon eng mit den USA gegen Syrien zusammen.
Die Anbiederung an Bush vermindert allerdings die Interessengegensätze zwischen Europa und den USA nicht. Während Merkel Bush unterstützt, ist sie stets bemüht, die deutschen und europäischen Interessen verstärkt zur Geltung zu bringen.
Für die sechsmonatige EU-Präsidentschaft hat sich die deutsche Regierung ein ehrgeiziges Programm vorgenommen. Bereits beim Frühjahrsgipfel im März will sie einen Energieaktionsplan vorlegen, der die EU-Mitglieder auf gemeinsame Ziele bei der Sicherung der Rohstoffe festlegt. Gleichzeitig will sie den Lissabon-Prozess vorantreiben, der die EU durch die Flexibilisierung von Arbeit und Dienstleistungen international konkurrenzfähiger macht.
Bis zum Juni will sie dann einen Plan zur Wiederbelebung des Verfassungsprozesses präsentieren, der die EU in die Lage versetzen soll, nach außen geschlossen, mit einer Stimme aufzutreten - wobei die großen Mitglieder, und hier insbesondere Deutschland, den Ton angeben.
Eng mit diesen Bemühungen verbunden ist die militärische Aufrüstung. Ohne eigene Truppenpräsenz kann die EU den USA nicht ebenbürtig entgegentreten. Schon jetzt sind mit den Einsätzen in Afghanistan, im Libanon und am Horn von Afrika deutsche oder EU-Truppen an wichtigen Krisenherden des Nahen Ostens präsent. Der Kampf um "Energiesicherheit", um Zugang zu Öl und Gas, wird so zu einer Haupttriebkraft eines anwachsenden Militarismus.
In einem Interview, das am Dienstag in der britischen Times erschien, sagt die deutsche Bundeskanzlerin: "Für uns ist die Energie heute, was Kohle und Stahl einst waren." Merkel bezieht diesen Vergleich zwar auf die Ursprünge der Europäischen Union, die aus der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl hervorging, er gilt aber noch mehr für den Vorabend der beiden Weltkriege, zu deren Ausbruch der erbitterte Kampf um das Erz Lothringens und um die Kohle der Ruhr maßgeblich beigetragen hatte.
Die Auseinandersetzungen um die russischen Öllieferungen und die internationalen Reaktionen darauf unterstreichen die Unmöglichkeit, die Ressourcen der Erde in einem Gesellschaftssystem auf vernünftige und friedliche Weise zu nutzen, das von mächtigen Konzernen und deren Profitinteressen beherrscht wird.