Der Irak-Krieg und die amerikanische Demokratie

Die Entscheidung der Bush-Regierung, den Krieg im Irak weiter zu eskalieren - trotz überwältigender Opposition in der Bevölkerung und wachsender Kritik im Kongress - zeigt deutlich, wie unberechenbar die US-Regierung in ihrer Machtausübung geworden ist: sie missachtet die wechselseitigen Kontrollmechanismen der herkömmlichen verfassungsmäßigen Ordnung und setzt sich über die öffentliche Meinung hinweg.

Bushs Behauptung, er führe einen Krieg zur Einführung der Demokratie im Irak, wird schon dadurch Lügen gestraft, dass seine Regierung die letzten Reste demokratischer Institutionen in den Vereinigten Staaten vernichtet und sich bislang nicht da gewesene Befugnisse anmaßt, um Telefon- und E-Mail-Kommunikation abzufangen, Folter anzuordnen, politische Gegner des Kriegs auszuspionieren und US-Bürger ohne Gerichtsverfahren zu verhaften und einzusperren.

Die Äußerungen von Vizepräsident Cheney vom 14. Januar stehen sinnbildlich für die antidemokratische Haltung dieser Regierung. Er wischte die Bedeutung der massenhaften Abstimmung gegen den Krieg in den Kongresswahlen vom November beiseite und erklärte gegenüber Chris Wallace, dem Moderator von "Fox News Sunday": "Ich denke, kein Präsident, der etwas taugt, kann es sich leisten, sich bei Entscheidungen dieser Größenordnung nach Umfragen zu richten."

In allen bisherigen Kriegen, die der amerikanische Imperialismus in den letzten mehr als hundert Jahren geführt hat, hielt die US-Regierung es immer für nötig, die öffentliche Meinung für ihre Kriegseinsätze zu mobilisieren. Ein ausgeklügeltes System politischer Provokationen und Panikmache durch die Medien wurde entwickelt, um in der amerikanischen Bevölkerung Unterstützung für den Krieg zu bekommen.

Im spanisch-amerikanischen Krieg von 1898 wurde eine Pressekampagne gegen die Grausamkeiten der spanischen Kolonialmacht in Kuba geführt, die ihren Höhepunkt mit der Explosion des amerikanischen Schlachtschiffs Maine im Hafen von Havanna erreichte. Diese Explosion wurde als kriegerischer Akt dargestellt, obwohl sie wahrscheinlich durch technische Mängel ausgelöst wurde.

Die Regierung Wilson ebnete mit einer Jahre dauernden Kampagne gegen den U-Boot-Krieg der Deutschen im Atlantischen Ozean den Weg für den Eintritt in den Ersten Weltkrieg. Dabei wurden Ereignisse benutzt wie das Versenken der Lusitania, eines amerikanischen Passagierschiffes, das Munition für Großbritannien an Bord hatte.

Franklin Roosevelt benötigte in der Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs sogar viele Monate politischer Manöver, um auch nur Unterstützung für Militärhilfe an Großbritannien in Form des "Lend-Lease"-Programms zu erhalten. Erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor schuf die politischen Bedingungen, mit denen die tief sitzende Opposition der Bevölkerung gegen einen Eintritt in den Weltkrieg überwunden wurde.

Eine Medienkampagne, die den Ausbruch des Bürgerkriegs als Invasion Nordkoreas nach Südkorea darstellte, machte den Eintritt der USA in den Korea-Krieg möglich. In Vietnam wurde der berüchtigte "Tonkin-Zwischenfall" von der Johnson-Regierung als Vorwand benutzt, um die US-Militärintervention von 15.000 auf über 500.000 Soldaten auszuweiten.

Vor dem Golf-Krieg von 1991 ermutigte die erste Bush-Regierung stillschweigend Saddam Husseins Invasion und Annexion Kuwaits, um sie dann als Kriegsgrund zu benutzen.

Die zweite Bush-Regierung schuf zu Unrecht eine Verbindung zwischen den Terrorangriffen vom 11. September und dem Irak und verband das mit erfundenen Behauptungen über irakische Massenvernichtungswaffen, die an Terroristen weitergegeben werden sollten, damit sie gegen das amerikanische Volk eingesetzt werden.

Jetzt jedoch hat die Bush-Regierung mit einer massiven Ausweitung des Kriegs unter Bedingungen begonnen, in denen alle ihre früheren, sich ständig verändernden Begründungen diskreditiert sind. Und diese Eskalation des Kriegs ist wahrscheinlich nicht so sehr auf einen militärischen Sieg im Irak selbst ausgerichtet, als darauf, den Krieg in den Iran und nach Syrien auszudehnen.

Sie trifft diese Entscheidungen nach dreieinhalb Jahren Krieg und nachdem die amerikanische Bevölkerung unmissverständlich ihrem Wunsch nach einem Ende des Kriegs und einem Abzug der Truppen ausgedrückt hat. Die normalen Menschen in Amerika haben gelernt, die offiziellen Lügen und die Propaganda zu erkennen, und lehnen die alten Vorwände ab. Sie wissen, dass die Behauptungen über eine Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September und über Massenvernichtungswaffen unwahr sind.

Laut neuesten Umfragen glauben volle 50 Prozent, dass Bush die amerikanische Bevölkerung bewusst belogen hat, um den Krieg zu rechtfertigen. Mit anderen Worten, sie glauben, dass Bush für etwas verantwortlich ist, was nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen ist -nämlich einen Angriffskrieg zu führen

Die Schlussfolgerungen, die die amerikanische Bevölkerung daraus zieht, zeigten sich in den Wahlen im November. Bei der einzigen Gelegenheit, die die offizielle politische Struktur ihnen gewährt, um ihre Meinung zu äußern, wählten Millionen von Menschen demokratische Kandidaten für den Kongress; und zwar nicht deshalb, weil sie großes Vertrauen in die Demokratische Partei hatten, sondern weil sie ihre Opposition gegen die Bush-Regierung und den Krieg im Irak zum Ausdruck bringen wollten.

Die Reaktion von Bush, Cheney & Co. bestand darin, jedes Bemühen zur Manipulation und Beeinflussung der öffentlichen Meinung fallen zu lassen und zu erklären - wie Cheney das am Sonntag tat -, die Aufgabe des Präsidenten bestehe darin, die öffentliche Meinung zu ignorieren und den Krieg unter Missachtung dieser Meinung zu führen.

Es lohnt sich, sich die genauen Worte zu betrachten, die Cheney in diesem Interview benutzte.

WALLACE: Der Irak stand im Zentrum der Wahlen im November. Ich möchte, dass sie sich ein paar Zahlen zu den Wahlen anschauen. Laut den Nationalen Exit Polls erklärten 67 Prozent der Wähler, der Krieg sei entweder eine sehr wichtige oder äußerst wichtige Frage bei ihrer Stimmabgabe gewesen, und nur siebzehn Prozent unterstützten die Entsendung von noch mehr Soldaten. Ignorieren Sie, Herr Vizepräsident, mit Ihrer aktuellen Politik nicht den ausdrücklichen Willen des amerikanischen Volkes, wie er bei der Novemberwahl offenbar wurde?

CHENEY: Nun, Chris, dieser Präsident und ich denken, kein Präsident, der etwas taugt, kann es sich leisten, sich bei Entscheidungen dieser Größenordnung nach Umfragen zu richten. Die Umfragen ändern sich von Tag zu Tag...

WALLACE: Aber dies war eine Wahl, Sir.

CHENEY: Umfragen ändern sich von Tag zu Tag, Woche für Woche. Ich denke, die große Mehrheit der Amerikaner will das richtige Ergebnis im Irak. Die Herausforderung für uns besteht darin, das sicherzustellen. Man kann nicht einfach den Finger in den Wind strecken und sagen: "Mensch, die öffentliche Meinung ist dagegen, wir geben besser auf."

Cheney tut das Ergebnis der Wahlen als bedeutungslos für die Politik der Regierung ab. Das beinhaltet eine Auffassung von Regierung, die im Gegensatz zu jedem Demokratiekonzept steht.

Cheney führte dann die Faktoren der imperialistischen Strategie an, die es nötig machen, das Wahlergebnis zu ignorieren. Er erklärte Wallace dazu Folgendes:

"Das gehört doch gerade zu jener grundlegenden Strategie, von der unsere Gegner glauben, sie treffe die Vereinigten Staaten. Sie sind überzeugt, die augenblickliche Debatte im Kongress, die Wahlkampagne vom vergangenen Herbst, all dies beweise, dass sie Recht hätten, wenn sie sagen, die Vereinigten Staaten hätten nicht den Mumm, diesen langen Krieg gegen den Terror durchzustehen. Sie sind davon überzeugt.

Sie haben frühere Beweise dafür vor Augen: im Libanon 1983 und in Somalia 1993 und noch davor in Vietnam. Sie sind überzeugt, dass die Vereinigten Staaten tatsächlich einpacken und nach Hause gehen, wenn sie nur genügend unserer Leute töten. Sie können uns nicht im direkten Kampf schlagen, aber sie glauben, sie können unseren Willen brechen.

Und wenn der Präsidenten auf die Umfragen starrt und sieht, dass die Umfragen nach unten gehen, und dann so darauf reagiert, dass er sagt: ‚Oh, mein Gott, wir müssen aufgeben’, dann wird das nur al-Qaidas Weltanschauung bekräftigen. Genau das sollte man nicht tun. Dieser Präsident stützt sich bei seiner Politik nicht auf öffentliche Meinungsumfragen, er sollte das auch nicht. Es ist absolut notwendig, dass wir das hier richtig verstehen."

Der amerikanischen Bevölkerung, behauptet Cheney, ist nicht zuzutrauen, dass sie über "den Mumm" für die Maßnahmen verfügt, die notwendig sind, um die fortdauernde US-amerikanische Kontrolle über den Irak und die riesigen Ölvorkommen sicherzustellen. Der Präsident muss sich deshalb an die Stelle des Volkes setzen. Oder, wie Brecht sagte, wenn das Volk sich gegen die Regierung wendet, muss die Regierung das Volk auflösen und ein neues wählen.

Aber auch die Demokratische Partei bietet keinerlei Alternative zu dieser kategorischen Ablehnung der Volkssouveränität.

Die Demokratische "Alternative", wie sie von Hillary Clinton vorgebracht wird und wie sie ihren Niederschlag in der Senatsresolution zur Missbilligung der militärischen Eskalation der USA findet, ist alles andere als ein authentischer Ausdruck der Massenopposition gegen den Krieg.

Der Text der Resolution übernimmt die strategische Orientierung der Bush-Regierung und erklärt, "es sollte unser Ziel sein, die Chancen auf einen Erfolg im Irak zu maximieren", während man sich gleichzeitig um die Taktik streitet. Was Clinton angeht, so ist sie eher für eine Entsendung von mehr Soldaten nach Afghanistan als in den Irak. Und außerdem ist sie gegen jegliche Sperrung von Geldern, ob es sich um Gelder für die Kriegsausweitung oder die bestehende Besatzung handelt.

"Ich werde die Gelder für die amerikanischen Truppen jetzt im Augenblick nicht verringern - sie werden dadurch gefährdet", erklärte Clinton der Presse. Und fast jeder Demokratische Sprecher wiederholte diese Worte, darunter auch die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in einem Fernsehinterview am Freitagmorgen

Das Ziel der Demokraten im Irak ist, "Erfolg" zu haben, eine Ausdrucksweise von bequemer Ungenauigkeit. Was sie wirklich meinen ist, dass die amerikanische Kontrolle über die Ölvorräte des Nahen Ostens erhalten bleiben muss.

Um den Kampf für dieses Ziel - das von beiden Parteien unterstützt wird - fortsetzen und ausweiten zu können, muss die herrschende Elite der USA gegen die öffentliche Meinung handeln und undemokratisch regieren. Umgekehrt muss die Antikriegs-Mehrheit eine unabhängige politische Partei der Arbeiterklasse aufbauen, die sowohl die Demokraten als auch die Republikaner ablehnt, und dafür kämpft, die arbeitenden Menschen international gegen den imperialistischen Krieg und das kapitalistische System, das ihn hervorbringt, zu vereinen.

Siehe auch:
Krieg, soziale Ungleichheit und die Krise der amerikanischen Demokratie - Teil 1
(21. November 2006)
Krieg, soziale Ungleichheit und die Krise der amerikanischen Demokratie - Teil 2
( 23. November 2006)
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