"Nein, das kann ich ihnen nicht sagen", klärt mich die freundliche Dame der BenQ-Telefonzentrale in Kamp-Lintfort auf. Keinerlei Informationen dürfe sie auf Anordnung der Geschäftsführung herausgeben, nicht einmal die Zeit des Schichtwechsels. Nein, auch mit dem Betriebsrat dürfe sie mich nicht verbinden. Ich mache mich dennoch auf den Weg nach Kamp-Lintfort, um mit einigen der rund 1.650 dort Beschäftigten zu sprechen.
Diese hatten am 28. September in den Radio-Nachrichten erfahren müssen, dass der taiwanesische Mutterkonzern BenQ die Zahlungen für seine deutsche Niederlassung ab sofort einstellt. Am folgenden Tag war ihnen dann in eilig einberufenen Betriebsversammlungen mitgeteilt worden, dass BenQ Mobile in Deutschland tatsächlich den Insolvenzantrag gestellt hat.
Viel mehr an Informationen haben die Beschäftigten bisher nicht erhalten. "Ich sehe auch nur fern und schaue in den Videotext", sagt Udo Stockmann, der seit sieben Jahren im Werk in Kamp-Lintfort arbeitet. "Wir wissen nicht mehr als ihr, wir kriegen kaum Informationen." Udo Stockmann sorgt sich um seine Zukunft. Mit BenQ würde der zweitgrößte Arbeitgeber in Kamp-Lintfort am Niederrhein schließen. Der größte Arbeitgeber, die Zeche Friedrich Heinrich, beschäftigt derzeit noch knapp 3.600 Menschen. Doch dort wird wohl niemand der BenQ-Beschäftigten unterkommen. Der deutsche Bergbau wird gerade abgewickelt.
"Ich werde 50 Jahre alt. In dem Alter bekommt man doch eh nichts mehr", glaubt Udo Stockmann. Der gelernte Isolierklempner machte vor fast zehn Jahren eine Umschulung als Funkelektroniker und erhielt anschließend einen Arbeitsplatz bei Siemens. Dass jetzt Schluss sein soll, dass mache ihn wütend und gleichzeitig sorgenvoll.
Er steht nicht allein da. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt angelangt - und das ist noch höflich ausgedrückt, die meisten benutzen eine derbere Beschreibung. Dies bescheinigen mir alle Beschäftigten, mit denen ich spreche. Von "traurig" über "hoffnungslos" und "Angst" reichen die Zustandsbeschreibungen. "Magenschmerzen" und "blanke Nerven" plagen die Beschäftigten.
So auch Mariella Modic. Sie arbeitet seit 22 Jahren im Werk. "Schlaflose Nächte" habe sie und meint: "Ich bin seit 1984 hier und habe so manche Krise mitgemacht, doch diese ist die schlimmste." Wie die meisten ihrer Kollegen und Kolleginnen glaubt sie, dass die Schließung geplant war. "Siemens ist so die hohen Abfindungen losgeworden. Das ist schon hart. Letztes Jahr gab es Angebote auf Abfindungen", berichtet sie. Rund 350 Beschäftigte entschieden sich für Abfindungen oder den Übergang in eine Beschäftigungsgesellschaft. "Ich habe lange überlegt, ob ich mit einer guten Abfindung gehen soll", sagt sie. "Doch ich entschied mich für meinen Arbeitsplatz. Jetzt bin ich geschockt darüber, dass ich nicht doch gegangen bin." Sie hofft, wenigstens bis zum Ende des Jahres arbeiten zu können.
Jetzt im Nachhinein glaubt sie, dass die Schließung bereits 2004 feststand. Damals wollte Siemens die Produktion nach Ungarn verlagern. "Das gehört alles in das Paket hinein. Siemens hat uns hingehalten und ständig erpresst. Wenn ihr das nicht akzeptiert, passiert das, wenn ihr das nicht mitmacht, das.’ So haben sie uns das immer aufgetischt." Doch anders als vor zwei Jahren, als IG Metall und Betriebsrat eine Arbeitszeitverlängerung von 35 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich sowie die Streichung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes vereinbarten, um die Verlagerung nach Ungarn zu verhindern, sieht Mariella Modic nun keinerlei Chance mehr. "Es ist hoffnungslos, der Zug ist abgefahren. Man kann nicht in zwei Monaten aufholen, was in den letzten Jahren verpasst worden ist. Die Entwicklung, die Technik, das Design, alles hinkt doch nach. Selbst die Kollegen haben keine Siemens BenQ Handys."
Ähnlich äußert sich Hans Peter Slodek. Der gelernte Kraftfahrzeug-Mechaniker arbeitet schon seit 16 Jahren bei Siemens in der Instandhaltung. "Letztes Jahr habe ich nicht daran gedacht, eine Abfindung zu nehmen und zu gehen. Heute wäre ich begeistert." Auch er glaubt nicht an die "unvorhergesehene Schließung", wie sie von den Siemens- und BenQ-Vorstandsvorsitzenden nun bemüht wird. "Klar war das von langer Hand vorbereitet. Die Belegschaft ist von Siemens verraten und verkauft worden. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern auch die von mindestens 98 Prozent der Kollegen. Wir sind alle ziemlich wütend", erklärt er und fügt hinzu: "Uns haben sie 30 Prozent gekürzt, und der Vorstand erhöht sich das Gehalt um 30 Prozent. Das ist ihre Prämie."
Er sieht - wie andere auch -, dass die kurzfristigen Interessen der Aktienbesitzer und Unternehmensvorstände, nämlich die Steigerung des Aktienkurses, nicht mit den Interessen der Beschäftigten in Einklang zu bringen sind. Hans Peter Slodek ist besonders empört darüber, wie mit der Produktionsstätte umgegangen wird. "Das Werk ist doch relativ neu modernisiert. Dass man so etwas verkommen lässt, das ist schon hart. Da wäre auch die Politik gefragt. Aber wieder wird nur nach dem kurzfristigen Profit geschielt." In Deutschland müsse sich dringend etwas tun, meint er. "Die Manager, die das Sagen haben, glauben, sie könnten alles machen. Die Politik guckt zu. Aber so ist das, wenn die Wirtschaftsleute in der Politik sind und die Politiker in der Wirtschaft, wie zum Beispiel in den Aufsichtsräten. Pierer [Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer] sollte im letzten Wahlkampf Berater von Angela Merkel werden. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus."
"Es muss schon etwas von unten kommen. Die Leute hier in Deutschland müssten auf die Straße wie in Frankreich. Auf die Politik kann man sich nicht verlassen."
Lila und Esmail Javed arbeiten seit 13 bzw. 15 Jahren bei Siemens in Kamp-Lintfort. Für sie wäre die Arbeitslosigkeit "eine Katastrophe". "Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit wären wir im Hartz-IV-Bezug. Dann müssten wir unser Haus verkaufen." Sie hoffen daher, irgendwie weiterarbeiten zu können. "Wir möchten gerne arbeiten. Wer das ermöglicht, ist uns egal, ob Siemens, BenQ oder sonst wer."
Doch die beiden Iraner sind wie die meisten skeptisch. Sie sind überzeugt, dass auch Gewerkschaften und Betriebsrat machtlos sind. "Die Entscheidung kommt von ganz oben. So ist der Kapitalismus." Daher ist die Enttäuschung der Kollegen nicht nur über Siemens-Vorstandschef Klaus Kleinfeld groß, sondern auch über Gewerkschaften und Betriebsrat. Vielleicht ist den beiden auch noch die Begeisterung des Betriebsratsvorsitzenden Michael Leucker über den BenQ-Chef aus Taiwan in den Ohren. Als im Sommer letzten Jahres Gerüchte über einen massiven Arbeitsplatzabbau in Deutschland kursierten, reiste Lee persönlich nach Deutschland und sprach in Kamp-Lintfort mit Führungskräften und Betriebsrat.
Betriebsratschef Michael Leucker verkündete anschließend: "Lee ist nicht eiskalt. Der rechnet voll mit dieser Fabrik." Und über den deutschen Siemens-Manager Clemens Joos, der die BenQ-Handysparte übernahm, wusste er dies zu berichten: Joos sei "der Einzige, der den Laden wieder nach vorne bringen kann".
Dieses Stimmungsbild bei Siemens-BenQ macht mehr als deutlich, dass die Beschäftigten eine eigene politische Entwicklung machen müssen. Keine der Gewerkschaften, keines der Betriebsratsmitglieder und auch keine der offiziellen politischen Parteien zeigen auch nur die geringste Bereitschaft, die Interessen der Beschäftigten gegen die Siemens-Führung und deren rücksichtslosen Vollstrecker BenQ zu verteidigen. Im Gegenteil. Der Fall Siemens-BenQ zeigt mit besonderer Eindringlichkeit, dass sie unerschütterliche Einigkeit darin haben, dass die Billiglöhne Asiens letztendlich der Standard sind, an dem sich die Beschäftigten auch hierzulande und in Europa unvermeidlich messen lassen sollen.
Für die Beschäftigten von BenQ und allen anderen von Entlassung Bedrohten gibt es nur einen Ausweg, wenn sie sich einer sozialistischen Perspektive zuwenden. Dabei müssen die Profitinteressen von Geschäftsführung und Großanteilseignern entschieden zurückwiesen und eine Wirtschaftsordnung angestrebt werden, die bedingungslos den sozialen Interessen der arbeitenden Bevölkerung dient.