Die internationale Konferenz in Rom, die sich am Mittwoch mit der von Israel angerichteten Krise im Libanon befasste, endete ohne Aufruf zum Waffenstillstand. Laut zahlreichen Presseberichten wandte sich praktisch nur US-Außenministerin Condoleezza Rice gegen jegliche Formulierung im Konferenzkommuniqué, dass die heftigen Angriffe Israels, die jetzt schon fast 500 Zivilisten das Leben gekostet und einen Großteil der Infrastruktur des Landes zerstört haben, in kürzester Zeit zu beenden sind.
Die International Herald Tribune berichtet: "Europäische und arabische Regierungen wie auch Generalsekretär Kofi Annan von den Vereinten Nationen und Javier Solana, der außenpolitische Sprecher der Europäischen Union, hatten ebenfalls stark auf einen sofortigen Waffenstillstand gedrängt, standen aber auf verlorenem Posten, sobald Außenministerin Condoleezza Rice sich einschaltete. Rice blieb bei ihrer Haltung, dass zuerst Zustimmung zu einem 'dauerhaften Frieden' vorhanden sein müsse, ehe man die Parteien dazu aufrufen könne, die Kämpfe einzustellen."
Neben hochrangigen Diplomaten aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Deutschland, Kanada, Russland, der Türkei, dem Libanon, Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien sowie UN-Generalsekretär Kofi Annan nahm auch der libanesische Premierminister Fouad Siniora an der Konferenz teil. Er forderte in einer leidenschaftlichen und eloquenten Ansprache die sofortige Beendigung der Kampfhandlungen.
Siniora fragte: "Ist menschliches Leben im Libanon weniger Wert als woanders? Sind wir Kinder eines geringeren Gottes? Ist eine israelische Träne wertvoller als ein Tropfen libanesischen Blutes?"
Er sagte, sein Land sei von Israel "in Stücke geschlagen" worden. Er werde gegen Israel vor Gericht ziehen, erklärte Siniora und warf Israel damit indirekt vor, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Er kündigte an, für "die barbarische Zerstörung, die [Israel] uns zugefügt hat", Reparationszahlungen zu fordern, und schloss seine Ausführungen mit einem Zitat des römischen Historikers Tacitus, dessen Worte, wie er sagte, genau auf die israelischen Taten gegen den Libanon zutreffen: "Wo sie eine Wüste hinterlassen, nennen sie das Frieden."
Laut einem Pressebericht sagten Diplomaten, nach Sinioras Rede sei es im Saal zu sichtbaren emotionalen Reaktionen gekommen. Rice jedoch blieb ungerührt. Nach der Versammlung erwähnte sie auf einer Pressekonferenz beiläufig Sinioras "sehr leidenschaftliche" Rede, um gleich darauf zu wiederholen, dass sie gegen eine Aussetzung der israelischen Angriffe auf libanesische Städte und Dörfer sei. Auch bestand sie darauf, dass jegliche internationale Truppe im Südlibanon die Aufgabe haben müsse, die Hisbollah zu entwaffnen.
Die Konferenz in Rom hat ein weiteres Mal deutlich gemacht, dass das Völkerrecht den USA nichts mehr bedeutet, und gleichzeitig die Impotenz der europäischen Regierungen gezeigt. Im Versammlungssaal war sich jeder Einzelne bewusst, dass Israel und die USA im Libanon ihre eigenen Pläne haben. Nur einen Tag zuvor hatte Israel eine Präzisionsrakete auf einen seit Langem eingerichteten und deutlich gekennzeichneten UN-Beobachtungsposten im libanesischen Grenzgebiet abgeschossen und vier UN-Beobachter getötet.
Rices Auftreten auf der Konferenz machte sonnenklar, dass der Krieg zwar von Israel geführt wird, aber die USA im Hintergrund die Fäden ziehen.
Dennoch hatte nicht einer der Teilnehmer genug Prinzipienfestigkeit oder Mut, gegen Rice aufzustehen. Warum gab es keine Waffenstillstandsresolution? Weil die USA dagegen waren, und nur die Stimme der USA zählt.
Die gesamte europäische Bourgeoisie und auch die Vereinten Nationen haben einmal mehr ihre Machtlosigkeit gegenüber dem US-Imperialismus demonstriert. Europa ist bereit, sich den Vereinigten Staaten zu widersetzen, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht - d.h. beim Feilschen um Geld - aber angesichts massiver und historischer Verbrechen erweist es sich als feige bis auf die Knochen. Europa ist in Wirklichkeit Komplize dieser Verbrechen.
Dies gilt für alle Teile und Schattierungen des offiziellen politischen Spektrums - für die so genannten "linken" Regierungen und Parteien nicht weniger als für die rechten. So hat die italienische Mitte-Links-Regierung von Romano Prodi, zu deren Koalition zwei Parteien gehören, die aus den Trümmern der Kommunistischen Partei Italiens hervorgegangen sind - nämlich die Demokratische Linkspartei und Rifondazione Comunista - sich bereit erklärt, die Versammlung auszurichten, obwohl das Treffen auf Washingtons Initiative zustande gekommen war und nur den Zweck erfüllte, die amerikanisch-israelische Kriegspolitik abzusegnen. Massimo D’Alema, ein KPI-Veteran und derzeitige italienische Außenminister, gab sich Frau Rice gegenüber besonders unterwürfig.
Dann war da noch der Auftritt von Kofi Annan, der am Tag zuvor Israel beschuldigt hatte, absichtlich auf die UN-Beobachter gezielt zu haben. Er saß neben Rice und akzeptierte ausdrücklich Israels oberflächliche und zynische Entschuldigung.
Der brutale, von Amerika unterstützte Krieg gegen den Libanon und die Abneigung oder Unfähigkeit der anderen Großmächte, sich ihm entgegenzustellen, ist ein Meilenstein bei der Demontage des Völkerrechts, wie es in der Nachkriegzeit etabliert worden war. Einmal mehr wird die Welt Zeuge eines Abstiegs in schrankenlose imperialistische Gewalt und Rechtlosigkeit, wie sie in den 1930er Jahren herrschte und im zweiten Weltkrieg triumphierte.
Sinioras vergeblicher Appell an die Versammlung in Rom ruft ein ähnliches Ereignis in Erinnerung, das fast auf den Tag genau vor siebzig Jahren stattfand: die Rede des äthiopischen Kaisers Haile Selassie im Juni 1936 vor dem Völkerbund. Selassie appellierte damals an die Weltorganisation, die blutige Invasion seines Landes durch das faschistische Italien zu stoppen, aber der Völkerbund unternahm nichts.
Wenn zu jener Zeit das Streben Japans nach Vorherrschaft in Asien und der Versuch Deutschland, Europa zu beherrschen, eine weltweite Katastrophe einleiteten, sind es heute die Vereinigten Staaten mit ihrem Streben nach Weltherrschaft, die die Rolle des Hauptaggressors spielen. Für Washington ist die Neuorganisation des Nahen Ostens und Zentralasiens ein wesentlicher Schritt, um globale Vorherrschaft zu erreichen. Führende Kreise in Amerika sehen in Israels regionalem Herrschaftsanspruch ein Mittel, das sie für die Verwirklichung ihres eigenen großen und wahnsinnigen Projekts nutzen können.
Jahrzehntelang galt nach dem zweiten Weltkrieg die Kapitulation der Großmächte vor dem deutschen Imperialismus in den 1930er Jahren als verabscheuungswürdige "Appeasement"- oder Beschwichtigungspolitik. Sie hatten sich geweigert, auf die unverhohlenen und brutalen Verletzungen des Völkerrechts zu reagieren. Aber heute ist das gleiche Muster nicht weniger deutlich wieder zu beobachten, in Form von Europas Appeasement-Politik gegenüber den Vereinigten Staaten.
Das Ergebnis der Konferenz in Rom unterstreicht die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten die Krise im Libanon durch die militärische Vernichtung der Hisbollah beilegen wollen. Dies ist Teil eines vorsätzlichen und von langer Hand vorbereiteten Plans der USA und Israels, um jeden Widerstand in der libanesischen Bevölkerung gegen die amerikanische Vorherrschaft zu beseitigen und es praktisch in ein Protektorat Israels zu verwandeln.
Die Unterdrückung der Hisbollah, die Washington für einen Verbündeten Syriens und des Iran hält, ist ebenfalls ein wichtiges Ziel des amerikanischen Imperialismus. Beide Regimes sollen nach Amerikas Dafürhalten beseitigen werden, da sie der US-Vorherrschaft über den ölreichen Nahen und Mittleren Osten im Weg stehen.
Die Gefangennahme von zwei israelischen Soldaten durch die Hisbollah am 12. Juli diente lediglich als Vorwand für den Beginn dieser imperialistischen Operation.
Diese Fakten werden in der Propagandakampagne der Medien systematisch und vorsätzlich verschleiert. Die Wirklichkeit wird auf den Kopf gestellt, die Aggressoren als Opfer und die Opfer als Kriegstreiber hingestellt. Begriffe werden ihrer eigentlichen Bedeutung beraubt und in einer Art und Weise benutzt, die mehr verwirrt und verschleiert als informiert.
Nur so ist es möglich, dass der Begriff "Diplomatie" auf die Politik der US-Regierung angewandt wird, die Ultimaten herausgibt und kategorisch verlangt, dass sich die Hisbollah und der Libanon den Kriegszielen Washingtons und Jerusalems beugen müssen, wenn sie nicht vernichtet werden wollen. Frau Rice' Reise nach Nahost und Europa, deren erstes und wichtigstes Ziel darin bestand, den Krieg fortlaufen zu lassen und Israel soviel Zeit wie möglich zu verschaffen, um den libanesischen Widerstand - wie auch den palästinensischen Widerstand im Gazastreifen - zu brechen, wird dabei als "Friedensmission" bezeichnet.
Der allgegenwärtige Ausdruck "terroristisch" wird auf all jene angewandt, die sich der amerikanischen und israelischen Herrschaft widersetzen. Aber der heftige Militärangriff Israels - was ist das anderes als eine Terrorisierung der libanesischen Bevölkerung?
Es wird immer deutlicher, dass der Begriff "terroristisch" gegen jedermann geschleudert wird, der zu irgendeinem Zeitpunkt als Objekt politischer Unterwerfung oder militärischer Angriffe ins Visier der Vereinigten Staaten geraten ist. Wenn das Etikett einmal vergeben ist, gilt jede weitere Diskussion über Geschichte, Politik oder soziale Zusammensetzung des so bezeichneten Landes oder der Organisation als illegitim. Die US-Regierung kann sich immer darauf verlassen, dass die feigen und willfährigen Medien die jüngste "terroristische Bedrohung" an die Wand malen, auch wenn das betreffende Land oder die Organisation, die aufs Korn genommen wird, noch kurze Zeit zuvor zu den "Guten" zählte.
Im aktuellen Fall wird die Absurdität dieser Allzweckpropagandawaffe noch durch die Tatsache hervorgehoben, dass die Hisbollah ein erbitterter politischer Gegner von Osama bin Laden und Al Qaida ist.
Dies alles zielt darauf ab, den wahren Charakter der US- Außenpolitik vor der amerikanischen Bevölkerung zu verschleiern - einer blutrünstigen Politik, die das Völkerrecht mit Füßen tritt und vom gesamten politischen Establishment in der USA getragen wird, von den Demokraten nicht weniger als von den Republikanern. Für die breite Bevölkerungsmehrheit ist es schwierig, das volle Ausmaß der amerikanischen und israelischen Gewalt und die Schamlosigkeit der Aggression zu erfassen.
Jahrzehntelang galten die Vereinigten Staaten als Verteidiger des Völkerrechts. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützten sie bei regionalen Konflikten im Allgemeinen einen Waffenstillstand als Grundvoraussetzung für eine politische Verhandlungslösung.
Diese Zeiten sind vorbei. Immer mehr setzt sich die rücksichtslose Durchsetzung imperialistischer Ansprüche durch, wobei die Vereinigten Staaten die Schlüsselrolle spielen. Dies ist die zentrale Bedeutung der "Präventivkriegsdoktrin" der Bush-Regierung. Wie das derzeitige Blutbad im Libanon anschaulich zeigt, ist Krieg für die herrschende Elite der USA nicht nur ein legitimes Mittel der Außenpolitik, sondern auch das bevorzugte Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen.
Das Problem besteht darin, dass die USA und Israel bei ihrer derzeitigen Offensive damit konfrontiert sind, die Stärke des Widerstands im Libanon unterschätzt zu haben. Die von den USA hochgerüstete israelische Armee hat bei ihrer Bodenoffensive in Südlibanon beträchtliche Verluste erlitten und steht mit der Hisbollah einem entschlossenen und disziplinierten Gegner gegenüber, der darüber hinaus die Unterstützung der Bevölkerung genießt.
Das Vorhaben der USA und Israels, einen kurzen, blutigen Krieg zu führen, hat sich in Luft aufgelöst. Dies erhöht jedoch nur die Wahrscheinlichkeit, dass Israel auf Drängen der USA die Gewalt im Libanon noch kolossal verschärfen wird. Dies hat sich schon an Israels vorsätzlicher Bombardierung des UN-Beobachtungspostens gezeigt.
Weder die USA noch Israel können sich ein militärisches Debakel leisten, das den Mythos von Israels Unbesiegbarkeit untergräbt. Eine solche Entwicklung würde die Bevölkerung im Irak, in Afghanistan und im ganzen Nahen und Mittleren Osten zu Widerstand ermutigen. Dies würde nicht nur Israels regionale Dominanz in Frage stellen, sondern auch die Existenz der arabischen bürgerlichen Regimes in Jordanien, Saudi-Arabien und Ägypten, auf die sich die USA und Israel stützen.
Innerhalb Israels wären die Konsequenzen nicht weniger explosiv. Der Versuch der herrschenden Elite Israels, die arbeitende Bevölkerung durch die angeblich allgegenwärtigen Existenzbedrohung vonseiten der Araber unter Druck zu halten, geht einher mit dem Bild der israelischen Armee als einzigem Überlebensgaranten. Ein größerer Riss in diesem Bild könnte soziale Spannungen auslösen, die in dieser Gesellschaft - einer der weltweit am stärksten polarisierten - dicht unter der Oberfläche liegen.
In Israel gibt es schon Anzeichen für eine wachsende Opposition gegen den Krieg. Diese Opposition wird nicht nur wegen der steigenden Zahl militärischer und ziviler Todesopfer auf israelischer Seite zunehmen sondern auch, weil israelische Arbeiter und Jungendliche zu verstehen beginnen, dass in ihrem Namen dem libanesischen Volk ein gewaltiges Ausmaß an Verwüstung, Chaos und Tod zugefügt wird.
Die große und tragische Lehre der 1930er Jahre lautete, dass die Katastrophe eines Kriegs nicht durch Appelle an die eine oder andere imperialistische Macht oder durch eine Allianz mit der Bourgeoisie einer Nation verhindert werden konnte, sondern nur durch die revolutionäre Mobilisierung der arbeitenden Bevölkerung gegen Militarismus und das kapitalistische System, das ihn hervorbringt.
Die einzige Kraft, die eine weitere globale Katastrophe verhindern kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Diese Erfahrung tritt heute wieder in den Vordergrund und muss als Grundlage für den Aufbau einer neuen internationalen sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse dienen.