Gesundheit wird teurer, Unternehmenssteuern sinken

Die Krankenversicherung wird teurer, die Unternehmenssteuern sinken. Das ist das Ergebnis der nächtlichen Sitzung vom 2. zum 3. Juli, an der die Partei- und Koalitionsspitzen von CDU/CSU und SPD teilnahmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte noch am 21. Juni die Bevölkerung auf weitere Einschnitte in der Gesundheitsversorgung eingestimmt: "Es wird teuer werden", sagte sie im Bundestag im Hinblick auf die angestrebte Gesundheitsreform. Sie hat Recht behalten.

Die Beiträge, die Beschäftigte und Unternehmer an die Krankenkassen zahlen, sollen Anfang 2007 um 0,5 Prozentpunkte steigen. Daraus ergibt sich eine Zusatzlast von rund 2,5 Milliarden Euro auf beiden Seiten, wobei die Unternehmen durch die gleichzeitig vereinbarte Steuerreform um rund acht Milliarden Euro entlastet werden.

Die Anhebung des Beitragssatzes hängt mit der Verteuerung der Medikamente durch die um drei Prozent steigende Mehrwertsteuer und dem Wegfall der Bundeszuschüsse aus der Tabaksteuer an die Krankenkassen zusammen. Unter Rot-Grün war die Tabaksteuer erhöht worden, um die Einnahmen als Bundeszuschüsse zur Mitfinanzierung des Gesundheitssystems einzusetzen. Der Bundeszuschuss beträgt für das laufende Jahr 4,2 Milliarden Euro. Fortan bleiben beide Posten - der Bundeszuschuss und die Mehrwertsteuereinnahmen auf Medikamente - im Bundeshaushalt, statt an die Krankenkassen ausgezahlt zu werden.

Gesundheitsfonds

Als Kernstück der Reform gilt die Einrichtung eines Gesundheitsfonds. In ihn zahlen die Arbeitgeber und Arbeitnehmer den hälftigen Beitrag ein, die Arbeitnehmer zusätzlich noch den ‚Sonderbeitrag’ von 0,9 Prozent, den Rot-Grün 2005 aus der Taufe gehoben hatte. Der Beitragssatz selbst soll gesetzlich festgelegt werden. Es heißt, dass die Beitragsanteile eingefroren werden, was schnell Defizite bei den Krankenkassen entstehen lassen wird.

Den gesetzlichen Krankenkassen wird aus diesem Fonds für jeden Versicherten - unabhängig von seinem Einkommen - der gleiche Betrag überwiesen. Für ihren darüber hinausgehenden Finanzierungsbedarf sollen sie bei den Versicherten Zuschläge erheben und selbst über deren Ausgestaltung - als Pauschale oder einkommensbezogener Zuschlag - entscheiden können.

Auch wenn die Bundesregierung bei der Vorstellung ihrer Ergebnisse stets betonte, die Leistungen würden nicht gekürzt: Hier hat sie den Mechanismus für zukünftige Leistungskürzungen und den Weg in eine Zwei-Klassen-Medizin in Gang gesetzt.

Die neue Regelung hat für die Regierung den Vorteil, dass Kürzungen nicht mehr politisch verordnet werden, sondern sich als "Sachzwang" aus der finanziellen Situation der Krankenkassen ergeben. Es ist klar, dass dies vor allem die großen Orts- und Ersatzkrankenkassen betreffen wird, die einen überproportionalen Anteil von Älteren, chronisch Kranken und Armen unter ihrer Mitgliedschaft haben.

Die privaten Krankenkassen, mit deren Hilfe sich die Besserverdienenden und Reichen aus der gesetzlichen Krankenversicherung stehlen können, bleiben dabei unangetastet. Vor deren Einbeziehung in die Reform hatten die Lobbyisten der Privatkrankenkassen zuvor eindringlich gewarnt. Sie sind erhört worden.

Mit der Ausklammerung der privaten Kassen aus dem Gesundheitsfonds und der Streichung des Bundeszuschusses von 4,2 Milliarden Euro ist die von der SPD im Wahlkampf noch lautstark versprochene "Bürgerversicherung" gestorben.

Die Grundidee der "Bürgerversicherung" bestand darin, dass die Kosten für die Gesundheits- und Sozialversicherung nicht nur den - ständig weniger werdenden - Lohnabhängigen mit regulärem Einkommen aufgelastet werden, sondern auch andere Einkommensarten, wie Einkommen aus Vermögen, Haus- oder Aktienbesitz sowie höhere Einkommen, mit herangezogen werden. Die Beteiligung der privaten Versicherungen am Gesundheitsfonds oder die teilweise Finanzierung der Gesundheitsversorgung durch Steuern wären Schritte in diese Richtung gewesen. Stattdessen werden durch den Gesundheitsfonds lediglich die Mittel zwischen den gesetzlichen Kassen neu verteilt. Weder Kapitaleinkünfte noch Spitzeneinkommen werden zur Finanzierung bei gezogen.

Zugleich wird mit dem Gesundheitsfonds ein erster Schritt in Richtung der von der Union geforderten "Kopfpauschale" gemacht. Während sich die Beiträge in dem seit Bismarck bestehenden Solidarsystem nach dem Einkommen bemessen, müssten bei der Einführung einer "Kopfpauschale" alle Versicherten - ob arm oder reich, ob selbst oder im Rahmen der Familie versichert - den gleichen, einheitlichen Pauschalbeitrag entrichten.

Mit dem neuen System erhalten die gesetzlichen Kassen bereits eine "Kopfpauschale" aus dem Gesundheitsfonds, die sich dann relativ leicht auf die einzelnen Beitragzahler übertragen ließe, sollte das Zwischenglied Gesundheitsfonds im Rahmen einer späteren "Reform" wieder abgeschafft werden. Schon jetzt können die Kassen durch die Erhebung eines Zusatzbeitrags eine Kopfpauschale in Raten eingeführen.

Aus den Krankenkassen verlautete zwar, sie würden eher Leistungen einschränken (beispielsweise beim Krankengeld, der Rehabilitation oder in der häuslichen Pflege), als einen Zusatzbeitrag kassieren. Wenn man jedoch einen Zusatzbeitrag erhebe, heißt es weiter, dann eher einen pauschalen, als eines einkommensbezogenen.

Auch eine Ausgliederung von Leistungen, die dann freiwillig und separat durch den Zusatzbeitrag versichert werden, ist möglich. Man bedenke, dass die gesonderte Versicherung des Zahnersatzes bereits vor längerer Zeit im Gespräch war und in den Niederlanden, wo man gern hinschielt, bereits umgesetzt ist.

Die ZEIT bemerkte, damit sei durch die Hintertür "zumindest eine kleine Kopfpauschale" eingeführt worden. Aus den Spitzenverbänden der Krankenkassen war zu hören, dass eine solche "kleine Kopfpauschale" schnell zu einer "großen" werden könne. Und der Berliner Tagesspiegel kommentierte den Gesundheitsfonds mit den Worten: "Der ideologische Gegensatz von Bürgerversicherung und Kopfpauschale hat sich wundersam verflüchtigt".

Merkel betont jetzt, es sei "ein Wert an sich", dass in einem kommenden Wahlkampf die Gesundheitsreform "nicht so ein kontroverses Thema sein wird." Die SPD hat mit der Krücke des Gesundheitsfonds ohne großes Aufheben selbst die Kopfpauschale akzeptiert und wird nun weiter auf diesem Pferd mitreiten müssen.

Steuerfinanzierung

Als großer Einstieg in einen wirklichen Strukturwandel wurde neben dem Gesundheitsfonds auch die Finanzierung der kostenlose Kindermitversicherung über Steuern gepriesen. Sie gilt als Einstieg in eine teilweise Steuerfinanzierung der Gesundheitsversorgung.

Eine solche Steuerfinanzierung ist formal gesehen der richtige Weg. Gesundheit und Krankenversorgung sind Grundrechte, für die die Gemeinschaft Sorge zu tragen hat. Doch wie es sich mit formalen Betrachtungen meistens verhält: Konkret auf die Realität angewandt verwandeln sie sich ins Gegenteil.

Die angekündigte Steuerfinanzierung ist ein Bluff. Während, wie oben erwähnt, 4,2 Milliarden an Steuergeldern gestrichen werden, fließen 2008 lediglich 1,5 Milliarden Euro für die Kindermitversicherung zurück in den Gesundheitsfonds. 2009 erhöht sich dieser Betrag auf drei Milliarden und erst in den Folgejahren soll der Anteil dann weiter steigen, bis das Gesamtvolumen in Höhe von etwa 16 Milliarden Euro erreicht ist.

Wie dies finanziert wird, steht noch in den Sternen. Während die Koalitionäre beteuerten, es sei keine weitere Steuererhöhung geplant, schloss Finanzminister Peer Steinbrück eine Finanzierung aus dem laufenden Haushalt kategorisch aus.

Doch unabhängig davon, ob die Gelder aus alten oder neuen Steuern kommen, werden die Steuern in Deutschland nicht von den Unternehmen bezahlt, die einen Rekordgewinn nach dem anderen melden, sondern von der arbeitenden Bevölkerung. Die durchschnittliche Lohnsteuerbelastung der Arbeitseinkommen beträgt gegenwärtig 17,7 Prozent (1960: 6,3 Prozent). Die durchschnittliche Steuerbelastung auf Vermögen und Gewinne betrug 2004 nur noch 5,3 Prozent (1960: 20 Prozent). Von den 415 Milliarden Euro, die der Bund 2005 aus Steuern einnahm, entfielen 119 Milliarden auf die Lohnsteuer und 108 Milliarden auf die Mehrwertsteuer, den beiden wichtigsten Posten auf der Einnahmeseite des Haushalts.

Pharmaindustrie

Auch die Pharmaindustrie geht ungeschoren aus der Einigung hervor. Die Arzneimittelausgaben sollen im nächsten Jahr lediglich um eine halbe Milliarde Euro gesenkt werden. Wenn das Ziel nicht erreicht wird, müssen die Apotheker - nicht die Pharmaindustrie - den Kassen Rabatte gewähren.

Außerdem: Angesichts der Preissteigerungen für Arznei und der Rekordgewinne der Pharmakonzerne ist diese Einsparung eher symbolisch. 2005 stiegen die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb eines Jahres um 16 Prozent oder 3,6 Milliarden Euro auf 25,4 Milliarden Euro (15 Milliarden an die Pharmaindustrie, der Rest an Apotheken, Großhandel und via Steuern an den Staat). Im ersten Quartal stiegen die Ausgaben für diesen Posten erneut um 10 Prozent.

Eine Positivliste, die nur die Medikamente aufführt, deren Wirkung gesichert ist, wird seit Jahren erfolgreich von der Industrie verhindert. Von den 53.000 zugelassenen Medikamenten würden nur wenige Tausend darauf Platz finden. Von den 460 neuen Arzneien, die seit 1990 in Deutschland zugelassen wurden, seien nur sieben "echte Innovationen", schreiben Experten.

Die Barmer-Ersatzkasse führt die Kostensteigerungen bei Medikamenten auch auf sogenannte Scheininnovationen zurück, auf neue Medikamente, die wesentlich teurer, aber nicht oder kaum besser sind. Eine Positivliste, wie sie in jedem anderen europäischen Land existiert, würde ein Einsparpotenzial von mindestens 3 Milliarden Euro pro Jahr mit sich bringen. Die Vielzahl der Medikamente und die Entwicklung neuer Medikamente nutzen dagegen in den meisten Fällen den Aktionären der großen Pharmakonzerne, und die Positivliste ist gegen sie chancenlos.

"Unvergessen bleibt der Tag, an dem Baldur Wagner, Staatsekretär des damaligen Gesundheitsministers Horst Seehofer (CSU), dem Ehrenvorsitzenden der Bundesvereinigung der pharmazeutischen Industrie, Hans Rüdiger Vogel, als Geburtstagsgeschenk ein geschreddertes Exemplar der damals aufwändig erarbeiteten Positivliste überreichte", sagte Norbert Schmacke, Professor für Gesundheitsforschung an der Universität Bremen neulich in einem Interview.

Seehofer war unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) von 1992 bis 1998 Bundesgesundheitsminister, jetzt ist er unter Merkel Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.

Kritik von allen Seiten

Trotz der vorgesehenen drastischen Einschränkungen hagelte es Kritik von der nationalen und internationalen Presse, von Wirtschaft und Opposition. Allen ging nach den monatelangen öffentlichen Debatten über radikale Schritte in der Gesundheitsreform das Ergebnis nicht weit genug. "Sanierungsfall Koalition", "Koalition der Buchhalter", "Durchgefallen", "Reinfall" und "Unausgegoren" urteilten die Zeitungen. Hatte doch insbesondere die Wirtschaft gefordert, sie am besten ganz von der Finanzierung der Gesundheitsversorgung auszunehmen.

Hintergrund der allgemeinen Aufregung ist, dass man sich von einer Großen Koalition schnellere und entschiedenere Schritte erwartet hatte. "Liebe Politikerinnen, liebe Politiker worauf warten Sie eigentlich? Keine wichtige Landtagswahl in Sicht. Keine große Opposition im Bundestag. Keine Blockaden im Bundesrat. Jetzt ist das Zeitfenster für die Bundesregierung, kraftvoll anzupacken. Gehen Sie die nötigen Strukturreformen an!" hatte BDI-Präsident Thumann am 20. Juni auf dem Tag der Deutschen Industrie gemahnt. Nun konnte man lesen, Merkel sei keine Thatcher, nicht einmal ein weiblicher Schröder.

Dabei bringt die Reform auf mittlere Sicht wesentlich mehr für die private Wirtschaft ein, als die Reform der Vorgängerregierung, deren Ergebnis bei etwa 9 bis 10 Milliarden Euro lag. Allein durch die Finanzierung der Kinderversicherung aus Haushaltsmitteln erzielen die Unternehmen Einsparung in der Größenordnung der letzten Reform. Die Steuervorteile aus der Unternehmenssteuerreform und anderen Maßnahmen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Unten nehmen und oben geben

Erst letzte Woche hatte der Bundestag weitere Belastungen für Pendler, Kleinsparer sowie Familien mit älteren Kindern auf den Weg gebracht. Künftig sollen Pendler Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erst vom 21. Kilometer an von der Steuer absetzen können. Das steht im sozialdemokratischen Verständnis der Parole "Fördern und Fordern". Gefordert wird unbeschränkte Mobilität, gefördert wird sie nicht.

Der Sparerfreibetrag für Ledige soll auf 750 Euro pro Jahr und für Verheiratete auf 1500 Euro etwa halbiert werden. Zins- und Kapitalerträge, die darüber hinausgehen, müssen dann der Einkommensteuer unterworfen werden, eine Regelung, die vor allem Kleinsparer betrifft. Lehrer können Ausgaben für das häusliche Arbeitszimmer nur noch steuerlich absetzen, "wenn es den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bildet". Die Altersgrenze für die Zahlung von Kindergeld und Kinderfreibetrag wird von 27 auf 25 Jahre gesenkt.

Die Einschnitte treten zeitgleich mit der dreiprozentigen Mehrwertsteuererhöhung Anfang nächsten Jahres in Kraft. Allein in der Gesundheitsversorgung wird die Mehrwertsteuererhöhung 2007 mit einer Milliarde Euro Mehrkosten zu Buche schlagen.

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) verteidigte die Sparpolitik der Bundesregierung wie üblich als alternativlos. Steinbrück sagte am Donnerstag vergangener Woche im Bundestag, dass er den Bürgern "Härten und Zumutungen" nicht ersparen könne. "Die Einschnitte sind nicht populär, aber im Ergebnis zumutbar."

Während Steinbrück "Härten und Zumutungen" für die arbeitende Bevölkerung vorsieht, kann es ihm nicht schnell genug gehen, die eingesparten Milliarden den Unternehmen zuzuschieben. Union und SPD haben sich bei ihrer nächtlichen Koalitionsrunde auch auf Eckpunkte der für 2008 geplanten Reform der Unternehmenssteuer geeinigt.

Demnach soll die Gesamtsteuerlast für Unternehmen unter 30 Prozent gesenkt werden. Das wäre eine fast zehnprozentige Steuersenkung. Die Wirtschaft soll mit der Unternehmensteuerreform ab 2008 um fünf bis sieben Milliarden Euro pro Jahr entlastet werden.

Steinbrücks Pläne setzen die rot-grüne Steuerreform von 2001 fort. Damals waren die Körperschaftssteuer von 42 auf 25 Prozent und der Spitzensteuersatz für Privateinkommen von 53 auf 42 Prozent gesenkt worden. Nun will Steinbrück die Körperschaftssteuer noch einmal halbieren. Die SPD hätte somit innerhalb von sieben Jahren die wichtigste Unternehmenssteuer um fast 30 Prozentpunkte gesenkt, von 42 auf 12,5 Prozent. Die Milliarden, die Steinbrück so den Unternehmen zuschiebt, holt er über "Härten und Zumutungen" bei der Bevölkerung wieder herein.

Siehe auch:
Neuer Anlauf zu radikaler Steuerreform
(15. Februar 2006)
Koalitionsvertrag der Regierung Merkel: Kriegserklärung an die Bevölkerung
( 15. November 2005)
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