200.000 bis 400.000 Jugendliche und Arbeiter beteiligten sich am Dienstag, dem 7. Februar, an insgesamt 187 Demonstrationen in den größten Städten Frankreichs und protestierten gegen die neue Regelung zum Arbeitsvertrag bei erstmaligen Einstellungen, CPE (Contract de première embauche).
Nach Angaben des Innenministeriums beteiligten sich fast zur Hälfte Studenten und Jugendliche an den Protesten, zu denen die Studentenvertretungen der Hochschulen und Universitäten gemeinsam mit den wichtigsten Gewerkschaften aufgerufen hatten. Die Proteste wurden von der Sozialistischen Partei (SP), der Kommunistischen Partei (KPF) und den radikalen linken Parteien unterstützt.
Da die Demonstrationen in den Regionen Paris und Bordeaux während der Winterferien der Schulen stattfanden - dennoch beteiligten sich in Paris 40.000 und in Bordeaux 8.000 -, erachteten die Studentenorganisationen und Gewerkschaften die Beteiligung als außergewöhnlich hoch.
Die Vorlage zur CPE-Gesetzgebung, die in der Nationalversammlung zeitgleich mit den Protesten auf den Straßen debattiert wurde, erlaubt den Unternehmern, junge Arbeiter unter 26 Jahre während der ersten zwei Beschäftigungsjahre willkürlich und ohne Begründung zu entlassen. Gleichzeitig sind die Arbeitgeber von der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen befreit.
Die Gesetzesvorlage war vom gaullistischen Premierminister Dominique de Villepin eingebracht worden, um den Arbeitsmarkt zu liberalisieren und die Arbeitgeber zur Einstellung junger Arbeiter zu veranlassen, um so die Arbeitslosenrate von 23 Prozent bei dieser Altersgruppe zu senken.
Die Demonstrationsteilnehmer machten auf Plakaten und Transparenten deutlich, was sie vom CPE halten. Da stand: "CPE: Arbeitsvertrag für Sklaverei", "Erster Vertrag zur Ausgrenzung", "Unsere Generation will sich nicht opfern lassen". Unter der Abbildung eines jungen Arbeiters, der in eine Mülltonne gesteckt wurde, stand der Kommentar: "Wegwerfjugendliche". Die Aufschrift "Cocktail zum Aufruhr" bezog sich auf die Jugendrevolte vom Oktober und November im vergangenen Jahr.
Am Tag der Demonstrationen veröffentlichte Meinungsumfragen zeigten, dass 60 Prozent der Franzosen, den CPE für eine Verschlechterung der Arbeitsplatzsicherheit für junge Menschen halten und 67 Prozent die Studentenproteste als gerechtfertigt ansehen. Nach einer anderen Umfrage sind 56 Prozent der 15- bis 29-Jährigen gegen den Vertrag.
Beschränkung auf eine Frage
Die Studentenvereinigungen und Gewerkschaften, die den Protest organisierten, hatten verabredet, bei den Demonstrationen nur die Forderung nach Rücknahme des CPE zu erlauben. Vertreter der WSWS, die in Amiens und in Paris die Erklärung der WSWS-Redaktion "Der Kampf gegen den CPE erfordert einen unabhängigen politischen Kampf der französischen Arbeiter" verteilten, konnten beobachteten, dass die Einhaltung dieser Einschränkung streng überwacht wurde.
Von Lautsprechern auf Kleintransportern der Gewerkschaften tönte eine ohrenbetäubende Musik, die jede ernsthafte Diskussion verhinderte. Die Gewerkschaftsbürokratie und die linken Parteien fürchten, eine Ausweitung und Politisierung der Fragen, mit denen die Arbeiterklasse und die Jugend konfrontiert sind, könnte die Bewegung ihrer Kontrolle entgleiten lassen.
In Paris, wo schätzungsweise zwei Drittel der Teilnehmer Studenten und Jugendliche waren, wurde die Demonstration von der Sozialistischen Partei, der Kommunistischen Partei und Gewerkschaftsdelegationen angeführt. In Amiens, wo die Jugend ungefähr ein Drittel stellte und den Demonstrationszug anführte, dominierte die politische Linie von Sozialistischer Partei und Gewerkschaften. Es waren keine politischen Parolen oder Sprechchöre zu hören, alles war auf das Thema CPE begrenzt.
Unter den Demonstrationsteilnehmern der Gewerkschaften waren mehrheitlich ältere Arbeiter, die sich nicht nur um die Zukunft ihrer Kinder und Enkelkinder, sondern auch um ihre eigene Lage sorgen: die über 50-jährigen Arbeiter bilden die zweitgrößte Gruppe unter den französischen Arbeitslosen. Sie leiden unter den harten Einschnitten beim Arbeitslosengeld und den Renten, die seit 2002 von der Regierung der UMP (Union für eine Volksbewegung) von Präsident Jacques Chirac vorgenommen wurden. Für sie hat die Regierung "CDD Senioren" anzubieten - das sind kurzzeitige Arbeitsverträge für Arbeiter über 57 und Verträge für Rentner, bei denen Niedriglöhne mit der Rentenzahlung kombiniert werden.
Diese Angriffe wurden auf den Demonstrationen aber nicht thematisiert. Auch der Arbeitsvertrag für Neueinstellungen CNE (Contrat nouvelle embauche) fand keinerlei Erwähnung. Dieser war ohne Widerstand der Gewerkschaften und linken Parteien im vergangenen August beschlossen worden. Der Vertrag gilt für kleine Betriebe mit weniger als 20 Beschäftigten und diente als Vorlage für den CPE.
Die Vorsitzende der Arbeitgeberorganisation MEDEF (Arbeitgeberverband Frankreichs), Laurence Parisot, hat ihre Freunde in der Regierung kritisiert, weil sie nicht einen einheitlichen Vertrag eingeführt haben, der die Regelungen des CPE auf alle französischen Arbeiter ausdehnt. Am Dienstag sagte sie zu Journalisten. "Wir hegen unsere Zweifel. Es ist nie gut, wenn junge Arbeiter eine Sonderbehandlung erfahren."
Der CPE ist Teil eines Gesetzgebungsverfahrens, das derzeit unter dem Titel "Gesetz zur Chancengleichheit" durchgeführt wird. Zusammen mit der Einführung von Ausbildungsverhältnissen ab 14 Jahren beinhaltet es in Wirklichkeit die Herabsetzung der Schulpflicht von 16 auf 14 Jahre. Dann gibt es noch einen so genannten "Vertrag über elterliche Verantwortung", mit dessen Hilfe Sozialleistungen für Eltern gestrichen werden können, falls ihre Kinder die Schule zu oft schwänzen.
Die Anwesenheit von Führern der Sozialistischen Partei
Bemerkenswert an der Pariser Demonstration war die Teilnahme von Spitzen der Sozialistischen Partei, wie zum Beispiel von Francois Hollande, von Laurent Fabius, eines ehemaligen Premierministers und Ministers in der Regierung der Mehrheitslinken des Sozialisten Lionel Jospin (1997-2002), und des wirtschaftsliberalen Finanzministers von Jospin, Dominique Strauss-Kahn. Auch der ehemalige Kultur- und Erziehungsminister Jack Lang war anwesend und marschierte mit Marie-Georges Buffet von der Kommunistischen Partei, die in Jospins Kabinett Ministerin für Sport gewesen war. Dabei war auch Olivier Besancenot, Sprecher der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR) und deren Präsidentschaftskandidat 2007.
Seit ihrer Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2002 waren die Spitzen der Sozialistischen Partei bei Arbeiterdemonstrationen gegen die Chirac-Regierung nicht mehr willkommen. Der Kandidat der SP, Lionel Jospin, hatte damals nur 16,2 Prozent der Wählerstimmen erhalten und war von dem Faschisten Jean-Marie Le Pen auf Platz drei verwiesen worden. Als vor kurzem am 4. Oktober ein nationaler Protest von Millionen gegen die Regierungspolitik stattfand, wagten es die Führer der Sozialistischen Partei nicht, mit den Arbeitern in den Straßen von Paris zu demonstrieren.
Es war vor allem die LCR, ermutigt und unterstützt von Lutte Ouvrière, die es den früheren Ministern und Führern der Mehrheitslinken ermöglichte, der Straße wieder ins Auge zu blicken.
Um sich weiter in linker Pose zu präsentieren, lehnte die LCR am Mittwoch die Teilnahme an einer Veranstaltung der früheren Parteien der Mehrheitslinken - SP, KPF und Grüne - zu den Wahlen 2007 ab. Die LCR hat aber versucht, das Vertrauen in die Mehrheitslinken auf der Straße wieder herzustellen: Sie fordert die "Einheit der Linken" gegenüber der Regierungspolitik und hat mit ihnen eine Reihe gemeinsamer Aufrufe zu Einzelfragen unterzeichnet. Die Anti-CPE-Kampagne ist nur das letzte Beispiel. Hollande, Fabius, Strauss-Kahn und ihresgleichen können sich nur noch unter dem Schutz der Kommunistischen Partei, der Gewerkschaftsbürokratie und der LCR unter protestierende Arbeiter wagen.
Villepins Unnachgiebigkeit
Premierminister Villepin hat das wahre Gesicht der herrschenden Eliten Frankreichs gezeigt. Per Erlass hat er die Einführung des CPE für den Sommer festgesetzt und droht, eine parlamentarische Debatte mit Hilfe des Artikel 49-3 der Verfassung zu verhindern. Dieser Artikel erlaubt der Regierung, die Nationalversammlung zu umgehen. Villepin versucht, seine unnachgiebige Haltung mit dem Verweis auf die europäischen Konkurrenten zu rechtfertigen, die wie Österreich, Deutschland, Holland und Spanien derartige Arbeitsverträge bereits eingeführt haben.
Die Billigung autoritärer Herrschaftsformen und polizeistaatlicher Maßnahmen von Seiten des politischen Establishments - wie zum Beispiel die Ausrufung des Notstands am 8. November während der Jugendunruhen und das Antiterrorgesetz, das am 23. Dezember ohne Widerstand der SP angenommen wurde - zeigt, wie entschlossen es sich darauf vorbereitet, die Arbeiter zu zwingen, sich der Zerstörung ihrer Lebensbedingungen und Rechte zu unterwerfen. Es hat sich die Demontage des Sozialstaats zum Ziel gesetzt, um die Konkurrenzfähigkeit des französischen und europäischen Kapitalismus auf dem Weltmarkt zu sichern.
Interviews mit Demonstrationsteilnehmern
Das WSWS befragte Studenten bei den Demonstrationen von Paris und Amiens, von denen einige die WSWS schon kannten. Durchgehend waren sie der Meinung, dass es nicht reiche, nur auf den CPE ausgerichtete begrenzte Aktionen durchzuführen unter Bedingungen, wo sich nur Teile der Arbeiterklasse daran beteiligen. Trotzdem betonten alle, wie wichtig es sei, die Wut mit Protesten auszudrücken.
Romain, ein Ingenieurstudent aus Amiens bezweifelte, dass der CPE die Arbeitslosigkeit beeinflussen kann. "Der CPE wird nur den Marktliberalismus im Interesse der Aktienbesitzer beflügeln", sagte er. "Der Rückgang der Arbeitslosigkeit von 10 auf 9,5 Prozent, von dem Villepin kürzlich sprach, war kein Ergebnis der Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern war ein Effekt von Verrentungen von Arbeitern."
Florie, die an der Hochschule in Paris Wirtschaft und Soziologie studiert, bemerkte, dass der isolierte Kampf gegen den CPE nicht ausreiche. "Das ist kein Weg!", sagte sie. Sie wünschte sich, dass der Druck der Straße die Regierung zum Rückzug zwingt. Befragt, ob nach ihrer Meinung eine neue Regierung aus Mehrheitslinken den Bedürfnissen und Wünschen der Jugend besser entsprechen würde, sagte sie: "Ja, besser. Ich denke, das könnte besser sein." Sie war für die Beseitigung von nationalen, ethnischen und religiösen Schranken und für die Vereinigung von Arbeitern und Jugendlichen gegen das Profitsystem und für sozialistische Gleichheit. "Das ist gut, das muss gemacht werden, mehr Gerechtigkeit."
Mathieu von der Jussieu-Universität in Paris glaubte nicht, dass die Mehrheitslinke eine Alternative sein könnte: "Als sie dran waren, haben sie nicht viel gemacht." Er hatte keine Idee, wie die Vorstellungen der Jugendlichen verwirklicht werden können.
Mathieu und Caroline, Literaturstudenten an der Universität von Amiens, erzählten, dass die Studenten unzufrieden sind. Versammlungen seien massenhaft besucht worden, überall hingen Plakate und für den Nachmittag sei ein Streik von Studenten und Hochschullehrern angesagt. "De Villepin will das Gesetzt auf alle Fälle durchboxen," sagte Mathieu, "aber ich hoffe auch auf unsere erfolgreiche Mobilisierung."
Beide stimmten zu, dass "Linke und Rechte auf das Gleiche hinauslaufen. Sie müssen überall sparen, daher die Einschnitte bei den Jobs." Mathieu, der Lehrer werden will, fügte noch hinzu: "Bei den Einstellungen sind die Sozialleistungen, die die Arbeitgeber bezahlen müssen, das Problem. Mein Vater ist ein Boss, er stellt aus diesem Grund nicht ein."
Jérémie, der von seiner Freundin Mélina begleitet wurde, beide Jurastudenten an der Universität in Amiens, bezeichneten den CPE als Zerfallserscheinung. "Es ist der erste Schritt in Richtung Abschaffung des Arbeitsrechts", sagte Jérémie. "Den jungen Leuten werden sichere Jobs verweigert, aber dennoch liegt ihre Arbeitslosenrate deutlich über dem Landesdurchschnitt. Sie behaupten, die Jugendlichen zu fördern, fördern aber in Wirklichkeit die Bosse."
Dann fuhr er fort: " Wir erlebten die Unruhen im Oktober und im November - zwei Monate danach konfrontieren sie uns mit dem CPE. Das ist eine Provokation!" Zum Gesetz zur Chancengleichheit bemerkte er: "Es klingt ganz gut, aber die Maßnahmen nützen den oberen Schichten und den Bossen. Wir sind alle unter 26, wir sind aber auch Erwachsene und machen Zukunftspläne, aus welchem Grund will man uns ausgrenzen?"