Das Arbeitsamt spart durch Förderung von Billiglohnarbeit

Die Bundesagentur für Arbeit (BA) hat vergangene Woche angekündigt, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung um einen halben Prozentpunkt auf dann 6 Prozent des Bruttolohnes zu senken.

BA-Chef Frank-Jürgen Weise sagte in der Presse, die Behörde wolle im laufenden Jahr einen Überschuss in Höhe von drei Milliarden Euro erwirtschaften. Damit könne dann ab kommendem Jahr der Beitragssatz gesenkt werden. "Unser Ziel ist, eine Senkung um einen vollen Punkt zu erreichen", betonte Weise.

Wie konnte die BA drei Milliarden Euro Überschuss erzielen, obwohl die Arbeitslosenzahl mit offiziell 4,65 Millionen im September nach wie vor außergewöhnlich hoch liegt?

Im Wesentlichen ist dies auf zwei Entwicklungen zurückzuführen: Auf drastische Kürzungen bei Arbeitsbeschaffungs-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen, die Arbeitslose zusätzlich qualifizieren und ihre Chance, einen vernünftig bezahlten Job zu erhalten, zumindest etwas erhöhen, sowie auf das Abdrängen von Hunderttausenden Arbeitslosen in Niedriglohnjobs.

Die Wirtschaft profitiert von dieser Entwicklung gleich doppelt. Zum einen sinken durch die Reduzierung des Beitragssatzes die so genannten Lohnnebenkosten, deren Höhe auf der Klageliste der Wirtschaftsverbände seit langem an vorderster Stelle steht; zum anderen stehen ihr wegen fehlender Qualifizierung und dem durch die BA ausgeübten Zwang immer mehr Arbeitskräfte zur Verfügung, die sie zu Minimallöhnen ausbeuten kann.

BA-Finanzvorstand Raimund Becker bezeichnete die Einschränkung von Qualifizierungsmaßnahmen zynisch als "gestiegene Effizienz in der Arbeitsmarktpolitik". Die Arbeitsagenturen überprüften vor Ort seit einiger Zeit stärker die Erfolgsaussicht von Fort- und Weiterbildungen und anderen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Dadurch seien große Summen eingespart worden, umschrieb Becker die Kürzungspolitik der BA.

Als weiteren Grund für den Überschuss der BA nannte BA-Chef Weise die Verkürzung der Arbeitslosendauer durch die schnellere Vermittlung in Arbeit. Was sich vordergründig gut anhört, hat in der Realität einen gehörigen Pferdefuß. Denn die Arbeitlosen werden mitnichten schnell in gleichwertige Jobs vermittelt. Durch die Hartz-Gesetzgebungen sind Arbeitslose gezwungen, jeden Job anzunehmen, auch Jobs weit unter ihrer Qualifikation oder ihrem vorherigen Einkommen.

Zunahme der Niedriglohnjobs

Wie weit diese Entwicklung bereits fortgeschritten ist, zeigt ein Blick auf die Einnahmen und Ausgaben der BA. Der angekündigte Milliardenüberschuss ist ausschließlich auf Einsparungen bei den Arbeitslosen - direkt durch Leistungskürzungen, indirekt durch Kürzungen bei Fortbildungen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - zurückzuführen. Die Einnahmen sind nicht etwa gestiegen, sondern ebenfalls zurückgegangen.

Die BA hat in den ersten neun Monaten des Jahres 41 Milliarden Euro ausgegeben, das sind laut Weise 2,8 Milliarden Euro weniger als im Haushalt eingeplant. Die Einnahmen blieben mit gut 38 Milliarden Euro um 600 Millionen hinter dem Plan zurück. Der Grund ist der Rückgang der sozialversicherten Arbeitnehmer um 400.000 binnen Jahresfrist.

Gestiegen ist dagegen die Zahl der geringfügig Beschäftigten und der Selbstständigen. Rund 4,9 Millionen Männer und Frauen fristen derzeit ihr Dasein in einem Minijob, in dem sie nicht mehr als 400 Euro monatlich erhalten und in dem auch keine Sozialbeiträge anfallen (der Arbeitgeber zahlt lediglich eine geringe Pauschale). Zusätzlich haben 1,5 Millionen Männer und Frauen neben ihrem Hauptberuf einen Minijob. Oft erledigen sie Arbeiten, die früher Vollzeitkräfte verrichteten. Hinzu kommen mittlerweile 255.000 Ein-Euro-Jobber.

Die geringfügige Beschäftigung (in den Minijobs) hat in den letzten fünf Jahren um über 30 Prozent zugenommen. Das zeigt der soeben erschienene IAT-Report, in dem Thorsten Kalina und Dorothea Voss-Dahm vom Institut Arbeit und Technik (IAT) die Fluktuation der Arbeitskräfte und Beschäftigungsstruktur in vier Dienstleistungsbranchen untersuchen.

Vor allem in Branchen mit hohen Anteilen von gering qualifizierten Beschäftigten - etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe und bei der Gebäudereinigung - ist zu befürchten, dass diese nur noch in Minijobs Arbeit finden und dadurch zunehmend Schwierigkeiten haben könnten, ein existenzsicherndes Einkommen zu erzielen, berichten die beiden IAT-Wissenschaftler.

Im Jahr 2004 haben 15 Prozent aller abhängig Beschäftigten in einem Minijob gearbeitet, weitere rund 14 Prozent (ein Plus von 17,6 Prozent innerhalb der letzten fünf Jahre) in Teilzeitjobs.

Bestimmte Dienstleistungssektoren verzeichneten besonders hohe Anteile bei den Minijobs: Im Hotelgewerbe und im Einzelhandel ist jeder vierte Arbeitsplatz ein Minijob, im Reinigungsgewerbe sogar fast jeder zweite. Ein Viertel der Beschäftigten arbeitet hier in Teilzeit und nur ein Viertel in Vollzeit.

Im Einzelhandel ist der Anteil der Vollzeitjobs in den letzten fünf Jahren um fast 12 Prozent gesunken. Nicht einmal jeder zweite arbeitet hier noch in einer Vollzeitstelle. Der IAT-Report zeigt, dass insbesondere Einzelhandelsunternehmen ihren Bedarf an Minijobbern in hohem Maße aus früheren Vollzeitbeschäftigten decken, die über eine qualifizierte Berufsausbildung verfügen und früher voll sozialversicherungspflichtig waren.

Die Minijobs führen auch zu ständiger Unsicherheit bei den Beschäftigten. Stets schwebt der Jobverlust wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Männer und Frauen. Zwei Drittel aller Minijobber treten innerhalb eines Jahres eine neue Stelle an oder beendigen sie wieder.

Mythos "Lohnnebenkosten"

Die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags wird als Erfolg bei der von Wirtschaft und Politik gleichermaßen propagierten Senkung der Lohnnebenkosten gepriesen. BA-Chef Weise behauptete, eine Senkung der Lohnnebenkosten für die Unternehmen und Konzerne werde Arbeitsplätze schaffen. "Am meisten helfen würde dem Arbeitsmarkt eine Senkung der Lohnnebenkosten", sagte er.

Um diese angeblich zu hohen Lohnnebenkosten ist in Deutschland inzwischen ein geradezu absurder Mythos entstanden. Die Forderung nach ihrer Reduzierung haben sich in den letzten sieben Jahren sowohl die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) als auch alle anderen Berliner Parteien zu eigen gemacht. Der Anteil der Nebenkosten an den Lohnkosten, heißt es, sei in Deutschland mit 42 Prozent viel zu hoch. Auf 100 Euro Lohn würden zusätzlich über 76 Euro Lohnnebenkosten entfallen.

In Wirklichkeit handelt es sich bei einem großen Teil der so genannten Lohnnebenkosten schlichtweg um Bestandteile der Arbeitnehmereinkommen wie Urlaubsgeld, bezahlte Feiertage usw. Die Ruf nach der Senkung der Lohnnebenkosten läuft auf die Forderung nach Lohnsenkung und der Abschaffung hart erkämpfter sozialer Errungenschaften, wie der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, hinaus.

Das unionsnahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), das von der deutschen Wirtschaft finanziert wird, hat dies erst kürzlich noch einmal deutlich gemacht. Für das Jahr 2004 hat das IW eine Zusammensetzung der Lohnnebenkosten veröffentlicht, die es zu senken, wenn nicht gar abzuschaffen, gelte.

Der Anteil der Sozialversicherungsabgaben macht dabei nur ein Drittel der Nebenkosten aus. Von den insgesamt 76,60 Euro Lohnnebenkosten pro 100 Euro Lohn entfallen nur 28,10 Euro auf die Sozialversicherungsbeiträge der Unternehmen. Weitere 13,40 Euro entfallen auf bezahlten Urlaub, 8,20 Euro auf das Weihnachtsgeld, 5,30 Euro auf bezahlte Feiertage, 3,90 Euro auf Urlaubsgeld, 3,60 Euro auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, 7,10 Euro auf die betriebliche Altersversorgung, 0,90 Euro auf Vermögensbildung sowie 6,10 Euro auf "Sonstiges".

Während die Einsparungen der BA für die betroffenen Arbeitslosen schwerwiegende Auswirkungen haben, fallen sie ökonomisch relativ wenig ins Gewicht. Derzeit wird die Arbeitslosenversicherung in Höhe von 6,5 Prozent des Bruttolohnes jeweils zur Hälfte von Beschäftigten und Unternehmen gezahlt. Bei einer Senkung um 1 Prozent würden Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein monatliches Bruttogehalt von 2.500 Euro jeweils pro Monat gerade 6,25 Euro einsparen.

Daher werden aus Wirtschaftskreisen bereits Forderungen laut, Beitragssenkungen nur für die Unternehmen durchzuführen. So verlangte der stellvertretende Vorsitzende der Mittelverstandsvereinigung der Union, Jürgen Presser, die von der BA vorgeschlagene Senkung um 0,5 Punkte nur den Arbeitgebern anzurechnen. Während der Beitragssatz von Arbeitern bei 3,25 Prozent verharren würde, könnte der Arbeitgeberbeitrag auf 2,75 Prozent abgesenkt werden. Damit würde auch in diesem Zweig der Sozialversicherung - wie schon in der Gesetzlichen Krankenversicherung - der Grundsatz der paritätischen Finanzierung offiziell aufgehoben.

Dasselbe vollzieht sich auch in der Rentenversicherung. Dort wurde zwar die paritätische Finanzierung bisher offiziell beibehalten. Doch ständige Rentenkürzungen und der damit einhergehende Zwang zur Selbstvorsorgelaufen laufen faktisch ebenfalls auf eine Aufhebung der je hälftigen Finanzierung hinaus.

An der Arbeitslosigkeit ändern diese Angriffe auf Löhne und Lohnnebenkosten nichts. Noch immer sind fast 4,7 Millionen Männer und Frauen offiziell arbeitslos. Wohl aber hat die Senkung der Löhne und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen die Gewinne der Konzerne in die Höhe schnellen lassen.

Unterstützung der kommenden Regierung

Die kommende Bundesregierung - aller Voraussicht nach eine Große Koalition - wird diesen Abbau der Löhne und sozialen Errungenschaften zugunsten der Konzerngewinne beschleunigt fortsetzen. Die Ankündigung der BA, den Beitragssatz zu senken, diente auch als Signal, um eine Große Koalition in dieser Hinsicht zu stärken.

Mit den Maßnahmen wolle die BA den Arbeitsmarkt beleben, sagte Weise. Das sei zwar Aufgabe einer neuen Bundesregierung, stellt Weise in der Süddeutschen Zeitung klar. Aber auch die BA wolle einen Beitrag leisten.

Schon jetzt werden weitere Senkungen der Lohnnebenkosten und damit Kürzungen bei der arbeitenden Bevölkerung vorbereitet. Die CDU/CSU will im kommenden Jahr den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bis auf 4,5 Prozent senken. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Union, Ronald Pofalla, sagte der Frankfurter Rundschau, dies sei aber nur mit einer Anhebung der Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu finanzieren.

Die SPD, die sich im Wahlkampf aus wahltaktischen Gründen als Hüterin des Sozialstaats darstellte, ist inzwischen dabei, eine Große Koalition mit der Union und die kommenden Angriffe auf die Bevölkerung vorzubereiten.

SPD-Arbeitsmarktexperte Klaus Brandner sprach sich am Freitag für eine Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags um bis zu einen Prozentpunkt aus. Voraussetzung sei, dass Aufgaben der BA in der Weiterbildung stärker von den Ländern übernommen würden, sagte Brandner der Nachrichtenagentur Reuters. Die Benachteiligtenförderung, die etwa das Nachholen eines Hauptschulabschlusses umfasse, koste die BA rund 4,5 Milliarden Euro. Dies solle aus Steuermitteln finanziert werden - das bedeutet angesichts "leerer Kassen", dass sie überhaupt nicht mehr finanziert wird.

So ist die Senkung des Beitrags in der Arbeitslosenversicherung eine Vorwegnahme der Politik der Großen Koalition. Die BA spart auf dem Rücken der Arbeitslosen und schickt sie in Billiglohnarbeit. Die Unternehmen werden dadurch gleich doppelt entlastet.

Siehe auch:
Deutschland: Höchste Arbeitslosigkeit seit 1933
(3. März 2005)
Hartz IV in Kraft - Kürzungen Schikanen und Billiglohnarbeit auf breiter Basis
( 15. Januar 2005)
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