Die Zahl der Arbeitslosen ist im Januar in Deutschland zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg auf über fünf Millionen gestiegen. Dies bestätigte Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) noch vor Bekanntgabe der offiziellen Zahlen durch die Bundesagentur für Arbeit.
Ein Teil des Anstiegs, etwa 200.000, ist der Einführung von Hartz IV geschuldet. Bisherige Sozialhilfeempfänger, die von den Behörden als arbeitsfähig eingestuft werden, tauchen nach der neuen Regelung in der Arbeitslosenstatistik auf, weil sie zu Arbeitslosengeld-II-Empfängern geworden sind. Clement versuchte die Rekordhöhe der Arbeitslosigkeit denn auch damit zu rechtfertigen, dass es jetzt erstmals keine Dunkelziffer bei den Arbeitslosen mehr gebe.
Dies erklärt aber weder den Anstieg um über eine halbe Million in einem Monat - Ende Dezember waren offiziell 4.464.230 Menschen arbeitslos gemeldet - noch entspricht die neue Zahl dem wirklichen Ausmaß der Arbeitslosigkeit. Die rot-grüne Bundesregierung hat nämlich bereits im vergangenen Jahr die Statistik so geändert, dass zum Beispiel Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen nicht mehr berücksichtigt werden.
Hinzu kommen all diejenigen, die aufgrund der Einführung von Hartz IV keinerlei Unterstützung mehr erhalten, weil sie Ersparnisse besitzen oder in einer Bedarfsgemeinschaft leben, in der das Einkommen von Partnern oder Kindern heran gezogen wird. Auch sie tauchen nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auf. Ebenso wenig all jene, die zwar Arbeit suchen, aber sich aufgrund bürokratischer Hürden und mangelnder Stellenangebote nicht mehr bei der Arbeitsagentur melden.
Bereits die knapp 4,5 Millionen Arbeitslosen vom Dezember 2004 kennzeichneten einen neuen Rekordstand seit der Wiedervereinigung von 1990. Dies entsprach einer Zunahme um 206.900 gegenüber dem Vormonat und um 149.200 gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres.
Im Jahresdurchschnitt waren letztes Jahr 4,38 Millionen oder 10,5 Prozent ohne Arbeit. Das ist die höchste Zahl seit 1997. Zählt man die aus der Statistik gestrichenen Teilnehmer an Qualifizierungsmaßnahmen mit, ist es sogar die höchste Zahl seit der Wiedervereinigung.
Neue Massenentlassungen
Auch in jüngster Zeit haben wieder mehrere Großunternehmen Massenentlassungen angekündigt, darunter viele, die im letzten Jahr und in den letzten Monaten hohe Gewinne erzielt haben. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts trugen im letzten Jahr mit Ausnahme der Bauindustrie alle Wirtschaftszweige zum Anwachsen des Bruttoinlandsprodukts um 1,7 Prozent bei. Den größten Anteil mit 4,6 Prozent hatte das produzierende Gewerbe. In der Bauwirtschaft geht die Wirtschaftsleistung dagegen seit 1995 zurück. Im letzten Jahr sank sie um 2,4 Prozent.
Insgesamt stiegen die Gewinne der Unternehmen um über 10 Prozent auf 493 Milliarden Euro, während die Einkommen von Arbeitern und Angestellten wegen zahlreichen betrieblichen Sparprogrammen entweder stagnierten oder sanken. Trotzdem haben bereits im Januar zahlreiche Unternehmen weitere Sparmaßnahmen und Massenentlassungen angekündigt.
Deutsche Bank:Die Deutsche Bank hat mit einer umfangreichen Entlassungswelle im Bereich Investmentbanking begonnen. Hunderte von Angestellten der Bank in London und New York sollen bereits ihre Kündigung erhalten haben. Insgesamt sollen in diesem Bereich weltweit 4.000 bis 6.000 Leute entlassen werden, davon etwa 2.000 in Deutschland. Die Deutsche Bank will verschiedene Abteilungen im Anleihe- und Aktiengeschäft zusammenlegen und viele Stellen in den Abwicklungsabteilungen streichen.
Hintergrund dieses massiven Personalabbaus ist ein rigoroses Kostensenkungsprogramm, mit dem Vorstandschef Josef Ackermann die Eigenkapitalrendite der Bank auf 25 Prozent steigern will. Nach Berechnungen von Analysten erhöhen die jetzt eingeplanten Einsparungen die Eigenkapitalrendite aber "nur" von gegenwärtig 20 Prozent auf 23,1 Prozent, so dass mit weiteren Einsparungen und Entlassungen zu rechnen ist.
T-Mobile:Bei dem größten deutschen Mobilfunkkonzern T-Mobile sollen in den nächsten zwei Jahren 2.200 Arbeitsplätze in Europa abgebaut werden, davon 1.200 in Deutschland. In Deutschland ist damit jede siebte, in Europa jede zehnte Stelle betroffen. Mit diesem Abbauprogramm will der Konzern bis Ende 2006 jährlich Kosten in Höhe von einer Milliarde Euro einsparen. Auch hier steht die Ertragssteigerung im Vordergrund.
Die Deutsche Telekom, zu der die Mobilfunksparte T-Mobile gehört, hat seit 2002 vor allem in der Festnetzsparte weltweit etwa 55.000 Stellen abgebaut. Bereits vor einigen Wochen hatte der Telekom-Personalvorstand Hans Klinkhammer weitere Stellenstreichungen im Bereich der Deutschen Telekom angekündigt. Davon könnten in den Jahren 2006 und 2007 jeweils weitere 10.000 Mitarbeiter betroffen sein.
VW:Trotz harter Einschnitte bei der Beschäftigung, flexibleren Arbeitszeiten und niedrigeren Löhnen, die im letzten Jahr gegen die Belegschaft durchgesetzt wurden, hat VW-Vorstandschef Bernd Pischetsrieder ein neues Sparprogramm"ForMotion" angekündigt. Die Kosten sollen über das schon bisher angekündigte Maß gesenkt werden. Allein im Stammsitz des VW-Konzerns in Wolfsburg könnten davon 3.000 bis 4.000 Arbeitsplätze betroffen sein. Grund für die Einsparungen sei, dass VW im letzten Jahr weniger Gewinn erzielt habe, als geplant. Von den neuen Einsparungen und dem Arbeitsplatzabbau werden vor allem die Bereiche Vertrieb, Informationstechnik und allgemeine Verwaltung betroffen sein.
Walter Bau:Der drittgrößte deutsche Baukonzern Walter Bau ist in seiner Existenz bedroht. Weltweit hat Walter Bau knapp 10.000 Beschäftigte. Mindestens ebenso viele Arbeitsplätze wären im Falle einer Insolvenz bei Zulieferern und Subunternehmern betroffen.
Der unmittelbare Grund für die Zuspitzung der Krise liegt in der Ablehnung des Sanierungskonzepts durch mehrere Banken und die damit verbundene Verweigerung von Bürgschaften für Bauprojekte. Poolführerin der insgesamt 27 Banken ist wiederum die Deutsche Bank. Auch für den Fall, dass eine Insolvenz verhindert wird, werden die Kosten für den Sanierungsplan vor allem von den Arbeitern und Angestellten bezahlt werden müssen.
Die Krise bei Walter Bau ist Teil der seit Mitte der 1990-er Jahre anhaltenden Krise in der Bauindustrie. Verstärkt wird sie durch das Fehlen öffentlicher Investitionen, bedingt durch die Sparmaßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Allein seit 1995 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe auf 767.000 halbiert. Auch in diesem Jahr wird mit einem weiteren Abbau von 32.000 bis 40.000 Arbeitsplätzen in der Baubranche in Deutschland gerechnet.
Infineon: Auch der Halbleiterhersteller Infineon verschärft seinen Sparkurs. Er hat angekündigt, Glasfaser-Standorte in München, Berlin und in Longmont, USA, zu schließen. Weltweit sind davon 350 Beschäftigte betroffen, die meisten davon in Deutschland. Die Ankündigung von Werkschließungen und Entlassungen kommt nach drei Jahren, in denen das Unternehmen trotz scharfer Sparmaßnahmen und Arbeitsplatzabbau auf dem hart umkämpften Halbleitermarkt Verluste gemacht hat. Die Opfer, die man den Beschäftigten durch Arbeitsplatzverlust, Lohneinbußen und verschärften Arbeitsdruck mit dem Hinweis auf die schwierige Lage des Unternehmens abverlangt, hinderten den Infineon-Vorstand aber nicht daran, dem umstrittenen Vorstandschef Ulrich Schumacher, der im vergangenen Jahr nach erheblichen Druck von Seiten des Aufsichtsrats zurücktrat, eine Abfindung in Höhe von 5,25 Millionen Euro zu zahlen.
Siemens:Der neue Vorstandsvorsitzende von Siemens, Klaus Kleinfeld, hat an seinem ersten Arbeitstag am 28. Januar den Abbau von 1.350 Stellen im Unternehmensbereich Kommunikation (COM) angekündigt. 400 Stellen sollen in München, 200 in Berlin und 650 in Vertriebsorganisationen außerhalb Deutschlands gestrichen werden. Außerdem sollen 100 Stellen in zentralen Funktionen des Telekommunikationsgeschäfts wegfallen. Der Bereich Kommunikation hat im letzten Geschäftsjahr mit 18 Milliarden Euro Umsatz ein Viertel zum Gesamtumsatz des Siemenskonzerns beigetragen, sein Renditeziel von 8 bis 11 Prozent mit 3,2 Prozent aber weit verfehlt.
Zu diesem Unternehmensbereich gehören seit 1. Oktober 2004 auch die beiden Handy-Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort, die im Frühsommer letzten Jahres von Schließung und Verlagerung bedroht waren. Mit der Drohung, die gesamte Produktion nach Ungarn zu verlagern, war die Belegschaft zur Verlängerung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden pro Woche bei gleichzeitigen Lohneinbußen durch Wegfall von anteiligem Urlaubs- und Weihnachtsgeld erpresst worden. Dafür sollten die Arbeitsplätze für zwei Jahre gesichert sein.
Da aber mit dem Mobiltelefongeschäft in den letzten drei Monaten des Jahres 2004 143 Millionen Verlust gemacht wurden, steht das Schicksal der gesamten Sparte wieder zur Diskussion. In der Wirtschaftspresse wird seit Wochen darüber spekuliert, ob der Bereich geschlossen, verkauft oder in eine Kooperation mit einem anderen Unternehmen eingebracht wird.
Während die Kampagne zur Verlängerung der Arbeitszeit und Senkung der Einkommen, die der Siemens-Konzern letztes Jahr unter seinem langjährigen Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer mit dem Hinweis auf viel niedrigere Arbeitskosten in Osteuropa und Asien anstieß, auch in vielen anderen Unternehmen wie VW und Daimler Chrysler eine Welle von Sparmaßnahmen zu Lasten der Beschäftigten in Gang setzte, sind die Arbeitsplätze durch die erzwungenen Zugeständnisse um keinen Deut sicherer geworden.
Die jüngste Ankündigung von Entlassungen und Einsparungen bei Siemens erfolgt auf dem Hintergrund einer enormen Gewinnsteigerung. Im letzten Geschäftsjahr erzielte Siemens einen Gewinn nach Steuern von 3,4 MilliardenEuro. Dieser soll im laufenden Geschäftsjahr erneut übertroffen werden. In den letzten drei Monaten wurde ein Gewinn von einer Milliarde Euro erzielt, ein deutlicher Anstieg gegenüber 654 Millionen Euro im entsprechenden Quartal des Vorjahres.
Der neue Vorstandschef Kleinfeld hat angekündigt, alle Bereiche, die nicht in der gewünschten Weise zur Ergebnissteigerung beitragen, hart zu sanieren. Er hat sich seinen Weg an die Spitze von Siemens unter anderem dadurch gebahnt, dass er als Leiter des US-Geschäfts von 2001 bis 2004 rücksichtslos durchgriff. Er erreichte, dass in den amerikanischen Niederlassungen von Siemens am Ende seiner Amtszeit wieder schwarze Zahlen geschrieben wurden. Auf der Strecke blieben dabei 10.000 Arbeitsplätze.