Es ist erst knapp vier Monate her, seit die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) bei den Nationalratswahlen von den Wählern deutlich abgestraft wurde und fast zwei Drittel ihrer Stimmen verlor. Doch ungeachtet des damaligen Wählervotums bildete der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) nun eine Neuauflage der rechtskonservativen Koalition mit den Freiheitlichen des Jörg Haider.
Während in Leserbriefen an Wiener Zeitungen die Frage aufgeworfen wird: "Wozu wurde dann überhaupt gewählt, wenn alles bleibt wie es war?", rechtfertigt Kanzler Schüssel seine Entscheidung mit dem Hinweis, dass die FPÖ sich nach langen internen Streitigkeiten stabilisiert habe und "künftig ein verlässlicher Partner" sei, nicht zuletzt wegen des veränderten Kräfteverhältnis innerhalb der Regierung.
Doch das ist reines Wunschdenken. Erstens ist die FPÖ im Streit mit den ehemaligen Regierungsmitgliedern um die zurückgetretene Parteivorsitzende Susanne Riess-Passer weiter nach rechts gerückt. Zweitens hat die geringere Anzahl von FPÖ-Ministern nicht zur Folge, dass der politische Einfluss der Freiheitlichen in der neuen Regierung zurückgegangen ist. Außer dem Sozialministerium, das Herbert Haupt als Vizekanzler führen wird, leiten die Freiheitlichen weiterhin das Justiz- und das Infrastrukturministerium. Auch bleibt Karl-Heinz Grasser Finanzminister. Er ist zwar aus der FPÖ ausgetreten und wird von dieser angefeindet, hält aber an genau der Politik fest, die er drei Jahre lang als FPÖ-Minister betrieben hat.
Dazu kommt noch, dass Jörg Haider, der sich nach der Regierungsbildung vor drei Jahren - zumindest der Form nach - aus der Bundespolitik zurückgezogen und auf sein Amt als Landeshauptmann in Kärnten konzentriert hatte, nun wieder in allen Fragen der Bundespolitik mitmischt. Seit er im Herbst letzten Jahres einen Putsch gegen die Regierung organisierte, an der seine eigene Partei beteiligt war, richtet Haider in regelmäßigen Abständen heftige Attacken gegen Kanzler Schüssel und seine Volkspartei.
Als der Kärntner Volksanwalt und Haider-Intimus Ewald Stadler erklärte, dass eine wirkliche Stabilität der neuen Regierung nur gewährleistet werden könne, wenn Jörg Haider selbst Vizekanzler werde, lehnte dieser zwar ab, blieb aber - wie so oft - sehr zweideutig.
Nicht geändert haben sich die Standpunkte der Freiheitlichen, die schon früher zu Konflikten in der Regierung führten. So behält die Partei entgegen allen Zusicherungen von Parteichef Herbert Haupt ihren Anti-EU-Kurs bei. Infrastrukturminister Hubert Gorbach benutzte Ende vergangenen Monats den Transitstreit zwischen Österreich und der EU dazu, erneut mit einem Veto gegen die Osterweiterung zu drohen.
Alles deutet also darauf hin, dass die neue rechtskonservative Regierung in Wien noch instabiler sein wird als die erste. So stellt sich die Frage, warum sich Kanzler Schüssel auf ein erneutes Regierungsbündnis mit den Freiheitlichen eingelassen hat, obwohl ihm das Wahlergebnis auch andere Möglichkeiten eröffnete.
Die Antwort findet sich, wenn man die monatelangen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen betrachtet, die er mit den Sozialdemokraten und Grünen führte. Beide hatten keine grundlegenden Differenzen mit Schüssels ÖVP und betonten das auch. Aber unter Leitung von Alfred Gusenbauer wollte sich die SPÖ nicht als Juniorpartner einer Grossen Koalition zur Verfügung stellen. Das hat mehrere Gründe.
Weil die Sozialdemokraten wissen, dass die Wirtschaftsverbände drastische Sozialkürzungen fordern, die auf heftigen Widerstand in der Bevölkerung stoßen werden, wollen sie nicht in eine Regierung eingebunden sein, in der sie nicht den Kanzler stellen und die politische Richtlinienkompetenz haben. Außerdem befürchten sie, dass Jörg Haiders Rechtspopulismus wieder stärker Einfluss gewinnt, wenn der geplante Sozialabbau durch eine Große Koalition durchgeführt wird. Folglich erklärten sie zwar ihre Regierungsbereitschaft, stellten sich aber in der Frage der Einführung von Studiengebühren und der Rentenreform stur und verlangten Mindeststandards.
Unter diesen Bedingungen setzte Wolfgang Schüssel große Hoffnungen auf ein Regierungsbündnis mit den Grünen. Deren Führungsmannschaft unter Parteichef Alexander van der Bellen zeigte sich darüber höchst erfreut und signalisierte Kompromissbereitschaft auf allen Gebieten. An eifrigen Befürwortern einer schwarz-grünen Koalition gab es keinen Mangel. Daniel Cohn-Bendit, Fraktionschef der Grünen im Europaparlament, klatschte Beifall und schlug vor, sich der Volkspartei "kulturell anzunähern". Auch andere sprachen von einer "historischen Gelegenheit" für die Grünen und bezeichneten die Entwicklung als "europaweite Sensation".
Später berichtete ein Mitglied der Verhandlungskommission, der Salzburger Ministerpräsident Franz Schausberger (ÖVP), die Grünen hätten "grundsätzlich bei allen offen gebliebenen Fragen mehr Flexibilität und Beweglichkeit gezeigt als die SPÖ". (Der Standard)
Gescheitert ist das schwarz-grüne Projekt dann vor allem daran, dass die grüne Parteiführung die Turbulenzen an der Basis unterschätzte. Mehrere Landesverbände, besonders der einflussreiche Wiener Landesverband, protestierten heftig gegen eine Regierungszusammenarbeit mit der konservativen ÖVP. Selbst eine Parteispaltung stand im Raum. Als die grüne Verhandlungsleitung daraufhin Umweltthemen und die Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe in den Vordergrund rückte, geriet Kanzler Schüssel vom rechten Flügel seiner Partei, der im Bündnis mit der FPÖ an Einfluss gewonnen hat, stark unter Druck und beendete die Gespräche.
Im Wesentlichen drehten sich die Verhandlungen über die Regierungsbildung also darum, wer die Drecksarbeit macht. Oder anders gesagt, wie und in welcher Regierungsform drastische Sparmaßnahmen in allen Sozialbereichen gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden. Und hier boten sich die Freiheitlichen als rücksichtsloseste und aggressivste Kraft an.
Drastischer Sparkurs
Kaum sind die neuen Minister vereidigt, bereitet die rechts-konservative Regierung einen weiteren Frontalangriff auf die Bevölkerung vor.
Einige Punkte des Sparpakets, das acht Milliarden Euro umfassen soll, sind bereits beschlossen und im Regierungsprogramm verankert. So soll die Rentenregelung weiter verschlechtert werden. In mehreren Stufen soll die Frühpension abgeschafft werden. Nach der Verschärfung dieser Regelung im Jahr 2000 stieg die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer bereits an, was sich jetzt verstärkt fortsetzten und zu wachsender Altersarmut führen wird.
Die Pensionshöhe soll zudem nicht wie bisher nach den besten 15 Jahren berechnet werden, sondern nach den gesamten letzten 40 Arbeitsjahren, was besonders bei Arbeitnehmern mit niedrigem Einkommen und in Teilzeit die Rente schmälert.
Gleichzeitig fördert Schwarz-Blau weiter die Privatisierung im Rentensektor in einem Umfang von 200 Millionen Euro. Gerade die Beschäftigten, die auf Grund ihres niedrigen Einkommens am wenigsten in private Vorsorge investieren können, werden also am meisten belastet.
Deutliche Einsparungen sollen auch in der Gesundheitsversorgung gemacht werden. Weitere Gebühren für Arztbesuche sind geplant, die dazu führen, dass durchschnittlich verdienende Arbeiter und Angestellte etwa 40 Prozent der Behandlungskosten selbst tragen müssen. Der Präsident der Ärztekammer Wien, Walter Dorner, sieht darin zurecht die "völlige Abkehr von einem solidarischen Gesundheitssystem".
Des weiteren sind tief greifende Einschnitte im öffentlichen Dienst vorgesehen. In ganz Österreich sollen 30.000 Beamtenstellen abgebaut werden. Weitere Entlassungen sind zu erwarten, wenn - wie von ÖVP und FPÖ geplant - die Privatisierung der öffentlichen Betriebe vorangetrieben wird.
Die Unternehmen VA Technologie, VO Estalpine, Bergbauholding und Telekom Austria sollen vollständig privatisiert werden. In der Elektrizitätswirtschaft steht offenbar das Ende der bisher verfassungsmäßig festgeschriebenen staatlichen Mehrheitsbeteiligungen bevor. Im neuen Regierungsprogramm wird die "Aufhebung der mehrheitlichen Beteiligung der öffentlichen Hand" festgelegt.
Gleichzeitig sollen Sozialausgaben gesenkt und der Druck auf Arbeitslose erhöht werden. So sollen die Zumutbarkeitsbestimmungen für die Annahme einer Stelle bzw. die Straf-Möglichkeiten bei Nicht-Annahme einer zumutbaren Arbeit "flexibilisiert", also verschärft werden.
Die Einsparungen aus diesen gesamten Maßnahmen, die die breite Bevölkerung belasten, werden direkt zu Gunsten von Unternehmen umverteilt oder fließen in die Aufrüstung des Militärs.
Für 2004 und 2005 ist eine Steuerreform geplant. In der ersten Stufe sollen kleine und mittlere Einkommen durch eine geringfügige Erhöhung der Steuerfreigrenze begünstigt werden, was allerdings durch eine Preiserhöhung von Benzin, Diesel, Gas und Kohle sofort kompensiert wird. In der zweiten Stufe sollen dann Unternehmen durch eine Senkung der allgemeinen Steuerquote und Reduzierung der Unternehmenssteuern begünstigt werden. Diese Stufe hat ein wesentlich höheres Volumen als die Erste.
Unternehmensvertreter zeigten sich daher auch hoch erfreut, als Finanzminister Grasser bekannt gab, er werde im Interesse von Steuerentlastungen für Unternehmen sein Ziel um einige Zeit verschieben, einen ausgeglichenen Haushalt bis 2005 zu erreichen. "Wir können feststellen, dass wir in den wesentlichsten Punkten gehört worden sind", sagte Lorenz Fritz, Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV).
Der andere Teil der Einsparungen - Experten gehen von mindestens zwei Milliarden Euro aus- wird für die Anschaffung von 24 Abfangjägern verwendet.
Statt Ruhe und Ordnung, wie Kanzler Schüssel versprach, haben in Österreich turbulente Zeiten begonnen. Die neue Mitte-Rechts-Regierung verfügt im Parlament nur über eine dünne Mehrheit von fünf Stimmen. Eine solch knappe Mehrheit hatte keine Regierung seit 1945. Dazu kommt, dass laut einer Umfrage des Institut Oekonsult 80 Prozent der Österreicher der Meinung sind, dass diese Regierung nicht dem Wählerwillen entspricht.
Das wurde auch am vergangenen Sonntag sichtbar, als die FPÖ bei den Kommunalwahlen in ihrem Stammland Kärnten 6,9 Prozent der Stimmen verlor. Auch die Kanzlerpartei ÖVP, die bei den Nationalratswahlen im November in diesem Bundesland immerhin 14 Prozent hinzugewonnen hatte, konnte sich nur geringfügig um ein Prozent verbessern. Eine deutliche Absage an beide Regierungsparteien.