Am vergangenen Freitag fand im Innenausschuss des Bundestags eine Anhörung von Sachverständigen zum zweiten Anti-Terror-Paket der rot-grünen Bundesregierung statt. Die Experten ließen keinen Zweifel daran, dass das unter Federführung von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) erarbeitete Gesetzespaket einen weitgehenden und umfassenden Angriff auf demokratische Grundrechte darstellt. Es sei "ein Widerspruch in sich selbst", wenn angeblich zum Schutze eines "zivilisierten Staates" gerade dessen Merkmale weitgehend preisgegeben würden, lautete eines der deutlichsten Urteile.
Ähnlich wie das erste Anti-Terror-Gesetz, das unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September vorgelegt und jetzt endgültig vom Bundesrat verabschiedet wurde, soll auch das zweite in großer Eile und möglichst ohne breite gesellschaftliche oder auch nur parlamentarische Diskussion durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden. Bereits Ende dieser Woche soll die dritte und letzte Lesung des Gesetzespakets stattfinden.
Auf das umfangreiche Maßnahmen- und Gesetzespaket hatte sich das rot-grüne Kabinett am 7. November geeinigt, nachdem Schily den Grünen zwei geringfügige Zugeständnisse bei seinem parallel eingebrachten Zuwanderungsgesetz zugesagt hatte: die Anerkennung nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung als Asylgrund. Insgesamt sieht aber auch das Zuwanderungsgesetz weitere rechtliche Verschlechterungen und Einschränkungen für Asylsuchende und ausländische Arbeiter und Einwanderer vor. Darüber hinaus kalkulierte Schily bei seinem Angebot an die Grünen bereits ein, dass dieses durch die Verhandlungen im Bundesrat, wo die CDU/CSU-geführten und mitregierten Länder die Mehrheit haben, wieder entfallen wird.
Die Kritik der Sachverständigen am Anti-Terror-Gesetz, die teilweise in Form schriftlicher Gutachten vorlag, konzentrierte sich auf die "verfassungsrechtlich problematische" Erweiterung der Befugnisse der Geheimdienste, den fast grenzenlosen Zugriff dieser Dienste auf Bank-, Telefon- und Reisedaten (z.B. Flugverbindungen) von Verdächtigten sowie auf die Verschärfung der Gesetze und Verordnungen, die sich gegen Ausländer richten.
Das Gesetzespaket sieht unter anderem eine Ausweitung der geheimdienstlichen Zugriffsmöglichkeiten auf Telefon- und Bankdaten vor. Der Zugriff soll nicht nur zur Bekämpfung islamischer Terroristen, sondern auch des "gewaltfreien Inlandsextremismus" möglich sein. Die Definition von Terrorismus und Extremismus bleibt dabei äußerst vage.
Da es in Deutschland berühmt-berüchtigte Tradition ist, jeglichen Widerstand gegen soziale, politische oder kulturelle Unterdrückung zu kriminalisieren und als Terrorismus oder Extremismus zu verunglimpfen, erhalten die Geheimdienste weitgehend eine Blankovollmacht. Als "Extremisten" werden z.B. regelmäßig auch Sozialisten bezeichnet, die gegen soziale Ungleichheit, die Unterdrückung demokratischer Rechte und imperialistische Kriege auftreten. Aber auch Arbeiter, Schüler und Studenten, die gegen Entlassungen, Kürzungen oder Einsparungen protestieren, können unter diese Kategorie fallen.
Der Deutsche Richterbund hält es "für besonders bedenklich", dass die Verfassungsschutzämter zu Ermittlungsbehörden weiterentwickelt werden, "die einer justiziellen Kontrolle nicht unterliegen".
Der Berliner Professor für Staats- und Verwaltungsrecht Martin Kutscha erklärt, dass Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst durch die Erweiterung ihrer Befugnisse "eine Kompetenzfülle erhalten", die diese in die Nähe der Geheimdienste totalitärer Staaten rücken. "Ohne Rücksicht auf das Übermaßverbot wird in dem Gesetzentwurf vorgeschlagen, was technisch möglich erscheint, anstatt zu prüfen, was geeignet und erforderlich ist", schreibt er in seiner Stellungnahme. Dadurch werde "der Ausnahmezustand zur Norm erhoben", viele unbescholtene Einzelpersonen würden ohne ihr Wissen in Dateisystemen erfasst, "ohne konkrete Verdachts- und Gefahrenlage".
Die Kritik des Frankfurter Anwalts und Spezialisten für Ausländerrecht Reinhard Marx geht vor allem auf die geplanten ausländerrechtlichen Verschärfungen ein, nach denen Ausländer bereits ausgewiesen werden sollen, wenn es bloße Anhaltspunkte für eine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gibt. Obwohl diese Regelung auch die Existenz von bereits lange in Deutschland lebenden Ausländer vernichten könne, sei "an keiner Stelle" definiert, was eine terroristische Vereinigung sei und was als Unterstützung zu verstehen sei. Und obwohl dieser Tatbestand nicht näher definiert werde, könne er gleichwohl zum Anknüpfungspunkt einschneidender Freiheitseingriffe werden: Angehörige der zweiten Ausländergeneration, also faktische Inländer, würden bei der nicht näher definierten "Unterstützung" des Landes verwiesen.
Marx bringt die Frage auf, "warum ein nach seiner Intention den Terrorismus bekämpfendes Gesetz zugleich einschneidende Rechtsverkürzungen für eine Gruppe von Personen herbeiführen will, die nach den Erfahrungen der Vergangenheit in aller Regel keinerlei Nähe zu terroristischen Gruppen aufweisen".
Rechtsanwalt Hubert Heinold aus München, der ebenfalls auf Flüchtlings- und Ausländerrecht spezialisiert ist, geht in seinem Gutachten auf die Gefahr der politischen Willkür bei der Verwendung des "Terrorismus"-Begriffs ein. Es heißt dort: "Was heute als legitime Widerstandshandlung gegen nicht gerechtfertigte Staatsgewalt angesehen wird, ist morgen vielleicht schon als Terrorismus diskreditiert. Die wechselnde Bewertung der Vorgänge um Tschetschenien, der UCK im Kosovo, der Tamil-Tigers in Sri Lanka oder anderer sogenannter Befreiungsbewegungen' durch die Öffentlichkeit, aber auch die Justiz, liefert ein beredtes Beispiel für die Begriffsunschärfe. Gleiches gilt für den Begriff der Unterstützung."
Heinold weist dann darauf hin, dass bereits die Unterstützung eines Hungerstreiks von politischen Gefangenen zum Beispiel in der Türkei oder die Überweisung einer Geldspende für eine Gefangenenhilfsorganisation unter den Terrorismusverdacht fallen und damit eine Ausweisung nach sich ziehen kann. Das gleiche gilt für die Teilnahme an Demonstrationen, die die Anhänger einer Organisation unterstützen, die als "terroristisch" gebrandmarkt wurde. In der Zusammenfassung seines elfseitigen Gutachtens bemerkt Heinold: "Man hat den Eindruck, als würde die aktuelle Bedrohung dazu benutzt, um durchzusetzen, was bisher nicht durchsetzbar war."
Auch die Süddeutsche Zeitung gelangt zum Schluss, dass die Ereignisse des 11. September lediglich als Vorwand dienen, um langgehegte Pläne und Angriffe auf demokratische Grundrechte umzusetzen. Heribert Prantl, selbst gelernter Jurist, schreibt am 7. November: "Das Anti-Terror-Gesetz schlägt bei den Asylversagungsgründen so brutal zu, wie es in normalen Zeiten nie und nimmer durchsetzbar gewesen wäre: Der bloße Verdacht, dass ein Ausländer die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährden könnte, führt künftig dazu, dass eine Aufenthaltserlaubnis weder erteilt noch verlängert wird. Ausländer, auf die ein solcher Verdacht fällt, werden ausgewiesen, sofort vollziehbar. Das kann nicht nur Leute treffen, die erst ein paar Jahre hier leben, sondern auch Ausländer der zweiten Generation, diejenigen also, die hier zu Lande groß geworden sind. Der Verdacht genügt, dass sie irgendetwas mit Terrorismus oder gewaltbereiten Aktivitäten zu tun haben könnten, wobei der Begriff Terrorismus ziemlich vage und weit gefasst wird."
Während die Sachverständigen das geplante Gesetzespaket im Innenausschuss des Bundestags scharf kritisierten, forderten im gleichzeitig tagenden Bundesrat mehrere Länderinnenminister eine weitere Verschärfung. Die Vertreter der Innenminister von NRW (SPD-Grüne), Sachsen (CDU), Schleswig-Holstein (SPD-Grüne) und Bayern (CSU) hatten für die Sitzung vom 30. November ein entsprechendes Papier ausgearbeitet.
Zentrale Forderung vor allem Bayerns und Niedersachsens, dessen Landesregierung von Schröders Nachfolger Siegmar Gabriel (SPD) geführt wird, ist die deutliche Ausweitung von Ausweisungstatbeständen für Ausländer. Nach ihren Vorstellungen sollen Ausländer schon dann keine Einreise- und Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie unter Verdacht stehen, die "freiheitlich-demokratische" Grundordnung zu gefährden. Eine Ausweisung soll all denjenigen drohen, die "bei der Verfolgung politischer Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt sind oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufrufen", heißt es in dem Papier.
Die von SPD und Grünen regierten Länder Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zogen kurz vor der Bundesratssitzung ihre Unterstützung für das Papier zurück, um dem Bund Verhandlungsspielraum zu geben. Darauf beschloss der Bundesrat am Freitag nach der ersten Beratung des Gesetzespakets eine Stellungnahme zu erarbeiten, die Vorschläge für weitere Verschärfungen enthält. Diese sollen in die Ausschüsse der Länderkammer eingebracht und am nächsten Freitag bereits in dritter Lesung verabschiedet werden.
Eine genaue Untersuchung der auf den Weg gebrachten Gesetze macht deutlich, dass sie vor allem zum Schutz des bürgerlichen Staats gegen die Opposition breiter Bevölkerungsschichten bestimmt sind. Sie sind geprägt von der Furcht vor sozialen Protesten und politischen Aufständen, die sich angesichts der wirtschaftlichen Rezession und der von der Bundesregierung durchgepeitschten Kriegsteilnahme gegen Afghanistan unter der angespannten gesellschaftlichen Oberfläche zusammenbrauen.