Die Bewohner der bretonischen Küste sind aufgebracht. Noch immer - seit fast vier Monaten - sickert aus dem Wrack des havarierten Öltankers Erika eine zähflüssige, schwarze Masse. Seit dem 12. Dezember 1999 werden die Strände von Brest bis zur Loiremündung, je nach Stärke des Westwinds, immer wieder mit öligen, übel stinkenden Schwaden überschwemmt.
Die Ölpest hat Auswirkungen auf das ganze Leben. Austernkulturen, Fischerei, Küstenschifffahrt und Tourismus liegen darnieder. Bis zu 300.000 Vögel sind verendet - 61 verschiedene Arten -, was mittlerweile als größte ornithologische Katastrophe weltweit eingeschätzt wird. "Die Erika sinkt und wir gehen unter" steht auf dem Transparent einer der jüngsten Demonstrationen.
Der Untergang der Erika am 12. Dezember 1999 war kein einmaliger Unglücksfall. Hier ist passiert, was zwangsläufig als Folge von Geschäftspraktiken, die die internationale Seeschifffahrt beherrschen, passieren muss. Um Kosten zu sparen, lassen Weltkonzerne wie der Ölmulti TotalFina gefährliche Frachten in maroden Tankern unter Billigflaggen transportieren, während die Regierung und die EU-Inspektionen - "Nach uns die schwarze Flut!" - beide Augen zudrücken. Die Bevölkerung hat das Nachsehen.
Der Untergang der Erika
Am 10. Dezember 1999, als der 37.000-Tonnen-Tanker Erika die Fracht von TotalFina aufnimmt, hat er bereits ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel. 1975 in Japan gebaut, hat er sieben Mal seinen Namen und noch öfter seinen Eigentümer gewechselt. Seit August 1998 gehört er einer griechischen Reederei, wird von der italienischen Reederei "Tevere Shipping" verwaltet und fährt mit einer indischen Besatzung unter maltesischer Flagge.
In Dünkirchen wird das Schiff von TotalFina gechartert. Der Ölkonzern will nach offiziellen Angaben auf der Erika 30.000 t schweres Industrieöl (Kategorie Nr. 2) aus seiner Raffinerie Mardyck transportieren. Es ist bereits der vierte solche Transport in diesem Jahr. Die Ladung ist für ein Heizkraftwerk in Enal de Milazzo (Sizilien) bestimmt.
Bei Schlechtwettereinbruch steuert die Erika aus dem Ärmelkanal in Richtung Brest auf die Bretagnespitze zu. Hier ist die Erika starkem Westwind ausgesetzt, hat Schwierigkeiten, Kurs zu halten. Die Sturmgewalt schlägt ein Leck in eine der Frachtkammern, es dringt Wasser ein.
Der Kapitän alarmiert die Reederei, welche TotalFina informiert. Von dort kommt die Weisung, den Kurs Richtung Loiremündung zu halten und die Fahrt fortzusetzen - eine verhängnisvolle Entscheidung. Spätestens hier hätte die Erika zum Land hin abdrehen und im Hafen von Brest landen müssen.
In den folgenden Stunden und bei ständiger Zunahme der Stürme erkennt der Kapitän, dass sein Schiff, das schon stark Schlagseite aufweist, seine Reise nicht wird vollenden können, und er fragt über Radio in St. Nazaire an, ob er am Ölterminal von Donges, in der Loiremündung, andocken könne. Das wird ihm verweigert, denn schließlich soll die Loire nicht verschmutzt werden.
Also kehrt der marode Tanker um und hält wieder auf Brest zu, während sich das Loch an Steuerbord ständig vergrößert und die Außenwand Risse zeigt. Um sechs Uhr früh - das heißt 15 Stunden nach dem ersten Leck - wird zum erstenmal SOS gefunkt. Der indische Kapitän signalisiert: "Mein Schiff leidet, mein Schiff leidet!" Sein Tanker liegt südlich der Bretagnespitze, in der Höhe von Penmarch. Die Rettungshubschrauber können gerade noch die Mannschaft bergen, der Kapitän geht als letzter von Bord. Um 8.15 bricht das Schiff in zwei Teile auseinander.
Über Weihnachten setzt eins der schlimmsten Unwetter ein, die See wird aufgewühlt. Die schwarze Flut, die aus dem Wrack entweicht, wird so auf ein großes Gebiet verteilt und an zahlreichen Küsten angeschwemmt. Die Loiremündung ist ebenso betroffen wie die Insel Belle-Ile-en-Mer und das Naturschutzgebiet bei Brest. Tausende freiwilliger Helfer sind im Einsatz, um mit Schippe und Eimer die stinkende schwarze Masse zu beseitigen und die Seevögel zu retten.
Sofort nach der Havarie wird der indische Kapitän der Erika verhaftet und vollkommen von allen Reportern abgeschirmt. Man macht ihn zum alleinigen Sündenbock. Empört über diese Ungerechtigkeit spenden daraufhin viele französische und europäische Kapitäne der Handelsmarinen Geld, damit er auf Kaution das Gefängnis wieder verlassen kann.
Die Ölpest wird analysiert
Ein kleines privates Labor namens Analytika aus Cuers bei Toulon beginnt, Proben zu analysieren, nachdem ein Bewohner der Insel Groix an sich selbst Rötungen, Hautausschlag und Juckreiz beobachtet und ein Glas mit einer Probe der zähflüssigen Masse im Labor einreicht.
Analytika kommt zu folgenreichen Erkenntnissen: Im Gegensatz zu den offiziellen Communiqués von TotalFina, die nach wie vor von Dieselöl sprechen, scheint es sich um Industriesondermüll zu handeln, der auf Jahre hinaus eine hochgiftige, krebserregende und genverändernden Wirkung hat. Es werden allein 69 krebsfördernde Komponenten isoliert.
Am 20. Januar 2000 tritt Analytika erstmals mit der Warnung an die Öffentlichkeit, dass "Substanzen der Ladung der Erika giftig und krebsfördernd" sind und dass es sich um Stoffe handelt, die nach Europäischen Richtlinien "mit der breiten Öffentlichkeit nicht in Berührung kommen dürfen".
Zu dem Zeitpunkt haben sich bereits Tausende Freiwilliger, darunter viele Kinder, tagelang an den Säuberungen beteiligt. Die Regierung, Umweltministerin Voynet (Grüne) und Sozialministerin Aubry (SP), haben die ganze Bevölkerung aufgerufen, sich an der Reinigung der Strände zu beteiligen, und haben extra für diesen Zweck für zehn Millionen Francs 300 befristete Stellen für Arbeitslose neu geschaffen. Die Grünen haben sogar eine Gruppe von Sans-papiers (Menschen ohne legale Aufenthaltsberechtigung) mit der Begründung auf die Insel Belle-Ile-en-Mer geschickt, diese Menschen könnten bei der Säuberungsaktion ihre französische Gesinnung unter Beweis stellen.
Das Labor Analytika wird sofort in den Zeitungen diffamiert: Es handle sich um ein beinahe bankrottes Unternehmen, das mit den Enthüllungen nur versuche, in die Schlagzeilen zu kommen.
Währenddessen überprüft man bei Analytika erneut die Glaubwürdigkeit von TotalFina: Proben der Ölpest werden nun mit Industrieölproben der Kategorie Nr. 2, die aus einer Total-Raffinerie stammen, verglichen. Ergebnis: das analysierte Material aus der Erika unterscheidet sich ganz wesentlich von schwerem Industrieöl Nr. 2. Stattdessen weist es eine Zusammensetzung auf, die Raffinerieablagerungen entspricht, wie sie bei der Verarbeitung von schwerem Industrieöl als Abfall entstehen und nicht zur Wiederverwendung taugen. Solche Abfallstoffe unterliegen den Industriesondermüll-Bestimmungen.
Das könnte bedeuten, dass die Erika DIS-Produkte geladen hätte: DIS - Déchets Industriels Spéciaux - sind besondere Industrieabfälle, die von Gesetzes wegen an Ort und Stelle hätten entsorgt werden müssen, aber auf keinen Fall ins Ausland gebracht werden durften.
Diese Ergebnisse werden später durch zwei weitere unabhängige Labors bestätigt, die auf Initiative des Magazins Paris Match Proben der Ladung der Erika analysieren, die mit dem Hubschrauber direkt neben dem Wrack genommen werden. Die Ergebnisse, welche die Befunde von Analytika voll bestätigen, werden notariell beglaubigt und am 9. März 2000 veröffentlicht.
Die Chemiker von Analytika versuchen, über das Internet Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zu erreichen: "Wir fordern, dass die Entsorgung der Küste ab sofort von Spezialisten mit entsprechender Ausbildung übernommen wird, ... und dass die von der Katastrophe betroffenen Regionen endlich aufhören, Freiwillige anzuheuern." Außerdem verlangen sie, dass ihre "Ergebnisse bezüglich der wahren Ladung der Erika so schnell wie möglich durch eine europäische Expertenkommission überprüft werden, die vom Europäischen Kommissariat für Umweltschutz eingesetzt wird und völlig unabhängig von der Ölindustrie ist."
Wie reagieren die Politiker?
Nach der ersten Warnung des Analytika-Labors beeilt sich Premierminister Lionel Jospin zu beschwichtigen und erklärt am 21. Januar: "Man muss die alarmierenden Ergebnisse des Labors der Analytika nicht unbedingt wörtlich nehmen." Zur Begründung beruft er sich auf Analysen, die TotalFina selbst geliefert hat. Die Umweltministerin, Dominique Voynet, Mitglied der Grünen, pflichtet ihm bei: "Es bestehen noch einige Grauzonen, was die Probennahme und Analyse des privaten Labors betrifft, das behauptet, die Stoffe seien giftig."
Aber weit davon entfernt, Licht in die "Grauzonen" zu bringen, hält sich die Regierung an die Angaben der Firma TotalFina oder hüllt sich in Schweigen. Eine parlamentarische Untersuchungskommission veröffentlicht bis Mitte März keine offizielle Stellungnahme.
Am 15. März wird endlich eine Pressekonferenz der parlamentarischen Untersuchungskommission organisiert, an der mehrere staatliche Behörden und private Institute teilnehmen. Den Vorsitz hat ein Mitglied der Kommunistischen Partei, Daniel Paul aus der Region Seine-Maritime.
Hier steht Dr. Bernard Tailliez vom Labor Analytika unter allen Kapazitäten isoliert da, als er als einziger darauf hinweist, dass die Proben aus der Erika alle Merkmale von hochgiftigem, karzogenem (krebserzeugendem) und mutagenem (genveränderndem) Industriesondermüll aufweisen.
Der Gehalt der Gegenargumente ist dürftig. Man hält Tailliez entgegen, die von ihm nachgewiesenen physikalisch-chemischen Eigenschaften der Proben seien Ergebnisse des Alterungsprozesses des Produkts im Meer. Ein Doktor Baert vom Antigiftzentrum in Rennes erklärte, das Produkt habe nur schwache Ausdünstungen. Das Risiko sei zu vernachlässigen, solange die Haut nicht länger mit dem Produkt in Berührung komme. Schließlich hätten alle Helfer Gummihandschuhe getragen. Jeder Zigarettenraucher gehe ein größeres Risiko ein, an Krebs zu erkranken.
Für die offizielle Version, dass es sich bei der Fracht von TotalFina um Schweröl Nr. 2 handle, werden keine sachlichen Beweise vorgelegt. Dennoch übernehmen alle Medien mit Ausnahme der Lokalzeitungen in der Bretagne diese Version. Libération zitierte einen Parlamentarier mit dem Kommentar: "Diese Diskussion ist ein Streit unter Chemikern, der keinerlei Bedeutung für die menschliche Gesundheit hat."
Immerhin geht von dieser Pressekonferenz die erste klare offizielle Warnung an die Bevölkerung aus, sich der schwarzen Flut nicht zu nähern und nicht in Berührung mit ihr zu kommen. Sie erfolgt drei Monate nach der Havarie der Erika.
Das Misstrauen der Bevölkerung wird geschürt, als ein gemeinsames Protokoll der Regierung mit TotalFina vom 26. Januar bekannt wird, das die Maßnahmen im Umgang mit der Havarie der Erika regeln soll. Besonders die Klausel acht erregt öffentlichen Unwillen: Darin verpflichtet sich die Regierung, die Betriebsgeheimnisse von TotalFina zu wahren. Es heißt da: "Die zwei Parteien verpflichten sich, die Verbreitung von Nachrichten einzuschränken und die Informationen und vertraulichen Dokumente für sich zu behalten, die sie von der oder über die jeweils andere Seite im Verlauf der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen in Erfahrung bringen."
Warum diese Geheimhaltungsverpflichtung der Regierung? Jean-Claude Gayssot, der kommunistische Transportminister, sieht sich am 31. März genötigt, das Protokoll in der Öffentlichkeit zu verteidigen: In einer Presseerklärung schreibt er: "Das Auspumpen der Erika erfordert Transparenz der Information bei gleichzeitiger Wahrung der Industriegeheimnisse."
Am 24. März wird das Verbot der Muschelfischerei an der bretonischen Küste von Sud-Finistère, das erst am 8. Januar wegen der Ölpest verhängt worden war, wieder aufgehoben. Gleichzeitig werden mehrere Strände, rechtzeitig zu den Osterferien, wieder freigegeben.
Was tut die Europäische Kommission?
Die EU-Kommission hat offensichtlich Schwierigkeiten, eine vernünftige Kontrolle der Seeschifffahrt durchzusetzen. Dies geht aus einem Interview hervor, das die Zeitung Libération vom 22. März 2000 mit Loyola de Palacio machte, der Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Transport und Energie.
Die Kommissarin erklärt, obwohl die EU-Kommission am 21. März ein Maßnahmenpaket verabschiedet habe, um den Kampf gegen die "schwimmenden Wracks" zu intensivieren, sei es äußerst schwierig, in dieser Frage vorwärts zu kommen, da 15 Regierungen zustimmen müssten. Es sei ungewiss, ob diese bereit seien, die Interessen der Ölkonzerne, der Reedereien und der Häfen "gegen den Strich zu bürsten".
Frau de Palacio verweist darauf, dass die EU das Recht beanspruche, nachlässigen Gesellschaften die Lizenz zu entziehen und keine Schiffe mit einfacher Außenhaut mehr in europäischen Häfen zuzulassen. Ein Schiff wie die Erika dürfte in den Vereinigten Staaten schon lange nicht mehr landen. Es gebe bereits eine Datenbank über abgetakelte Seelenverkäufer, und die Kommission wolle künftig alle sechs Monate eine Schwarze Liste der maroden Frachtkähne veröffentlichen. Sie ist der Meinung, mit Hilfe der bereits existierenden Datenbank, die allen Nutzern zugänglich ist, könne eigentlich niemand behaupten, über den baufälligen Zustand eines Schiffes nicht Bescheid gewusst zu haben.
Sie lässt durchblicken, wie dürftig die heutige Praxis der Hafenkontrollen zuweilen ausfällt. "Wir verlangen schon heute, dass die Häfen 25 Prozent der Schiffe kontrollieren. Wir wissen aber, dass, um diese Quote zu erreichen, oft gerade diejenigen Schiffe kontrolliert werden, die erst fünf Jahre alt oder jünger sind, oder die unter der Flagge eines Landes mit regelmäßigen und strengen Kontrollen fahren." Der Grund dafür, dass die baufälligen Kähne und die Billigflaggentanker immer leichter durch die Maschen der Kontrollen schlüpfen können, liege bei den Sparmaßnahmen der Regierungen, die sogar noch Inspekteure entlassen hätten.
Schließlich gesteht de Palacio mit verblüffender Offenheit: "Es wäre einmal notwendig, die Frage zu klären, wer überhaupt für die Schiffe verantwortlich ist: der Reeder, der Frachtbesitzer oder der Empfänger - und wieweit diese Verantwortung reicht." Dazu gebe es Vorschläge, die bereits seit 1993 in den Schubladen der EU-Kommissare schlummerten. Sie sei sich jedoch nicht sicher, ob überhaupt der politische Wille bei den Mitgliedsstaaten bestehe, die Dinge zu ändern.
Wie es um den Willen der EU-Kommission selbst bestellt ist, die Dinge zu ändern, wird deutlich, als sie direkt aufgefordert wird, die Umstände der Havarie der Erika selbst zu überprüfen:
Am 3. Februar fordert Analytika per Fax die EU-Kommissarin für Umwelt, Frau Margot Walström, auf, die Befunde des Labors so schnell wie möglich durch eine Expertenkommission von Spezialisten für analytische organische Chemie überprüfen zu lassen. In dem Schreiben heißt es: "Wir verfügen über alle naturwissenschaftlichen Beweise, um nachweisen zu können, dass die ökologische Katastrophe infolge des Sinkens des Tankers Erika in der Nacht vom 12. zum 13. 12. 99 zur Kontamination von 500 km französischer Küste durch die Ladung von TotalFina - die sich als toxisch und krebsfördernd erwiesen hat - geführt hat."
Sie weisen darauf hin, dass das Vorgehen von TotalFina dem Tatbestand des "illegalen Handels mit Industriesondermüll" entspricht, und schreiben: "Die enormen Implikationen für die nationale Wirtschaft und das internationale Recht, die unsere Enthüllungen beinhalten, erklären ohne Zweifel, warum bisher unsere Stimme von den französischen zuständigen Behörden nicht gehört wurde."
Als Antwort auf ihr ausführliches Schreiben erhalten sie am 23. Februar, also 20 Tage später, folgendes Fax aus der EU-Kommission: "Die Informationen, über die wir verfügen, die wir von den französischen Behörden erhielten, zeigen, dass der Öltanker Erika Schweröl Nr. 2 transportierte. Diese Informationen wurden seit dem Schiffbruch durch Analysen verschiedener Organisationen, so wie auch durch ein akkreditiertes niederländisches Labor bestätigt. Unter diesen Bedingungen bedauern wir, ihre Angelegenheiten nicht weiter verfolgen zu können."
Der Ölriese TotalFina
Für einen Konzern, der unter Verdacht steht, aus Ersparnisgründen hochgiftige und krebserregende Industrieabfälle unter Billigflagge um halb Europa zu schippern, statt sie an Ort und Stelle zu entsorgen, steht TotalFina, der "premier industriel national" - der größte französische Industriekomplex - erstaunlich gut da.
Der Ölmulti hat sich unter massivem öffentlichem Druck zwar bereit erklärt, das Wrack leer zu pumpen und abzuschleppen, allerdings erst ab 15. Mai, wenn die Seeverhältnisse günstiger seien. Auf den Einwand lokaler Zeitungen hin, dass bis dahin die ganzen geladenen 30.000 Tonnen ins Meer gelangt sein könnten, erklärte ein Pressesprecher, es liege ja schon soviel Schrott in der See.
Ein Amateurfunker verbreitet Anfang Januar die Vermutung, dass die Ladung der Erika "ursprünglich für die freie See um Afrika herum bestimmt" war, "wo sie im Meer versenkt werden sollte."
Undurchsichtige Besitzverhältnisse rund um Verkauf und Transport der Fracht der Erika ermöglichen es TotalFina, Unsummen von der Versicherung als Entschädigung zu kassieren, während der Konzern für die Folgeschäden der ökologischen Katastrophe juristisch nicht zu belangen ist.
Im März 2000 hat TotalFina mit Elf Aquitaine fusioniert, kurz nachdem der Multi bereits Petrofina, einen weiteren französischen Erdölkonzern, geschluckt hatte. Am 23. März versammeln sich die Aktionäre von TotalFina und Elf Aquitaine im Konferenzsaal des Louvre in Paris zur ersten Generalversammlung des fusionierten Giganten TotalFina Elf.
Während im Pariser Außenbezirk La Défense ungefähr 200 Beschäftigte beider Konzerne vor dem Hauptsitz von TotalFina für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze demonstrieren - die Fusion soll mindestens 4.000 Arbeitsplätze kosten - kommen etwa hundert Umweltschützer aus Nantes mit Greenpeace-Aktivisten zum Louvre, wo sie eine riesige schwarze Plane über die Glaspyramide im Innenhof breiten, um damit die schwarze Flut, die Ölpest, zu symbolisieren.
Massiver Saalschutz wird aufgeboten, um den Aktionären alle Störungen durch die Demonstranten vom Leib zu halten. Diese verteilen Aufkleber mit folgender Aufschrift: "TOTALement responsable, FINAlement coupable, ELFectivement intouchable" ("total verantwortlich, endgültig schuldig, effektiv nicht belangbar").
Drinnen kreist die Diskussion der Kleinaktionäre weniger über die Risiken der jüngsten Fusion als um das Sinken der Erika. Die Kleinaktionäre ereifern sich über den Staat, der angeblich TotalFina die ganze Verantwortung an der Katastrophe anlaste, über die Unfähigkeit der Behörden und über den Wahnsinnspreis, den der Konzern für das Auspumpen des Wracks hinblättern müsse. Sie werden von Thierry Desmarest, dem Vorstandsvorsitzenden von TotalFina, mit der Aussage beschwichtigt, TotalFina werde versuchen, selber Anspruch auf Rückerstattung der Kosten für das Auspumpen des Wracks zu erheben.
Und wie weiter?
Die Protestaktionen reißen nicht ab: Fast täglich gibt es Demonstrationen, Schweigemärsche, Blockaden an der Raffinerie in Donges, vor dem Regierungssitz Hôtel Matignon in Paris, vor der Hauptversammlung der TotalFina Elf. Vor den Wohnsitz des TotalFina-Direktors Thierry Desmarest werden tote Fische gekippt und eine Gruppe militanter Umweltschützer versucht, eine Total-Tankstelle bei Amiens in die Luft zu sprengen, während Greenpeace zu Geldspenden und weiteren freiwilligen Hilfsaktionen aufruft.
Trotz alledem dümpelt das Wrack der Erika immer noch auf dem Meeresgrund und stößt seine giftigen schwarzen Schwaden schubweise ins Meer. Man muss davon ausgehen, dass weitere Tankerhavarien folgen werden.
Durchschnittlich havariert alle drei Jahre ein Tanker vor einer westeuropäischen Küste, wo innerhalb von dreißig Jahren folgende zwölf Schiffe auf Grund liefen: die Torrey Canyon (1967), die Olympic Bravery, die Urquiola und die Boehlen (1976), die Amoco Cadiz (1978), die Gino (1979), die Tanio (1980), die Haqven (1991), die Aegean Sea (1992), die Braer (1993), die Sea Empress (1996) und die Katja (1997).
Zur gleichen Zeit, als die Erika in der Bretagne unterging, strandete die "Volgoneft 248" vor der türkischen Küste im Marmarameer. Seit der "Amoco Cadiz"-Katastrophe - die 1978 wegen ihres großen Ausmaßes die Schlagzeilen beherrschte - gab es weltweit fünfzehn Havarien von vergleichbarer Größe.
Diese Fakten zeigen, dass es vollkommen nutzlos ist, von den Ölmultis oder deren politischen Zuträgern auf nationaler und internationaler Ebene irgend eine Verbesserung der Zustände zu erwarten. Weder neue Regierungen oder EU-Kommissionen, noch neue Bestimmungen und Gesetze werden dies ändern.
Dennoch, es gibt einen Unterschied im Vergleich zu allen früheren französischen Havarien: Diesmal konnten die Bewohner bis zu einem gewissen Grad das Informationsmonopol der offiziellen Medien durchbrechen, indem sie sich das Internet zunutze machten, um ihre Erfahrungen und Erkenntnisse auszutauschen. Nach dem Motto "Luttons cyber!" (Kämpfen wir cyber!) sind seit der Erika-Katastrophe zahlreiche neue Websites entstanden. Hier wurden die Ergebnisse der Analytika verbreitet, Warnungen an die Bevölkerung ausgegeben, Kampagnen wie diejenige zur Befreiung des indischen Kapitäns geführt, etc.
Die technischen Voraussetzungen sind vorhanden, um eine Havarie wie das Sinken der Erika so gut wie auszuschließen. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, dass die Bevölkerung selbst auch das Sagen über die Wirtschaft hat, und dass die Bedürfnisse der Menschheit Vorrang vor dem privaten Profit erhalten.
Deshalb muss die Zielrichtung der Kämpfe geändert werden: Anstatt durch Verhandlungen, Protestaktionen oder Anschläge Druck auf Fabrikdirektoren und bürgerliche Politiker auszuüben, ist es nötig, für den internationalen Zusammenschluss der Arbeiter und für eine Perspektive zu kämpfen, die darauf gerichtet ist, dass die Bevölkerung in ihrem eigenen Interesse die Kontrolle über Produktion und Transport in die Hände nimmt.