Nach dem erneuten Scheitern der Kosovo-Konferenz in Paris rückt die Gefahr eines blutigen Balkankriegs mit unabsehbaren Folgen immer näher. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen, einen militärischen Zusammenstoß in letzter Minute zu vermeiden, läuft die Logik der Ereignisse unerbittlich auf einen solchen zu.
Die Kosovo-Konferenz, die erstmals am 6. Februar im Schloß Rambouillet zusammentrat, war durch ein militärisches Ultimatum der NATO erzwungen worden. Diese hatte mit massiven Luftangriffen gedroht, falls sich die serbische Regierung und die Vertreter der Kosovo-Albaner nicht auf eine Autonomieregelung für die Region einigen würden. Nun ist die Verwirklichung dieser Drohung in greifbare Nähe gerückt - und es scheint, daß die Vertreter der Großmächte nie ernsthaft über die Folgen und Konsequenzen eines solchen Schritts nachgedacht haben.
Eine erste Frist für das Ultimatum war am 20. Februar und eine zweite am 23. Februar verstrichen, ohne daß die Militärmaschinerie der NATO zum Einsatz kam. Keine der in Rambouillet versammelten Konfliktparteien war bereit gewesen, das Autonomieabkommen zu unterzeichnen, das die Balkan-Kontaktgruppe - bestehend aus den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Rußland - ihnen vorgelegt hatte. Die Kosovo-Albaner gaben sich mit einer Autonomieregelung nicht zufrieden, beharrten auf einem Referendum über die vollständige staatliche Unabhängigkeit und äußerten Vorbehalte gegenüber der vorgesehenen Entwaffnung der Untergrundarmee UCK. Die serbische Regierung lehnte die geplante Stationierung einer 28.000 Mann starken Friedenstruppe als unannehmbaren Eingriff in ihre staatliche Souveränität ab.
Die Konferenz wurde schließlich um drei Wochen vertagt, und es begann eine Runde intensiver diplomatischer Aktivitäten.
Die USA nahmen sich die Kosovo-Albaner vor und bemühten sich, sie durch Zugeständnisse und weitgehende Garantien zur Unterschrift zu bewegen. Die Untergrundarmee UCK, vor nicht all zu langer Zeit noch als terroristische Vereinigung eingestuft, wurde diplomatisch aufgewertet und zum offiziellen Besuch nach Washington eingeladen; der ehemalige Vizepräsident Bob Dole, ein Fürsprecher der albanischen Sache, als Vermittler nach Pristina geschickt.
Auch der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic wurde systematisch bearbeitet. Der deutsche Außenminister Joseph Fischer besuchte ihn in seiner Funktion als EU-Ratspräsident und bemühte sich, ihm die Zustimmung durch das Angebot einer stärkeren Integration Jugoslawiens nach Europa schmackhaft zu machen. Die USA schickten Richard Holbrooke nach Belgrad, der mit Milosevic schon das Dayton-Abkommen für Bosnien ausgehandelt hatte.
Doch als die Kosovo-Konferenz am 15. März in Paris wieder zusammentrat, waren die Fronten unversöhnlicher als zuvor. Serbien lehnte weiterhin die Stationierung ausländischer Truppen auf seinem Staatsgebiet ab und stellte auch Teile der politischen Regelungen wieder in Frage, die in Rambouillet vereinbart worden waren.
Die albanische Delegation erklärte sich bereit, die Vereinbarung zu unterzeichnen, und tat dies am Donnerstag abend auch. Aber dadurch sind die Aussichten auf eine diplomatische Lösung nicht verbessert, sondern verschlechtert worden. Nachdem der Text von einer Seite unterzeichnet worden ist, hat Serbien nur noch die Wahl, ihn, so wie er ist, zu unterschreiben oder abzulehnen. Wird er dagegen neu verhandelt, steht die Unterschrift der albanischen Delegation wieder in Frage.
Die Pariser Konferenz ist inzwischen noch einmal für einige Tage ausgesetzt worden, um Belgrad Bedenkzeit zu geben. Aber kaum ein Beobachter glaubt, daß sich an der serbischen Haltung etwas ändern wird. Die Zustimmung zum Kosovo-Abkommen käme dem Verzicht auf ein Gebiet gleich, das Serbien seit dem Rückzug des Osmanischen Reiches als integralen Bestandteil seines staatlichen Territoriums betrachtet. Formal bliebe der Kosovo zwar Bestandteil des serbischen Staates, faktisch wäre er aber dem Einfluß Belgrads in jeder Hinsicht entzogen.
Die militärische Option rückt deshalb immer mehr in den Vordergrund. Verzichtet die NATO auf den angedrohten Militärschlag, so fürchten ihre Strategen, erlitte sie einen nicht wieder gut zu machenden Verlust an Glaubwürdigkeit. Schlägt sie dagegen zu, sind die Folgen nicht weniger dramatisch. Es drohen ein Flächenbrand auf dem Balkan und unabsehbare internationale Verwicklungen.
Die Planungen der Militärs sehen massive Luftangriffe auf Stellungen der jugoslawischen Armee vor. In einer ersten Welle, bei der unbemannte Marschflugkörper zum Einsatz kämen, soll die jugoslawische Luftabwehr "enthauptet" werden. Sind Radar- und Kommunikationsanlagen und Luftabwehrstellungen zerstört, sollen Kampfflugzeuge Armeestellungen und Militärflughäfen zerstören. Zu diesem Zweck stehen über 400 Flugzeuge, darunter sechs B-52-Bomber, die gesamte 6. US-Flotte und ein französischer Flugzeugträger im Mittelmeerraum bereit. Nach einem Stufenplan soll der militärische Druck dann immer weiter erhöht werden, bis Belgrad einlenkt.
Viele der anvisierten Ziele - wie das mit US-Technologie ausgestattete Luftabwehr-Radarsystem bei Belgrad, der Militärflughafen Slatina bei Pristina und die Waffenfabrik Zastava in Kragujevac - liegen in der Nähe bewohnter Gebiete. Daher muß mit einer hohen Zahl ziviler Opfer gerechnet werden.
Dennoch bieten Luftangriffe nicht die geringste Garantie dafür, daß sich die serbische Regierung dem Diktat der Kontaktgruppe beugen wird. Davon gehen auch die militärischen Experten der NATO aus.
Hinzu kommt, daß Serbien selbst einige militärische Trümpfe in der Hand hat. Es hat zwar der überlegenen Luftwaffe der NATO wenig entgegenzusetzen, verfügt aber über relativ schlagkräftige Bodentruppen. In den vergangenen Tagen hat es im und an der Grenze zum Kosovo größere Infanterie- und Panzerverbände - nach amerikanischen Quellen 30 bis 40.000 Mann - zusammengezogen und gedroht, mit den UCK-Kämpfern im Kosovo abzurechnen, falls die NATO angreifen sollte. Auch Angriffe auf die Truppen, die sich im benachbarten Mazedonien für den Kosovo-Einsatz bereithalten, werden nicht ausgeschlossen
Im Kosovo befinden sich außerdem noch 1200 unbewaffnete OSZE-Beobachter, mit deren Abzug erst an diesem Samstag begonnen wird. Sie gelten als potentielle Geiseln in den Händen der jugoslawischen Armee.
Allein mit Luftangriffen ließe sich eine solche Entwicklung kaum verhindern. Bewegliche Bodentruppen lassen sich aus der Luft viel schwerer bekämpfen, als feste militärische Einrichtungen, ganz abgesehen davon, daß zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung unvermeidlich wären. Führende Militärs warnen seit langem, daß ein militärischer Erfolg im Kosovo nur möglich sei, wenn Luftschläge von einem massiven Einsatz von Bodentruppen begleitet würden. Aber dazu sind zur Zeit weder die amerikanische noch die europäischen Regierungen bereit. Angesichts der zu erwartenden hohen Verluste würden sie unweigerlich in innenpolitische Schwierigkeiten geraten.
Es gibt auch Stimmen, die die Aufgabe von Luftangriffen darin sehen, das militärische Kräfteverhältnis zu verändern. So fordert Zbigniew Brzezinski, Sicherheitsberater unter Präsident Carter, in der Welt"intensive Angriffe auf serbische Truppenkonzentrationen, Kommando- und Kontrollzentren, auf größere Militärkonvois, auf die Hauptverbindungswege von Nord nach Süd, einschließlich Brücken und Gebirgspässe... Sie müssen," so Brzezinski, "den Effekt haben, serbische Militäroperationen so nachhaltig zu unterbinden, daß die UCK dann die Situation zu ihrem Vorteil nutzen kann."
Ein solches Vorgehen, das in der Logik des gegenwärtigen Verlaufs der Dinge liegt, würde unweigerlich zur Destabilisierung der gesamten Region führen - was die Großmächte bisher gerade vermeiden wollten.
Vor allem die russische Regierung, die den politischen Teil des Autonomieplans unterstützt, aber jede militärische Intervention strikt ablehnt, warnt seit langem vor einer solchen Entwicklung. "Man kann Probleme, die sich in Jahrzehnten aufgehäuft haben, nicht mit Bombardements lösen," sagte dazu der russische Delegierte bei den Pariser Verhandlungen, Boris Majorski. Er warnte, daß eine Abtrennung des Kosovo mit militärischer Unterstützung der NATO einen Präzedenzfall schaffen würde. "Denn wenn ein Groß-Albanien entsteht, warum dann nicht auch Groß-Kroatien oder Groß-Serbien," sagte er.
Auch unter den europäischen Regierungen gibt es - vor allem von Seiten Frankreichs - starke Vorbehalte gegen einen Militärschlag. Sie fürchten, daß ein Präzedenzfall geschaffen wird, wenn ein Land militärisch angegriffen wird, nur weil es keine fremden Truppen auf seinem Boden akzeptieren will - und das ohne ein Mandat der UNO.
Die Entwicklung der kommenden Tage läßt sich nur schwer voraussagen. Die Lage gleicht einem Pulverfaß, daß durch den kleinsten Funken zur Explosion gebracht werden kann. Diplomaten verglichen die Lage mit einem Pokerspiel, bei dem beide Seiten höchste Einsätze spielen, ohne eine definitive Strategie zu verfolgen.
Bemerkenswert ist, daß Politiker wie der deutsche Außenminister Fischer, die noch vor wenigen Jahren pazifistische Positionen vertraten, wesentlich skrupelloser vorgehen als selbst konservative Militärs. Letztere hatten stets vor einem militärischen Ultimatum gewarnt. Es sei falsch, mit dem Einsatz von Mitteln zu drohen, über deren Wirksamkeit man sich nicht im klaren sei und zu denen keine Alternativen bestünden. Fischer dagegen gehörte zu den eifrigsten Befürwortern des Ultimatums an Serbien. Gemeinsam mit der SPD haben die Grünen geschlossen der Entsendung deutscher Truppen, Kampfflugzeuge und Panzer auf den Balkan zugestimmt - ein Schritt, von dem ihre konservativen Vorgänger nur träumen konnten, solange sie sich in der Opposition befanden.
Nun drohen diese Truppen in ernsthafte militärische Auseinandersetzungen hineingezogen zu werden. Ob Fischer das vorausgesehen hat - darüber läßt sich nur spekulieren. Aber eines steht fest, er wird sich der Logik der militärischen Eskalation auch in Zukunft bereitwillig beugen.