Massenproteste in der Türkei gegen Israels Massaker im Gazastreifen

In der Türkei kam es am Mittwoch zu Protesten mit zehntausenden Teilnehmern, nachdem der israelische Ministerpräsident am Dienstag einen Luftangriff auf das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus im Gazastreifen befohlen hatte, bei dem fast 500 Menschen getötet wurden. Präsident Recep Tayyip Erdoğan rief am Mittwoch per Dekret eine dreitägige Staatstrauer aus.

Proteste vor dem israelischen Konsulat in Istanbul am 18. Oktober 2023

In mehr als zwanzig Städten in der Türkei, Palästina und weiteren Staaten des Nahen Ostens kam es nach Bekanntwerden des israelischen Massakers zu spontanen Massenprotesten, u.a. in Istanbul, Ankara, Bursa, Adana, Malatya und Diyarbakir.

Die Demonstranten riefen Parolen gegen Israel und die USA und drückten ihre Unterstützung für die Palästinenser aus. In Ankara wurde eine US-Fahne verbrannt, in Adana versuchten Demonstranten in das US-Konsulat einzudringen und bewarfen es mit Steinen.

Während einer Massenprotestveranstaltung vor dem israelischen Generalkonsulat in Istanbul warfen Demonstranten Feuerwerkskörper auf das Gebäude und versuchten einzudringen. Die Polizei setzte daraufhin Tränengas und Wasserwerfer ein. Der 65-jährige Eshabil Tüfekci starb dabei an einem Herzinfarkt.

Der Gouverneur von Istanbul erklärte dazu: „Eine Gruppe unserer Bürger, die sich versammelt hatten, um gegen die israelischen Luftangriffe auf Zivilisten im Gazastreifen zu demonstrieren, versuchten in das Konsulat einzudringen und attackierten unsere Sicherheitskräfte, Gebäude und das Konsulat selbst mit Steinen, Stöcken, Fackeln und Feuerwerkskörpern … Um irreparable Schäden zu verhindern, griffen unsere Sicherheitskräfte ein und hinderten die Gruppe daran, in das Gebäude einzudringen.

Die islamistische Glückseligkeitspartei erklärte in einer Stellungnahme zum Tod Tüfekcis: „Der ehrenwerte Vater von Nuri Tüfekci, unserem stellvertretenden Parteivorsitzenden der Provinz Istanbul, starb an einem Herzinfarkt, nachdem er vor dem [israelischen] Konsulat in Istanbul von Tränengas getroffen wurden war.“

Auch am Mittwochabend fanden mehrere Protestveranstaltungen vor dem israelischen Konsulat in Istanbul statt, an denen sich mehr als 2.000 Demonstranten beteiligten. Die Veranstaltung, bei der Mitglieder der Sozialistischen Gleichheitsgruppe die Erklärung der Redaktion der WSWS verteilten, war von dem türkischen Ärztebund TTB, dem Verband der Progressiven Gewerkschaften (DISK), dem Verband der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes (KESK) und der Ingenieur- und Architektenkammer (TMMOB) organisiert worden.

Zudem protestierten Beschäftigte des Gesundheitswesens in vielen Städten gegen das israelische Massaker am baptistischen Al-Ahli Arab-Krankenhaus. Laut der Tageszeitung Evrensel demonstrierten die Pflegekräfte der Gewerkschaft SES im Istanbuler Krankenhaus Cerrahpaşa mit einem Transparent, auf dem stand: „Die Palästinenser sind nicht allein.“

Der Vertrauensmann der Gewerkschaft im Krankenhaus Aydin Erol erklärte: „Der Imperialismus unterstützt diese israelischen Massaker, indem er schweigt. Die Türkei ist bisher nicht von ihren bilateralen Abkommen mit Israel abgerückt. Arbeiter müssen sich an die Seite der Palästinenser stellen. Wir wollen zum Ausdruck bringen, dass Israel diese Massaker beenden muss.“

Von besonderer Bedeutung waren die Massenproteste, die am Dienstagabend im osttürkischen Malatya ausbrachen. Tausende versammelten sich im Stadtzentrum und fuhren in Konvois zur US-Radarstation Kürecik vor der Stadt.

Die Tageszeitung Cumhuriyet berichtete, die Polizei und Gendarmerie hätten umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen rund um den Stützpunkt getroffen und Barrikaden errichtet, um die Demonstranten am Näherkommen zu hindern.. Die Sicherheitskräfte gingen mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor.

Die Radarstation Kürecik wude im Jahr 2012 für die Nato gebaut und wird vom US-Militär betrieben. Das Frühwarnsystem ist Berichten zufolge darauf ausgelegt, neben den Nato-Mächten auch Israel zu schützen.

Im Jahr 2011 hatte der damalige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad die damalige Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan wegen der Einrichtung des Stützpunkts mit den Worten verurteilt: „Der Raketenabwehrschild ist darauf ausgelegt, das zionistische Regime zu verteidigen. Sie wollen nicht, dass unsere Raketen in den besetzten Gebieten [Israel] landen, wenn sie uns irgendwann angreifen. Deshalb haben sie das dort aufgestellt.“

Am Dienstagabend veröffentlichten die sechs größten bürgerlichen Parteien im türkischen Parlament eine gemeinsame Erklärung, in der sie das Krankenhaus-Massaker verurteilten. Sie forderten „die internationalen Parlamente, die internationale Staatengemeinschaft und die internationalen Organisationen auf, zu handeln und die Initiative zu ergreifen, um diese Gräueltaten zu beenden.“ Allerdings unternahm das Parlament keine konkreten Schritte, um den Handel oder die militärischen Beziehungen zu Israel zu beschränken.

Nach dem Bombenangriff auf das Krankenhaus in Gaza erklärte Präsident Erdoğan auf X (Twitter): „Der Angriff auf ein Krankenhaus voller Frauen, Kinder und unschuldiger Zivilisten ist das jüngste Beispiel für Israels Angriffe ohne Rücksicht auf die grundlegendsten menschlichen Werte. Ich rufe die ganze Menschheit auf, diese beispiellosen Gräueltaten in Gaza zu beenden.“

Am Mittwoch erklärte Erdoğan, durch das Massaker an dem Krankenhaus hätten Israels Angriffe das Ausmaß eines „Völkermordes“ erreicht. Er fügte hinzu, neben Israel seien auch diejenigen, die „die Glut anfachen“, für das Massaker verantwortlich, d. h. die USA und andere imperialistische Mächte. Erdoğan kritisierte Washington erneut wegen der Entsendung von Flugzeugträgern ins östliche Mittelmeer, mit denen ein Krieg gegen den Iran vorbereitet wird.

Doch Erdoğans Kritik an Israel und den USA entlarvt nur die Scheinheiligkeit seiner eigenen Regierung. Trotz dieser Spannungen haben Erdoğan und frühere türkische Regierungen im Rahmen ihres umfassenden militärisch-strategischen Bündnisses mit dem US-Imperialismus immer Handels- und militärische Beziehungen zu Israel unterhalten, obwohl das Land mit Rückendeckung der Imperialisten die Palästinenser jahrzehntelang unterdrückt hat.

Vor nicht allzu langer Zeit hat die türkische Bourgeoisie ihre Beziehungen zur Netanjahu-Regierung wieder normalisiert, um die Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer ausbeuten zu können.

Da sich die Erdoğan-Regierung der starken pro-palästinensischen Stimmungen in der Bevölkerung bewusst ist, macht sie sich Sorgen, dass der israelische Völkermord im Gazastreifen und das Massaker im Al-Ahli-Krankenhaus sowohl Massenproteste im Inland als auch einen Krieg in der Region auslösen könnten.

Der türkische Außenminister Hakan Fidan hatte kurz vor dem Massaker im Krankenhaus die Bedenken seiner Regierung geäußert: „Auf diesen Krieg könnten weitere Kriege folgen, aber er könnte auch zu einem historischen Frieden führen. Unser Präsident [Erdoğan] hält einen historischen Frieden für möglich und arbeitet daran.“

Die Behauptung der Türkei, dass ihr am Frieden gelegen sei, ist Betrug, ist sie doch ein Mitglied der Nato und Verbündeter Israels und unterdrückt seit Jahrzehnten ihre eigene kurdische Bevölkerung.

Die jahrzehntelange Verfolgung der Palästinenser und das gesamte Kriegsgeschehen in der Region und auf der ganzen Welt haben gezeigt, dass ein „historischer Frieden“ nur möglich ist durch die Massenmobilisierung der Arbeiterklasse in Palästina, Israel und der ganzen Welt, um den Imperialismus und die reaktionären kapitalistischen Regimes zu stürzen und die Arbeitermacht zu errichten.

Loading