58. Am Kriegsende gab es allen Grund, revolutionäre Aufstände zu erwarten, wie sie nach dem Ende des ersten Weltkrieges ausgebrochen waren. Europa lag in Trümmern. Die Wirtschaft war verwüstet, und die herrschenden Eliten waren entweder direkt an der faschistischen Barbarei beteiligt gewesen oder hatten vor Hitlers Armeen kapituliert. Die Rote Armee kontrollierte große Gebiete des Kontinents, während in Italien und Griechenland Bürgerkrieg herrschte. Das Kolonialsystem war erschüttert, und antiimperialistische Massenproteste überzogen Indien, China und Afrika.
59. Obwohl Großbritannien zu den Siegern zählte, ging es schwer angeschlagen aus dem Krieg hervor. Der Konflikt hatte den Weg für die Konsolidierung der USA als dominierende kapitalistische Macht auf Kosten Großbritanniens bereitet. Zusätzlich zu den massiven Zinszahlungen für die Kredite, welche die britische Bourgeoisie zur Finanzierung des Krieges in den USA aufgenommen hatte, war sie mit Revolten in ihren kolonialen Besitzungen konfrontiert. Zur gleichen Zeit forderte die arbeitende Bevölkerung im Lande, dass sie ihr Versprechen einlöse und ein „Land schaffe, wie es Helden gebührt“. Das Ergebnis der Unterhauswahlen im Juni 1945 unterstrich die radikale Stimmung in der Arbeiterklasse. Die Stimmen tausender britischer Soldaten sorgten dafür, dass Churchill aus dem Amt gejagt wurde und Attlees Labour Party mit einem Erdrutschsieg an die Macht kam.
60. Aber jede Einschätzung des objektiven Potentials für eine Revolution muss den kritischen Faktor der Führung der Arbeiterklasse mit einbeziehen. Der politische Mord an der marxistischen Vorhut durch den Stalinismus, die Zerstörung der Arbeiterbewegung durch die faschistischen Mächte und das bloße Gewicht der im Krieg erlittenen Verluste an Menschen bedeutete, dass der revolutionäre Kader der Vierten Internationale nur wenige hundert Mitglieder umfasste. Die physische Vernichtung der bewusstesten Elemente der Arbeiterklasse erwies sich als ausschlaggebend, und der Imperialismus war in der Lage, diese Phase tiefer Krise zu überwinden.
61. Die stalinistische Bürokratie missbrauchte das Prestige, das die Sowjetunion durch ihren Sieg über Nazideutschland errungen hatte, um jegliche unabhängige Initiative der Arbeiterklasse zu unterdrücken. In Frankreich, Italien, Deutschland und Griechenland wies der Kreml die stalinistischen Parteien an, die bürgerlichen Regierungen zu unterstützen und die Widerstandskämpfer zu entwaffnen. In Osteuropa, wo der Kreml aus Gründen der militärischen Verteidigung die Einsetzung von amerikanisch kontrollierten Marionettenregimes nicht dulden konnte, errichtete die Sowjetunion eine Reihe von „Pufferstaaten“ unter eigener Kontrolle. Die Einführung verstaatlichten Eigentums in diesen Ländern, manchmal um Jahre verzögert, wurde von der systematischen Entrechtung der Arbeiterklasse begleitet.
62. Der Stalinismus verschaffte dem amerikanischen Imperialismus die Zeit, die er brauchte, um seine gewaltigen Ressourcen zur Restabilisierung des Weltkapitalismus zu ordnen. Roosevelt, Churchill und Stalin hatten sich in Verhandlungen in Teheran, Jalta und Potsdam darauf geeinigt, Europa in „Einflusszonen“ aufzuteilen. Aber die Frage, wie mit den Kriegsgegnern Deutschland und Japan umzugehen sei, war offen geblieben. Es wurde überlegt, Deutschland zu veröden, um sein industrielles Wiederaufleben zu verhindern. Am Ende jedoch bekamen beide Länder von den USA erheblich mehr Geld geliehen, und das zu besseren Bedingungen, als Großbritannien, das doch zu den Alliierten zählte. Die Vereinbarung von Bretton Woods 1944 verknüpfte den Wert aller Währungen mit dem Dollar, der wiederum ans Gold gebunden wurde. Von den USA kontrollierte Einrichtungen, wie der Internationale Währungsfond (IWF), die Weltbank und die Welthandelsorganisation (GATT), regulierten die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den kapitalistischen Staaten, um eine Rückkehr zur protektionistischen Politik zu verhindern, die den Weltmarkt in den dreißiger Jahren zerrüttet hatte.