Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Die Liquidation der deutschen Sektion durch den Pablismus

136. Trotz blutiger Verfolgung war es den Nationalsozialisten und den Stalinisten während des Zweiten Weltkriegs nicht gelungen, die trotzkistische Bewegung in Deutschland zu zerstören. Unmittelbar nach Kriegsende nahmen die Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) ihre politische Aktivität innerhalb des Landes wieder auf. Allein die Berliner Gruppe umfasste mehr als 50 Mitglieder. Ihr Leiter Oskar Hippe, der das Nazi-Regime in Deutschland überlebt hatte, wurde 1948 von den Stalinisten verhaftet und verbrachte die folgenden acht Jahre in DDR-Gefängnissen. Aber erst der Pablismus liquidierte die deutsche Sektion und unterbrach damit die historische Kontinuität. Das hatte zur Folge, dass in der Studentenbewegung der 60er Jahre kleinbürgerlich und stalinistisch geprägte Strömungen völlig unwidersprochen den Ton angeben konnten. Als der Bund Sozialistischer Arbeiter 1971 als deutsche Sektion des Internationalen Komitees gegründet wurde, gab es innerhalb Deutschlands keinen trotzkistischen Kader mehr.

137. Nach dem Krieg bekämpften die deutschen Trotzkisten die von den Stalinisten vertretene Kollektivschuldthese, die von ihrer eigenen Verantwortung für Hitlers Machtergreifung ablenkte und die Arbeiterklasse für den Faschismus verantwortlich machte. Sie setzten sich für den Aufbau einer neuen revolutionären Partei ein. In einer politischen Plattform der IKD von 1948 hieß es: „Die erste und grundsätzliche Voraussetzung, von der jeder deutsche Sozialist heute ausgehen muss, ist die Erkenntnis, dass sich die Politik der beiden traditionellen ‚Arbeiterparteien‘ KPD-SED und SPD in eine auswegslose Sackgasse verrannt hat. Beide Parteien werden in ihrem Handeln nicht von den Klasseninteressen der Arbeiter, sondern von den Großmachtinteressen der Sowjetbürokratie bzw. des westlichen Imperialismus geleitet. Jeder Versuch zu einer ‚Reformierung‘ dieser Parteien oder einer von ihnen ist zum Scheitern verurteilt.... Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes ist die Schaffung einer neuen revolutionären Partei des Proletariats die erste Aufgabe der sozialistischen Politik in Deutschland geworden.“ [76]

138. Doch die IKD brach bald mit dieser Perspektive. Sie trat für die Gründung eines zentristischen Sammelbeckens ein, oder – wie sie es formulierte – „die Zusammenfassung der unabhängigen linken Gruppen in einer Organisation, die einen für die Arbeiterschaft sichtbaren Faktor darstellt“, [77] und schloss sich 1951 mit KPD-Mitgliedern, die den jugoslawischen Staatschef Tito unterstützten, zur Unabhängigen Arbeiterpartei Deutschlands (UAPD) zusammen. Deren Programm beschränkte sich auf reformistische Forderungen und enthielt keinen Hinweis auf den Sozialismus oder auf die Vierte Internationale. Die UAPD brach trotz finanzieller Unterstützung aus Jugoslawien innerhalb weniger Monate zusammen.

139. Nun löste sich die IKD entsprechend Pablos Taktik des Entrismus sui generis in der SPD auf. Sie erklärte ausdrücklich, dass es nicht ihr Ziel sei, innerhalb der SPD für das Programm der Vierten Internationale zu kämpfen: „Im augenblicklichen Stadium der Entwicklung des Massenbewusstseins stehen die programmatischen Diskussionen innerhalb der breiten Organisationen nicht im Vordergrund.“ Der SPD schrieb die IKD ein revolutionäres Potential zu. Sie werde durch „gesellschaftliche Triebkräfte... unabhängig von dem Willen ihrer derzeitigen Führung in immer schärfere Frontstellung zu dem gesamten Bürgertum“ getrieben. Die führenden deutschen Pablisten Georg Jungclas und Jacob Moneta übernahmen in den 1950er und 1960er Jahren wichtige Aufgaben in der SPD – und Gewerkschaftsbürokratie. Sie standen in engem Kontakt zu führenden SPD-Mitgliedern wie Hans-Jügen Wischnewski und Peter von Oertzen. Moneta leitete ab 1962 die einflussreichen Gewerkschaftszeitungen Metall und Der Gewerkschafter. Als die SPD 1961 den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) aus der Partei ausschloss, weigerte sich die von den Pablisten kontrollierte Publikation Sozialistische Politik (SOPO), ihn zu verteidigen, weil sie fürchtete, „in die Unvereinbarkeitsbeschlüsse einbezogen und damit ihrer Existenz beraubt“ zu werden. [78]

140. Die Pablisten traten erst 1969 – drei Jahre nachdem die SPD in die Große Koalition eingetreten war und sich eine mächtige außerparlamentarische Opposition dagegen entwickelt hatte – mit der Gruppe Internationale Marxisten (GIM) wieder eigenständig in Erscheinung. Nun passten sie sich völlig an die Führer der Studentenbewegung an. Zu den Redaktionsmitgliedern ihrer Zeitung Was Tun? zählten sie anfangs auch so bekannte SDS-Führer wie Rudi Dutschke, Gaston Salvatore und Günter Amendt. 1986 löste sich die GIM wieder auf. Die Mehrheit schloss sich mit der maoistischen KPD/ML zur Vereinigten Sozialistischen Partei (VSP) zusammen, eine Minderheit ging zu den Grünen. Nach der deutschen Wiedervereinigung fanden sich die bekanntesten deutschen Pablisten in der PDS wieder und berieten die SED-Nachfolger um Gregor Gysi. Jakob Moneta saß vier Jahre lang im PDS-Vorstand.


[76]

Georg Jungclas 1902-1975. Eine politische Dokumentation, S. 150-151

[77]

ebd., S. 156

[78]

ebd., S. 175, 190, 253