Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unter Präsident Mahmud Abbas hat in dem von ihr kontrollierten Gebiet des Westjordanlands, das seit dem arabisch-israelischen Krieg von 1967 illegal von Israel besetzt ist, ein zeitweiliges Verbot der Berichterstattung und des Sendebetriebs von Al Jazeera angekündigt. Sie beschuldigt den Sender der „Aufwiegelung“ und der „Einmischung in innere Angelegenheiten der Palästinenser“, ohne dafür irgendwelche Beweise vorzulegen.
Wafa, die offizielle Nachrichtenagentur der PA, erklärte, Al Jazeera müsse seine Büros vor Ort sofort schließen und „sämtliche Tätigkeiten seiner Journalisten“ einstellen.
Al Jazeera, im Westjordanland der Sender mit der größten Reichweite, verurteilte die „Hetzkampagne“ der PA als „Versuch, die Berichterstattung über die Eskalation der Ereignisse in den besetzten Gebieten zu verhindern“ und forderte die PA auf, ihre Entscheidung zurückzunehmen und die Journalisten ungehindert arbeiten zu lassen.
Die PA, die von der Fatah dominiert wird, wirft Al Jazeera vor, ihren politischen Rivalen, die Hamas, zu unterstützen, mit der sie sich in der Vergangenheit erbitterte Kämpfe geliefert hat. Die Hamas verurteilte das Verbot des Senders und erklärte: „Wir rufen die Palästinensische Autonomiebehörde auf, diese Entscheidung sofort rückgängig zu machen ... Es ist entscheidend, die Fortsetzung der Berichterstattung zu gewährleisten, die die Besetzung entlarvt und die Standhaftigkeit unseres Volkes unterstützt.“
Nur knapp einen Monat zuvor hatten die Sicherheitskräfte der PA eine „Operation zum Schutz der Nation“ und „für ein Ende von Aufwiegelung und Chaos“ begonnen, um Aufständische in der Stadt Dschenin im Nordwesten des Westjordanlands mit brutaler Gewalt zu entwaffnen und zu unterdrücken. Einige Angehörige des „Dschenin-Bataillons“, das vor einem Jahr die Macht im Flüchtlingslager bei der Stadt übernommen hatte, standen der Hamas und dem Palästinensischen Islamischen Dschihad nahe.
Dschenin hat eine hohe Armuts- und Arbeitslosenquote, wobei sich die wirtschaftlichen Bedingungen im gesamten Westjordanland drastisch verschlechtert haben. Laut der Weltbank gingen im Westjordanland seit Beginn des Krieges 144.000 Arbeitsplätze verloren. Dazu sind jetzt auch noch 148.000 Palästinenser, die zuvor in den Siedlungen und in Israel gearbeitet haben, arbeitslos.
Die PA schickte gepanzerte Fahrzeuge nach Dschenin, die sich Schießereien mit bewaffneten Gruppen im Flüchtlingslager lieferten. Ihre Truppen setzten, nach dem Vorbild der Taktik des israelischen Militärs, Überwachungsdrohnen ein, besetzten das Krankenhaus, stellten die Strom- und Wasserversorgung für das Lager ab und schlossen Schulen. Anwar Rajab, der Sprecher der Sicherheitskräfte der PA, erklärte: „Die Bewaffneten in Dschenin sind keine Widerstandskämpfer, sondern Söldner und kämpfen für die dubiosen Ziele einer äußeren Partei.“ Er verglich ihre Aktivitäten mit denen des Islamischen Staats.
Bei bewaffneten Zusammenstößen wurden mindestens elf Menschen getötet, einschließlich mindestens fünf Sicherheitskräften der PA und mehreren Zivilisten, darunter zwei Jugendliche und die 21-jährige Journalistin Shatha al-Sabbagh; Dutzende weitere wurden verletzt. Berichten zufolge wurden mehr als 50 Palästinenser verhaftet. Die Auseinandersetzungen sind derart gewalttätig, dass das UN-Flüchtlingshilfswerk UNRWA seine Operationen in dem Gebiet aussetzen musste.
Videos, die die Tötung des neunzehnjährigen Ribhi Muhammad al-Shalabi zeigen, haben unter den Bewohnern des Flüchtlingslagers Dschenin große Empörung, einen mehrtägigen Generalstreik und Forderungen nach der Auflösung der PA ausgelöst. Al-Shalabi war mit seinem fünfzehnjährigen Cousin auf einem Motorrad unterwegs, als er von Sicherheitskräften der PA in den Kopf geschossen wurde. Ein Mitglied der PA-Sicherheitskräfte legte daraufhin aus Protest seine Uniform ab und quittierte den Dienst.
Das Vorgehen der PA ging einher mit einer allgemeinen Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Dutzende von Menschen wurden von den Sicherheitskräften vorgeladen und verhört, weil sie in den sozialen Netzwerken die Tätigkeit der PA in Dschenin kritisiert hatten; einige wurden misshandelt. Die meisten wurde wieder freigelassen, doch Aktivisten erklärten gegenüber Al Jazeera, dass mehrere von ihnen Entschuldigungsvideos ins Netz stellen mussten.
Mit dem Angriff auf Dschenin knüpft die Palästinensische Autonomiebehörde an eine Reihe massiver, tagelanger Durchsuchungs- und Verhaftungskampagnen an, die die israelischen Streitkräfte (IDF) in den letzten zwei Jahren nach der Wahl der rechtsextremen Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu in Städten im Westjordanland durchgeführt hatten, darunter auch ein größerer Überfall auf Dschenin im August. Diese Operationen umfassten Luftangriffe, die Ermordung von palästinensischen Aufständischen, einschließlich Kindern, und die Zerstörung von Straßen und Infrastruktur.
Seit Oktober 2023 wurden mehr als 800 Palästinenser von israelischen Soldaten im Westjordanland und Ost-Jerusalem getötet, mindestens 63 davon stammten aus Dschenin. Rechtsextreme Siedler fühlten sich dadurch ermutigt, mindestens 1.423 Anschläge durchzuführen, bei denen es zu 21 Toten, mehr als 650 Verletzten und umfangreichen Sachschäden kam. Zudem wurde in dieser Zeit mehr Boden im Westjordanland von Israel beschlagnahmt als in den letzten zwanzig Jahren zusammengenommen; Siedler gründeten 60 neue Vorposten und vertrieben mehr als 1.000 Palästinenser aus ihren Häusern.
Der rechtsextreme israelische Finanzminister Bazalel Smotrich, dessen Zuständigkeit im Verteidigungsministerium auch umfassende Machtbefugnisse über das tägliche Leben im Westjordanland umfasst, ist entschlossen, die PA zu zerstören. Er hat wiederholt angedroht, die Steuereinnahmen zurückzuhalten, die Israel im Auftrag der PA einzieht. Die Ausnahmeregelung, die israelischen Banken die Interaktion mit palästinensischen Banken erlaubt, hat Smotrich zwar Anfang Dezeber für ein Jahr verlängert, doch es wird befürchtet, dass er dies nach Donald Trumps Amtsantritt nicht erneut tun wird. Die Folge wäre der Zusammenbruch der PA, was die Voraussetzungen für eine formelle Annektierung des Westjordanlandes durch Israel schaffen würde.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Zudem hat Smotrich letzten Monat seine Absicht kundgetan, die Zivilverwaltung aufzulösen und ihre Aufgaben an israelische Ministerien zu übertragen, die dann direkt für die Siedler und die 250.000 Palästinenser im Gebiet „Area C“ zuständig wären, das 60 Prozent des Westjordanlandes umfasst.
Die Palästinensische Autonomiebehörde behauptet, ihr brutales Vorgehen gegen palästinensische Gruppen, die Widerstand gegen Israels Landraub und militärische Besetzung leisten, sei notwendig, um „Recht und Ordnung“ zu wahren. In Wirklichkeit will sie Israel beweisen, dass sie in der Lage ist, als dessen Werkzeug das Westjordanland zu kontrollieren. Dabei handelt es sich nicht nur um einen Appell an Tel Aviv und Washington, sondern auch an den faktischen Herrscher von Saudi-Arabien Mohammad bin Salman, einen Verbündeten der ersten Trump-Regierung. Dieser hatte die Entstehung eines palästinensischen Kleinstaates zur Bedingung für eine Normalisierung der Beziehungen zu Israel gemacht.
Der israelische Journalist Barak Ravid, der in Washington aktiv ist, zitierte in einem Artikel für die Website Axios palästinensische und amerikanische Regierungsvertreter mit den Worten: „Abbas hat die Operation aus zwei Hauptgründen angeordnet: als Botschaft an die künftige Trump-Regierung, dass die Palästinenserbehörde ein zuverlässiger Partner ist, und um zu verhindern, dass im Westjordanland das Gleiche passiert wie in Syrien.“
Laut der israelischen Zeitung Haaretz haben sich die Chefs der Sicherheitskräfte der PA mit dem US-Generalleutnant Michael Fenzel getroffen, der für die sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen Israel und der PA zuständig ist, um über die Pläne für die Operation zu diskutieren. Axios berichtete, PA-Funktionäre hätten Fenzel eine Liste der Waffen gegeben, die sie für die Offensive brauchen, darunter 'Munition, Helme, Schutzwesten, Funkgeräte, Nachtsichtgeräte, Anzüge zur Sprengsatzentschärfung und gepanzerte Fahrzeuge.“ Doch Israel hat die Lieferung nicht genehmigt.
Laut der New York Times haben US-Regierungsvertreter die PA, deren Sicherheitskräfte teilweise von Washington finanziert und ausgebildet werden, zu einer Eskalation ihrer Operationen gegen die palästinensische Bevölkerung gedrängt und Israel angehalten, sich ruhig zu verhalten und der PA Zeit für diese „Strafverfolgung“ zu geben. Die Biden-Regierung und Saudi-Arabien streben eine Rolle für die PA in der Nachkriegsordnung des Gazastreifens an, obwohl Israel dies ablehnt. Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien sollen die Aktivitäten der PA in Dschenin unterstützt haben, weil sie nicht wollen, dass die Palästinenserbehörde „von so etwas wie der Moslembruderschaft oder mit Unterstützung durch den Iran“ übernommen wird.
Der 89-jährige Abbas, dessen vierjährige Amtszeit bereits 2009 ausgelaufen ist, und die Palästinensische Autonomiebehörde, die 1993 im Rahmen des Osloer Friedensprozesses gegründet wurde und einen palästinensischen Kleinstaat neben Israel aufbauen sollte, ist unter den Palästinensern verhasst. Ihre Korruption ist allgegenwärtig und ihre Funktionäre bereichern sich, während die einfachen Palästinenser in Armut leben. Der Löwenanteil des Budgets der PA, das in großem Ausmaß von internationalen Spendern bereitgestellt wird, geht an die 80.000-köpfigen Sicherheitskräfte - eine der größten Pro-Kopf-Raten der Welt. Für sie gibt die PA mehr aus als für Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft zusammen.
Israels Krieg gegen Gaza hat den Widerstand gegen die PA verstärkt. Einer ihrer Funktionäre erklärte: „Diesmal muss Israel die Hamas zerstören, andernfalls ist die PA erledigt.“ Kurz nach dem Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 hatte Abbas Gewalt gegen Zivilisten verurteilt und erklärt: „Wir lehnen das Töten und Misshandeln von Zivilisten durch beide Seiten ab, weil sie gegen Moral, Religion und Völkerrecht verstoßen.“ Für weitere Empörung sogte er, als er erklärte: „Mit ihrer Politik und ihrem Vorgehen vertritt die Hamas nicht das palästinensische Volk.“ Diese Äußerung nahm er später zurück.
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