„Habt ihr Lust an die Ostfront zu ziehen und für Deutschland zu sterben? Ich nicht!“

Schüler protestieren gegen Bundeswehr-Besuch an Leipziger Gymnasium

Immer aggressiver wirbt die Bundeswehr für die Rekrutierung von Kriegsfreiwilligen unter Jugendlichen. Dagegen äußert sich zunehmend Widerstand, wie jüngst an einer Leipziger Schule.

Schüler in Leipzig protestieren gegen die Bundeswehr, Oktober 2024 [Photo by Change.org]

Zwei Tage vor dem geplanten Besuch der Bundeswehr Ende Oktober an der Humboldtschule im Stadtteil Reudnitz-Thonberg in Leipzig führten mehrere Schüler einen sogenannten „Die-In“-Protest auf ihrem Schulhof durch. Sie legten sich auf den Boden und stellten sich tot, während ein 16-jähriger Mitschüler folgendes in ein Megaphon sprach:

Habt ihr Lust an die Ostfront zu ziehen? Und da für Deutschland zu sterben? Ich für meinen Teil habe da keinen Bock drauf. Ich habe keinen Bock darauf, mit 18 in irgendeinem Schützengraben zu liegen und mich zu fragen: Komme ich hier mit meinem Leben raus oder ist es nur ein Bein und meine Menschlichkeit, die ich verliere? Übermorgen hat die Schule die Bundeswehr zu uns eingeladen. Sie sollen uns dann genau diese Situation schmackhaft machen. Uns wird erzählt, dass die Bundeswehr Deutschland und uns beschützt und den Frieden bringen will. Das ist Bullshit! Um wessen Interessen geht es, wenn mit deutschen Waffen in Palästina und Kurdistan gemordet wird? Über wessen Freiheit reden wir, wenn Kriegsflugzeuge den Pazifik überqueren?

Weiter kam er nicht, da eine Lehrkraft ihm das Megaphon entriss. „Massive Störung des Schulfriedens“, so lautet die Antwort der Schulleitung auf die Protestaktion. Sie drohte mit einem Schulverweis gegen beteiligte Schüler. Damit macht sich die Schulleitung zu Handlangern des Militärs und der Regierung.

Wie die Leipziger Volkszeitung (LVZ) berichtet, die einen betroffenen Schüler interviewt hat, seien ihm direkt nach dem Protest „Ordnungsmaßnahmen angedroht worden, in der folgenden Schulstunde habe seine Lehrerin den Vorfall erneut thematisiert. Es folgte ein Gespräch bei der Schulleitung: Er habe den Schulfrieden gestört, so der Vorwurf.“ Das Landesamt für Schule und Bildung stellte sich hinter die Schulleitung und behauptete, die Schüler hätten mit ihrer Protestaktion die „erfolgreiche Unterrichts‐ und Erziehungsarbeit“ beeinträchtigt. Der Schule sei der Griff zu Ordnungsmaßnahmen erlaubt.

Eine Petition gegen die Androhung des Schulverweises, die von der Gruppe Internationale Jugend Leipzig initiiert wurde, erhielt bereits über 3600 Unterschriften. Darin heißt es: „Die Schule ist kein Platz, um Werbung dafür zu machen, dass Jugendliche an der Front für deutsche Profitinteressen sterben.“

Auch in anderen Bundesländern haben Schüler gegen das Auftreten der Bundeswehr an ihren Schulen opponiert. Die Militarisierung in Deutschland wird immer offensichtlicher, besonders mit der wachsenden Präsenz junger Bundeswehroffiziere in den Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen. Um den Jugendlichen eine Arbeit und einen Dienst bei der Bundeswehr schmackhaft zu machen, sollen ihre Vorbehalte gegen das Militär und den Krieg untergraben werden.

Dies geschieht auf verschiedenen, auch versteckten Wegen. So bietet die Bundeswehr beispielsweise Schülerpraktika sowie die Bezahlung von Busreisen für Schulexkursionen zu Museen an. Dabei nutzt sie gezielt die finanzielle und personelle Not der Schulen aus, die sich zum Teil auf solche Angebote einlassen, um ihre Schulausflüge zu stemmen.

2023 fanden über 3400 Vorträge von Jugendoffizieren an Schulen und Universitäten statt, die laut Angaben der Bundesregierung fast 90.000 Schüler und Studenten erreichten. Fast 3000 von ihnen besuchten anschließend Bundeswehreinrichtungen. Im Ergebnis rekrutiert die Bundeswehr immer mehr Jugendliche, fast 2000 im Jahr 2023.

Ständig werden weitere Schritte zur Stärkung der Bundeswehr unternommen: Durch eine Vereinbarung vom 6. November zwischen dem Verteidigungsministerium und der Bundesagentur für Arbeit soll künftig den Arbeitslosen ein militärischer Beruf angeboten werden.

Am 29. November hat das Verteidigungsministerium auf seiner Website die neue Wehrpflicht angekündigt. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte die Pläne im Juni erstmals teilweise der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Gesetzentwurf für eine Modernisierung der Wehrerfassung ist die Vorbereitung auf eine massenhafte Rekrutierung unter jungen Menschen, um die Bundeswehr personell besser auszustatten. Damit reagiere Deutschland auf „die veränderte geopolitische Lage“, so das Verteidigungsministerium.

Schon 2014 hat die damalige Große Koalition unter Angela Merkel (CDU) entschieden, die geopolitischen Interessen der deutschen Wirtschaft zunehmend mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Seit der sogenannten „Zeitenwende“ der Scholz-Regierung mit Ausbruch des Nato-Stellvertreterkriegs gegen Russland forciert die herrschende Klasse die Militarisierung der Gesellschaft und immer aggressivere und provokantere Waffeneinsätze, wie die jüngste Entwicklung im Ukrainekrieg und die deutsche Beteiligung am Genozid in Gaza zeigen.

Bundeswehr-Werbung für Krieg an einer Busstation in Berlin-Tempelhof, Herbst 2024

Auf großen Plakaten mit zynischen Sprüchen wie „Noch nichts vor?“, „Mach was wirklich zählt“ oder „Voller Einsatz für den Frieden“ wirbt die Bundeswehr um Rekruten. Die Kampagne läuft auf allen Kanälen, auch auf YouTube und dem unter Jugendlichen weit verbreiteten Tiktok.

Im August schrieben wir auf der WSWS:

Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) verurteilen die Rekrutierung von Minderjährigen und die mörderische Kriegspolitik auf das Schärfste. Nach zwei Weltkriegen, in denen zehntausende Kinder und Jugendliche und Millionen Arbeiter für die Interessen der deutschen herrschenden Klasse verheizt wurden, herrscht in ganz Europa eine starke Antikriegsstimmung. So sprechen sich 59 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gegen die Rückkehr der Wehrpflicht aus, die die Bundesregierung vorbereitet.

Die Angst vor Krieg nahm in den letzten Jahren enorm zu. In der diesjährigen Shell-Jugendstudie gaben 81 Prozent der jugendlichen Befragten an, Angst vor einem Krieg in Europa zu haben. 2019 waren es noch 46 Prozent. Ein erwähnenswertes Ergebnis der Studie ist auch, dass die Angst vor Armut gestiegen ist – von 52 Prozent im Jahr 2019 auf 67 Prozent in diesem Jahr. Zudem gaben 63 Prozent der Befragten an, Angst vor sozialer Ungleichheit zu haben.

Sozialangriffe und Militarismus gehen Hand in Hand. Wie in dem Film „Im Westen nichts Neues“, der sich auf die Romanvorlage von Erich Maria Remarque stützt, soll die Jugend gelockt und manipuliert werden. Doch was in Wirklichkeit auf sie wartet, ist der sinnlose Tod durch die Kriegsmaschinerie.

Erich Kästner, der selbst als Jugendlicher den Ersten Weltkrieg erlebt hat, schrieb 1928 in seinem Gedicht „Jahrgang 1899“:

Dann holte man uns zum Militär,
bloß so als Kanonenfutter.
In der Schule wurden die Bänke leer,
zu Hause weinte die Mutter.

Damit dies nicht wieder passiert, müssen wir uns gegen die Militarisierung und Aufrüstung wehren. Die IYSSE rufen zu weiteren Protesten gegen die Bundeswehr an den Schulen auf und verteidigen Schülerinnen und Schüler gegen Drohungen und Repressalien ihrer Schulleitungen!

Doch wir können die gefährliche Kriegspolitik nicht allein durch Protest an den Schulen stoppen. Es braucht eine sozialistische Antikriegsbewegung in der internationalen Arbeiterklasse – der mächtigsten gesellschaftlichen Kraft, die alles am Laufen hält. Deshalb treten wir für einen gemeinsamen Kampf der Jugend mit Arbeitern auf der ganzen Welt ein. Schließt euch uns an und macht mit bei den IYSSE!

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