Israelisches Militär droht mit Bodenoffensive im Libanon und weitet Luftangriffe aus

Führende Offiziere der Israelischen Verteidigungskräfte haben ihre Soldaten angewiesen, sich auf eine Bodenoffensive gegen den Libanon vorzubereiten. Derweil dauern die israelischen Luftangriffe auf das Land seit mehr als drei Tagen an. Nach Angaben des Militärs richteten sie sich gegen mehr als 280 Ziele, die angeblich in Zusammenhang mit der Hisbollah stünden.

Ein Vorort von Beirut nach einem israelischen Luftangriff am 20. September 2024 [Photo: Maryam Jamshidi/@MsJamshidi]


Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden bei den israelischen Luftangriffen am Mittwoch 81 Menschen im ganzen Land getötet, 38 davon im Süden, zwölf in der östlichen Region Bekaa und zweiundzwanzig in drei Städten nördlich und südlich der Hauptstadt Beirut. Außerdem wurden fast 400 Menschen verwundet.

Der jüngste Luftangriff richtete sich auch gegen Zonen, die Israel bisher noch nicht angegriffen hat, darunter den Badeort Jiyyeh südlich von Beirut. Die Gesamtzahl der Toten im Libanon durch die unablässigen Luftangriffe nähert sich der Marke von 650.

In Beirut sind hunderttausende Menschen, die aus dem Süden des Landes geflüchtet sind, in Schulen und anderen Gebäuden untergebracht.

Der libanesische Gesundheitsminister Dr. Firass Abiad erklärte gegenüber Sky News, im Libanon seien „mindestens“ eine halbe Million Menschen durch die Luftangriffe zu Binnenflüchtlingen geworden. Dr Abiad erklärte, er rechne damit, dass die Zahlen noch diejenigen aus dem Libanonkrieg von 2006 überschreiten werden, als zwischen 600.000 und 800.000 Einwohner zu Binnenflüchtlingen wurden.

Ein Bericht von Associated Press beinhaltete die Schilderung eines Angriffs im Bekaa-Tal durch eine Augenzeugin:

„Soumaya Moussawi lag mit verbundenem Kopf und einer Gesichtsverletzung im Krankenhaus Dar Al Amal in Baalbek im libanesischen Bekaa-Tal. Sie habe am Mittwoch mit Familienmitgliedern im Freien gesessen, „als Kampfflugzeuge in einiger Entfernung begannen Ziele anzugreifen“, erklärte sie.

„Dann schlug es plötzlich neben uns ein – wir wurden alle in unterschiedliche Richtungen geschleudert. Zwei meiner Cousins und mein Vater wurden getötet, ein weiter Cousin befindet sich in gefährlichem Zustand.“

Moussawi betonte, dass es keine militärische Einrichtung in der Nähe gebe und erklärte, sie wolle „stark bleiben“, um das Andenken an ihren Vater zu ehren.

Die Vereinten Nationen meldeten den Tod von zwei ihrer Beschäftigten im Libanon bei den anhaltenden Luftangriffen. Das Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) nannte als Namen der beiden Toten Dina Darwiche und Ali Basma.

Darwiche wurde gemeinsam mit ihrem jungen Sohn getötet, als ihr Haus von einer israelischen Rakete getroffen wurde. Sie hatte seit 12 Jahren für das UNHCR in Bekaa gearbeitet. Basma hatte seit sieben Jahren als Reinigungskraft für das Büro der Organisation in Tyr gearbeitet, allerdings gibt es keine weiteren Angaben zu seinem Tod.

Das UNHCR erklärte, es sei „empört und zutiefst traurig“ über die Todesfälle und forderte „dringend“ eine Deeskalation und den „Schutz von Zivilisten, darunter Entwicklungshelfern, wie es das internationale humanitäre Recht vorschreibt.“

Der Stabschef der IDF, Generalleutnant Herzi Halevi, rief die Soldaten am Mittwoch auf, sich auf eine mögliche Bodenoffensive im Libanon vorzubereiten. Er erklärte, das Militär würde „reingehen, den Feind dort vernichten“ und die Infrastruktur der Hisbollah „entscheidend zerstören.“ Israel berief außerdem zwei Brigaden Reservisten ein.

Bei einem Truppenbesuch an der israelischen Nordgrenze erklärte Halevi: „Ihr hört die Jets über euch: wir greifen den ganzen Tag über an. Damit bereiten wir euren möglichen Einmarsch vor und schwächen die Hisbollah weiter.

Heute hat die Hisbollah ihre Schussweite ausgeweitet, und später am heutigen Tag wird sie eine sehr starke Reaktion darauf erhalten. Bereitet euch vor... Wir leiten den Beginn eines Manövers ein.“

Auch der Befehlshaber des israelischen Nordkommandos, Generalmajor Ori Gordin, erklärte während eines Besuchs bei israelischen Soldaten, die nahe der libanesischen Grenze Übungen durchführen, der Krieg habe „eine neue Phase erreicht. ... Wir müssen die Sicherheitslage ändern, und wir müssen vollständig auf Manöver und Maßnahmen vorbereitet sein“, wie es am Mittwoch hieß.

Im Vorfeld der Drohung mit einem Überfall auf den Libanon hatte die Hisbollah eine Langstreckenrakete auf Tel Aviv abgefeuert, die angeblich vom israelischen Luftabwehrsystem vor dem Einschlag abgefangen wurde.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, die IDF würden „der Hisbollah weitere Schläge zufügen“, bis geflüchtete israelische Staatsbürger in ihre Heimat zurückkehren könnten. In einer am Mittwoch veröffentlichten Videobotschaft erklärte er: „Ich kann, was wir tun, nicht in allem Details ausführen, aber ich kann Euch eines sagen: wir sind entschlossen, unseren Einwohnern im Norden die sichere Rückkehr in ihre Häuser zu ermöglichen. ... wir werden nicht ruhen, bis sie nach Hause zurückkehren.“

Netanjahus Erklärung ähnelt seinen früheren Äußerungen während des Völkermordes an den Palästinensern im Gazastreifen über das Ziel des „totalen Sieges“, bei denen er zynisch die israelischen Geiseln als Rechtfertigung benutzt hatte.

Der mörderische Angriff auf den Gazastreifen ging derweil am Mittwoch mit israelischen Luftangriffen auf Rafah weiter. Die Washington Post berichtete, Kräfte des palästinensischen Zivilschutzes hätten nach einem israelischen Angriff auf ein mehrstöckiges Haus in der südlichsten Stadt des Gazastreifens in Trümmern durch Rufe nach Überlebenden gesucht.

Laut dem Sprecher des Zivilschutzes von Gaza Mahmoud Basal wurden bei dem Angriff mindestens drei Menschen getötet und mehrere weitere verwundet. Basal erklärte der Post per Telefon, am Dienstag seien bei Angriffen im gesamten Gazastreifen mindestens 50 Menschen getötet worden. Er erklärte, das Ausmaß der israelischen Angriffe auf den Gazastreifen habe sich verschärft, obwohl die israelischen Streitkräfte ihre Aufmerksamkeit auf den Libanon umgelenkt haben.

US-Außenminister Antony Blinken versuchte, die Unterstützung der Biden-Regierung für Israels Angriff auf den Libanon mit der Behauptung zu kaschieren, Tel Aviv und die Hisbollah müssten zurückstecken und einen offenen Krieg vermeiden, der für die Region und ihre Bevölkerung katastrophal wäre.

Blinken erklärte am Mittwoch während eines Besuchs der UN-Vollversammlung in New York, die USA arbeiteten an einer „Deeskalation der Spannungen“, sodass zehntausende Israelis und Libanesen in die Häuser zurückkehren können, die sie wegen der immer schärferen Angriffe verlassen mussten.

Doch in einem Auftritt in der NBC-Sendung „Today“ stellte sich Blinken hinter den israelischen Pager-Terroranschlag im Libanon, bei dem Tausende verwundet wurden. Auf die Frage, ob die Pager-Bomben „eine Form von Terrorismus“ seien oder „zu weit gingen“, erklärte Blinken: „Es ist sehr legitim, dass Israel etwas gegen die Hisbollah tut.“

Als der Reporter von CBC News nach einem Bericht von ProPublica fragte, laut dem zwei US-Regierungsbehörden der Meinung seien, dass Israel bewusst und illegal Hilfslieferungen in den Gazastreifen blockierte, und dass Blinken dies ignoriert und dem Kongress falsche Angaben gemacht hätte, wies der Außenminister die Vorwürfe zurück und bezeichnete es als „ziemlich typische“ Episode, in der er „unterschiedliche Bewertungen durchschauen und Schlüsse ziehen müsse.“

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