Interview mit dem Regisseur von „To a Land Unknown“, Mahdi Fleifel

„Sind wir bereit, unsere Menschlichkeit zu respektieren und anzunehmen?“

In einem Videocall sprach die WSWS mit dem palästinensisch–dänischen Filmemacher Mahdi Fleifel, dem Regisseur von „To a Land Unknown“.

David Walsh: Herzlichen Glückwunsch zu einem sehr starken und bewegenden Film. Als wir das letzte Mal im Jahr 2018 miteinander sprachen, waren Sie, wie Sie sich vielleicht erinnern, etwas deprimiert über die Möglichkeiten einen guten Film zu drehen. Tatsächlich sagten Sie, wenn ich zitieren darf: „Ich reise um die Welt und habe gesehen, wie die Filmindustrie funktioniert. Davon bin ich ziemlich desillusioniert.“

Wie haben Sie es nach einer Reihe von kürzeren Filmen geschafft, dieses längere Werk zu realisieren?

Mahdi Fleifel: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, als wir uns das letzte Mal unterhielten, hatte ich die Entscheidung getroffen, für einige Zeit aufzuhören, oder ich sagte mir zumindest, dass ich etwas anderes ausprobieren wolle.

Mahdi Fleifel [Photo]

Ich schrieb mich an einer Universität ein. Aber es war so, wie wenn man einen Stein im Schuh hat... Ich konnte das Filmemachen nicht lassen. Ich habe das Projekt mit einem neuen Produzenten wieder aufgenommen, diesmal mit einem alten Freund von mir, Geoff Arbourne. Er ist Brite und lebt in Kapstadt. Er macht Dokumentarfilme, aber er ist gewissermaßen unkonventionell.

Geoff erwies sich als Produzent, der sein Geld wert war. Er kam im Januar '22 hinzu, und der Film wurde im Mai '24 in Cannes uraufgeführt. Ich habe vier Jahre mit anderen Produzenten – angesehenen, respektierten Leuten – vergeudet. Die lassen einen im so genannten Entwicklungsmodus im Hamsterrad laufen, während sie an mehreren anderen Projekten arbeiteten. Geoff sagte: Nein, ich werde alles in dieses Projekt stecken. Wir werden das realisieren. Er hielt sein Wort und schaffte es, Geldmittel aufzutreiben.

Uns war klar, dass wir nicht warten konnten, bis die gesamte Finanzierung steht (was die klassische Methode ist). Alle dänischen Produzenten, mit denen ich zusammenarbeitete, bestanden darauf, dass alles unter Dach und Fach sein müsse. Der Sicherheitsgurt muss angeschnallt sein, kein Risiko darf auftreten. Und sie sind natürlich in hohem Maße auf das Geld der Steuerzahler aus, auf das dänische Filminstitut. Sobald das Institut ein Ablehnungsschreiben schickt, waschen sie ihre Hände in Unschuld, wie Pontius Pilatus, und verschwinden.

Wir wählten den anderen Weg der alten Schule: betteln, stehlen und leihen. Geoff besuchte mehrere private Kapitalisten. Er wandte sich an palästinensische Aktivisten oder an Leute mit Interesse an Palästina. Roger Waters von Pink Floyd war zum Beispiel einer derjenigen, die uns geholfen haben. Mehrere Filmfonds halfen uns, und wir sicherten uns Finanzierungen in Frankreich, Deutschland und Holland.

Ironischerweise bekam Geoff, der Brite ist, kein Geld aus Großbritannien, und ich, der ich Däne bin, bekam kein Geld aus Dänemark.

Aber wir haben es geschafft. Das Verrückte ist die kurze Zeitspanne zwischen dem ersten Tag der Dreharbeiten, dem 7. November 2023, und der Premiere am 22. Mai 2024 – sechs Monate und 15 Tage.

Es war, als hätte man uns eine Pistole an den Kopf gesetzt. Wir sprangen ins Wasser, die Haie waren hinter uns her, und es gab nur eine Richtung. Und wir haben es geschafft. Aber wie ich schon in anderen Interviews gesagt habe, ist das hoffentlich keine Formel für andere Projekte.

Mein Arzt würde es sicher nicht empfehlen. Wir sprechen hier von hohem Blutdruck, hohem Cholesterinspiegel, Übergewicht, psychischer Instabilität, all das. Ich glaube nicht, dass wir es noch einmal auf diese Weise machen wollen. Aber es war eine großartige Erfahrung, und in Anbetracht der allgemeinen Situation, in der wir uns befanden... Als wir mitten in der Vorproduktion waren, kam es im Gaza zum 7. Oktober.

DW: Welche Auswirkungen hatten diese Ereignisse?

MF: Wie jeder weiß, leben wir jetzt in einer anderen Welt. Es gibt eine Welt vor dem 7. Oktober und eine Welt danach. Was in Palästina passiert... Das ist, als sähen wir die Dinge jetzt in Technicolor, so klar wie der Tag.

"A World Not Ours", 2012

Im Grunde genommen stellt es unsere Menschlichkeit in Frage. Der Preis dafür … Ströme von Blut, die die Menschen im Gazastreifen dafür bezahlen. Es ist entsetzlich, das mit anzusehen. Aber wenn wir herauszoomen, stellt sich die Frage nach unserer eigenen Menschlichkeit. Wie soll es jetzt weitergehen?

Sind wir bereit, unsere Menschlichkeit zu respektieren und anzunehmen? Wir haben Gesetze, wir sehen, was mit dem Internationalen Gerichtshof geschieht. Respektieren wir diese Gesetze, die doch unseren Fortschritt als Menschheit repräsentieren? Oder verwerfen wir sie und verwandeln unsere Welt in einen Dschungel? Das ist für mich die Frage, vor der wir jetzt stehen.

DW: Was die herrschenden Eliten anbelangt, so ist ihre Antwort auf Ihre Frage offensichtlich. Es gibt keine „roten Linien“ mehr. Die Bevölkerung muss dringend die Konsequenzen daraus ziehen und entscheiden, welche Art von Gesellschaft sie will. Denn dieses System geht zur Hölle.

MF: Ja, man treibt die Dinge immer weiter. So sehr ich auch auf etwas Besseres hoffen möchte, die gegenwärtige Realität macht mich ziemlich pessimistisch.

DW: Lassen wir das für den Moment beiseite. Ich möchte etwas über den Film fragen.

Normalerweise frage ich einen Filmemacher nach dem Ursprung der Idee für seinen Film. Aber in diesem Fall ist das nicht nötig, denn Ihre gesamte persönliche und künstlerische Geschichte läuft eindeutig auf diesen Film hinaus. Es gibt Filme wie „A World Not Ours“, also Kurzfilme - sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme -, welche Menschen folgen, die sich aus Flüchtlingslagern im Libanon nach Athen durchgeschlagen haben. Dieser Film ist eindeutig eine Art Höhepunkt einer Entwicklung.

Als wir uns 2012 zum ersten Mal unterhielten, wiesen Sie darauf hin, dass Sie als Spielfilmregisseur ausgebildet worden waren und Ihren ersten Dokumentarfilm fast zufällig drehten.

MF: Letztendlich versuchen wir so oder so, eine Geschichte zu erzählen. Etwas, das ich schon früh gelernt habe, kommt in dem Zitat von Stanley Kubrick zum Ausdruck, das besagt, dass Filmemachen eine Problemlösung ist. Es ist nicht wirklich eine Raketenwissenschaft. Wir wollen eine Geschichte erzählen. Also beginnen wir mit den Grundlagen, den Figuren, den Themen, dem Drehbuch. Wenn das dann steht, stellt sich die Frage: Wer wird diese Figuren verkörpern? Die Vorproduktion beginnt, und so weiter und so fort. Für mich ging es anfangs darum, diesen Weg zu gehen und zu versuchen, keine Kompromisse einzugehen, soweit es mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln möglich war.

Ich war wirklich sehr darauf bedacht, beim Casting, bei den Drehorten, bei der Wahl der Kamera, mit der wir filmten, beim Ton in der Postproduktion, beim Schnitt, beim Sounddesign und bei der Musik nicht nachzulassen. Bei Spielfilmen gibt es viele Phasen. Bei einem Dokumentarfilm drehe ich mehrere Wochen, Monate oder Jahre lang, sammle Material, komme zurück und setze mich dann mit meinem Cutter zusammen, um eine Geschichte daraus zu entwickeln. Wenn das fertig ist, gehen wir ins Tonstudio, und später korrigieren wir die Farben. Das war's. Bei Spielfilmen ist der Prozess natürlich viel aufwändiger, man braucht eine größere Armee, und es ist viel anstrengender und ermüdender.

Man arbeitet über einen längeren Zeitraum daran, und man muss immer auf dem Laufenden sein. Ich denke, dass die Entscheidung, mit wem man zusammenarbeitet - in diesem Fall die Partnerschaft mit Geoff als Hauptproduzent - der Anfang von allem war. Dann kam die Frage: Mit wem arbeiten wir? das Produktionsteam vor Ort? die Assistenten? das Kreativteam? All diese Entscheidungen gehen nach hinten los, wenn man eine Fehlbesetzung hat oder mit dem falschen Kameramann losgeht. Dann ist man verloren, das wissen Sie.

Die Arbeit als Spielfilmregisseur entspricht eher dem, was ich mir unter einem Fußballmanager vorstelle. Es geht um ein größeres Bild. Es geht nicht nur um die Mannschaft, die auf dem Feld spielt, sondern um die gesamte Organisation. Wenn man die Meisterschaft gewinnen will, kann man sich nicht nur auf einen Aspekt des Spiels konzentrieren. Dessen war ich mir bewusst, und ich wollte mich darauf einlassen und mich auf alle Ängste und Herausforderungen, die damit einhergingen, einlassen.

Die Fiktion gibt dir einen Raum, in dem du mit deiner Fantasie spielen kannst. Es gibt ein altes Sprichwort, ich glaube, es stammt von Alfred Hitchcock: In der Fiktion ist der Regisseur Gott, aber im Dokumentarfilm ist Gott der Regisseur.

Man hat in vielerlei Hinsicht Autorität, aber an einem bestimmten Punkt muss man loslassen, und dann beginnt der Film, sich einem zu offenbaren. Man muss dem gehorchen, was er zu tun versucht und wie er sich zu offenbaren versucht.

Die Vorproduktion war ein Albtraum. Ich habe gehört, dass das normalerweise so ist. Und die Produktion war hart, sie war eine Herausforderung, aber sie hat Spaß gemacht. Als wir erst einmal alle im Boot waren, stellten wir fest, dass es eine tolle Kameradschaft gab und die Chemie stimmte. Unter den Schauspielern und der Crew herrschte eine echte Solidarität.

Vor dem Hintergrund der Geschehnisse in Gaza hielten wir dies natürlich für das Beste, was wir tun konnten, um diese Geschichte so gut wie möglich zu erzählen.

Der Versuch, den Film innerhalb von etwa drei Monaten für die Filmfestspiele in Cannes im Mai fertigzustellen - Schnitt, Sounddesign, Farbe - war ein weiterer Alptraum. Es war also ein Sandwich. Albträume an beiden Enden und dazwischen die bemerkenswerte Füllung.

Meine größte Befürchtung war, dass die Leute nach so vielen Jahren - 10, 12 Jahre, wie lange das Ganze gedauert hat - aus dem Kino kommen und sagen würden: „Naja, ganz interessant.“

Es war wichtig, den Start in Cannes zu sichern, und es stellte sich heraus, dass wir bei den „Quinzaine des cinéastes“ [Vierzehn Tage der Regisseure, besondere Abteilung der Filmfestspiele in Cannes] die größte Delegation stellten. Wir hatten etwa 45 Leute, Schauspieler und Crew - alle sind gekommen. Dann gab es wohl die längste stehende Ovation in der Geschichte der „Quinzaine“, ich glaube neun Minuten lang.

Die Kritiken waren sehr wohlwollend. Der Film wurde mit den „Ladri di biciclette“ [1948, Vittorio de Sica] und mit „Midnight Cowboy“ [1969] verglichen. Ich könnte mich gewissermaßen jetzt zurückziehen - von hier an geht es nur noch bergab. Ha-ha.

DW: Ich wollte Sie nach den Erfahrungen beim Festival in Cannes fragen.

MF: Es war erstaunlich. Das war es wirklich. Man hat sehr gut über uns berichtet. Ein Publizist sagte zu mir, wir hätten den Grand Slam gewonnen. Wir haben nichts als positive Kritiken erhalten, sowohl in Screen Daily, Variety, IndieWire als auch in Hollywood Reporter und The Film Verdict.

Mahdi Fleifel und Co-Produzent Patrick Campbell 2012 in Toronto

Das Schöne an Cannes ist, wenn man dort hinkommt und gut wieder rauskommt. Davor haben viele Filmemacher Angst, vor allem die kleineren, die nicht mit einer PR-Kampagne und der ganzen Kavallerie im Rücken auftauchen.

Aber in unserem Fall, denke ich, haben wir uns gut geschlagen. Das hat sowohl mit dem Film selbst als auch mit der allgemeinen Situation in Gaza zu tun, denke ich.

Es war eine berührende Erfahrung. Alle hatten das Gefühl: Wir haben es geschafft, wir haben es bis zum Ende durchgezogen. Und jetzt haben wir letzte Woche in Malta, München, Galway und Taormina unsere ersten Preise dafür erhalten. Das sind bereits vier Auszeichnungen seit der Premiere.

Der Film wurde bisher zu mehr als 50 Festivals eingeladen, Tendenz steigend. Was die Verkaufszahlen angeht, das weiß ich nicht. Das ist bei einem Film wie diesem, eigentlich bei jedem Film, ein bisschen heikel. In dieser Branche geht es nicht um Risikobereitschaft. Das erste, was ich gelernt habe, vor allem, was die Verleiher betrifft: Keiner ist bereit, ein Risiko einzugehen.

Außerdem habe ich Kameraleute getroffen, die mich fragten: Warum bestehen Sie darauf, auf Film zu drehen? Weil es besser ist. Die meisten Leute in der Branche wollen nachts nach Hause gehen, acht Stunden schlafen und sich um nichts mehr kümmern müssen. Manche Kameraleute wollen sich keine Gedanken über die Laborergebnisse machen. Sieht das Ergebnis nun gut aus oder nicht? Das Gleiche gilt für die Produzenten oder Finanziers, für die Verleiher. Will ich damit ein Risiko eingehen? Geld spricht lauter als... alles andere.

DW: Aber es hat sich gelohnt.

MF: Ja, und vor allem, da jeder danach noch einmal eine Chance bekommt. Ich hoffe, dass ich wenigstens noch ein paar Filme machen kann, bevor ich gehe, die ihren Weg zum Publikum finden werden. Es gibt eine Grenze, wie viel man machen kann.

Filme sollten die Menschen über Jahre hinweg beeinflussen. Ein Film sollte wie ein Dokument seiner Zeit sein.

Ich bin auch heute noch überrascht, wenn Leute zu mir kommen und sagen: Ich habe kürzlich „A World Not Ours“ gesehen, und das hat mich so bewegt. Das ist jetzt ein Dutzend Jahre her, und er funktioniert immer noch? Das ist es, was man sich erhofft. Das ist der Maßstab, den ich mir als Geschichtenerzähler gesetzt habe.

DW: Der Film handelt von Sanspapiers, von Gestrandeten, von Menschen, die von wirtschaftlichen Problemen, Drogen und familiärem und moralischem Druck betroffen sind. Er hat eine moralische, soziale Wirkung. Ich nehme an, Sie fühlen sich diesen Menschen gegenüber verantwortlich.

Chatila und Reda in „To a Land Unknown“ [Photo]

MF: Das ist natürlich der Unterschied zwischen einem Dokumentarfilm und einer Fiktion. Beim Dokumentarfilm handelt es sich um echte Menschen, um echtes Leben. Man dokumentiert ihr Leben. Aber wenn der Film fertig ist, geht ihr Leben weiter. Bei dem Reda, der in meinen Dokumentarfilmen vorkam: Er ist nach drei Filmen, die ich mit ihm gemacht habe, hier in Athen an einer Überdosis gestorben. Seine Frau ruft manchmal an und sagt: „Ich sehe, dass die Filme über ihn auf Netflix laufen, und ich mache mir Sorgen, dass meine Kinder ihren Vater vor der Kamera beim Drogenkonsum beobachten müssen.“

In der Fiktion hingegen ist es genau das. Es ist deine Schöpfung, deine Verantwortung.

DW: Der Drogenkonsum des fiktiven Reda in Ihrem neuen Film scheint fast ein Maß für sein Gewissen zu sein, das heißt, er greift zu Drogen, um die Erinnerung an Dinge zu verdrängen, die er getan hat oder noch tun muss.

MF: Das ist einer der „drei logischen Ausgänge“, über die ich auch einen Film gemacht habe. Wir greifen zu Dingen, um zu versuchen, dem Schmerz oder den überwältigenden Gefühlen zu entkommen, was auch immer es ist.

Im Grunde genommen war alles, was ich bis jetzt gemacht habe, Feldforschung für eine Doktorarbeit, und dann habe ich meine Dissertation eingereicht. Aber ich habe mich nicht in Dr. Fleifel verwandelt, ha-ha.

DW: Du hast eine Figur namens Chatila. Machen das die Eltern, oder nennt er sich selbst so? (Chatila oder Schatila ist der Name eines palästinensischen Flüchtlingslagers in Beirut, das im September 1982 Schauplatz eines schrecklichen Massakers an Tausenden von Palästinensern und libanesischen Schiiten war, das von libanesischen faschistischen Kräften mit direkter Unterstützung des israelischen Militärs verübt wurde.)

MF: Ich habe hier einen Mann namens Chatila getroffen. Ich glaube, er trug diesen Spitznamen, wahrscheinlich weil er 82 geboren wurde. Ich dachte immer, das sei ein cooler Name. Ich weiß, dass die Leute ihn aufgreifen und dann annehmen, er sei eine Anspielung auf das Massaker, und das ist er in gewisser Weise auch. Aber ich mochte den Namen einfach.

DW: Das Interessante an dem Film ist, dass Chatila nicht darauf reagiert, wenn Tatiana sagt, dass sein Name wie ein Mädchenname klingt. Man hat das Gefühl, dass er zu einer Generation gehört, die etwas immun gegen patriotische und nationalistische Appelle ist, abgehärteter, zynischer, wenn man so will. Er meldet sich nicht etwa zu Wort und sagt: „Nein, nein, ich bin nach dem Massaker in den 1980er Jahren benannt“. Nein, er geht einfach darüber hinweg.

MF: Sie haben das alles, wie viele palästinensische Jungs hier, einfach satt. Selbst ich, wissen Sie, man steigt hier in ein Taxi und der Fahrer sagt: „Hey, Palästina, was ist da drüben los?“ Wo sollen wir anfangen, bei Adam und Eva?

Sehen Sie sich die derzeitige Situation in Gaza an. Dort herrscht ein solches Vakuum. Die Ereignisse vom 7. Oktober? Sie lassen die Palästinenser in einem Käfig verrotten und sterben, was erwarten Sie, was dann passiert? Sollen sie Weihnachtskarten schicken? Wenn man ein Tier in einen Käfig sperrt und es für eine bestimmte Zeit hungern lässt, wird es versuchen, auszubrechen. Und wenn Sie den Käfig öffnen, wird es nach Ihnen schnappen. Viele Menschen scheinen diese grundlegende menschliche Natur nicht zu verstehen.

Reda und Malik in „To a Land Unknown“ [Photo]

DW: Das historische Wissen ist gering. Man muss die Menschen aufklären, und Ihr Film ist Teil dieses Prozesses. Es geht nicht in erster Linie um Geschichte, aber er ist sicherlich ein sozialer und moralischer Aufklärungsfilm.

Wo leben sie in Athen, die Figuren im Film? Ist dieser Ort ein besetztes Haus?

MF: Eigentlich ist es eine verlassene Schule, die wir gleich um die Ecke von meinem Wohnort in Athen gefunden haben.

Ich wohne jetzt also zwischen Kopenhagen und Athen. Der größte Teil des Films wurde in einem Umkreis von 10 Minuten Fußweg von meinem Haus gedreht, was die Produktion zu einer unglaublichen Erfahrung machte. Ich bin morgens aufgewacht, habe mir einen Kaffee geholt und bin zum Set gelaufen oder wo auch immer wir gerade drehten.

DW: Eins der Kinder, Malik, ist erst 13. Er ist auf sich allein gestellt. Ist das typisch?

MF: Das ist schon vorgekommen. Ich habe schon von solchen Geschichten gehört. Sie werden mit jemandem rübergeschickt. Sobald sie ankommen, sollen sie gemeldet werden oder mit anderen in ein Auffangzentrum gebracht werden. Aber irgendwie ist er durch die Maschen gerutscht. Dieser Junge stammte aus Gaza und war mit seiner Mutter, seinem Bruder und seiner Schwester vor drei Jahren mit einem Boot aus der Türkei hierher gekommen.

Er hatte also diese Erfahrung und wir fanden ihn hier in Athen, während die anderen Schauspieler aus anderen Verhältnissen kamen. Aram Sabbah hatte noch nie geschauspielert. Er ist ein professioneller Skateboarder aus Ramallah.

Mahmood Bakri stammt natürlich aus einer bekannten Schauspielerfamilie. Er hat schon mehrere Filme gedreht. Zwischen Mahmood und Aram herrschte eine hervorragende Chemie.

Es war tatsächlich einfacher, mit den Nicht-Schauspielern zu arbeiten als mit den Schauspielern, denn Schauspieler wollen schauspielern, was meistens das Schlimmste ist, was sie tun können.

DW: Wie sind die Bedingungen in Griechenland jetzt?

MF: Es ist eine rechtsgerichtete Regierung. Die Immobilienpreise steigen wie verrückt. Ein Großteil von Athen wird jetzt an Chinesen, Israelis, Türken, Libanesen und andere Ausländer verkauft. Es ist immer noch günstig, aber es wird von Jahr zu Jahr teurer.

Mahdi Fleifel während der Dreharbeiten zu „To a Land Unknown“ [Photo]

Mir gefällt es hier. Für mich ist es der Ort, der meiner Heimat am nächsten ist. Es ist das Mittelmeer, richtig? Im Gegensatz zu Dänemark gehe ich hier aus dem Haus und die Leute sehen aus wie ich. Es hat einen gewissen Reiz, es ist nicht perfekt. Kopenhagen ist nahe an der Perfektion. Nach drei Monaten dort oben fühle ich mich wie in einem Altersheim, und ich muss irgendwo hingehen und wieder leben.

DW: Können Sie etwas über das Gedicht des palästinensischen Schriftstellers Mahmoud Darwisch sagen?

MF: Die Figur Abu Love basiert auf einem Mann, einem Dichter aus dem Gazastreifen, den ich in Paris kennengelernt habe und der ein bisschen ein Herumtreiber war. Er sagte einmal zu mir: „Ich bin kein Dichter. Ich bin ein Gedicht.“

Wenn die Figuren warten, vertreiben sie sich die Zeit, was sollten sie sonst tun? In dieser Lage rezitierte er ein Gedicht. Dann stellte sich die Frage, welches Gedicht? Ich sagte zu dem Schauspieler: Ich möchte, dass du mir ein paar Dinge vorschlägst. Ich hatte die Idee, dass es Darwisch sein könnte, denn was sonst konnte es sein? Ich dachte, es wäre interessant, wenn dieser Typ es rezitiert, weil er ein syrischer Beduine ist.

Darauf haben wir uns geeinigt. Es ist eine bearbeitete Version. Das Gedicht ist viel länger als bei uns. Aber es machte einfach Sinn, nicht wahr? „Die Maske ist gefallen.“ Das ist eine gute Zeile. Sie spricht viele heutige Dinge an.

DW: Ehrlich gesagt sind die im Film gezeigten Bedingungen und der wirtschaftliche und moralische Druck so ähnlich, wie man sie an vielen Orten auf der Welt finden kann, in den USA, in Europa und natürlich in Griechenland.

MF: Genau. Das ist es, was ich hoffe: dass die Leute den Film sehen und etwas Gemeinsames, Allgemeines erkennen. In meiner Arbeit versuche ich so weit wie möglich, die palästinensische Sache zu entmystifizieren.

Wissen Sie, wir sind nichts Besonderes. Wir sind nur ein Volk. Wir wollen Würde. Wir wollen in Würde und Freiheit leben. Mehr ist es nicht. Und das ist keine große Bitte, wissen Sie.

DW: Nein, das ist es nicht. Aber die Sache ist bloß die, dass dies den Umsturz von allem erfordert.

MF: Ganz genau.

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