Die britische Socialist Workers Party (SWP) nutzte ihre Veranstaltung „Marxism 2024: a festival of socialist ideas“ vom 4. bis 7. Juli, um den ehemaligen Labour-Führer Jeremy Corbyn auf den Schild zu heben. Er soll das Gesicht eines neuen pseudolinken Bündnisses gegen die Labour-Regierung unter Sir Keir Starmer werden.
Während des Wahlkampfs hatte die SWP dazu aufgerufen, Labour zu wählen. Sie hatte „alle und jeden“ aufgefordert: „Nutze deine Stimme am Donnerstag, um die Tories zu zerschlagen, zu vernichten und auszulöschen. Und dann tanzt auf ihrem Grab.“
Der Herausgeber des Socialist Worker, Charlie Kimber, schrieb am 28. Juni: „Wir wissen, dass das, was von Keir Starmers Regierung kommt, Kontinuität und nicht Transformation sein wird (...) Aber wenn die Partei des Großkapitals, der Sparmaßnahmen, des Krieges, der NHS-Kürzungen, des Rassismus und der Unterstützung für Israel eine niederschmetternde Niederlage erleidet, sollten wir das feiern.“
Kimber bezeichnete Labours Wahlsieg am 4. Juli als „historischen Mord an den Schuldigen“.
Diese bombastischen Erklärungen weisen die SWP als Verteidigerin von Starmers Labour-Regierung aus, die – nicht weniger als die Tories – eine ausgesprochene Partei des Völkermords, des Krieges, der Sparmaßnahmen und des einwanderungsfeindlichen Rassismus ist.
Die SWP hatte bei den Wahlen auch zur Unterstützung einer Handvoll Unabhängiger aufgerufen, darunter Corbyn, die ehemalige Labour-Abgeordnete Claudia Webbe und die ehemalige Labour-Stadträtin Leanne Mohamad, sowie auch Andrew Feinstein, Starmers Herausforderer in Holborn und St. Pancras. Fast die Hälfte der Unabhängigen, die die SWP unterstützte, hatte auch die Unterstützung des Bündnisses Collective, das hinter Corbyn steht.
Die gesamte SWP-Führung feierte Corbyns Wahlsieg in Islington North.
Der führende Theoretiker der SWP, Alex Callinicos, publizierte am Wahltag mehrere ekstatische Tweets, die so begannen: „Ich lebe seit 1972 mit Unterbrechungen in Islington. Ich bin heute Morgen sehr glücklich, dass wir in Islington North die Werte, die ich in meiner Jugend vertrat, weiterhin hochhalten.“ Er fuhr fort: „Habe gerade für @jeremycorbyn gestimmt – ich glaube zum 12. Mal!“ Und um 18:15 Uhr schrieb er: „Oh Jeremy Corbyn!“
Auf dem SWP-Festival am Samstag war Corbyn einer der Hauptredner, und die Mitglieder bereiteten ihm einen Heldenempfang. Sie applaudierten ihm, als er das Hauptzelt betrat, und sangen nach der von Fußballspielen bekannten Tonfolge: „Oh, Je-re-my Cor-byn“. Derselbe Sprechchor hatte schon Corbyns Aufstieg zum Labour-Chef vor fast einem Jahrzehnt begleitet.
Einen Tag zuvor hatte Kimber einen Workshop der SWP zum Thema „Das Wahlergebnis: Eine Starmer-Regierung vor Augen“ geleitet. Unter dem Beifall der Teilnehmer nannte er die Namen derjenigen unabhängigen Kandidaten, die Labour-Abgeordnete gestürzt hatten, und sagte: „Es hätten mehr sein können.“
Kimber vertrat dort die Ansicht, dass ein Aufstand der Rechtsextremen in ganz Europa und der Aufstieg von Nigel Farages Partei Reform UK nur durch den Aufbau einer breiten „linken“ Front auf der Grundlage vager reformistischer Vorschläge gestoppt werden könne, und dass Corbyn sie anführen solle.
„Die Linke muss sich zusammenreißen, denn eigentlich hätten wir 100, 120 oder 150 Kandidaten in ganz Großbritannien aufstellen müssen, damit es eine echte Wahlherausforderung gegeben hätte.“ Er argumentierte, wenn Corbyn im November letzten Jahres auf dem Marsch für Palästina, an dem eine Million teilgenommen hatten, zu einem Wahlbündnis gegen die Labour Party aufgerufen hätte, dann hätte er „innerhalb von drei Monaten eine nationale Bewegung“ zustande gebracht.
Kimber behauptete, Corbyn habe dies nicht getan, „wegen der Totenhand des Labourismus, die besagt, dass es außerhalb der Labour Party kein wirkliches Leben gibt“.
Aber niemand anderes als Jeremy Corbyn verkörpert die „Totenhand“ des Labourismus. In seiner Amtszeit als Labour-Chef sorgte er dafür, dass ein linker Aufstand unterdrückt wurde. Er förderte die Illusion einer Labour Party, die angeblich für den „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ kämpfe, und verteidigte gleichzeitig die Macht der Blair-Anhänger. Er vertrat die Interessen des britischen Imperialismus in allen grundlegenden Fragen, einschließlich der Unterstützung der Nato und der Beibehaltung der Trident-Atomwaffen. Beim Haushalt unterstützte er das 2-Prozent-Ziel für das Militär und gewährte den Labour-Abgeordneten in der Frage der Bombardierung Syriens freie Entscheidung.
Schon in den Jahren 2015–2019 hatte die SWP Corbyn als Labour-Führer unterstützt, indem sie seine reformistischen Schönfärbereien in sozialistische Farben präsentierte. Jetzt ist sie erneut angetreten, um Corbyns jüngstes zaghaftes Wahlprojekt zu fördern, während sie freundliche Ratschläge von „links“ erteilt.
Kimber sagte in der Arbeitsgruppe am SWP-Festival, er und „viele Genossen“ seien an der Kampagne zur Wahl Corbyns beteiligt gewesen, obwohl dessen Kampagne in Bezug auf Palästina „ziemlich defensiv“ und auch in Bezug auf die Labour Party „ziemlich defensiv“ gewesen sei. Tatsächlich hat Corbyn in seinem Video zum Wahlkampfauftakt weder den Völkermord in Gaza noch Starmers Unterstützung dafür erwähnt, was seiner Rolle als politisches Sicherheitsventil für die Labour Party und den britischen Imperialismus entspricht.
Nichtsdestotrotz sei es „ein Erfolg für die gesamte Linke, dass er gewonnen hat“, so Kimber. „Aber wir brauchen viel mehr als Kampagnen, in denen es um Einzelpersonen geht, oder Kampagnen, in denen versucht wird, wieder in die Labour Party reinzukommen. Wir brauchen etwas viel Ernsthafteres als das.“
Nachdem er sich so für einen feigen Wahlopportunismus ausgesprochen hatte, erläuterte Kimber die Bedeutung dessen, was er als „ernsthaftere“ Kampagne der SWP bezeichnet. Er beschwor die Notwendigkeit einer „Linken, die auf der Straße und am Arbeitsplatz etwas aufbaut und nicht gebannt auf das starrt, was im Parlament vor sich geht“. Wie üblich verband er so die Unterstützung der SWP für die Spontaneität mit einem erbärmlichen Kniefall vor der Labour-Bürokratie.
Er schloss mit einem Appell nach dem Motto: „Gebt Labour eine Chance“, der in Wirklichkeit darauf abzielte, die Arbeiterklasse zu lähmen. Er forderte: „Lasst die Labour Party mal im Amt sein, lasst uns sehen, was sie leistet, und lasst uns erst verstehen, dass sie für die Arbeiterklasse nichts leistet. Und wenn das passiert: Lasst uns dafür sorgen, dass die Linke gewinnt und nicht die Rechte.“
In der Diskussion betonte dann auch Callinicos: „Überall haben Genossen von uns an der Corbyn-Kampagne teilgenommen.“ Er erwähnte „Gespräche“, die er mit führenden Unabhängigen geführt habe, was „uns in die Lage versetzt, dies zu gestalten“.
Corbyns Bittgesuche an Starmer
Corbyn war für einen Auftritt angekündigt, bei dem er seinen Gedichtband „For the Many“ vorstellen sollte. Er hat ihn zusammen mit dem pensionierten Unite-Gewerkschaftsbürokraten Len McCluskey herausgegeben. Dieses Doppelgespann trat zuletzt auf dem Labour-Parteitag 2018 gemeinsam auf, wo sie Forderungen von Parteimitgliedern nach einer obligatorischen Wahl der Abgeordneten abschmetterten. Damit verhinderten sie, dass die meisten Blairisten von den Mitgliedern rausgeschmissen wurden - was sonst zweifellos passiert wäre.
Der nationale SWP-Sekretär Lewis Nielsen gab „Jeremy“ eine begeisterte Einführung und sagte zu ihm, er solle sich „so viel Zeit nehmen, wie du willst“. Corbyn dankte den SWP-Mitgliedern dafür, dass sie sich für ihn eingesetzt hatten, und erklärte, sein Sieg sei eine Antwort auf „die Hasser und Hoffnungslosen“ und gebe „den Menschen Hoffnung und die Möglichkeit, zu debattieren und zu diskutieren und in Zukunft etwas Gemeinsames zu unternehmen“.
Er bot seine üblichen dürftigen Reformvorschläge feil, darunter die „Anhebung der Steuerfreigrenze von 12.000 auf 15.000 Pfund pro Jahr“ (!) und die Anhebung der Konzernsteuern um einen nicht genannten Betrag zur Finanzierung von Gesundheit, Wohlfahrt und Sozialfürsorge, was er im selben Atemzug zynisch als „kaum revolutionäres Zeug“ bezeichnete.
Seine lahme Darstellung der sozialen Krise in Großbritannien kratzte kaum an der Oberfläche. Sie war nicht als Aufruf zur Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus gedacht, sondern als moralische Bitte an die rechte Starmer-Regierung.
In Bezug auf den Völkermord in Gaza wiederholte Corbyn: „Wir sind mitschuldig“, und er appellierte an seine ehemaligen Labour-Kollegen: „[Außenminister] David Lammy, Keir Starmer: Tut jetzt etwas dagegen und beendet die Kämpfe in Gaza!“
Mit Verweis auf den Aufstieg der Rechtsextremen in Frankreich und Großbritannien schloss Corbyn: „Die neue [Starmer]-Regierung und jede andere Regierung, die morgen in Frankreich antritt, muss sich um die Sorgen der Menschen in Bezug auf Armut, Wohnraum und all das andere kümmern und ihnen Hoffnung geben.“
Politik der Ablenkung
Der eigentliche Zweck des „Marxismus“-Festivals der SWP bestand darin, Corbyns erste und zögerliche Schritte in Richtung eines pseudoreformistischen Bündnisses zu fördern, um von einer revolutionären Konfrontation zwischen der Arbeiterklasse und der Starmer-Regierung von Labour abzulenken.
Die SWP stellte die Hauptbedrohung als von dem Faschisten Tommy Robinson und der extremen Rechten ausgehend dar, obwohl die Labour Party selbst ein Kabinett aus verhassten Kriegstreibern und Thatcher-Anhängern führt. Labour ist zwar aufgrund einer massenhaften Anti-Tory-Stimmung, aber mit den wenigsten Stimmen, die je eine Mehrheitsregierung in Großbritannien erhielt, an die Macht gekommen.
Callinicos sagte auf der Konferenz: „Macht euch nichts vor, die Tories können zurückkommen. Sie haben alle denkbaren Möglichkeiten. Aber das Entscheidende ist, dass wir jetzt, wo die Rechtsextremen den Durchbruch geschafft haben, gegen sie so hart wie möglich vorgehen müssen, und das beginnt mit Robinson.“
Er fuhr fort: „Robinson, dem es nicht gelungen ist, die Palästina-Demonstrationen anzugreifen, sieht seine Chance in der Wirkung von [Nigel] Farage. Deshalb geht er wieder auf die Straße, und wir müssen dafür sorgen, dass am 27. Juli Tausende und Abertausende von uns auf der Straße sein werden, um ihn zu konfrontieren und ihn zurückzudrängen, als ersten Schritt, um die Rechtsextremen insgesamt zurückzudrängen.“
Mehrere SWP-Redner betonten, dass es die Aufgabe der Stunde sei, Reform UK daran zu hindern, sich mit Tommy Robinsons Faschisten zu vereinigen. Viele deuteten an, dass dies durch direkte Protestaktionen erreicht werden könne, die darauf abzielten, die Faschisten von den Straßen zu vertreiben. Eine solche Rhetorik dient nur dazu, die Kapitulation der SWP vor Labour zu verschleiern.
Der größte Faktor, der zum Aufstieg der extremen Rechten beiträgt, ist die autoritäre, marktliberale Politik der Starmer-Regierung, die von der Gewerkschaftsbürokratie unterstützt wird und auf Patriotismus und Militarismus setzt. Ihr Motto lautet: „Zuerst das Land, dann die Partei“. Sie setzt auf einwanderungsfeindliche „Grenzkontrollen“ und auf die Durchsetzung von „Haushaltsdisziplin“ und massiven Sparmaßnahmen. Gleichzeitig fließen weitere Milliarden in den privaten Reichtum und die Konzerngewinne.
Aber Kimber ruft zu einer sogenannten „Einheitsfront“ gegen die Faschisten auf, der sich „jeder anschließen kann, unter der Bedingung, dass er bereit ist, sich aktiv an Aktionen gegen [UK] Reform und gegen die Faschisten zu beteiligen, dass er bereit ist, auf die Straße zu gehen, am Arbeitsplatz zu streiten, Teil einer Bewegung zu sein, die es mit denen aufnimmt. Das ist die Art von Bewegung, die wir aufbauen müssen.“
Die Kriterien der SWP für eine „Einheitsfront“ sind dermaßen weit gefasst, dass sie alle kapitalistischen Parteien links von den Tories umfassen. Hauptsächlich richtet sie sich an Jeremy Corbyn und andere Abgeordneten und Ratsmitglieder, die in letzter Zeit aus der Partei ausgeschlossen worden sind, sowie insbesondere auch an die restlichen „Linken“ in der Labour Party, zu denen beispielsweise Diane Abbott und John McDonnell gehören.
In seiner Rede im Hauptzelt schloss sich Corbyn dem Aufruf der SWP zur Einheit gegen die Rechtsextremen an, und er rief zu einer Massenmobilisierung gegen Robinson am 27. Juli auf. Aber er lehnte die flehentlichen Bitten der SWP ab, über Pläne für eine neue Partei zu sprechen.
„Ich möchte mich nicht auf eine große Debatte oder einen Streit über die Strukturen alternativer Parteien einlassen, denn das würde sehr viel Zeit in Anspruch nehmen“, sagte Corbyn. „Das Wichtigste ist die Mobilisierung der Menschen für gemeinsame Ideen, eine gemeinsame Identität und gemeinsame Anliegen.“
Die SWP blieb als abgewiesener Freier zurück, aber ihre Bemühungen um Corbyn sind damit nicht beendet. Kimber skizzierte die Rolle seiner Partei wie folgt: „Wir sind in der Socialist Workers Party zu klein, um so effektiv zu sein, wie wir es sein müssten“, und daher müsse die SWP „das revolutionäre sozialistische Rückgrat, das wir so dringend brauchen, für alle Bewegungen bilden“.
Die Socialist Equality Party steht in direktem Widerspruch zu diesen Bemühungen. In unserem Manifest für die Parlamentswahlen heißt es unmissverständlich: „Die Socialist Equality Party weist die Lüge zurück, dass Labour bei den Wahlen das ‚kleinere Übel‘ als die Tories sei. Beide zusammen bilden eine einzige Kriegspartei.“ Wir wiesen auch die Aufrufe der britischen Pseudolinken zurück, „politische Differenzen hintanzustellen, damit möglichst viele Proteststimmen gegen den Krieg in Gaza zustande kommen“, und erklärten: „Corbyn gestaltet seinen Wahlkampf mit Bedacht so, dass er der Labour Party außerhalb von Islington North nicht ins Gehege kommt.“
Wir erklärten: „Der Aufbau einer neuen und wahrhaft sozialistischen Führung muss jetzt beginnen. Wir vertreten das sozialistische und internationalistische Programm, auf dessen Grundlage diese neue Führung aufgebaut werden muss.“
Nach den Wahlen hat unsere Partei begonnen, Arbeiter und Jugendliche über den Charakter der neuen Labour-Regierung und über die revolutionären Aufgaben aufzuklären, vor denen die Arbeiterklasse jetzt steht. Vor allem müssen die Lehren aus der Sackgasse des Corbynismus gezogen werden, die pseudolinke Tendenzen wie die SWP einmal mehr unterstützen.
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