Volksfront will antifaschistische Proteste in Frankreich an kapitalistische Herrschaft ketten

In Städten überall in Frankreich beteiligten sich insgesamt etwa 640.000 Menschen an Protesten gegen die Zugewinne rechtsextremer Parteien bei den Europawahlen am 8. Juni. Sie befürchten, dass der rechtsextreme Rassemblement National (RN, Nationaler Zusammenschluss) bei den Neuwahlen, die Präsident Emmanuel Macron für den 7. Juli anberaumt hat, ein Rekordergebnis erzielen könnte.

Hunderttausende brachten mit den Protesten ihre Wut und ihre Ablehnung gegenüber der bestehenden Ordnung zum Ausdruck. Die Demonstranten äußerten ihre Besorgnis über die militärische Eskalation der Nato gegenüber Russland, den Völkermord in Gaza sowie die Sparmaßnahmen und die Polizeigewalt im eigenen Land. Diese Stimmungen sind Ausdruck einer tiefgehenden Opposition gegen den französischen und internationalen Kapitalismus.

Demonstration gegen die Zugewinne der extremen Rechten bei den Europawahlen am 15. Juni auf der Place de la République

Diese Opposition stößt jedoch direkt auf das Hindernis der pro-kapitalistischen Volksfront, die zusammen mit den Gewerkschaftsbürokratien zu den Protesten aufgerufen hat. In dieser Volksfront sind Jean-Luc Mélenchons Partei La France insoumise (FI, Unbeugsames Frankreich), die Parti Socialiste (PS, Sozialistische Partei), die für das Großkapital steht, und die stalinistische Parti communiste français (PCF, Kommunistische Partei Frankreichs) vereint. Die PS und die PCF sind kapitalistische Parteien, die den Arbeitern an der Regierung jahrzehntelang Sparmaßnahmen und Krieg aufgezwungen haben; Mélenchon ist ein ehemaliger PS-Minister.

Mélenchons Zynismus wurde am Sonntag deutlich, als er den ehemaligen PS-Präsidenten François Hollande herzlich in der Volksfront begrüßte. Sieben Jahre nach dem Ausscheiden aus dem Amt ist Hollande noch immer zutiefst unpopulär. Er ist verrufen wegen der Invasion in Mali, wegen der Verhängung eines zweijährigen Ausnahmezustands, der die demokratischen Rechte außer Kraft setzte, wegen des Einsatzes brutaler Polizeigewalt zur Unterdrückung von Streiks gegen sein Arbeitsgesetz und wegen anderer arbeiterfeindlicher Maßnahmen.

Man kann die extreme Rechte nicht im Bündnis mit Hollande bekämpfen, weil er ihr Wachstum nach Kräften gefördert hat. Im Jahr 2015 empfing er als erster französischer Präsident eine neofaschistische Politikerin, die RN-Parteichefin Marine Le Pen, im Elysée-Palast. Während des Ausnahmezustands, den er verhängt hatte, versuchte er, sich mit den Neofaschisten zu versöhnen, indem er den Entzug der Staatsbürgerschaft legalisierte – eine Maßnahme, die während der Nazi-Besatzung Frankreichs dazu diente, die Deportation von Juden und Résistance-Kämpfern zu rechtfertigen.

Mélenchon hieß Hollande jedoch willkommen, nachdem die PS seine Rückkehr aus dem Ruhestand und seine Kandidatur als Kandidat der Volksfront für seinen alten Wahlkreis in Corréze angekündigt hatte. Mélenchon twitterte: „Die Parti Socialiste wählt die Kandidaten, die sie will. Im Kampf gegen den RN ist jeder Verbündete willkommen, auch François Hollande. Wir müssen alten Groll begraben.“

Dieses Bündnis mit erzreaktionären Kräften, das mit der Begründung gerechtfertigt wird, es gehe um die Wahl des kleineren Übels, ist eine politische Falle für die Arbeiterklasse. Es bindet die Arbeiter an die Vertreter des französischen Finanzkapitals, die nicht nur die Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine fordern, sondern auch eine zentrale Rolle bei der Legitimierung des Neofaschismus gespielt haben. Damit sorgt es für Demoralisierung und sät politische Verwirrung unter den Arbeitern und Jugendlichen, die gegen die extreme Rechte kämpfen wollen.

„Macht 2024 nicht zu einem neuen 1933“

Reporter der WSWS gingen zu Kundgebungen in Paris und im Süden Frankreichs. In Paris erklärten Emilie und Claudia, sie protestierten gegen den Aufstieg der extremen Rechten und seien zudem besorgt über die Nato-Eskalation gegen Russland: „Es macht einem Angst, dass man sich tatsächlich in einem Krieg wiederfinden könnte. Man sieht, dass es zu keinem Zeitpunkt darum ging, was die Franzosen wollten.“

Auf die Frage, warum die extreme Rechte von so vielen Menschen gewählt wird, obwohl sie in der Vergangenheit mit dem Nationalsozialismus kollaboriert hat, wies Emilie auf den Bankrott der etablierten „linken“ Parteien hin: „Alle haben die Nase gestrichen voll. Die Menschen haben das Gefühl, dass keine der anderen Parteien sie vertritt.“

Sie wies auch darauf hin, dass die Finanzaristokratie die extreme Rechte fördert, vor allem das Medienimperium des französischen Milliardärs Vincent Bolloré: „Die Medien spielen auch eine Rolle. CNews ist heute der führende Nachrichtensender in Frankreich. Sie schüren Angst. Menschen, die auf dem Land leben und noch nie Immigranten getroffen haben, denken, die Bedrohung sei überall… Die sozialen Netzwerke spielen auch eine enorme Rolle. Videos von [dem RN-Kandidaten Jordan] Bardella zeigen ihn als charismatische Person und vermitteln keine Vorstellung davon, wie seine Politik wirklich aussieht.“

Claudia kommt aus den ehemaligen Bergbaugebieten in Nordfrankreich, die von den PS-Regierungen deindustrialisiert wurden und in denen der RN heute großen Rückhalt hat. Sie meinte; „Die Menschen fühlen sich so im Stich gelassen, dass sie sich den einzigen zuwenden, die ihnen nur ein bisschen Aufmerksamkeit zu schenken scheinen. Sie tappen in die Falle, indem sie sich sagen: ,Diese Partei haben wir noch nicht ausprobiert‘, obwohl sie tief im Inneren wissen, dass das ganz falsch ist.“

Sarah und Lucie betonten im Interview mit der WSWS ebenfalls, dass die herrschende Klasse die Neofaschisten fördert. Sarah erklärte: „Seit Jahren werden die extremen Rechten als seriöse, demokratische und harmlose Parteien dargestellt. Alle Fernsehsender von Bolloré geben ihnen grünes Licht. Und die linken Parteien waren lange Zeit sehr enttäuschend. Wir hatten unter Hollande üble Gesetze, und danach hatten wir Macron. Daraufhin sagen sich nun einige Leute, die extreme Rechte sei gar nicht so schlimm im Vergleich zu dem, was uns sonst so vorgesetzt worden ist.“

Lucie erklärte, sie werde wohl mit zugehaltener Nase die PS wählen: „Die Linke muss sich zusammenschließen, wenn sie alle sagen: ,Ja, aber ich will das‘. Wenn sie wie üblich alles Mögliche fordern und es letzten Endes keine echte Einigkeit gibt, haben wir die Rechte, sogar die extreme Rechte, an der Macht… Natürlich sind die linken Parteien nicht frei von Fehlern, aber ich will nicht anfangen darüber zu diskutieren, ob wir uns mit der PS verbünden oder nicht. Solange sie das Wahlabkommen der Volksfront respektieren, müssen wir uns auf die Wahlen konzentrieren und uns dafür einsetzen, dass sie ihre Versprechen halten.“

Als die Reporter der WSWS darauf hinwiesen, dass die PS seit ihrer Machtübernahme im Jahr 1981 ihre Wahlversprechen immer in kürzester Zeit gebrochen hat und den Widerstand der Bevölkerung ignoriert, erklärte Lucie: „Dann wird es einen Generalstreik geben müssen. Wir werden auf der anderen Seite mit Kriegswaffen konfrontiert, und müssen aufpassen, nicht von der Polizei massakriert zu werden.“

„Macron, Le Pen, die Geschichte wird euch richten"

Die WSWS sprach auch mit Anna, die die kleinbürgerliche Partei Lutte Ouvriére (LO, Arbeiterkampf) unterstützt, aber auch die WSWS liest. Auf die Frage, warum sie an der Kundgebung teilnimmt, erklärte sie: „Die Kriegsspannungen nehmen zu, ebenso wie der Druck der extremen Rechten nicht nur in Frankreich, sondern weltweit. Diese Parteien bringen uns in Richtung Krieg und Zerstörung... Wenn es so weitergeht, steuern wir direkt auf den Dritten Weltkrieg zu. Das macht mir Angst. Die französischen Arbeiter haben kein Interesse daran, gegen russische oder ukrainische Arbeiter zu kämpfen. Karl Liebknecht hat schon gesagt, der Feind steht im eigenen Land.“

Anna drückte ihr Misstrauen gegenüber der Volksfront aus: „Die Gewerkschaften, das Volksfrontbündnis… ich bin nicht unbedingt dafür. Dieses Bündnis von Hollande bis [NPA-Präsidentschaftskandidat Philippe] Poutou belügt die Arbeiter. Sie sagen: ,Wählt uns, wir kümmern uns um den Rest.‘“

Sie wies auf die Desillusionierung und Apathie hin, die diese Parteien hervorgerufen haben und die den Nährboden für die Wahlerfolge der Neofaschisten schafft: „Die Leute sind keine Faschisten geworden, aber es gibt keine Bewegung in der Arbeiterklasse. Wir sagen den Leuten, dass sie wählen gehen sollen.“

Im Einklang damit, dass die LO seit langem den Aufbau einer revolutionären Führung der Arbeiterklasse ablehnt, sprach sich Anna jedoch gegen den Aufbau einer Organisation aus, die der Massenopposition gegen die Neofaschisten eine politische Führung gibt, und erklärte, es solle völlig spontan bleiben: „Es gibt eine Reaktion auf den Aufstieg der extremen Rechten, aber sie muss viel stärker sein. Sie muss jedoch von den Arbeitern selbst kommen, es darf keine einseitigen Führungen geben.“

Die Gefahr einer rechtsextremen Herrschaft und eines globalen Kriegs sind in Wirklichkeit dringende Warnungen an die Arbeiterklasse in Frankreich und international, dass eine marxistische revolutionäre Führung aufgebaut werden muss. Die Pläne für eine massive militärische Eskalation gegen Russland sind sehr weit fortgeschritten und werden beim Nato-Gipfel in Washington, der nur zwei Tage nach Abschluss der französischen Wahlen stattfindet, auf der Tagesordnung stehen.

Mélenchons Bündnis mit Hollande und der Parti Socialiste verdeutlicht, dass La France insoumise und die Volksfront kein wirkliches Hindernis für den Ausbruch eines umfassenderen, noch blutigeren Kriegs sein werden und weitere Sparmaßnahmen fordern, um Frankreichs militärische Aufrüstung zu finanzieren. Dies betont die Dringlichkeit, eine marxistische, internationalistische revolutionäre Führung aufzubauen, die den Einfluss der kapitalistischen Parteien über die Arbeiter brechen und sie im Kampf um die Staatsmacht und für den Sozialismus anführen kann.

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