Am Dienstag den 30. April werden rund 10.000 Stahlarbeiter von Thyssenkrupp und HKM aus Duisburg, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen, Hagen und dem Sieger- und Sauerland im Stadion des MSV Duisburg erwartet. Sie werden dort auf einer gemeinsamen Betriebsversammlung gegen den angekündigten Abbau von Tausenden von Arbeitsplätzen protestieren.
An wortradikalen Beiträgen der IG Metall und ihrer Betriebsräte wird es dabei nicht mangeln. In Wirklichkeit sind sie es, die den Kahlschlag umsetzen werden. Die Versammlung dient nur dazu, ihn zu besiegeln.
Ihre Zustimmung haben sie bereits gegeben. Kurz nachdem Mitte April Aufsichtsrat und Vorstand von Thyssenkrupp Stahl angekündigt hatten, dass im größten deutschen Stahlkonzern bis zu 5000 der 27.000 Arbeitsplätze abgebaut werden, forderten IG Metall und Betriebsrat lediglich den Ausschluss von „betriebsbedingten Kündigungen“.
Die Legende vom „Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen“
Der ehemalige Stahl- und heutige Konzern-Gesamtbetriebsratschef Tekin Nasikkol erklärte, am gültigen Tarifvertrag von Thyssenkrupp Steel, der bis zum März 2026 den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen beinhalte, „lassen wir nicht rütteln“. Detlef Wetzel, der frühere IG Metall-Chef und stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp Stahl, ergänzte, darüber hinaus einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen aushandeln zu wollen.
Das ist der Mechanismus, mit dem in der Montanindustrie Hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet wurden. In der deutschen Stahlindustrie sind seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990 über die Hälfte der 179.000 Arbeitsplätze weggefallen. Der Steinkohlebergbau, in dem einst rund 600.000 und 1990 noch 130.000 Kumpel beschäftigt waren, ist eingestellt worden.
Nicht ein einziger Arbeitsplatz ist dabei per betriebsbedingter Kündigung vernichtet worden. Vielmehr stand unter jedem Schließungs- und Abbaubeschluss die Unterschrift der IG Metall bzw. der IGBCE. Auch bei Thyssenkrupp Stahl werden seit Jahren kontinuierlich Tausende Arbeitsplätze auf diese stille Art und Weise abgebaut – nie ohne die Zusicherung des Erhalts von Standorten, die nicht das Papier wert ist, auf dem sie geschrieben steht.
Nun soll die nächste Runde eingeleitet werden. Thyssenkrupp hat am Freitag bekanntgegeben, dass sich der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky mit seinem Unternehmen EP Corporate Group (EPCG) mit 20 Prozent am Stahlgeschäft von Thyssenkrupp beteiligen, werde, um später auf 50 Prozent der Anteile aufzustocken.
Die legalisierte Korruption der IG Metall
Wenn jetzt die IG Metall und die Betriebsräte rufen, es seien noch Fragen zu klären, dann geht es einzig und allein um ihre Posten und Pfründe im Rahmen der Montanmitbestimmung, mit der in Deutschland die offene Korruption der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre gesetzlich geregelt ist.
Die Betriebsräte und gewerkschaftlichen Aufsichtsräte erhalten hohe, bis zu sechsstellige Summen im Jahr. Wirklich lukrativ wird es für sie, wenn sie vom Gewerkschafts- auf einen Vorstandssessel wechseln. Dann wird so mancher Funktionär im Handumdrehen zum Arbeitsdirektor, sprich Personalvorstand und Einkommensmillionär. Die Liste derer, die bei Thyssenkrupp und HKM diesen Wechsel nahtlos vollzogen haben, ist lang: von Dieter Kroll (Thyssenkrupp) und Peter Gasse (HKM) bis zu ihren heutigen Nachfolgern Dirk Sievers, Markus Grolms und Oliver Burkhard, um nur einige zu nennen.
Nun werden diese Personalvorstände gemeinsam mit ihren Nachfolgern in den Betriebsräten und der IG Metall die nächste Runde des Abbaus einläuten. Im Aufsichtsrat von ThyssenKrupp Stahl, den der ehemalige SPD-Vorsitzende und mehrfache Bundesminister Sigmar Gabriel leitet, haben IG Metall und SPD die Mehrheit. Sie entscheiden also selbst, ob und was abgebaut wird.
Der geplante Kahlschlag
Der Aufsichtsratsvorsitzende Gabriel hatte die Belegschaft im Februar vorgewarnt. Im Interview mit der Regionalpresse sagte er: „Wir können nicht so weitermachen wie bisher.“ Thyssenkrupp Stahl benötige „eine grundlegende Neuaufstellung“.
Im Duisburger Stammwerk des Stahlherstellers würden rund neun Millionen Tonnen Stahl pro Jahr produziert – rund 2,5 Millionen Tonnen weniger als die Menge, auf die der Standort ausgelegt sei. Allein dort könnten 2500 Arbeitsplätze wegfallen.
Weitere Arbeitsplätze sind in den anderen Standorten gefährdet, die entweder Spezialstähle herstellen oder das Material aus Duisburg weiterverarbeiten. So werden als Teil der „Zukunftssicherung“ von 2020 in Bochum Ende 2025 das Warmbandwerk und 2030 das Elektroband-Werk schließen.
Letzte Woche wurde bekannt, dass bei der Thyssenkrupp-Stahlhandelstochter Schulte rund 450 Jobs wegfallen sollen, jede fünfte Stelle im Unternehmen. Auch die Schließung mehrerer Standorte sei „unvermeidlich“.
Besonders gefährdet sind die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM) im Duisburger Süden. Thyssenkrupp ist mit 50 Prozent an der Hütte beteiligt, zu der etwa 3000 Arbeitsplätze, zwei Hochöfen und eine Kokerei gehören. Weitere Anteilseigner sind der niedersächsische Stahlkonzern Salzgitter (30 Prozent) und der französische Rohrhersteller Vallourec (20 Prozent). Letzterer hat sich aus Deutschland zurückgezogen und im letzten Jahr seine beiden Röhrenwerke (ehemals Mannesmann) in Düsseldorf und Mülheim/Ruhr mit einst 2000 Beschäftigten geschlossen. Thyssenkrupp hat seinen Plan für HKM noch nicht offengelegt.
Globaler Hintergrund
Was sich hier abzeichnet, ist ein rigoroser Kahlschlag in der deutschen und europäischen Stahlindustrie unter den Bedingungen eines verstärkten internationalen Konkurrenzkampfs und von Krieg.
Der Krieg in der Ukraine hat die Erdgas- und Strompreise explodieren lassen, was die energieintensiven Industrien wie die Stahlindustrie traf – trotz der Milliardenhilfen der Bundesregierung.
Die Baukrise in China drückt wiederum die Weltmarktpreise. Im Jahr 2023 produzierte das Land mit über 1 Milliarde Tonnen Stahl 54 Prozent des Weltstahls, ähnlich viel wie 2022. Wegen der Krise des Bausektors verdoppelten sich jedoch die chinesischen Stahlexporte 2023 Jahr im Vergleich zum Vorjahr.
Die sinkende Nachfrage der Autoindustrie, Hauptabnehmer der Stahlindustrie, sorgt vor allem für die geringere Auslastung europäischer Stahlwerke.
Unter diesen Bedingungen sank die Stahlproduktion in Deutschland im letzten Jahr auf 32,8 Millionen Tonnen, so wenig wie zuletzt im Krisenjahr 2009, nach dem weltweiten Finanz- und Wirtschaftskollaps.
Die IG Metall und die Milliardensubventionen
In Deutschland und Europa wird versucht, der globalen Konkurrenz mit „grünem Stahl“ zu begegnen. Als Ersatz für die Kohle soll mit Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt wird, in Direktreduktionsanlagen klimaneutraler, „grüner“ Stahl hergestellt werden.
Dazu sind viele Milliarden Euro an Investitionen notwendig. Die IG Metall hat das gesamte letzte Jahr gemeinsam mit den Stahlkonzernen staatliche Subventionen gefordert. In Duisburg brachte sie im Juni vergangenen Jahres 12.000 Stahlarbeiter zusammen, um von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) Gelder für Thyssenkrupp einzufordern.
Mit Erfolg: Thyssenkrupp-Stahl bekommt 1,3 Milliarden Euro vom Bund und 700 Millionen Euro vom Land für den Aufbau einer Direktreduktionsanlage im Duisburger Stammwerk. Diese soll in einigen Jahren einen der insgesamt noch vier Hochöfen ersetzen, also gerade mal ein Viertel der Produktion.
Das HKM-Werk in Hüttenheim und das Duisburger Stahlwerk von Arcelor Mittal haben noch keinerlei Subventionen zugesagt bekommen.
Die Stahlarbeiter bei Thyssenkrupp, HKM, Salzgitter, Arcelor Mittal, Georgsmarienhütte usw. sind mit einer gemeinsamen Front aus Konzernen, Regierungsparteien, IG Metall und Betriebsräten konfrontiert.
Die IG Metall unterstützt ebenso wie alle anderen Gewerkschaften die Kriegspolitik der Bundesregierung. Sofort nach Beginn des Kriegs in der Ukraine kündigten die IG Metall Baden-Württemberg und der Unternehmerverband Südwestmetall in einer gemeinsamen Erklärung an: „Diese Maßnahmen werden uns allen Opfer abverlangen.“ Deshalb hat die IGM letztes Jahr an der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) einberufenen Konzertierten Aktion teilgenommen, um abzusprechen, wie die Milliardenkosten auf die Arbeiterklasse abgewälzt werden.
Gemeinsam mit der Rüstungsindustrie hat sie die Stärkung der heimischen Kriegsgüter- und Waffenindustrie eingefordert. Mit Oliver Burkhard ist ein ehemaliger Gewerkschaftsfunktionär Chef eines der größten deutschen Rüstungskonzerne, nämlich von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS).
Die IGM-Betriebsräte werden die Aufgabe haben, die Belegschaften nach Konzernen und Standorten zu spalten, um die Profitabilität – sie nennen es „Wettbewerbsfähigkeit“ – ihres Standortes zu sichern.
Baut von der IG Metall unabhängige Aktionskomitees auf!
Solange diesem Treiben nicht Einhalt geboten wird, ist die Verteidigung der Arbeitsplätze und Werke unmöglich. Die Stahlarbeiter in Duisburg und anderswo haben ihre leidvollen Erfahrungen gemacht. Daraus müssen Schlussfolgerungen gezogen werden. Arbeitsplätze mit auskömmlichen Löhnen sind nur gegen die IG Metall zu verteidigen, nicht mit ihr.
Es ist auch nicht damit getan, den einen oder anderen korrupten Kopf an den Spitzen von Gewerkschaften und Betriebsräten auszutauschen. Die Verwandlung der Gewerkschaften in eine Betriebspolizei der Konzerne und die Verschmelzung der oberen Spitzen der Gewerkschaften mit Staat und Konzernvorständen ist nicht rückgängig zu machen.
Nicht die „Reform“ der Gewerkschaften oder der Austausch ihrer führenden Köpfe ist die Aufgabe der Zeit. Die Internationalisierung der Konzerne und die Kriegsgefahr machen den Aufbau von gewerkschaftsunabhängigen Aktionskomitees in allen Konzernen an allen Standorten notwendig. Diese müssen sich untereinander vernetzen und den Kampf organisieren – in Deutschland, Europa und international.
Wir rufen alle Beschäftigten von Thyssenkrupp und der anderen Stahlkonzerne auf, Kontakt mit uns aufzunehmen. Schreibt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 oder registriert euch gleich über das unten folgende Formular.
Beteiligt euch am Samstag, den 4. Mai, um 21:00 Uhr an der Online-Kundgebung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, auf der Redner aus der ganzen Welt zu diesen Themen sprechen werden. Die Kundgebung wird live auf wsws.org/mayday gestreamt.