Perspektive

„Bundeswehr der Zukunft“: Strukturreform für eine totale Kriegsarmee

Ende Januar erklärte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in mehreren Interviews, dass sich Deutschland auf einen direkten Krieg mit der Atommacht Russland vorbereiten müsse. Als Zeitraum nannte er „die nächsten drei bis fünf Jahre“, die man „intensiv nutzen“ müsse, „um uns zu wappnen“ und Deutschland wieder „kriegstüchtig“ zu machen.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht während einer Pressekonferenz bei der Übung Griffin Storm 2023 auf dem Truppenübungsplatzes in Pabrade in Litauen [AP Photo/Mindaugas Kulbis]

Mit der neuen Struktur der Bundeswehr, die Pistorius am vergangenen Donnerstag verkündete, werden diese wahnwitzigen Kriegspläne, umgesetzt. Bei der Vorstellung der Pläne machte Pistorius keinen Hehl daraus, um was es geht: die Verwandlung der Bundeswehr von einer vor allem auf weltweite Auslandseinsätze ausgerichteten Formation in eine totale Kriegsarmee. In seinem Schreiben an die Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsparteien heißt es:

Die gesamte Bundeswehr wird sich nach Leitprinzipen aufstellen, die sich aus dem übergeordneten Ziel der Kriegstüchtigkeit ableiten lassen: Aufwuchsfähigkeit, Skalierbarkeit, Dynamikrobustheit, Digitalisierung (Zukunftstechnologie, Operationsführung) Informationsüberlegenheit, Kriegsversorgung.

Zu den zentralen Maßnahmen, die in einem 34-Seitigen Dokument mit dem Titel „Bundeswehr der Zukunft“ detailliert werden, gehört die Schaffung einer einheitlichen zentralen Führungsstruktur für „die nationale operative Planung und Führung von Einsätzen“. Dazu werden das bereits existierende Territoriale Führungskommando (für das Inland) und das Einsatzführungskommando (für das Ausland) zu einem gemeinsamen Operativen Führungskommando der Bundeswehr (OpFüKdoBw) verschmolzen.

Die Maßnahme bedeutet de facto die Wiedererrichtung eines Generalstabs. Dieser wurde nach der verhängnisvollen Rolle, die die deutsche Militärführung in den beiden Weltkriegen gespielt hatte, im Potsdamer Abkommen von 1945 verboten. Nun wird er stillschweigend wieder eingeführt und die eigentlich im Grundgesetz verankerte zivile Kontrolle über die Bundeswehr mit der Rückkehr zu den alten Kriegs- und Großmachtbestrebungen des deutschen Imperialismus beseitigt.

„Die neue Zielstruktur der Streitkräfte ist gegenüber dem Status quo deutlich weniger kopflastig und klar auf die Operationsplanung und -führung im Ernstfall ausgerichtet“, heißt es im Dokument. Ziel seien „die Etablierung einer kriegstüchtigen Führung aus einer Hand und die Schaffung der Voraussetzungen für eine konsequente Stärkung der Truppe.“

Zudem müsse die „Bundeswehr der Zukunft“ die Rolle der Teilstreitkräfte aufwerten, „um dem Anspruch der Kriegstüchtigkeit zu genügen“. Neben den traditionellen Teilstreitkräften Heer, Luftwaffe und Marine wird der bisherige militärische Organisationsbereich Cyber/Informationsraum (CIR) als vierte Teilstreitkraft etabliert. Das CIR werde nicht nur eine Schlüsselrolle bei der Digitalisierung der Streitkräfte spielen, sondern auch dabei, „hybride Taktiken von Unsicherheitsakteuren... so früh wie möglich zu erkennen, um auf sie reagieren zu können“.

Mit anderen Worten: Die Bundeswehr schickt sich an, auch im Bereich der Drohnen-Kriegsführung und beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI), deren massenmörderisches Potential aktuell beim Genozid in Gaza sichtbar wird, in Führung zu gehen. Zudem geht es darum, die wachsende Opposition gegen Krieg zu unterdrücken und unter dem Deckmantel des Kampfs gegen Russlands „hybride Kriegsführung“ die Angriffe auf demokratische Rechte und die Kontrolle des Internets massiv auszuweiten.

Die gesamte Reform macht deutlich, dass die Kriegspolitik nach außen wie in der Vergangenheit die Errichtung eines totalen Militärstaats im Inneren erfordert. So werden nicht nur die regional aufgestellten Heimatschutzkräfte, die bislang über die Landeskommandos geführt wurden, „nach dem Prinzip ‚organize as you fight‘… in den Bereich des Heeres verlagert“. Auch die zivilen Organisationsbereiche werden direkt auf diese Maxime ausgerichtet. Das betrifft vor allem die Schaffung von Strukturen zur umfassenden Mobilisierung der Reserve und zur geplanten Wiedereinsetzung der Wehrpflicht.

Die Strukturreform lässt dabei keinen Zweifel daran, dass die herrschende Klasse längst entschieden hat, wieder massenhaft junge Menschen als Kanonenfutter für ihre Kriege zu rekrutieren. So gehöre „unabhängig von der politisch zu treffenden Entscheidung über eine Wehr- oder Dienstpflicht bereits im Frieden, zu einer konsequenten Ausrichtung der Struktur des Personalbereichs auf den Ernstfall gerade auch die Vorbereitung und Prüfung von Wehrerfassungs- und Musterungsprozessen“.

Im Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr werde deshalb eine Koordinierungsstelle „zur Steuerung der personellen Aufwuchsfähigkeit“ eingerichtet, die „hierfür notwendigen Schritte identifiziert, ausplant und bei der Umsetzung begleitet.“ Zusätzlich sollen „vier Regionale Personalzentren“ entstehen, um den „Organisationsbereich Personal“ zu stärken. Die Zentren sollen dabei „auch ‚Keimzellen‘ für diejenigen Strukturen“ sein, „die im Ernstfall die personelle Aufwuchsfähigkeit sicherstellen“.

Was das konkret bedeutet, wird aktuell in der Ukraine sichtbar. Auf Geheiß der Nato hat das Selensky-Regime bereits Hunderttausende an der Front geopfert und bereitet aktuell ein Gesetz zur Mobilisierung einer halben Million weiterer Soldaten vor. Erst vor wenigen Tagen wurde die offizielle Altersgrenze für die Einberufung von Reservisten von 27 auf 25 Jahre abgesenkt. Gleichzeitig gibt es seit längerem Berichte über die kriminellen Methoden, mit denen Männer zwangsrekrutiert werden.

Bezeichnenderweise verkündete Pistorius die Strukturreform am gleichen Tag als die Nato ihr 75-jähriges Bestehen feierte und ihr Treffen in Brüssel für eine massive Eskalation des Kriegs gegen Russland nutzte. Aktuell bereitet die Bundeswehr die permanente Stationierung von 5000 Kampftruppen in Litauen vor. Am gestrigen Montag verabschiedete Pistorius das erste Vorauskommando.

Auch das Dokument zur „Bundeswehr der Zukunft“ identifiziert Russland als Hauptgegner. „Die sicherheitspolitische Zeitenwende“ bedeute für die Bundeswehr, „dass der vorrangige Fokus ihres Handelns heute wieder der Fähigkeit zur Abschreckung und Abwehr von staatlichen Angriffen ist“. Das heiße „heute, sich Angriffen von Staaten wie Russland, die die internationale Rechtsordnung mit Füßen treten, entschlossen entgegenzustellen“.

Die Propaganda von der „Verteidigung“ gegen einen „Angriff“ Russlands stellt die Wirklichkeit auf den Kopf. Sie knüpft direkt an die früheren deutschen Kriegslügen an. Auch die deutschen Angriffskriege in den beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts – darunter der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, der 30 Millionen Sowjetbürgern das Leben kostete – hatte die herrschende Klasse im Kaiserreich und unter Hitler mit dem gleichen Argument gerechtfertigt.

Heute ist der deutsche Imperialismus erneut der Aggressor. Mit der systematischen militärischen Einkreisung Russlands und dem anti-russischen Putsch in Kiew im Februar 2014 haben Berlin und die anderen führenden Nato-Mächte die reaktionäre Intervention des Putin-Regimes erst provoziert. Nun eskalieren sie den Konflikt immer weiter, um den drohenden Zusammenbruch der ukrainischen Truppen an der Front zu verhindern und ihr Kriegsziel durchzusetzen: Moskau in der Ukraine militärisch zu besiegen, um sich die Kontrolle über das Land zu sichern und die rohstoffreiche und geostrategisch zentrale eurasische Landmasse als Ganzes zu unterjochen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) hatte bereits 2014, nachdem die damalige Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Rückkehr des deutschen Militarismus verkündete, die objektiven Triebkräfte dahinter analysiert und gewarnt:

Die Propaganda der Nachkriegsjahrzehnte – Deutschland habe aus den ungeheuren Verbrechen der Nazis gelernt, sei ‚im Westen angekommen‘, habe zu einer friedlichen Außenpolitik gefunden und sich zu einer stabilen Demokratie entwickelt – entpuppt sich als Mythos. Der deutsche Imperialismus zeigt sich wieder so, wie er historisch entstanden ist, mit all seiner Aggressivität nach innen und nach außen.

Genau das findet nun statt – mit allen weitreichenden Konsequenzen. Im Nahen Ostern unterstützt Berlin Israels Völkermord an den Palästinensern, der selbst Bestandteil der imperialistischen Unterwerfung des gesamten Nahen Ostens und der Kriegsoffensive gegen Russland und China ist. Die SGP erklärt diesem Wahnsinn den Krieg. Die einzige Möglichkeit, die Entwicklung hin zu Weltkrieg und Diktatur zu stoppen, besteht im Aufbau einer bewussten sozialistischen Bewegung der internationalen Arbeiterklasse gegen Krieg und dessen Wurzel: das kapitalistische Profitsystem. Dafür kämpfen wir im Bündnis mit unseren Schwesterparteien bei den anstehenden Europawahlen.

Loading