Perspektive

Erschütternde Darstellung des israelischen Völkermords in Gaza vor dem Internationalen Gerichtshof

Richter und Parteien bei der Eröffnung der Anhörung am Internationalen Gerichtshof in Den Haag, 11. Januar 2024 [AP Photo/Patrick Post]

Am Donnerstag legten Anwälte, die die südafrikanische Regierung vertreten, vor dem Internationalen Gerichtshof dar, dass Israel sich des Völkermordes schuldig gemacht und damit gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstoßen hat.

Das in den weltweit verfolgten Vorträgen enthaltene Tatsachenmaterial hat eine Bedeutung, die über den Charakter und die Motive der an den Verfahren beteiligten Regierungen und Institutionen hinausgeht. Sie versammelt einen Katalog systematischer Gräueltaten und Kriegsverbrechen, die Israel seit dem 7. Oktober begangen hat und die die ganze Welt in den sozialen Medien in unterschiedlichem Maße verfolgt hat.

Wie die irische Anwältin Blinne Ní Ghrálaigh in ihrem Vortrag erklärte, stellt Gaza „den ersten Völkermord in der Geschichte dar, bei dem die Opfer ihre eigene Zerstörung in Echtzeit übertragen, in der verzweifelten – und bisher vergeblichen – Hoffnung, dass die Welt etwas unternehmen könnte.“

Dieser objektive Katalog von Gräueltaten und Kriegsverbrechen wurde mit der völkermörderischen Rhetorik verknüpft, die direkt aus dem Munde israelischer Regierungsvertreter, Militärführer und anderer führender Persönlichkeiten kam.

In den Präsentationen wurde einerseits eine kaltblütige und systematische Brutalität beschrieben, die an die Nazis erinnert, und andererseits eine blutrünstige rassistische Aufhetzung, die ebenfalls an die Nazis erinnert. Auf dieser Grundlage beriefen sich die Anwälte auf die Völkermordkonvention von 1948, die nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust eingeführt und ratifiziert worden war.

Adila Hassim, eine südafrikanische Anwältin am Obersten Gerichtshof des Landes, hielt am Donnerstag den ersten der Hauptvorträge. „In den letzten 96 Tagen“, erklärte sie, „hat Israel den Gazastreifen einer der schwersten konventionellen Bombardierungen in der Geschichte der modernen Kriegsführung ausgesetzt.“

„Die Palästinenser im Gazastreifen sind unerbittlichen Bombardierungen ausgesetzt, wo immer sie sich aufhalten“, argumentierte sie und verwies auf Beweise dafür, dass sie „in ihren Häusern, an Orten, an denen sie Schutz suchen, in Krankenhäusern, Schulen, Moscheen, Kirchen und bei dem Versuch, Nahrung und Wasser für ihre Familien zu finden, getötet werden. Sie wurden getötet, wenn sie nicht rechtzeitig flohen, an Orten, an die sie geflohen sind, und sogar, als sie versuchten, über von Israel als sicher erklärte Routen zu fliehen.“

„Das Ausmaß des Tötens ist so groß, dass die Leichen, die gefunden werden, in Massengräbern verscharrt werden, in denen sie oft nicht identifiziert werden können“, fuhr sie fort. „Mehr als 1.800 palästinensische Familien im Gazastreifen haben mehrere Familienmitglieder verloren, und Hunderte von Mehrgenerationenfamilien wurden ausgelöscht, so dass es keine Überlebenden mehr gibt – Mütter, Väter, Kinder, Geschwister, Großeltern, Tanten, Cousins und Cousinen – die oft alle zusammen getötet wurden. Dieses Töten ist nichts anderes als die Zerstörung palästinensischen Lebens. Sie wird absichtlich herbeigeführt. Niemand wird verschont, nicht einmal neugeborene Babys.“

Neben den Zehntausenden von Toten verwies sie auf weitere Zehntausende von Verstümmelten, Entstellten und Traumatisierten. In der Zwischenzeit werden zahlreiche palästinensische Zivilisten, darunter auch Kinder, „verhaftet, mit verbundenen Augen gezwungen, sich auszuziehen, auf Lastwagen verladen und an unbekannte Orte gebracht.“

Unter Bezugnahme auf Israels „Evakuierungsbefehl“ aus dem nördlichen Gazastreifen in der Anfangsphase des militärischen Angriffs erklärte Hassim: „Der Befehl selbst war völkermörderisch. Er verlangte sofortige Bewegung, wobei nur das mitgenommen werden durfte, was getragen werden konnte, während keine humanitäre Hilfe erlaubt war und der Zugang zu Treibstoff, Wasser, Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern absichtlich abgeschnitten wurde. Er war eindeutig darauf ausgelegt, die Bevölkerung zu vernichten.“

Ein wesentliches Merkmal der völkermörderischen Operation Israels war, so Hassim, der gezielte „Angriff auf das Gesundheitssystem des Gazastreifens.“

Als bewusste Folge der israelischen Blockade befinden sich 80 Prozent aller Menschen, die derzeit weltweit an akutem Hunger leiden, in Gaza. Hunderttausende von Menschen sind heute mehr vom Tod durch Hunger, Durst und Krankheiten bedroht als durch Bomben.

Die Argumente des versammelten Teams von Anwälten und Juristen wurden mit sachlicher und juristischer Präzision vorgetragen. Hassim wies die Bemühungen des Biden- und des Netanjahu-Regimes zurück, die palästinensischen Opferzahlen in Zweifel zu ziehen, da sie aus „Hamas-Quellen“ stammten. Sie wies darauf hin, dass alle Statistiken in ihrer Präsentation von den Vereinten Nationen selbst stammten und „auf dem Stand vom 9. Januar 2024“ seien.

Während die Anklage wegen Völkermordes formell gegen Israel erhoben wurde, ist es klar, dass auch die US-Regierung als Israels wichtigster imperialistischer Schirmherr und Lieferant von Kriegsmaterial angeklagt ist. Als Hassim subtil auf die israelischen Streitkräfte als „eine der am besten ausgerüsteten Armeen der Welt“ hinwies, verstand jeder im Gerichtssaal, dass sie die Vereinigten Staaten meinte.

Unter Bezugnahme auf die lange Liste von völkermörderischen Äußerungen israelischer Vertreter, die in der südafrikanischen Beschwerde vom 27. Dezember enthalten waren, argumentierte Tembeka Ngcukaitobi, Anwalt am Obersten Gerichtshof Südafrikas, dass „Israels führende Politiker, militärische Befehlshaber und Personen, die offizielle Positionen innehaben, systematisch und ausdrücklich ihre völkermörderischen Absichten erklärt haben; und diese Erklärungen werden dann von Soldaten vor Ort in Gaza wiederholt, während sie sich an der Zerstörung von Palästinensern und der physischen Infrastruktur von Gaza beteiligen.“

Dabei wurden die Palästinenser wiederholt als „menschliche Tiere“ bezeichnet, die „Amalek“ darstellten. Diese Bezüge sind charakteristisch für eine spezifisch faschistische Ideologie und Theologie. In der biblischen Geschichte von Amalek befiehlt Gott Saul, eine ganze Gruppe von Menschen, die Amalekiter, zu vernichten: „Tötet Männer und Frauen, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“

„Diese Erklärungen“, so Ngcukaitobi weiter, „sind nicht für neutrale Interpretationen oder nachträgliche Rationalisierungen und Neuinterpretationen durch Israel zugänglich. Die Erklärungen wurden von Personen abgegeben, die in der Staatsführung tätig sind. Sie vermittelten die staatliche Politik. Das ist ganz einfach. Wären die Äußerungen nicht beabsichtigt gewesen, wären sie nicht gemacht worden.“

Ngcukaitobi stellte in seinem Vortrag einen Zusammenhang zwischen diesen Aufrufen zum Völkermord und den völkermörderischen Aktionen israelischer Soldaten her, die dabei gefilmt wurden, wie sie im Gazastreifen riefen, sie würden „die Saat von Amalek auslöschen.“ „Es gibt jetzt einen Trend unter den Soldaten, sich selbst dabei zu filmen, wie sie Gräueltaten gegen Zivilisten in Gaza begehen, eine Art Snuff-Video“, sagte Ngcukaitobi. „Einer hat sich selbst dabei gefilmt, wie er über 50 Häuser in Shujaiya in die Luft sprengt.“

„Die Soldaten sind offensichtlich der Meinung, dass diese Sprache und ihre Handlungen akzeptabel sind, weil die Zerstörung palästinensischen Lebens im Gazastreifen ausdrückliche Staatspolitik ist“, so Ngcukaitobi.

Eine besondere Episode, die Ngcukaitobi beschreibt, ist es wert, in vollem Umfang wiedergegeben zu werden: „Hochrangige politische und militärische Vertreter ermutigten den 95-jährigen Reservisten der israelischen Armee, Ezra Yachin – ein Veteran des Massakers von Deir Yassin gegen die Palästinenser im Jahr 1948 – ohne Zensur, vor der Bodeninvasion in Gaza zu den Soldaten zu sprechen“, so Ngcukaitobi. Bei dieser Tour wurde Yachin „in einem offiziellen Fahrzeug der israelischen Armee umher gefahren, bekleidet mit einer israelischen Armeeuniform.“

„Seid siegreich und macht sie fertig“, sagte Yachin in seiner Rede, „und lasst niemanden zurück. Löscht die Erinnerung an sie. Löscht sie aus, ihre Familien, Mütter und Kinder. Diese Tiere können nicht mehr leben. ... Wenn Ihr einen arabischen Nachbarn habt, wartet nicht, geht zu seinem Haus und erschießt ihn. ... Wir wollen eindringen, nicht wie früher, wir wollen eindringen und zerstören, was vor uns ist, und Häuser zerstören, und dann das nächste zerstören. Mit all unseren Kräften, vollständige Zerstörung, eindringen und zerstören. Wie Ihr seht, werden wir Dinge erleben, von denen wir nie zu träumen gewagt hätten. Sollen sie doch Bomben auf sie werfen und sie auslöschen.“

Der südafrikanische Juraprofessor und Rechtsanwalt Max du Plessis argumentierte in seinem Vortrag, dass das, was jetzt in Gaza passiert, „nicht korrekt als einfacher Konflikt zwischen zwei Parteien dargestellt werden kann.“ Es handele sich um „zerstörerische Handlungen einer Besatzungsmacht“ gegen eine unterworfene und „unterdrückte“ Bevölkerung, sagte er. Jahrelang, so sagte er, hat sich Israel „als jenseits und über dem Gesetz stehend betrachtet.“

Du Plessis präsentierte Berichte über „Exekutionen vor Ort“, „Folter“ und „Bilder von verwesenden Leichen palästinensischer Männer, Frauen und Kinder, die unbeerdigt zurückgelassen wurden, wo sie getötet worden sind – einige wurden von Tieren aufgefressen.“ „Es wird immer deutlicher“, fuhr er fort, „dass große Teile des Gazastreifens – ganze Städte, Dörfer, Flüchtlingslager – von der Landkarte getilgt werden.“

Das vorgelegte Tatsachenmaterial ist mehr als ausreichend, um die sofortige Verhaftung, Anklage und strafrechtliche Verfolgung der gesamten israelischen Regierung zu rechtfertigen.

Aber es ist auch, und das ist noch wichtiger, eine Anklage gegen die Regierung der Vereinigten Staaten und den US-Nato-Imperialismus. Zu denjenigen, die für die schrecklichen Verbrechen der Netanjahu-Regierung belangt werden müssen, gehören die Führer der imperialistischen Mächte, die den Völkermord unterstützt, finanziert, gerechtfertigt und angeleitet haben: Sunak in Großbritannien, Scholz in Deutschland, Macron in Frankreich, Meloni in Italien und vor allem „Genocide Joe“ Biden in den USA.

In den Köpfen von Hunderten von Millionen Menschen wird der anhaltende Völkermord in Gaza mehr und mehr als Anklage gegen den Imperialismus und das globale kapitalistische System mit all seinen Politikern, Parteien und Institutionen verstanden werden.

Das Verfahren vor dem IGH selbst wird sich wahrscheinlich über Jahre hinziehen. Bei dem Verfahren in dieser Woche geht es um den Antrag Südafrikas auf „vorläufige Maßnahmen“, d.h. eine nicht vollstreckbare „Anordnung“ an Israel, die Feindseligkeiten einzustellen. Die israelische Regierung ihrerseits ignoriert seit Jahren reihenweise UN-Resolutionen und hat gestern in einer eigenen Präsentation ihre Operationen aus vollem Herzen verteidigt.

Es ist notwendig, aus den Verhandlungen vom Donnerstag die gegenteilige Schlussfolgerung zu ziehen als diejenigen, die jetzt Illusionen schüren, sie würden eine Wiedergeburt demokratischer, humaner und rationaler Gefühle in den Hallen der Vereinten Nationen ankündigen oder dass gut vorbereitete Gerichtsverfahren an sich als zuverlässiges Mittel zur Beendigung des Völkermords dienen könnten.

Derartige Illusionen in die Institutionen der Vereinten Nationen – eine „Diebesküche“, wie Lenin den Vorgänger der UN, den Völkerbund, nannte – wären bestenfalls Wunschdenken.

„Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unterstützen Südafrikas Bemühungen, Israel zur Rechenschaft zu ziehen“, schrieb Jeremy Corbyn am Montag unter Bezugnahme auf das Verfahren vor dem IGH und fragte: „Warum kann unsere Regierung das nicht?“ Die Frage zu stellen, bedeutet, sie zu beantworten: Die britische Regierung wird dies ebenso wie die Regierung Biden niemals tun, da dies die Verfolgung aller führenden Persönlichkeiten als Kriegsverbrecher bedeuten würde.

Noch während das Verfahren vor dem IGH stattfand, leiteten die USA und das Vereinigte Königreich mit der Bombardierung des Jemen eine große Eskalation im Nahen Osten ein. Die Unterstützung der imperialistischen Mächte für den Völkermord in Gaza ist mit einem sich ausweitenden globalen Krieg verbunden, einschließlich des US-Nato-Kriegs gegen Russland und der Vorbereitungen für einen Krieg gegen China.

Der Völkermord im Gazastreifen war ein wichtiger Faktor für die anhaltende, massive Radikalisierung der Weltbevölkerung, zusammen mit der anhaltenden Corona-Pandemie, dem eskalierenden globalen Krieg, der zunehmenden sozialen Ungleichheit, dem fortschreitenden Klimawandel, der Abschaffung demokratischer Rechte und dem Aufstieg rechtsextremer und faschistischer Bewegungen und Regierungen.

Das auf dem IGH präsentierte Material verdient es, studiert und weit verbreitet zu werden. Es ist der Beweis, dass die schrecklichsten Formen der imperialistischen Barbarei des letzten Jahrhunderts wieder normalisiert werden. Und es ist eine Warnung: Hinter ihren Phrasen über „Menschenrechte“ und „Demokratie“ verbirgt sich das, wozu die imperialistischen Regierungen fähig sind, sowohl in Gaza als auch innerhalb ihrer eigenen Grenzen.

Der Völkermord in Gaza kann nur dann gestoppt, künftige Völkermorde können nur dann verhindert, der imperialistische Krieg kann nur dann bekämpft und alle Schlächter und Kriegsverbrecher können nur dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn die unabhängige Macht der internationalen Arbeiterklasse mobilisiert wird, der einzigen Klasse, die gemeinsame Interessen hat, die objektiv gegen den imperialistischen Krieg und die kapitalistische Unterdrückung gerichtet ist, die in den Kämpfen, die überall auf der Welt ausbrechen, in immer schärferen Konflikt mit dem kapitalistischen System gerät und die dringend mit einer historisch bewussten und sozialistischen Strategie ausgestattet werden muss.

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