In einem zum Jahresende veröffentlichten Perspektivartikel bezeichnete die World Socialist Web Site das Jahr 2023 als „Jahr der totalen COVID-Vertuschung“. Wir schrieben: „Noch nie war der Kontrast zwischen der objektiven Realität der Covid-19-Pandemie und dem von kapitalistischen Politikern und den Medien verbreiteten Wunschdenken so groß wie zum Jahresende 2023.“ Diese Einschätzung trifft auch auf Deutschland in vollem Umfang zu.
Das Jahr 2022 endete mit einer massiven Kampagne in Politik und Medien, die erklärten, die Pandemie sei vorbei und sämtliche Schutzmaßnahmen müssten aufgehoben werden. 2023 wurde dies aggressiv in die Tat umgesetzt: selbst die Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr, sowie in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen, wurden bundesweit aufgehoben und die Corona-Arbeitsschutzverordnung abgeschafft.
Gleichzeitig wurde die Überwachung des Virus eingestellt. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab seinen letzten Covid-19-Wochenbericht im Juni heraus und berichtet seit dem über die Covid-19-Entwicklung nur in ein bis zwei Absätzen seines elf-seitigen Wochenberichts über akute respiratorische Erkankungen (ARE). Auch den Pandemieradar stellte das RKI zum 1. Juli ein. In den bürgerlichen Medien findet man nur noch vereinzelt Berichte über das Virus und auch diese schildern in keiner Weise die wirkliche Situation.
Doch entgegen der offiziellen Propaganda vom Ende der Pandemie grassierte die Pandemie auch 2023 weiter und kostete zahlreiche Menschenleben. Bis zum Jahresende sind offiziell fast 180.000 Menschen in Deutschland dem Virus zum Opfer gefallen. Knapp 18.500 davon im letzten Jahr. Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl noch deutlich höher liegt: Die letzten Schätzungen zur Übersterblichkeit in Deutschland aus dem April 2023 kamen bereits damals auf 180.000 Tote (ifo-Institut) oder sogar auf 195.000 allein für die Jahre 2020 und 2021 (WHO). Besonders deutlich zeigen sich die Auswirkungen der Pandemie auch darin, dass die Lebenserwartung in Deutschland seit Beginn der Pandemie um knapp ein halbes Jahr gesunken ist.
Zusätzlich zu den Tausenden, die letztes Jahr am Virus gestorben sind, kommen die Hunderttausenden, die infolge einer Infektion Langzeitfolgen entwickelt haben. Zwar wird das genaue Ausmaß, wie viele Menschen betroffen sind, kaum erfasst, doch über die Schwere der Langzeitfolgen und die Auswirkungen auf den Alltag von hunderttausenden Menschen wird immer mehr bekannt.
In einem jüngst erschienen Artikel in der taz unter dem Titel „Corona-Langzeitfolgen: Die Statistik ist kurzatmig“, berichtet die Leiterin der Long Covid-Ambulanz in Koblenz Astrid-Weber über den Alltag vieler Betroffener: „Viele reduzieren freiwillig ihre [Arbeitszeit]Stunden und gehen in Teilzeit. Andere schleppen sich nur noch zur Arbeit. Das geht gerade so, aber Hobby, Freizeit und Familie fahren sie auf Null. Es sind ganz viele, die außer dem Job alles kappen – und die erscheinen in keiner Statistik.“
Auch der Jenaer Psychiatrie-Professor Martin Welter stützt diese Beobachtungen. Er erklärte gegenüber der taz: „Das post-infektiöse Krankheitsgeschehen ist nicht vorbei, und im Moment tragen wir dazu bei, dass wir die Problematik für die Zukunft eher vergrößern.“ Der taz-Artikel verweist auch auf Epiloc, eine Studie aus Baden-Württemberg mit fast 12.000 Teilnehmern, die zu dem Ergebnis kommt, dass ein Viertel der Covid-19 Erkrankten auch sechs bis zwölf Monate später noch unter Symptomen litt.
Eine andere Studie der Universität Greifswald, die bisher noch unveröffentlicht ist, beobachtete den Verlauf von 200 Patienten, die durchschnittlich acht Monate lang nach einer Corona-Infektion die Long Covid-Sprechstunde der Universität aufsuchten. Bei ihrem ersten Besuch waren 47 Prozent dieser Patienten nicht in der Lage zu arbeiten. Sechs Monate später lag dieser Anteil immer noch bei 33 Prozent.
Am deutlichsten wird die Lüge vom Ende der Pandemie dadurch widerlegt, dass zum Jahresende hin die höchsten Inzidenzen jemals erreicht wurden. Offiziell gemeldet wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) für die letzte Woche 29.051 Fälle. Das sind 10.000 Fälle mehr, als in der Vorwoche. Jedoch das Robert-Koch-Institut gibt selbst an, dass es, basierend auf Angaben aus dem GrippeWeb, die tatsächliche 7-Tage-Inzidenz auf 3.000 schätzt. Das entspricht knapp 2,5 Millionen neuer Fälle pro Woche. Für die Vorwoche schätzte das RKI die Inzidenz noch auf 2.600.
Auch andere Indizien belegen den starken Anstieg. Das Abwassermonitoring zur epidemiologischen Lagebewertung (AMELAG) des RKI gibt derzeit einen Wert von 727.275 nachgewiesenen Genkopien von Sars-CoV-2 pro Liter Abwasser an. Auch das stellt einen neuen Rekordwert bei den Abwasserdaten dar, die seit Juni 2022 ausgewertet werden. Noch in der Vorwoche lag der Wert bei 687.386 Genkopien pro Liter Abwasser.
Auch SentiSurv, ein Projekt der Universitätsmedizin Mainz, das die Daten von 14.000 Personen aus Rheinland-Pfalz erhebt, die sich regelmäßig selbst testen und das Ergebnis zur Verfügung stellen, gab für die letzten Wochen eine Inzidenz zwischen 3.000 und 4.000 an.
In den letzten Tagen hat sich zum die Subvariante BA.2.86 „Pirola“ zur dominierenden Variante in Deutschland entwickelt und macht derzeit rund 55 Prozent der Infektionen aus. Pirola zeichnet sich durch seine etwa 30 Mutationen am Spike Protein aus, die dafür sorgen, dass die Variante von der Körperabwehr Geimpfter und Genesener schwerer erkannt wird.
Gleichzeitig steigt auch der Anteil des Pirola-Ablegers JN.1 auf 35 Prozent an. JN.1 weist eine noch deutlich bessere Immunflucht auf und wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „variant of interest“ eingestuft, der Vorstufe einer „variant of concern“. Derzeit sorgt JN.1 weltweit für den Anstieg von Fallzahlen.
Besonders besorgniserregend ist, dass es zuletzt auch eine hohe Zahl schwerer Verläufe gab. Über die letzten sechs Wochen hinweg gab es konstant über 7.000 Hospitalisierungen pro Woche, in der Kalenderwoche 49 lag die Zahl sogar bei 8.710 und in der Kalenderwoche 50 bei 7.998. Angesichts noch ausstehender Nachmeldungen liegt die Hospitalisierungsinzidenz damit zwischen zehn und zwölf.
Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der ersten Welle 2020 lag sie bei 7,5 auf dem Höhepunkt der zweiten bei 15 und auf dem Höhepunkt der dritten Welle bei 9,8. Entgegen der Behauptungen, das Virus sei harmlos geworden, liegt die Hospitalisierungsinzidenz damit in etwas auf dem Niveau vorheriger Corona-Wellen.
Infektiologen wie Julian Schulze von Wiesch vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) vermuten, dass selbst die Hospitalisierungsinzidenz nur begrenzt aussagekräftig ist. „Hier wird es eine hohe Dunkelziffer geben“, erklärt er, da selbst im Krankenhaus viele Patienten gar nicht erst getestet werden auf Covid-19.
Besonders hoch sind die Hospitalisierungszahlen in Berlin. Dort liegt die Hospitalisierungsinzidenz derzeit bei 19, ein Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Die Charité teilte zudem mit, dass die Zahl der Corona-Patienten, die intensiv-medizinisch betreut werden müssen, zunimmt. Bundesweit liegt diese Zahl derzeit bei 1.254 (Vorwoche: 1.214).
Auch die Zahl der Todesfälle steigt wieder. Seit November starben jede Woche über 300 Menschen. In der letzten Woche waren es 361, in der Vorwoche 347.
Charité-Experte Leif Sanders warnte im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), dass die Zeit der schweren Verläufe nicht vorbei sei. Eine Corona-Infektion könne „noch ganz schön“ krank machen, erklärte er. Dazu gehörten „auch solche Ausprägungen, wie wir sie vor ein paar Jahren gesehen haben.“ Gründe dafür könnten sein, dass bei vielen die Impfung länger zurückliege.
Zahlreiche Kliniken in ganz Deutschland reagieren auf die dramatische Entwicklung, indem sie eigenständig Maskenpflichten und Besuchereinschränkungen einführen. Die gesetzlichen Maskenpflichten in Pflege- und Gesundheitseinrichtungen hatte die Bundesregierung bereits zu Beginn des Jahres aufgehoben.
Die mörderische Pandemie-Politik der Ampelregierung findet sich in allen Bereichen wieder. Während sie in der Ukraine im letzten Jahr den Krieg gegen die Atommacht Russland verschärft hat, unterstützt sie im Nahen Osten den Genozid der israelischen Regierung an der palästinensischen Bevölkerung.
Diese Politik hat ihre Wurzeln im Kapitalismus. Um ihre Profitinteressen zu verteidigen, geht die herrschende Klasse sprichwörtlich über Leichen. Der Kampf zu Beendigung der Pandemie erfordert deshalb ebenso wie der Kampf gegen Krieg die Mobilisierung der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms.