Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts in Québec müssen die Sabotage ihrer Gewerkschaft gegen die Streikbewegung verhindern

Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Diensts in der kanadischen Provinz Québec haben sich von Dienstag bis Donnerstag begeistert und entschlossen an einem dreitägigen Streik beteiligt, zu dem der Gewerkschaftsbund Common Front aufgerufen hatte.

Am Mittwoch organisierten tausende Beschäftigte der Krankenhäuser und anderer Einrichtungen des Gesundheitswesens, Lehrkräfte und Hilfspersonal öffentlicher Schulen, Junior Colleges und technischer Hochschulen sowie anderer Bereiche des öffentlichen Diensts am zweiten Tag in Folge hunderte Streikposten und beteiligten sich an Kundgebungen.

Selbst die rechten, wirtschaftsfreundlichen Medien müssen zugeben, dass es große Unterstützung gibt für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und ihre Forderungen nach Lohnerhöhungen oberhalb der Inflationsgrenze und massiven Investitionen in das marode öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem von Québec. Durch diese Investitionen sollen die Zahl der Pflegekräfte pro Patienten erhöht, die Klassengrößen verringert und allgemein die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Dienst verbessert werden.

Die Koalitionsregierung der offen wirtschaftsfreundlichen Coalition Avenir Québec (CAG, Koalition für die Zukunft Québecs) ist zunehmend isoliert, ihre Umfragewerte brechen ein.

Streikende Beschäftigte des öffentlichen Diensts in einem südlichen Vorort der Stadt Québec

Doch die Arbeiter müssen auf der Hut sein. Die pro-kapitalistischen Gewerkschaftsapparate, aus denen sich die Common Front zusammensetzt, sind dabei, ihren Kampf zu isolieren, zu sabotieren und zu unterbinden.

Die Befürworter des „sozialen Dialogs“ und „sozialen Friedens“ – d.h. der Unterordnung der Lebensgrundlagen der Arbeiter unter das Profitstreben und die räuberischen globalen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen des Großkapitals – tun alles in ihrer Macht Stehende, um einen direkten Zusammenstoß zwischen der CAQ-Regierung und den 625.000 Beschäftigten des öffentlichen Diensts von Québec zu verhindern. Sollte sich dies als unmöglich erweisen, so wollen die Gewerkschaftsbürokraten durchsetzen, dass die Arbeiter gespalten und ohne Unterstützung gegen eine Regierung kämpfen müssen, die uneingeschränkt vom Großkapital unterstützt wird und bereit ist, die staatlichen Unterdrückungsinstrumente gegen sie einzusetzen, allen voran ein gesetzliches Streikverbot.

Die größte Befürchtung der pro-kapitalistischen Gewerkschaftsbürokraten ist es, dass die militante Streikbewegung im öffentlichen Dienst auch auf Pflegepersonal und Lehrkräfte übergreift, deren Gewerkschaften nicht Teil der Common Front sind, dass dies zum Katalysator für eine breitere Aufstandsbewegung der Arbeiterklasse in Québec und ganz Kanada gegen die kapitalistische Kürzungspolitik, die Kriminalisierung von Kämpfen der Arbeiter und den imperialistischen Krieg werden könnte.

Die Führung der Common Front hat monatelang die Forderungen der Regierung nach Zugeständnissen und ihre Verweigerung von Verhandlungen verurteilt. Doch am Mittwochmorgen erklärte sie auf einer Pressekonferenz plötzlich, die Regierung habe durch das Einsetzen eines Vermittlers aus dem Arbeitsministerium am Montag „Bewegung“ an den Verhandlungstisch gebracht. Sie erklärte, sie wolle der Schlichtung „eine Chance geben“ und sich deshalb auf Verhandlungen konzentrieren und ab Donnerstag keine weiteren Arbeitskampfmaßnahmen organisieren.

Die Behauptungen der Gewerkschaftsbürokraten über die neue „Bewegung“ am Verhandlungstisch, sind offenkundig gelogen. Wenn es überhaupt einen „Fortschritt“ zu einem neuen Abkommen gibt, dann nur, weil die Gewerkschaftsführung die Forderungen der Arbeiter fallenlässt.

Die Regierung hat bisher keine Anstalten gemacht, von ihrer bisherigen Position abzurücken. Vielmehr erklärte die Chefunterhändlerin der Regierungsseite und Finanzministerin Sonia LeBel am Dienstag provokant, die Regierung werde nicht von ihrem aktuellen, lächerlichen Angebot einer Lohnerhöhung von 10,3 Prozent mit einer Laufzeit von fünf Jahren abweichen, solange die Gewerkschaften nicht ihren Forderungen nach umfangreichen Zugeständnissen bei der „Arbeitsorganisation“ auf der Ebene bestimmter Berufsgruppen nachgeben.

Die Regierung versucht unter dem Vorwand einer zunehmenden „Flexibilisierung“, die ohnehin schon erdrückende Arbeitsbelastung der Lehrkräfte und der Beschäftigten im Gesundheitswesen zu verschärfen. Zudem will sie Pflegekräften ohne Vollzeitstellen, unabhängig von der Länge ihrer Schichten, die Überstundenzuschläge vorenthalten und das System verbindlicher Überstunden für Pflegekräfte und andere Beschäftigte des Gesundheitswesens beibehalten.

Dass die Behauptungen der Common-Front-Führung über „Bewegung am Verhandlungstisch“ nur Ausflüchte sind, beweisen ihre eigenen Klagen über die Entscheidung der Regierung, den Schlichter, dessen Befugnisse auf das Unterbreiten von Vorschlägen beschränkt sind, von den zentralen Verhandlungen auszuschließen. Dieser Ausschluss verdeutlicht nur, dass die Regierung entschlossen ist, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst in Armut zu stürzen, indem sie Lohnerhöhungen unterhalb der Inflationsgrenze durchsetzt und die Forderung der Gewerkschaft nach einem Tarifvertrag mit dreijähriger Laufzeit und Anpassung an die Lebenshaltungskosten ablehnt.

Die Führung der Common Front kündigte für Montag eine weitere Pressekonferenz an, auf der sie die nächsten Schritte erläutern werde, einschließlich weiterer Arbeitskampfmaßnahmen. Ob sie Wort halten wird, bleibt jedoch abzuwarten. Am Mittwoch hatte sie noch verkündet, sie wolle weitere „Schritte“ unternehmen, bevor sie auch nur ein Datum für einen unbefristeten Streik festsetzen würde. Dabei haben die Beschäftigten, die von der Common Front repräsentiert werden, bereits vor fast zwei Monaten mit 95 Prozent für einen unbefristeten Streik gestimmt, obwohl sie keinen Anspruch auf Streikgeld haben.

Der Ortsverband, aus dem der Präsident der Quebec Union Confederation (CSQ) Eric Gingras stammt, hat seine 10.000 Mitglieder dazu aufgerufen, in einer Onlineumfrage über weitere begrenzte Ausstände abzustimmen, um so einen unbeschränkten Streik hinauszuzögern. Diese Ankündigung verdeutlicht einmal mehr, dass die Common Front-Führung die Arbeiter demobilisieren will.

Mit diesem Manöver versucht die Führung der Common Front, die Verhandlungen in die Länge zu ziehen und die Belegschaften, deren Tarifverträge bereits am 31. März abgelaufen sind zu zermürben. Daneben versucht sie auch, gemeinsame Aktionen mit den 65.000 Lehrkräften zu verhindern, die Mitglied der Fédération autonome de l’enseignement (FAE, Autonomer Lehrerbund) sind und am Donnerstag einen unbeschränkten Streik treten wollen.

„Jetzt ist Zeit zum Kämpfen. Ich finde, unsere Gewerkschaftsführer versuchen, uns zu demobilisieren.“

Streikende Lehrkräfte äußerten am Dienstag gegenüber der World Socialist Web Site ihre Wut über die Manöver der Common-Front-Führung. Die Grundschullehrerin Émilie aus den östlichen Vororten erklärte, sie sei „überrascht“:

„Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir gemeinsam mit der FAE in einen unbeschränkten Streik getreten wären, dann wären wir als eine Stimme vereint statt gespalten, wie es unsere Gewerkschaft sagt... Wenn wir einen unbefristeten Streik hinauszögern, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Streikbewegung erschlafft und wir einen Tarifvertrag mit Zugeständnissen akzeptieren müssen.“

Émilie fuhr fort: „Meine Kollegen und ich haben aus freien Stücken die Entscheidung getroffen, uns morgen an der FAE-Demonstration [in Montreal] zu beteiligen.“

Annie, eine Lehrerin der dritten Klasse, äußerte sich ähnlich: „Noch ein begrenzter Ausstand ist ein Witz. Jetzt ist es Zeit zu kämpfen. Ich finde, unsere Gewerkschaftsführung versucht, uns zu demobilisieren. Aber wir haben den Wind in den Segeln. Das heißt jetzt oder nie. Wir dürfen die FAE-Lehrer nicht im Stich lassen. Wir müssen sie bis zum Schluss unterstützen.“

Ein Plakat mit der Aufschrift „Die CAQ bekommt Kohle zu Weihnachten“

Ihre Kollegin Catherine fügte hinzu: „Tatsächlich haben wir die Initiative. Die Bevölkerung steht hinter uns, und wenn wir jetzt aufhören, wird sich die Bewegung auflösen, und wir werden verlieren.“

Frédéric erklärte der WSWS: „Das ist mein vierter Tarifstreit, und wir bekommen immer weniger als die Inflationsrate. Wir werden in die Armut getrieben. Unter den jetzigen Bedingungen kann ein Vollstreik Angst einflößen. Aber wir müssen nach unseren Überzeugungen handeln. Wir kämpfen für unsere Schüler, für unsere Arbeitsbedingungen, und damit wir diese Arbeit auch in den nächsten Jahren weitermachen können.“

Der Streik im öffentlichen Dienst von Québec steht am Scheideweg.

Die Arbeiter müssen die Kontrolle über den Streik selbst in die Hand nehmen, damit die pro-kapitalistischen Gewerkschaften ihn nicht abwürgen können. Sie müssen in allen Krankenhäusern, Schulen, Hochschulen, lokalen Kliniken und anderen Betrieben Aktionskomitees gründen, die organisatorisch und politisch unabhängig von der Gewerkschaftsbürokratie sind. Sie müssen den Kampf ausweiten, verschärfen und als politischen Kampf der Arbeiterklasse führen.

Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die von der Common Front vertreten werden, fordern zurecht, dass die Lehrkräfte in Montreal, Québec und anderen Städten, die in der FAE organisiert sind, in ihrem Streik nicht im Stich gelassen werden dürfen.

Die Presse hat bereits eine Hetzkampagne begonnen, laut der die Lehrkräfte Kinder in Geiselhaft nähmen. Dabei haben die CAQ-Regierung und die herrschende Klasse Québecs und ganz Kanadas den öffentlichen Dienst seit Jahrzehnten finanziell ausgeblutet.

Allerdings ist klar, dass Unterstützung der streikenden Lehrer auch den Kampf gegen die FAE-Bürokraten bedeutet. Genau wie die Führung der Gesundheitsgewerkschaft (Fédération interprofessionnelle de la santé du Québec, FIQ), die für 80.000 Pflegekräfte und anderes Personal des Gesundheitswesens verhandelt, strebt auch die Führung der FAE einen separaten Vertrag mit der rechten CAQ-Regierung auf Berufsgruppenebene an. Obwohl sich die Austeritätsmaßnahmen der Regierungen von Liberalen, Parti Québecois (PQ) und CAQ gegen alle Arbeiteenden richten, stellt die FIQ Pflegekräfte als „besonderen Fall“ dar. Die FAE erklärt, nur Lehrkräfte könnten für Lehrkräfte verhandeln.

Genau wie bei den Gewerkschaften der Common Front lehnen auch die Führungen der FAE und FIQ einen politischen Kampf der Arbeiterklasse gegen die CAQ-Regierung vehement ab.

FAE-Präsidentin Mélanie Hubert signalisierte diese Woche auf die Frage nach der Gefahr eines gesetzlichen Streikverbots, die FAE-Bürokraten würden sich diesem kampflos beugen. Dies liegt natürlich auf einer Linie mit ihrer Weigerung, die Proteste und Streiks anderer Beschäftigter im öffentlichen Dienst zu unterstützen.

Die Arbeiter stehen vor einem politischen Kampf

Es darf nicht zugelassen werden, dass die Common Front-, FAE- und FIQ-Bürokraten die streikenden Grund- und Oberschullehrer isolieren und es so der FAE-Führung ermöglichen, vor einem gesetzlichen Streikverbot zu kapitulieren oder dies als Vorwand zu benutzen, um einem Ausverkauf zuzustimmen.

Die streikenden Lehrer wiederum müssen sich über die Apparate von FAE und Common Front hinwegsetzen und an alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst appellieren, sie durch einen gemeinsamen Kampf zu unterstützen.

Vor allem müssen die Arbeiter erkennen, dass sie vor einem politischen Kampf stehen. Sie kämpfen nicht nur gegen den Kürzungs- und Privatisierungskurs einer rechten Regierung, sondern gegen die ganze Klassenstrategie der kapitalistischen Elite. Diese ist entschlossen, die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu verschärfen, um die wiederholten Rettungen des Großkapitals und die Kriege gegen Russland, China und im Nahen Osten zu finanzieren, die der kanadische Imperialismus zusammen mit Washington führt und zu führen plant.

Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts von Québec sind zwar mit mächtigen Feinden konfrontiert, haben aber noch mächtigere Verbündete unter den Arbeitern in Kanada, den USA und der Welt, die ebenfalls von den Angriffen ihrer herrschenden Klasse auf demokratische und soziale Rechte, ihre Aggressionen und Kriege in den Kampf getrieben werden.

Ein Aufruf zu einer Gegenoffensive der Arbeiterklasse gegen Austerität und Krieg wird unter den Arbeitern in ganz Kanada auf großen Widerhall stoßen.

Von entscheidender Bedeutung für solch einen vereinten Kampf der Arbeiterklasse ist die Zurückweisung der provinziellen nationalistischen Perspektive der Gewerkschaften in Québec, die jahrzehntelang den politisch-ideologischen Zement ihrer korporatistischen Beziehungen zum Großkapital und dem Staat bildete. Ende der 1990er Jahre unterstützten die Gewerkschaften die brutale „Null-Defizit“-Kampagne der Regierung von Québec unter Bouchard-Landry; diese hatte den öffentlichen Dienst dauerhaft ruiniert, um bessere Bedingungen für ihr Unabhängigkeitsreferendum schaffen. Ebenso unterstützten sie im Namen der „nationalen Einheit“ die mörderische „Back to Work/ Back to School“-Kampagne der Regierung während de anhaltenden Corona-Pandemie.

Die Arbeiter im englischsprachigen Teil Kanadas müssen die Arbeiter in Québec unterstützen. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sie Widerstand gegen die Gewerkschaftsapparate mobilisieren und das Bündnis zurückweisen, mit dem die Gewerkschaften und die von ihnen finanzierte Partei NDP die liberale Minderheitsregierung von Trudeau stärken. Diese Regierung presst durch ihren Austeritätskurs und ihre hohen Zinssätze die Arbeiter aus, führt Krieg gegen Russland, vergeudet Dutzende Milliarden für den Kauf neuer Waffensysteme und unterstützt Israels völkermörderischen Angriff auf die Palästinenser.

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