Am Dienstagabend stürmten die israelischen Streitkräfte das Al-Shifa-Krankenhaus im Gazastreifen und hissten dort die israelische Flagge. Seit zwei Wochen stand das Krankenhaus bereits unter Dauerbeschuss, Dutzende Ärzte, Patienten und Flüchtlinge kamen dabei ums Leben.
Nur wenige Stunden vor dem Angriff hatte die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, behauptet, dass „die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad einige Krankenhäuser im Gazastreifen, darunter Al-Shifa, und darunter liegende Tunnel nutzen, um ihre militärischen Operationen aus dem Versteck heraus zu unterstützen und Geiseln festzuhalten“.
Die US-Medien gingen sogar noch weiter: Fox News erklärte, das Al-Shifa-Krankenhaus werde „als unterirdisches Terror-Hauptquartier der Hamas genutzt“.
Diese Behauptungen erwiesen sich als glatte Lüge. Die Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) haben weder Geiseln noch unterirdische Bunker gefunden. Sie durchsuchten den weitläufigen Krankenhauskomplex, in dem zeitweise 60.000 Menschen untergebracht waren und das mitten im Kriegsgebiet liegt. Doch die IDF konnten nur ein paar Sturmgewehre und zwei Splitterschutzwesten als „Beweise“ vorlegen.
In Wirklichkeit haben sie das Al-Shifa-Krankenhaus eingenommen, um ein Zeichen zu setzen. Das medizinische Personal, das ständigen Luftangriffen und Feuersalven ausgesetzt war, widersetzte sich dem Befehl der IDF, das Krankenhaus zu verlassen. Sie würden lieber sterben als ihre Patienten im Stich lassen, erklärten sie. Der Mut der Beschäftigten, die im Angesicht des israelischen Völkermords standhielten, hat die Solidarität und Unterstützung von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gewonnen.
In der Ersten und Zweiten Genfer Konvention von 1949 ist festgelegt, dass Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen nicht angegriffen werden dürfen und jederzeit geschützt werden müssen. Dies gilt für zivile und militärische Krankenhäuser. Angriffe auf Krankenhäuser und medizinisches Personal sind nach dem Völkerstrafrecht ein Kriegsverbrechen.
Während die Vereinten Nationen, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und zahllose Menschenrechtsorganisationen nachdrücklich erklärt haben, dass Krankenhäuser kein militärisches Ziel sein dürfen, senden Israel und seine imperialistischen Hintermänner eine andere Botschaft: Doch, sie sind ein Ziel.
Während des „Kriegs gegen den Terror“ bombardierten die USA wiederholt Krankenhäuser, versuchten solche Angriffe aber als Unfälle zu kaschieren. Im Oktober 2015 wurden bei einem US-Luftangriff auf ein Krankenhaus von Ärzte ohne Grenzen in der afghanischen Provinz Kundus mindestens 22 Menschen getötet. Damals entschuldigte sich US-Präsident Barack Obama und behauptete, der Angriff sei ein „Fehler“ gewesen.
Heute betrachten die USA die Bombardierung von Krankenhäusern und andere Kriegsverbrechen als legitimen Akt der „Selbstverteidigung“. Amerikanische Politiker reagieren auf die israelischen Angriffe auf Krankenhäuser in Gaza mit dem Mantra, dass es keine „roten Linien“ gibt.
Seit Beginn der israelischen Offensive im Gazastreifen verzeichnete die WHO mindestens 137 Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, bei denen 521 Menschen starben und 686 verletzt wurden, darunter 16 Tote und 38 Verletzte unter dem medizinischen Personal.
Und in diesen Zahlen ist der brutalste Angriff auf ein Krankenhaus noch nicht eingerechnet: der Bombenanschlag auf das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus am 17. Oktober 2023, bei dem zwischen 250 und 471 Menschen getötet wurden. Israel und die Vereinigten Staaten verbreiteten die Lüge, die Explosion sei durch eine fehlgeleitete Rakete aus Gaza ausgelöst worden. Aber die dünnen Beweise, auf die sie sich beriefen, waren schnell widerlegt.
Israels Krieg gegen Krankenhäuser ist Teil eines systematischen Genozids. Das gezielte Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung, darunter Kinder, medizinisches Personal und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, wurde zu einem Grundprinzip erhoben.
Während dieser Kriegsverbrechen äußern Politiker öffentlich die Absicht des Genozids. So verkündete der israelische Landwirtschaftsminister die „Nakba 2023“ und der Innenminister schlug vor, die palästinensische Bevölkerung aus der Enklave zu vertreiben.
Israels Vorgehen in Gaza sei ein „Völkermord wie aus dem Lehrbuch“, hatte Craig Mokhiber, der Leiter der New Yorker Vertretung des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, in seiner Rücktrittserklärung am 28. Oktober geschrieben. Er betonte, dass die „ausdrücklichen Absichtserklärungen führender Vertreter der israelischen Regierung und des Militärs“ keinen Raum für Zweifel oder Diskussionen lassen.
Die USA verstoßen zwar seit Jahrzehnten systematisch gegen das Völkerrecht. Doch ihre offene Unterstützung von Israels Massaker an der Gaza-Bevölkerung, bei dem sich israelische Politiker unverblümt für Völkermord aussprechen, markiert eine neue Stufe der Normalisierung von Kriegsverbrechen.
Seit 50 Jahren werden die Gewalttaten Israels als Präzedenzfall für die USA genutzt. Das wichtigste Beispiel ist die „gezielte Tötung“, d. h. die staatlich sanktionierte Ermordung von Personen. „Israel hat mehr Attentate und gezielte Tötungen verübt als jedes andere Land im Westen“, stellte der israelische Enthüllungsjournalist Ronen Bergman 2018 fest.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Am 17. September 1948 überfiel und tötete eine Gruppe zionistischer Terroristen den schwedischen Vermittler bei den Vereinten Nationen, Graf Folke Bernadotte, in Jerusalem. Yitzhak Shamir, der spätere Ministerpräsident Israels, war beteiligt an der Genehmigung und Planung dieses Attentats.
Im November 2000 gab Israel als erster Staat der Welt „offen zu, dass es eine Politik der gezielten Tötung betreibt“, schrieb Nils Melzer, damals Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen über Folter, im Jahr 2009. Bald darauf übernahmen auch die Vereinigten Staaten „offen die Methode der gezielten Tötung“.
Melzer erklärte: „Der Begriff ‚gezielte Tötung‘ bezeichnet die Anwendung tödlicher Gewalt durch ein Subjekt des Völkerrechts, das mit Absicht, Vorsatz und Überlegung eine spezifisch ausgewählte Person tötet, die sich nicht im Gewahrsam des Akteurs befindet.“
Den ersten bekannten Drohnenangriff außerhalb eines Kriegsgebiets führten die USA 2002 im Jemen durch. 2011 wurden der in den USA geborene Imam Anwar al-Awlaki und sein Sohn, beide US-Bürger, bei getrennten Drohnenangriffen im Jemen ermordet. 2020 tötete eine US-Drohne Qasem Soleimani, einen hochrangigen iranischen Militärvertreter, der gerade zu einem offiziellen Besuch im Irak war.
Wie bei der „gezielten Tötung“ werden die Kriegsverbrechen, die Israel jetzt begeht, zur neuen Blaupause für noch größere Verbrechen der Vereinigten Staaten und anderer imperialistischer Mächte. Deshalb akzeptieren sie offen Israels Völkermord und Kriegsverbrechen.
Ob im Nato-Krieg gegen Russland oder bei den Kriegsvorbereitungen gegen den Iran und China – die USA eskalieren weltweit ihre Kriegspolitik, die ein unbeschreibliches Ausmaß an Gewalt erfordern wird. Die Verbrechen, die Israel begeht, der Massenmord und die Vertreibung einer ganzen Bevölkerung, schaffen einen Präzedenzfall für weiteres Morden bis hin zum Einsatz von Atomwaffen. Die herrschenden Klassen wollen die Bevölkerung konditionieren für die Ermordung von Hunderttausenden oder gar Millionen von Menschen.
Doch Krieg im Ausland bedeutet zugleich Krieg im Innern. Um die wachsende Streikbewegung und die Massenproteste gegen den Genozid in Gaza zu unterdrücken, wird die herrschende Klasse in den USA immer stärker auf die Methoden des Massenterrors gegen die Stadtbevölkerung zurückgreifen, die im Nahen Osten jetzt vorgeführt werden.
Die Ereignisse in Gaza sind eine Warnung: Die herrschende Klasse in den imperialistischen Ländern ist verzweifelt und fühlt sich in die Enge getrieben. Sie wird vor nichts Halt machen, um ihre globalen Interessen zu sichern, auch nicht vor Massenmord. Die Zukunft der Menschheit hängt davon ab, dass eine sozialistische Massenbewegung der Arbeiterklasse aufgebaut wird, die die Gesellschaft aus dem Würgegriff der Finanzoligarchie befreit.