Perspektive

Die Heuchelei des US-Imperialismus zu den Überschwemmungen in Libyen

Ein Mann sitzt an den Gräbern von Überschwemmungsopfern in Darna (Lybien). Freitag, 15. September 2023 [AP Photo/Yousef Murad]

Am Wochenende rief der ehemalige Präsident Barack Obama seine 132 Millionen Follower auf Twitter (X) dazu auf, Spenden an Hilfsorganisationen zu schicken, die den Menschen in der libyschen Stadt Darna helfen. In der Flutkatastrophe, die Darna heimgesucht hat, sind nach Schätzungen lokaler Behörden weit über 20.000 Menschen ums Leben gekommen.

„Wenn Sie den von den Überschwemmungen in Libyen betroffenen Menschen helfen wollen, sollten Sie sich diese Hilfsorganisationen ansehen“, schrieb Obama und zitierte einen Aufruf seiner eigenen Stiftung.

Diese Äußerung hat in den sozialen Medien eine Flut feindseliger Kommentare ausgelöst, die zu Recht darauf hinweisen, dass Obama selbst für die Bedingungen verantwortlich ist, die die libysche Katastrophe erst ermöglicht haben. Seine Regierung stand 2011 an der Spitze des US-geführten Nato-Krieges, der das Regime des langjährigen Machthabers Muammar Gaddafi zu Fall brachte. Die Bombardierung setzte den langwierigen Bürgerkrieg in Gang, der immer noch andauert und ein Land verwüstet hat, das einst als das reichste Afrikas galt.

Weitere hochrangige US-Beamte, die für den Krieg in Libyen verantwortlich sind, sind der damalige Vizepräsident Joe Biden und die damalige Außenministerin Hillary Clinton, die die Hauptrolle dabei spielte, den Krieg öffentlich zu rechtfertigen. Sie freute sich über die erfolgreich von USA und Nato betriebene Tötung Gaddafis. „Wir kamen, wir sahen, er starb“, brüstete sie sich seinerzeit.

Der jetzige Präsident Biden veröffentlichte einen eigenen scheinheiligen Appell der Unterstützung und Anteilnahme für das libysche Volk. „Jill und ich sprechen allen Familien, die bei den verheerenden Überschwemmungen in Libyen geliebte Menschen verloren haben, unser tiefstes Beileid aus“, erklärte Biden letzte Woche, und er fügte hinzu, dass die USA Soforthilfegelder an Hilfsorganisationen schicken würden. Ein Dollarbetrag wurde noch nicht bekannt gegeben, aber es wird ein Tropfen auf den heißen Stein sein, verglichen mit den 1,1 Milliarden Dollar, die die USA 2011 für den Krieg ausgegeben haben, ganz zu schweigen von den dutzenden Milliarden, die für den Krieg gegen Russland in der Ukraine aufgebracht werden.

Der von den Vereinten Nationen angekündigte Hilfsappell beläuft sich auf insgesamt nur 71 Millionen Dollar. Diese Summe steht in keinem Verhältnis zu der enormen menschlichen Not und zu den gigantischen Summen, die verschwendet wurden, um die Ukraine in eine Todeszone zu verwandeln. Die Europäische Union, die fast 40 Milliarden Dollar in den Krieg gegen Russland gesteckt hat, sagte den Opfern der Überschwemmung in Darna lediglich 537.000 Dollar zu.

Auch die Vereinten Nationen tragen Verantwortung für die libysche Tragödie. Am 17. März 2011 billigte der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen gegen Libyen (wobei Russland und China sich der Stimme enthielten und kein Veto einlegten) und ermächtigte die Mitgliedsstaaten, „alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die von Angriffen bedrohte Zivilbevölkerung des Landes, einschließlich Bengasis, zu schützen“. Mit dieser Formulierung segnete die UNO den imperialistischen Vorwand für den Angriff auf Libyen ab, nämlich die angebliche Gefahr eines Massakers an der Bevölkerung von Bengasi, die von Gaddafis Streitkräfte ausgehen würde. Zwei Tage später begannen die US-Nato-Bombardements.

In diesem Krieg wurden 25.000 Libyer getötet, darunter auch Gaddafi, der von islamischen Fundamentalisten gefoltert und ermordet wurde, die vom Pentagon und der CIA sowie von Großbritannien und Frankreich rekrutiert, ausgebildet und bewaffnet wurden. Diese Kämpfer wurden anschließend von der CIA nach Syrien verbracht, um sich einer Aufstandsbewegung gegen den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad anzuschließen, die als ISIS bekannt wurde. Der Hafen, über den diese kampferprobten Guerillakämpfer transportiert wurden, war die Stadt Darna, die heute durch die Flut vom 10. September weitgehend zerstört ist.

Andere Islamisten zogen nach Süden und destabilisierten den größten Teil der Sahelzone, darunter Tschad, Niger, Mali, Burkina Faso und die Zentralafrikanische Republik, und verbreiteten Gewalt auch in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas.

Eine Karte von Nord- und Zentralafrika [Photo: www.openstreetmap.org]

In Libyen selbst waren die Folgen des von den USA geführten Krieges katastrophal. Das vor dem US-Nato-Angriff wirtschaftlich wohlhabendste Land Afrikas hat sich in ein Land der Armut und Entbehrung mit einer bröckelnden Infrastruktur verwandelt. Im Jahr 2010, dem Jahr vor dem Krieg, lag das BIP Libyens bei 11.611 US-Dollar pro Kopf der Bevölkerung. Bis 2021 halbierte sich dieser Wert fast auf 5.909 Dollar pro Kopf. Das Nettovermögen des Landes ist von 2010 bis 2021 sogar um 21 Prozent gesunken, ganz im Gegensatz zu afrikanischen Ländern wie Äthiopien (+ 591 Prozent), Kenia (+ 468 Prozent) und Nigeria (+ 230 Prozent).

Auf die Bombardierung Libyens durch die USA und ihre Nato-Verbündeten folgte ein Bürgerkrieg zwischen rivalisierenden Fraktionen, die jeweils von einer anderen Konstellation externer Mächte unterstützt werden und um die Kontrolle über die riesigen Öl- und Gasreserven des Landes – die größten in Afrika – wettstreiten. Libyen ist nun faktisch aufgeteilt in eine östliche Region mit Sitz in Bengasi und eine westliche Region, die von der Hauptstadt Tripolis aus kontrolliert wird.

Berichten zufolge betrachteten die Machthaber der Ostregion unter der Führung von Khalifa Haftar – einem ehemaligen CIA-Agenten, der heute mit Frankreich, Russland und den Vereinigten Arabischen Emiraten verbündet ist – die Stadt Darna wegen ihrer Rolle bei den Aktivitäten der islamischen Fundamentalisten und der amerikanischen Geheimdienstler mit Argwohn. Sie waren nicht bereit, Mittel für die Reparatur und Verstärkung der dortigen Infrastruktur aufzuwenden – auch nicht nach Berichten über sichtbare Risse in den beiden Dämmen, die die Stadt vor möglichen Überschwemmungen des Wadis schützten. Das normalerweise trockene Flussbett verläuft durch das Zentrum der Stadt.

Es waren diese beiden Dämme, die unter den Auswirkungen des Sturms „Daniel“ versagten, dem hurrikangroßen Wetterereignis, das wahrscheinlich durch den Klimawandel verstärkt wurde und knapp 40 Zentimeter Wasser über die Stadt schüttete, was der durchschnittlichen Niederschlagsmenge eines Jahres in wenigen Stunden entspricht. Die riesigen Wassermassen, die durch den Zusammenbruch des Staudamms von jeglichem Zwang befreit waren, rauschten auf die wehrlosen Einwohner von Darna herab und fegten schätzungsweise jedes vierte Gebäude in der Stadt mit fast 100.000 Einwohnern weg oder begruben es unter Schlamm.

Die amerikanischen Medienkonzerne schweigen in ihrer Berichterstattung über die Katastrophe natürlich über die Verantwortung der Obama-Biden-Regierung und des US-Regierungsapparats für diese kolossale menschliche Tragödie. Es wird keine Anklage gegen die Kriegsverbrecher in Washington geben, weder politisch noch juristisch.

Wenn die Generalversammlung der Vereinten Nationen am Montag in New York City zusammentritt, werden die Führer der Großmächte selbstgefällige Reden darüber halten, wie dringlich es ist, die Welt zur Unterstützung der Ukraine zu mobilisieren. Sie werden vielleicht sogar Lippenbekenntnisse zur Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt und zur Notwendigkeit von Hilfe für die Opfer von „Naturkatastrophen“ in Marokko, Libyen, der Türkei und unzähligen anderen Ländern abgeben.

Zeitgleich mit dieser Veranstaltung findet die zweitägige Konferenz der Clinton Global Initiative statt, der Stiftung von Bill und Hillary Clinton. Daran nehmen sieben US-Gouverneure, vier Mitglieder des Biden-Kabinetts, zwei ehemalige Pressesprecher des Weißen Hauses, ein waschechter Kriegsverbrecher – der ehemalige britische Premierminister Tony Blair – und angeblich sogar der Papst teil. In der umfangreichen Tagesordnung wird weder die libysche Katastrophe noch Hillary Clintons Rolle darin erwähnt.

Ebenso schweigen die pseudolinken Gruppen und „linken“ Akademiker, die den Krieg der USA und der Nato in Libyen unterstützt haben und die jetzt den Krieg von USA und Nato gegen Russland in der Ukraine unterstützen. Keine dieser Gruppen hat auch nur die geringste Unabhängigkeit vom amerikanischen Imperialismus oder seinen europäischen Rivalen. Sie alle, wie Obama, Biden und Clinton, haben Blut an ihren Händen und tragen die politische und moralische Verantwortung für eines der größten Verbrechen des 21. Jahrhunderts.

Nur die World Socialist Web Site und das Internationale Komitee der Vierten Internationale haben eine politische Bilanz des konsequenten Widerstands gegen den Imperialismus und alle seine Verbrechen. Wir versuchen heute, wie schon 2011 und jeden Tag in Bezug auf den Ukrainekrieg, die Arbeiterklasse in jedem Land über die Notwendigkeit aufzuklären, einen politischen Kampf gegen den Imperialismus zu führen und sich dafür international zusammenzuschließen.

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