Eisenbahner zum Tarifabschluss: „Eine Riesenschweinerei“

Am 28. August hat die EVG den neuen Bahn-Tarifvertrag akzeptiert und den Arbeitskampf für beendet erklärt. Das Aktionskomitee Bahn reagierte darauf mit der Resolution: „Der Kampf bei der Deutschen Bahn ist mit der Urabstimmung nicht beendet, er hat erst begonnen“.

Darin fordert das Aktionskomitee Bahn die Kolleginnen und Kollegen aller DB-Betriebe auf, über ihre Arbeitsbedingungen zu berichten, um die tatsächlichen Veränderungen, die jetzt auf Kosten der Belegschaften durchgesetzt werden, öffentlich zu machen. Wir dokumentieren hier zunächst die Berichte dreier Kollegen, die als Rangierbegleiter, Wagenmeister und Fahrdienstleiter bei der DB AG arbeiten. Alle drei betonen die Wut und große Unzufriedenheit, mit der die Kollegen auf die Annahme des Schlichtungsergebnisses reagieren, und sie unterstützen den Aufbau von unabhängigen Aktionskomitees, um die Interessen der Beschäftigten in die eigene Hand zu nehmen.

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Murat*, ein Rangierbegleiter und Bergmeister bei DB Cargo, hat am letzten Treffen des Aktionskomitee teilgenommen. Er sagt dazu: „Was sich dieses Komitee vorgenommen hat, ist genau das, was ich die ganze Zeit als Alleinkämpfer versucht habe.“

Zum Tarifabschluss erklärt er: „Ich habe zusammen mit vielen Kollegen bei der Urabstimmung mit ‚Nein‘ gestimmt, gegen das Schlichtungsangebot und für einen Streik. Nun treten wir alle hier aus der EVG aus.“ Die Kollegen hätten verstanden, dass die DB in Wahrheit alles diktiert und die EVG „als Mittelsmann“ vorgeschickt werde: „Die EVG ist offenbar bloß ein Dienstleister, eine Art Subunternehmen für die DB. Dafür wird sie gut bezahlt: Für die EVG-Funktionäre ist das doch die reine Gelddruckmaschine.“

Murat erklärt, was die Kollegen an dem Abschluss besonders erbittert: „Vor ein paar Wochen sagte eine EVG-Sprecherin im Fernsehen, wir hätten einen langen Atem und könnten auch ein Jahr lang streiken – und was ist daraus geworden? Nichts. Es gab zwei kurze Streiks, die als Warnstreiks galten. Die Bahn konnte dabei Geld sparen, aber die Arbeiter erhielten kein Streikgeld. Wer an den Tagen Urlaub oder Spätschicht hatte, hatte Glück, aber Kolleginnen und Kollegen, die sich am Streik beteiligten, mussten teilweise auf 300 Euro brutto verzichten.“

Seine Arbeitsbedingungen auf dem Rangierbahnhof nennt Murat „eine Katastrophe“; es werde „immer schlechter statt besser“. Er schildert seine Arbeit: „Ich zerlege die Züge, entkoppele und rangiere sie, um sie zusammenzustellen und für die Abfahrt fertig zu machen. Ich habe pro Schicht normalerweise 12 Züge, die sind bis zu 700 Meter lang. Die laufe ich alle ab, mindestens 6 Kilometer pro Schicht, und ständig muss ich mich bücken.“

Murat erklärt, warum die Arbeitslast immer größer wird: „Bei den Arbeitsbedingungen und dem Lohn bekommen wir keine neuen Leute. Seit mehreren Jahren haben wir hier nur einen Quereinsteiger bekommen, und der ist inzwischen auch schon wieder weg. Eigentlich sind wir zu dritt auf der Schicht, aber den dritten Kollegen bauen sie gerade ab.“

Murat war sogar eine ganze Zeitlang allein auf der Arbeit, „aber ich weigere mich, mich ganz kaputt zu schuften. Viele Kollegen waren und sind krank. Bei der Bahn bekommt man Geschenke, wenn man, wie ich, nur einen Tag im Jahr krank war, oder wenn man eine Sonderschicht übernimmt. Dafür erhältst du dann Gutscheine von Amazon, Decathlon oder Douglas. Was soll ich damit? Sehe ich aus, als sollte ich Sport treiben? Oder bin ich ungepflegt? Ich habe auch schon mal eine Trinkflasche bekommen, mit kleiner Flagge der Schweiz darauf, die haben sie wohl billig eingekauft. Da steht drauf, dass die Flasche für kalte Getränke und für Getränke über 40 Grad nicht geeignet sei. Die steht bei mir noch verpackt rum, das ist doch Müll.“

Die Arbeit und das Schichtsystem seien schon unter normalen Bedingungen nicht gesundheitsfördernd, fährt Murat fort. „Aber jetzt hat man mir drei Wochen lang 52-Stundenwochen angeboten, anschließend als Ausgleich eine 27-Stundenwoche. Das ist doch Quatsch! Ich habe Familie, Frau und zwei Kinder, die sehe ich jetzt schon kaum. Ich hatte die letzten drei Wochen Mittagschicht von 11:30 Uhr bis 20:30 Uhr. Bei diesen Schichten sehe ich meine Kinder nicht. Mein Sohn fleht mich an, wenn er mich mal sieht: ‚Papa, geh nicht zur Arbeit‘, und meine Tochter kennt mich kaum noch, weil ich so oft weg bin.“

In letzter Zeit wurden Tablets ausgeteilt, offenbar versuche man, mittels Digitalisierung Zeit einzusparen: „Angeblich können wir dann schon draußen bei der Arbeit alles eintragen. Dann brauchten wir keine Rechner mehr und wahrscheinlich bald keine Büros mehr. Aber die Tablets kann man im Regen nicht verwenden. Dafür gibt es zwar Schutzhüllen, aber bei etwas stärkerem Regen laufen sie mit Wasser voll. Es ist eine Katastrophe.“

„Für diese Arbeit bekomme ich (bei Steuerklasse 3 mit 2 Kindern) 2400 bis 2500 Euro netto“, berichtet Murat. Er habe früher einmal in einem Baumarkt gearbeitet: Zweischichtbetrieb, Früh- und Spätschicht. „Da habe ich mehr verdient als hier bei der Bahn. Ich hatte ein wenig gespartes Geld, das muss ich jetzt angreifen, um meine Rechnungen zu zahlen. Deshalb haben bei uns auch einige Kollegen in der Urabstimmung zugestimmt: Weil sie die 2850 Euro Inflationsausgleichsprämie dringend brauchten. Das hat die EVG geschickt eingefädelt.“

Murat ist froh, nicht mehr allein zu sein, und versucht nun, zusammen mit seinen Kollegen ein Aktionskomitee aufzubauen.

Lokomotive der DB Cargo in der Nähe des Rangierbahnhofs Gremberg, 2015 [Photo by Rolf Heinrich Köln / CC BY 3.0]

Lars*, ein Wagenmeister bei DB Cargo und (noch) Vertrauensmann der EVG, hatte den WSWS-Artikel zum Tarifabschluss erst am Morgen des Interviews gelesen: „Das hat mir aus der Seele gesprochen“, sagt Lars. „Die Arbeiter werden gespalten. Ein paar wenige erhalten mehr Geld, aber die andern können sehen wo sie bleiben.“

Lars kennt als Vertrauensmann zahlreiche Kollegen, die vom Abschluss tief enttäuscht seien: „Das Schlichtungsergebnis passt überhaupt nicht zu der Tarifforderung.“ Es könne schließlich nicht sein, dass ein solch wichtiger Abschluss schon mit 25 Prozent der Stimmen angenommen werde, während für einen Streik 75 Prozent nötig seien. Das Ganze war für ihn „eine Riesenschweinerei“.

Lars berichtet: „Schon bei Corona wurden wir alleingelassen. Wir haben alles am Laufen gehalten, obwohl sich viele Kollegen angesteckt hatten. Einer ist über ein Jahr ausgefallen, weil er seit seiner Infektion starke Atemprobleme hatte. Die Regeln wurden nicht eingehalten. Uns wurde einfach gesagt, wir dürften uns nicht mit mehr als drei Personen in der Warte aufhalten. Dabei sind wir zu fünft in unserer Gruppe. Es gab für uns keine Corona-Maßnahmen. Der Bahn und der Gewerkschaft war es egal.“

Lars hat sich ausgerechnet, dass ein Wagenmeister bei der DB AG rund 800 Euro weniger als der deutsche Durchschnitt verdient. „Dabei arbeiten wir in Tag- und Nachtschichten, auch samstags, sonntags oder an Feiertagen. Immer sitzen wir auf Arbeit, aber nicht bei unserer Familie.“

Ein Wagenmeister, erklärt Lars, kontrolliert die Güterwagen auf technische Mängel. „Wir sind für alles verantwortlich und stehen praktisch immer mit einem Bein im Knast. Dabei läuft bei der Bahn schon lange alles ziemlich chaotisch: Überall fehlt es an Personal, so dass leicht Störungen auftreten.“

Die Bahn ist europaweit stark integriert, und Störfälle in anderen Ländern hätten unmittelbare Auswirkungen auf das ganze Netz. Lars berichtet, dass Mitte August am Gotthard ein Zug der SBB entgleist war, was den Betrieb tagelang beeinträchtigte. „Das hatte auch Auswirkungen auf uns und wirkt noch immer nach“, sagt Lars. „Tatsächlich passiert heute viel mehr als früher. Ich mache mir echt Sorgen.“

Streikende Eisenbahner aus Nordhessen, Frankfurt/Main im Januar 2023

Wolfgang* ist Fahrdienstleiter, und er denkt darüber nach, „mal eine Historie aufzustellen: wann und wie die Kollegen in den letzten Jahren geprellt worden sind. Besonders auffällig war sicher der Fall Hansen.“

Er bezieht sich auf Norbert Hansen (SPD), den Vorsitzenden der EVG-Vorläufergewerkschaft Transnet bis 2008, der für zahlreiche schwache Tarifabschlüsse verantwortlich war. Hansen saß zunächst im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn, bis er zu deren Personalchef aufstieg. Das sei, so Wolfgang, beispielhaft dafür, „dass der Arbeitgeber seinen ‚Todfeind‘, den Gewerkschaftschef, auf seine Seite gezogen hat. Für mich war das damals Hochverrat.“

Den Beschäftigten sei dagegen immer wieder Lohnverzicht zugemutet worden. „Das begann schon mit der Angleichung Ost West – aber wieso muss ich als Arbeitnehmer freiwillig auf meinen Lohn verzichten? Es war doch das Problem der Arbeitgeber.“

Auch später sei noch zweimal Lohnverzicht verordnet worden. Wolfgang erinnert daran, dass die EVG Lohnverzicht als Ausgleich für eine Arbeitszeitverkürzung verhandelt hatte. „Ich glaube, es ging um die 38-Stunden-Woche. Wir haben das damals irgendwie verstanden – aber dann! Zwei Jahre später hieß es plötzlich: Jetzt wird wieder 39 Stunden gearbeitet; einfach so.“ Diese drei Fälle allein hätten den Beschäftigten ein Lohnminus von drei Prozent eingebracht.

Dann berichtet Wolfgang, wie die Bahn die Probleme der Fahrdienstleiter „löst“: Nicht etwa durch die Einstellung und Ausbildung von Kollegen, sondern durch zusätzliche Kontrollen, wobei nicht etwa der Betrieb, sondern die Fahrdienstleiter schärfer überwacht werden sollen. „Wir werden kontrolliert wie keine andere Berufsgruppe auf der Welt“, sagt Wolfgang.

Schon bisher seien die Kollegen x-mal kontrolliert worden, „durch den Bezirksleiter, der uns ausfragt, dann evtl. noch durch EBA-Kontrolleure, durch Eisenbahnbetriebsleiter, durch Mitarbeiter der DB Netz-Agentur. Ganz aktuell hat man jetzt noch eine neue Idee: In Zukunft werden unzählige Kontrolleure eingestellt, deren einzige Aufgabe es ist, die Fahrdienstleiter zu kontrollieren. Und diese Mitarbeiter müssen natürlich Leistung erbringen, d.h. es wird über Kollegen Buch geführt, es werden Fehler gesucht – das ist wie bei einem Kaufhausdetektiv.“

Wolfgang schildert, wie das praktisch aussieht: „Der Kontrolleur steht tiefenentspannt im Raum und beobachtet den Fahrdienstleiter, der seine Zugfahrten möglicherweise grade unter Volllast durchführen muss – das ist unerträglich! Bei der DB wird ein gesamter Berufsstand unter Generalverdacht gestellt.“

Noch dazu sei die Arbeitsbelastung der Fahrdienstleiter extrem angestiegen. „Wir verrecken sprichwörtlich an dem Zugverkehr. Ein Fahrdienstleiter arbeitet manchmal bis zu zwölf Stunden ohne Pause, er hat oft stundenlang nicht einmal Zeit für die Toilette! (…) Wir arbeiten nachts in der Regel von 20 Uhr bis 6 Uhr früh. Und essen müssen wir während der Arbeit, was bei einem Störungsfall bedeutet: wir essen gar nichts!“

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