Esteban Wolkow, der Enkel Leo Trotzkis, ist gestorben

Esteban Wolkow [Photo by Leon Trotsky House Museum / CC BY-NC 2.0]

Das Internationale Komitee der Vierten Internationale trauert um Esteban Wolkow, den Enkel Leo Trotzkis. Er starb am Abend des 16. Juni 2023 im Alter von 97 Jahren. Wolkow war 1939 nach Mexiko gekommen und lebte bis zu seinem Tod in Mexico City.

Obwohl Wolkow politisch nicht aktiv war, blieb er sein Leben lang den revolutionären sozialistischen Prinzipien seines Großvaters treu und bewahrte ihm und allen Mitglieder seiner leidgeprüften Familie ein ehrendes Andenken.

Wolkow wurde am 7. März 1926 in der Sowjetunion geboren und hieß mit russischem Vornamen Wsewolod, genannt Sewa. Er war der Sohn von Trotzkis Tochter Sinaida und ihrem Mann Platon Wolkow, einem führenden Mitglied der trotzkistischen Linken Opposition. Als Sewa noch ein kleines Kind war, wurde sein Vater Platon vom stalinistischen Regime verhaftet und später ermordet. Seine Mutter Sinaida erhielt die Erlaubnis, mit ihrem Jüngsten aus der Sowjetunion auszureisen, um Trotzki zu besuchen, der auf der Insel Prinkipo vor der Küste Istanbuls im Exil lebte.

Ende 1931 brach Sinaida nach Deutschland auf, um sich ärztlich behandeln zu lassen, da sie an Tuberkulose und Depressionen litt. In der Annahme, bald wieder mit Sewa vereint zu sein, ließ sie ihn zurück und reiste allein. Doch am 20. Februar 1932 entzog das stalinistische Regime Trotzki die sowjetische Staatsbürgerschaft. Der „pure und sinnlose Racheakt gegen mich“ (Trotzki) traf auch alle unmittelbaren Verwandten einschließlich Sinaida und Sewa. Durch diesen Akt böswilliger Rachsucht geriet Sinaida in Deutschland in eine äußerst schwierige Lage.

Nach dem Entzug der Staatsbürgerschaft dauerte es Monate, bis Sewa wieder zu seiner Mutter konnte. Als er endlich in Berlin eintraf, hatte sich Sinaidas seelischer und körperlicher Zustand bereits stark verschlechtert. Am 5. Januar 1933 beging Sinaida Wolkowa Selbstmord. In einem Brief an das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vom 11. Januar 1933 schilderte Trotzki die Umstände des Todes seiner Tochter.

Sewa, so schrieb er, „hatte kaum eine Woche mit seiner Mutter verbracht, als die Polizei des Generals Schleicher, zweifellos infolge von Intrigen der stalinschen Agenten, beschloss, meine Tochter aus Berlin auszuweisen. Wohin? In die Türkei? Auf die Insel Prinkipo? Aber das Kind braucht eine Schule, die Mutter ständig ärztliche Aufsicht, normale Familien- und Arbeitsumgebung. Der neue Schlag war für die Kranke unverwindbar. Am 5. Januar vergiftete sie sich mit Gas. Sie war dreißig Jahre alt.“

Kaum einen Monat später, als Hitler die Macht übernahm, musste Leo Sedow, Trotzkis ältester Sohn, mit seinem sechsjährigen Neffen aus Deutschland fliehen. Im Jahr 1935 kam Sewa mit seinem Onkel nach Paris, wo Sedow die Arbeit der Vierten Internationale in Europa leitete. Im Februar 1938 wurde Sedow von der sowjetischen Geheimpolizei ermordet, die dabei auf Informationen von Mark Zborowski, ihrem wichtigsten Agenten in der Pariser Zentrale der Vierten Internationale, zurückgriff.

Nach einem langwierigen Streit um das Sorgerecht traf Sewa im August 1939 bei Trotzki und seiner Stiefgroßmutter, Natalja Sedowa, in Mexiko ein.

Sewa (Mitte) mit Leo Trotzki und Natalja Sedowa in Coyoacán [Photo: Museo Casa de León Trotsky]

In den frühen Morgenstunden des 24. Mai 1940 verübte eine Bande von Stalinisten unter Führung des Malers David Alfaro Siqueiros einen Mordanschlag auf Trotzki. Robert Sheldon Harte, ein stalinistischer Agent, der die Socialist Workers Party infiltriert hatte, öffnete ihnen das Tor zu dem Anwesen in Coyoacán, wo Trotzki lebte und arbeitete. Dort angekommen, feuerten die Angreifer mit Maschinengewehren in Trotzkis Schlafzimmer und das Zimmer seines Enkels. In seinem Bericht über den Überfall mit dem Titel „Stalin will meinen Tod“ schrieb Trotzki:

Als die Schüsse verhallten, hörten wir unseren Enkel im Nachbarzimmer schreien: ,Großvater!‘ Die Stimme des Kindes in der Dunkelheit unter den Schüssen bleibt die tragischste Erinnerung an diese Nacht. Der Junge warf sich unters Bett, nachdem der erste Schuss quer über sein Bett geflogen war, wie Spuren an der Tür und der Wand belegen. Einer der Angreifer schoss anscheinend in Panik in das Bett, die Kugel durchschlug die Matratze, traf unseren Enkel in den großen Zeh und blieb im Boden stecken. Die Attentäter warfen zwei Brandbomben und verließen das Schlafzimmer unseres Enkels. Er schrie ,Großvater!‘ und rannte ihnen in den Innenhof nach, wobei er eine Blutspur hinterließ. Im Kugelhagel stürmte er in das Zimmer einer der Wachen.

Auf den Aufschrei unseres Enkels hin lief meine Frau in sein bereits leeres Zimmer. Im Inneren standen der Fußboden, die Tür und ein kleiner Schrank in Flammen. ,Sie haben Sewa entführt‘, sagte ich zu ihr. Das war der schmerzlichste Moment von allen. Es waren immer noch Schüsse zu hören, aber schon weit weg von unserem Schlafzimmer, irgendwo im Innenhof oder direkt vor den Mauern. Die Attentäter deckten offenbar ihren Rückzug. Meine Frau beeilte sich, die lodernden Flammen mit einem Teppich zu ersticken. Dabei zog sie sich Verbrennungen zu, die sie eine Woche lang behandeln musste.

Wie durch ein Wunder überlebten Trotzki und Natalja den Überfall, und der 14-jährige Sewa war nicht entführt worden. Doch beim nächsten Anschlag drei Monate später erreichten die Mörder ihr Ziel. Mit der entscheidenden Hilfe von Sylvia Ageloff, ebenfalls eine stalinistische Agentin innerhalb der Vierten Internationale, verschaffte sich der GPU-Attentäter Ramon Mercader Zugang zur Villa in Coyoacán und zu Trotzki. Am 20. August 1940 wurde Mercader in Trotzkis Büro eingelassen und führte das geplante Attentat aus.

Esteban Wolkow war zum Zeitpunkt der Katastrophe nicht zu Hause, traf aber kurz danach dort ein. In einem Interview aus dem Jahr 2003 schilderte er seine Erinnerungen an die schrecklichen Ereignisse jenes Nachmittags:

Ich hatte keine Ahnung, was passiert war. Als ich das Arbeitszimmer betrat, sah ich Lew Dawidowitsch verwundet auf dem Boden liegen, aber die Wachen und ließen mich nicht näher heran. Mein Großvater hatte gesagt: ,Lasst Sewa nicht herein, das Kind darf das nicht sehen.‘ Später durchquerte er zum letzten Mal den Garten, auf einer von Sanitätern getragenen Bahre.

Esteban Wolkow verbrachte sein gesamtes weiteres Leben in Mexiko. Mit Natalja Sedowa verband ihn eine enge Beziehung, die bis zu ihrem Tod 1962 im Alter von 79 Jahren anhielt. Er wurde Chemiker und leistete in diesem Beruf Hervorragendes. Wolkow war verheiratet und hinterlässt vier Töchter.

Wolkow, der seinen Großvater um fast 83 Jahre überlebte, verteidigte das Erbe Leo Trotzkis vor allem durch seinen Einsatz dafür, die Villa an der Avenida Viena in Coyoacán, in der der große Revolutionär die letzten zehn Monate seines Lebens verbrachte, als Museum zu erhalten.

Mit Esteban Wolkow ist das letzte überlebende Mitglied von Trotzkis unmittelbarer Familie verstorben. Er hat ein ehrendes Andenken verdient. Die bestialischen Verbrechen des stalinistischen Regimes raubten ihm den Vater, die Mutter, den Onkel, den Großvater und die Großmutter. Er wohnte in den letzten Lebensjahren Trotzkis im Haus des großen Revolutionärs, wurde bei dem Attentat vom 24. Mai 1940 verwundet, wurde Zeuge der furchtbaren Ereignisse vom 20. und 21. August 1940 und blieb in den folgenden 80 Jahren den sozialistischen Grundsätzen und dem Andenken seines Großvaters treu.

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