Perspektive

Die Demokratische Partei, Donald Trump und das Spionagegesetz

Gegenwärtig wird zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein ehemaliger US-Präsident wegen eines Verstoßes gegen das Bundesstrafrecht vor Gericht gestellt. Die Entscheidung, Donald Trump anzuklagen, spiegelt eine tiefe Spaltung innerhalb der herrschenden Klasse wider. Sie verschärft eine Krise, die in den kommenden Wochen und Monaten die Grundfesten des politischen Establishments in den Vereinigten Staaten erschüttern wird.

Für eine Strafverfolgung von Trump mangelt es nicht an politischen und verfassungsrechtlichen Gründen. In seinen vier Jahren als US-Präsident hat er die demokratischen Grundrechte der Bevölkerung mit Füßen getreten. Er stand an der Spitze eines Versuchs, die Verfassung zu stürzen und am 6. Januar 2021 eine Diktatur zu errichten. Er verantwortete eine Politik, die Kinder von Zugewanderten systematisch von ihren Eltern trennte. Er ermutigte die Faschisten, sich im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 „bereitzuhalten“, um die Wähler einzuschüchtern. Er begnadigte Kriegsverbrecher, er erklärte, dass „Folter funktioniert“, und er drohte damit, iranische Kulturstätten zu sprengen, was gegen das Völkerrecht und die darin verankerten Nürnberger Prinzipien verstößt.

Die Strafverfolgung, die die Demokratische Partei in den USA gegen Donald Trump vorantreibt, bezieht sich jedoch auf keins dieser Verbrechen. Während Trump und seine wichtigsten Mitverschwörer nie für ihre Angriffe auf die Rechte der Bevölkerung bestraft wurden, fokussiert sich die Anklage des Justizministeriums gegen Trump ausschließlich auf seine Verstöße gegen die Regeln des nationalen Sicherheitsapparats.

Die Anklage konzentriert sich darauf, dass Trump nach seinem Ausscheiden aus dem Amt Staatsgeheimnisse im Zusammenhang mit den Kriegsplänen des US-Imperialismus unterschlagen hatte. In einigen dieser Dokumente werden die nuklearen Fähigkeiten der USA und ihrer Feinde sowie Angriffspläne gegen verschiedene Länder und Eventualitäten für einen Krieg aufgeführt. Der Staat hütet solche Dokumente als „streng geheim“, weil die Bevölkerung nichts davon wissen soll.

Um ihre geheimen Kriegspläne zu schützen, stützt sich die Anklageschrift der Regierung Biden fast ausschließlich auf das Spionagegesetz, den Espionage Act von 1917.

Trump strafrechtliche Verfolgung auf der Grundlage dieses Gesetzes hat nichts Fortschrittliches an sich. Seit mehr als einem Jahrhundert ist der Espionage Act das schärfste juristische Instrument im Werkzeugkasten der staatlichen Reaktion, das zur Unterdrückung des Widerstands gegen imperialistischen Krieg eingesetzt wird.

Der Espionage Act stützt sich ausdrücklich auf die „Alien and Sedition Acts“ von 1798. Er entstand in der blutigen Frühzeit des amerikanischen Imperialismus, als dieser sich mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und der Russischen Revolution konfrontiert sah.

Präsident Woodrow Wilson forderte die Verabschiedung eines solchen Gesetzes erstmals in seiner Rede zur Lage der Nation am 7. Dezember 1915, als die Vereinigten Staaten formell noch neutral waren, jedoch immer stärker in den Strudel imperialistischer Auseinandersetzungen hineingezogen wurden.

Wilson prangerte diejenigen an, „die das Gift der Illoyalität in die Arterien unseres nationalen Lebens gegossen haben“, und forderte den Kongress auf, „solche Gesetze zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erlassen“, um „nichts Geringeres zu tun, als die Ehre und die Selbstachtung der Nation zu retten“. Mit Blick auf die Zunahme von Streiks und die wachsende Popularität des Sozialismus, insbesondere unter den zugewanderten Arbeitern, sagte er: „Solche Geschöpfe der Leidenschaft, der Illoyalität und der Anarchie müssen zerschlagen werden ... Die Hand unserer Macht sollte sich sofort über ihnen zusammenballen.“

Wilsons Rede gab den Ton an für die Debatten um die beiden wichtigsten und miteinander verbundenen Maßnahmen des Kongresses von 1917: die Kriegserklärung an Deutschland und das Spionagegesetz.

In seiner förmlichen Ansprache an den Kongress, in der er für eine Kriegserklärung warb, machte Wilson deutsche Intrigen für den internen Dissens verantwortlich: „Von Beginn des gegenwärtigen Krieges an wurden unsere ahnungslose Gesellschaft und sogar unsere Regierungsinstitutionen mit Spionen durchsetzt und überall wurden kriminelle Intrigen gegen unsere nationale Einheit, unseren inneren und äußeren Frieden, unsere Industrie und unseren Handel gesponnen.' Er forderte erneut die rasche Verabschiedung eines Gesetzes, um die Kriegspläne des Staates abzusichern und abweichende Meinungen zu unterdrücken. Ein solcher Gesetzentwurf wurde Anfang April eingebracht, am 4. Mai 1917 mit 261 zu 109 Stimmen im Repräsentantenhaus verabschiedet, am 14. Mai mit 80 zu 8 Stimmen im Senat angenommen und am 15. Juni 1917 von Wilson unterzeichnet.

Die Debatten und die Verabschiedung des Spionagegesetzes fielen mit den revolutionären Veränderungen in Russland zusammen.

Im Februar erzwang der revolutionäre Aufstand der russischen Arbeiter und Bauern den Sturz der Romanow-Dynastie, an deren Stelle eine bürgerliche provisorische Regierung eingesetzt wurde. Im April, zeitgleich mit der Verabschiedung des Spionagegesetzes im Repräsentantenhaus, kehrte Lenin nach Russland zurück. Mitte April explodierte unter den russischen Arbeitern die Antikriegsstimmung, als ein geheimer Brief des Außenministers der provisorischen Regierung, Pawel Miljukow, an die Alliierten durchsickerte, in dem er seine weitere Unterstützung für den Krieg zusagte.

Washington verfolgte diese Entwicklung mit größter Sorge und Aufmerksamkeit und erließ den Espionage Act, um den Staat vor der Gefahr einer Revolution zu schützen und Hindernisse für die Führung eines imperialistischen Krieges zu beseitigen.

Seit seiner Verabschiedung dient das Spionagegesetz als gesetzliche Grundlage für einen massiven nationalen Sicherheitsapparat, den beide Parteien im letzten Jahrhundert aufgebaut haben. In seinem Buch „Secrecy“ beschreibt der ehemalige Senator Daniel Patrick Moynihan, wie mit der Verabschiedung des Gesetzes „das moderne Zeitalter begann“. Dort heißt es:

Drei neue feste Größen waren in das amerikanische Leben getreten: Konspiration, Loyalität und Geheimhaltung. Es gab für jede eine Vorgeschichte, aber jetzt war es anders. Sie wurden institutionell verankert, für jede Aufgabe wurde jeweils ein eigener Apparat eingerichtet. Mit der Zeit sollte ein Federal Bureau of Investigation entstehen, um Verschwörungen im Inland aufzuspüren, eine Central Intelligence Agency, um das Ausland im Auge zu behalten, ein Spionagegesetz und Loyalitätsausschüsse, um Illoyalität oder Subversion auszumerzen. Und all dies sollte durch ein ausgeklügeltes System der Geheimhaltung aufrechterhalten und die nationale Sicherheit gewährleistet werden.

Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das Spionagegesetz sowohl von Regierungen der Republikaner als auch von der Demokratischen Partei genutzt, um einige der grausamsten Verbrechen zu begehen.

Zu den ersten Zielpersonen der Regierung Wilson gehörte Eugene V. Debs, der revolutionäre Führer der Sozialistischen Partei. Debs wurde verhaftet und wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz verurteilt, nachdem er in Ohio eine antiimperialistische Rede gehalten und dabei den Krieg sowie die Kapitalistenklasse angegriffen hatte. „Jeder Einzelne dieser aristokratischen Verschwörer und Möchtegern-Mörder behauptet, ein Erzpatriot zu sein“, erklärte Debs. „Jeder von ihnen behauptet fest, dass der Krieg geführt wird, um die Welt für die Demokratie sicher zu machen. Was für ein Humbug! Was für ein Schwachsinn! Welche Heuchelei!“ Debs kandidierte 1920 aus dem Gefängnis heraus für das Präsidentenamt und erhielt fast eine Million Stimmen.

Andere wurden inhaftiert, weil sie sich gegen den Ersten Weltkrieg ausgesprochen hatten, darunter Emma Goldman, Kate Richards O'Hare, Charles Schenk und Jacob Abrams. In einer Reihe von Razzien, die Wilsons Generalstaatsanwalt A. Mitchell Palmer zum Teil mit dem Espionage Act rechtfertigte, wurden Tausende von Zugewanderte wegen ihrer politischen Ansichten verhaftet und deportiert.

Während des Zweiten Weltkriegs, im Jahre 1941, sorgte Franklin Delano Roosevelts Generalstaatsanwalt Francis Biddle dafür, dass 18 Mitglieder der Socialist Workers Party (SWP) unter dem Smith Act wegen Kriegsgegnerschaft verurteilt wurden. Biddle nutzte den Espionage Act, um der SWP den Postversand ihrer Publikation The Militant zu untersagen.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg diente der Espionage Act als pseudojuristisches Instrument für die antikommunistische Hexenjagd der 1950er Jahre. Hierzu gehörte auch die Hinrichtung von Ethel und Julius Rosenberg am 19. Juni 1953 wegen des Vorwurfs der Atomspionage für die Sowjetunion. Die Regierung beschloss, die Rosenbergs nach dem Spionagegesetz und nicht nach dem Atomgeheimnisgesetz anzuklagen, da Ersteres die Todesstrafe vorsah und Letzteres nicht.

1971 klagte die Nixon-Regierung Daniel Ellsberg wegen Verstoßes gegen das Spionagegesetz an, nachdem der ehemalige Mitarbeiter der New York Times und der Washington Post die Pentagon-Papiere der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht hatte. In diesen Dokumenten waren die Kriegspläne und Verbrechen des US-Imperialismus in Südostasien detailliert beschrieben.

Einige US-Präsidenten waren eher zögerlich in der Anwendung des Gesetzes. Diese Zurückhaltung wurde von Präsident Barack Obama aufgegeben. Sein Justizministerium verfolgte auf der Grundlage des Spionagegesetzes mehr Personen als alle vorherigen Präsidenten zusammen.

Die Strafverfolgung der Obama-Regierung konzentrierte sich ausschließlich darauf, die Weitergabe von Militärdokumenten an die Presse zu verhindern. Zu den von Obama strafrechtlich Verfolgten gehörten: Jeffrey Alexander Sterling, ein ehemaliger CIA-Offizier, der dem New York Times-Journalisten James Risen Einzelheiten über die verdeckte CIA-Spionage gegen den Iran enthüllt hatte; Thomas Drake, ein ehemaliger Beamter der National Security Agency, welcher den Baltimore Sun über die NSA-Spionage informieren wollte; Chelsea Manning, die Informationen über US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan an WikiLeaks lieferte; John Kiriakou, der Informationen über illegale Folter an Gefangenen an WikiLeaks weitergab; Edward Snowden, der Journalisten eine Fülle von Dokumenten zur Verfügung stellte, aus denen hervorging, dass die NSA einen massiven illegalen Lauschangriff gegen die ganze Weltbevölkerung führte; und Daniel Hale, der interne Militärdokumente über das Drohnenprogramm des Pentagons weitergab.

Die Entscheidung, Trump nach dem Espionage Act zu belangen, fällt in eine Zeit, in der die Regierung Biden sich weiterhin um die Auslieferung des WikiLeaks-Herausgebers Julian Assange aus dem Belmarsh-Gefängnis in London bemüht, wo er seit vier Jahren eingesperrt ist. Vor seiner Inhaftierung in Belmarsh war Assange gezwungen, in der ecuadorianischen Botschaft in London Zuflucht zu suchen, wo er sieben Jahre lang festgehalten wurde. Assanges „Verbrechen“ besteht darin, dass er Beweise für massive Kriegsverbrechen des amerikanischen Imperialismus und seiner Verbündeten veröffentlicht hat. Nach dem Espionage Act droht ihm eine mögliche Gefängnisstrafe von 175 Jahren.

Trump ist kein Opfer des Staates. Er ist der ehemalige Oberbefehlshaber des US-Militärs und ein faschistischer Verschwörer. Aber eine strafrechtliche Verfolgung von Donald Trump auf der Grundlage des Spionagegesetzes kann nichts Fortschrittliches hervorbringen. Die Demokratische Partei hat den Espionage Act als juristisches Mittel gewählt, um Trump hierüber aus der politischen Arena zu entfernen. Dies steht in Einklang mit der Strategie der Demokraten, Trump seit seinem Amtsantritt im Jahr 2017 auf der Grundlage eines reaktionären außenpolitischen Kurses von rechts anzugreifen.

Trump ist der Spitzenkandidat der Republikaner für das Präsidentenamt, und die Aussicht auf seine Rückkehr ins Amt ist sehr real und gefährlich. Aber die herrschende Klasse weiß, dass der Krieg, den die USA und die NATO gegen Russland führen, eine tiefgreifende Opposition auslösen wird. Sie bereitet jetzt ihre Mechanismen zur Unterdrückung und Illegalisierung von Anti-Kriegs-Äußerungen und zur Niederschlagung von Streiks vor, welche die Produktion bedrohen. Zu diesem Zweck wird zweifellos das Spionagegesetz herangezogen werden.

Um Unterstützung für ihren Krieg zu gewinnen, appelliert die herrschende Klasse an eine extrem reaktionäre Schicht der oberen Mittelschicht. Dabei stützt sie sich auf Sexskandale und Anti-Russland-Hysterie. Die Methoden der Arbeiterklasse im Kampf gegen Trump unterscheiden sich grundlegend von solchen Methoden.

Gewaltige soziale Kämpfe stehen bevor, da die Arbeiter mit den sozialen und wirtschaftlichen Kosten des eskalierenden Krieges konfrontiert werden. Die Arbeiterklasse muss sich mit einer sozialistischen Perspektive bewaffnen, die sowohl von den Demokraten als auch von den Republikanern unabhängig ist. So hat sie die Macht, sowohl die faschistische Diktatur als auch den imperialistischen Krieg zu stoppen.

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