„Wie der Ukrainekrieg gestoppt werden kann“

Veranstaltung an der Humboldt-Universität zeigt Ursachen des Krieges und sozialistische Perspektive

Unter dem Titel „Wie der Ukrainekrieg gestoppt werden kann“ fand am Donnerstag im Audimax II der Humboldt-Universität zu Berlin eine Veranstaltung der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) statt. Es handelte sich um die erste Versammlung in Deutschland einer internationalen Reihe über die Ursachen des Nato-Stellvertreterkrieges in der Ukraine, die die Jugend- und Studierendenbewegung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) abhalten.

Die Hochschulgruppe der IYSSE hatte kostenlose FFP2-Masken an die Teilnehmer verteilt, Luftfilter aufgestellt und weitere Schutzmaßnahmen getroffen, um die Sicherheit aller Teilnehmer und Referenten zu gewährleisten. IYSSE-Sprecher Gregor Kahl betonte zu Beginn, dass die Einberufung eines öffentlichen Treffens gegen den Ukrainekrieg von größter Bedeutung sei:

„Die Gefahr eines Atomkriegs war noch nie so groß wie heute. Hunderttausende Menschen auf beiden Seiten des Konflikts wurden getötet. Doch sowohl das Selenskyj- als auch das Putin-Regime - und vor allem die imperialistischen Nato-Mächte eskalieren den Krieg immer weiter. Sie haben angekündigt, die Ukraine in ihr Bündnis aufzunehmen und damit direkt in den Krieg gegen Russland einzutreten.“

Die IYSSE, so Kahl, seien unversöhnlicher Gegner aller Kriegsparteien und kämpfen für eine vereinte sozialistische Bewegung von Arbeitern und Jugendlichen gegen den Ukrainekrieg und die Kriegspolitik der Nato-Mächte, die den Krieg systematisch vorbereitet haben.

Als Hauptreferent hatten die IYSSE Johannes Stern eingeladen, den Chefredakteur der deutschen Ausgabe der World Socialist Web Site, um eine marxistische Einschätzung der Hintergründe des Kriegs zu geben und eine sozialistische und internationalistische Perspektive gegen den Krieg zu erläutern.

IYSSE-Sprecher Gregor Kahl begrüßt die Teilnehmer

Zu Beginn seines Vortrags betonte Stern, dass die IYSSE und ihre Mutterorganisation, die Sozialistische Gleichheitspartei und das Internationale Komitee der Vierten Internationale, von Anfang an gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 gewesen seien und diesen verurteilten. Stern erklärte:

Die IYSSE sind gegen Putin und die russische Oligarchie, aber von einem linken, sozialistischen Standpunkt aus, nicht von einem rechten pro-imperialistischen. Wir haben Genossen in Russland und der Ukraine, die unversöhnliche Gegner sowohl des Putin-Regimes in Russland als auch des Selenskyj-Regimes in der Ukraine sind.

Putin vertritt eine Fraktion der russischen Oligarchie, die aus der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie und der Restauration des Kapitalismus hervorgegangen ist. Die Behauptung, die Invasion sei „unprovoziert“ gewesen, ist jedoch eine Lüge und ein plumper Versuch, den Krieg aus seinem größeren historischen Kontext herauszulösen.

Ein solches Verständnis sei aber notwendig, um eine Perspektive zur Beendigung des Kriegs zu entwickeln. In seinen anschließenden Ausführungen beleuchtete Stern den Konflikt unter sechs Gesichtspunkten, die für ein Verständnis der historischen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wurzeln des Kriegs wesentlich sind:

  1. Der Konflikt kann nur im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion verstanden werden.
  2. Der Krieg ist die Fortsetzung eines drei Jahrzehnte andauernden und sich ausweitenden Kriegs der imperialistischen Mächte.
  3. Der russische Einmarsch in die Ukraine war die reaktionäre Antwort der russischen Oligarchie auf die jahrzehntelange imperialistische Einkreisung.
  4. Die Propaganda über einen Kampf für „Freiheit“ und „Demokratie“ wird durch das Erstarken rechtsextremer und faschistischer Kräfte in der Ukraine widerlegt.
  5. Die herrschende Klasse in Deutschland, die bereits in zwei Weltkriegen versucht hat, sich die Ukraine einzuverleiben und Russland zu unterjochen, nutzt den Konflikt, um lang gehegte Militarisierungspläne in die Tat umzusetzen.
  6. Der Krieg kann nicht losgelöst von der sich verschärfenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise der großen kapitalistischen Mächte verstanden werden.
Johannes Stern, Chefredakteur der deutschsprachigen WSWS, spricht an der Humboldt-Universität

Im Rahmen dieser Analyse stellte Stern den stalinistischen Verrat an der Oktoberrevolution dar, der zu Beginn der 1990er Jahre in der Auflösung der Sowjetunion und der Restauration des Kapitalismus gipfelte. Anschließend untersuchte er die völkerrechtswidrigen Angriffskriege der Nato-Mächte in den vergangenen dreißig Jahren und analysierte die Kriegspropaganda, mit der die bürgerlichen Medien diese Kriege gerechtfertigt hatten.

Besonderes Gewicht legte Stern auf die Rolle des deutschen Imperialismus, der sich bereits führend an der Zerschlagung Jugoslawiens und der Besetzung Afghanistans beteiligt hatte. Nun verfolge die Bundesregierung das erklärte Ziel, Europa unter deutsche Vorherrschaft zu bringen. Stern zeichnete die Eruption des deutschen Militarismus nach und zeigte auf, dass sich die deutsche Elite im Krieg gegen Russland auf faschistische Organisationen stützt, die in der Tradition der ukrainischen Nazi-Kollaborateure stehen.

Die von Scholz unmittelbar nach Kriegsbeginn eingeleitete „Zeitenwende“ markiere die größte deutsche Aufrüstung seit dem Untergang des Hitler-Regimes und sei insbesondere an der Humboldt-Universität ideologisch vorbereitet worden. Um ihre globalen Kriegsziele zu erreichen, setze die herrschende Klasse dazu an, sämtliche soziale Errungenschaften vergangener Klassenkämpfe zu beseitigen.

Auf kapitalistischer Grundlage, so Stern, gebe es keine Möglichkeit, den sich abzeichnenden Weltkrieg zu stoppen. Die Ursache des Krieges liege in den kapitalistischen Widersprüchen begründet, die sich in allen Ländern zeige - zwischen Weltwirtschaft und Nationalstaat, sowie gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung.

Es war immer die Maxime der großen Marxisten - allen voran Lenin und Trotzki -, dass die die gleichen wirtschaftlichen, geopolitischen und sozialen Widersprüche, die die imperialistischen herrschenden Eliten auf den Weg des Krieges treiben, auch den objektiven Impuls für die Radikalisierung der Arbeiterklasse und den Ausbruch revolutionärer Kämpfe bringen. Das findet nun wieder statt.

Die sich weltweit entwickelnden Kämpfe der Arbeiterklasse bildeten die Grundlage für einen Kampf gegen Krieg. Aber die notwendige Voraussetung für einen erfolgreichen Kampf sei der Aufbau einer bewussten sozialistischen und revolutionären Führung in der Arbeiterklasse. Dies bedeute den Aufbau der IYSSE und der Vierten Internationale weltweit.

Auf den Vortrag folgte eine lebhafte Diskussion. Ein Teilnehmer warf die Frage auf, ob Regierungen des „Globalen Südens“ wie etwa die brasilianische Lula-Regierung Bündnispartner im Kampf gegen Krieg sein könnten. Der Teilnehmer nahm dabei Bezug auf den Vorstoß mehrerer Regierungen, den US-Dollar als globale Leitwährung zu umgehen und internationalen Handel in ihren nationalen Währungen abzuwickeln.

Stern erwiderte darauf, dass die Arbeiterklasse als internationale Klasse die einzige gesellschaftliche Kraft sei, die den Krieg bekämpfen könne. Eine zentrale politische Lehre des letzten Jahrhunderts sei, dass kapitalistische Regierungen in diesem Kampf keine Bündnispartner seien, sondern Gegner. Die Bestrebungen verschiedener bürgerlicher Regime, der Vorherrschaft des US-Imperialismus eine „multipolare Weltordnung“ entgegenzustellen, seien reaktionär und Bestandteil der Entwicklung hin zu einem dritten Weltkrieg.

Ein anderer Teilnehmer zeigte sich von der Darstellung und der Analyse begeistert, und fragte, wie es zu erklären sei, dass noch keine Massenbewegung gegen den Krieg existiere. Darauf antwortete Ulrich Rippert, Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP), dass Parteien wie die Grünen und die Linkspartei, die an der Spitze früherer Antikriegsproteste gestanden hatten, sich als die schärfsten Kriegstreiber entpuppt hatten.

Clara Weiss, IYSSE-Mitglied in den Vereinigten Staaten, stellte fest, dass die trotzkistische Jugendbewegung die einzige Organisation an den Universitäten sei, die gegen den Krieg auftrete und in Kundgebungen und öffentlichen Versammlungen dafür kämpfe, Jugendliche für ein sozialistisches Programm zu gewinnen. Dies sei kein Zufall. Um den Kampf gegen Krieg zu gewinnen, sei der Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale erforderlich, das während seiner gesamten Geschichte den Sozialismus und den revolutionären Internationalismus verteidigt habe.

Die Diskussion wurde noch weit nach dem Ende der Veranstaltung fortgesetzt. In den kommenden Wochen werden die IYSSE an der Humboldt-Universität regelmäßige Treffen organisieren, zu denen alle Interessierten herzlich eingeladen sind.

Die IYSSE werden ihre bundesweite Veranstaltungsreihe fortsetzen. Die nächsten Versammlungen finden am 4. Mai in München und am 5. Mai in Leipzig statt. Weitere Veranstaltungen folgen in Bochum (11.5.), Frankfurt (12.5.), Köln (16.5.) und Stuttgart (17.5.). Genauere Informationen zu den Veranstaltungen gibt es hier.

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