Der Internationale Währungsfonds (IWF) fordert von der ägyptischen Militärjunta umfassende Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerung, bevor er die nächste Tranche eines Kredits freigibt, mit dem das Land die habgierigen Forderungen seiner internationalen Gläubiger erfüllen will.
Die Auslandsverschuldung Ägyptens liegt nach einem weiteren Darlehen von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) sowie der Ausgabe neuer Staatsanleihen zu höheren Zinssätzen – nur um die laufenden Staatsausgaben zu finanzieren – mittlerweile bei 147,75 Milliarden Euro, was 93 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Gleichzeitig ist der Wert des US-Dollars und anderer wichtiger Währungen gegenüber dem ägyptischen Pfund gestiegen, da alle großen Zentralbanken die Zinssätze erhöht haben. Weil die Verschuldung Ägyptens gestiegen ist, zahlt die Regierung mehr für Schuldentilgung als für sein Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen.
Nicht nur die Arbeiterklasse und die Landbevölkerung leiden unter Armut, sondern auch die Fachkräfte aus der Mittelschicht, darunter Ärzte, die in Scharen nach Europa auswandern. Mehr als ein Drittel der 106 Millionen Einwohner Ägyptens leben bereits in Armut, weitere 30 Prozent bewegen sich nahe an der Armutsgrenze.
Die ägyptische Wirtschaft wurde von der Pandemie stark in Mitleidenschaft gezogen, da die Tourismusbranche zum Erliegen kam, die für 12 Prozent des BIP, 15 Prozent der Deviseneinnahmen und 10 Prozent der Arbeitsplätze verantwortlich ist. Zudem kehrten Arbeitskräfte aus den Golfstaaten nach Ägypten zurück, sodass ihre Geldüberweisungen ausblieben und die Arbeitslosigkeit anstieg.
Der Ausbruch des US/Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine hat die prekäre Lage der Arbeiter noch weiter verschärft, weil sich in dessen Folge die Kosten für landwirtschaftliche Importe erhöht haben, vor allem für Weizen, Mais und Speiseöle, die überwiegend aus Russland und der Ukraine stammten. Dies führte zum Abfluss von Spekulationskapital in Höhe von 18,11 Milliarden Euro, d.h. mehr als die Hälfte des in Ägypten investierten Geldes, auf der Suche nach höheren Zinssätzen.
Im vergangenen Dezember hatte der IWF Ägypten ein Darlehen in Höhe von 2,72 Milliarden Euro gewährt – bereits das vierte seit Präsident Abdel Fattah el-Sisi im Jahr 2013 die gewählte, den Muslimbrüdern nahestehende Regierung von Präsident Mohammed Mursi in einem Militärputsch gestürzt hat. Ägypten ist damit der zweitgrößte Schuldner des IWF nach Argentinien. Doch das Darlehen reicht bei weitem nicht aus, um die Finanzierungslücke zu schließen, die auf etwa 15 bis 64 Milliarden Euro geschätzt wird.
Das Darlehen war außerdem an die Bedingung geknüpft, dass Ägypten sich bereit erklärt, den bis dahin an den Dollar gebundenen Wechselkurs seiner Währung freizugeben, wodurch das ägyptische Pfund der Gnade und Ungnade internationaler Devisenspekulanten ausgeliefert ist. Weiterhin musste Ägypten Staatseigentum privatisieren und öffentliche Ausgaben kürzen, u.a. die Subventionen für grundlegende Verbrauchsgüter. Bezeichnend war, dass der IWF seine kümmerlichen Auszahlungen von einer Überprüfung abhängig machte. Die erste davon, nach der die nächste Tranche von 354 US Dollar (etwa 321 Millionen Euro) ausgezahlt werden sollte, war für März geplant, wurde aber bereits verschoben.
Das ägyptische Pfund hat letztes Jahr die Hälfte seines Werts verloren und der Schwarzmarktkurs, von dem viele abhängig sind, liegt noch niedriger. Doch das reicht dem IWF noch nicht, obwohl laut Weltbank die Geldentwertung die Inflation im März auf 34 Prozent und die Inflation bei Lebensmittelpreisen auf 62 Prozent ansteigen ließ. Im April 2022 lag die Inflation bei den Lebensmittelpreisen noch bei 26 Prozent.
Der Devisenzufluss ist fast völlig zum Erliegen gekommen, obwohl die Zentralbank die Zinssätze auf 19 Prozent erhöht hat. Aufgrund der Devisenknappheit stapeln sich in den ägyptischen Häfen die Güter, und Schiffe werden nicht entladen. Importeure, die wegen der verringerten Zuteilungen an nichtstaatliche Importeure, der Dollar-Knappheit und den schwindenden Reserven der Zentralbank keinen Zugang zu Devisen haben, können ihre Waren nicht vom Zoll abfertigen lassen.
Die Regierung hat sich außerdem verpflichtet, innerhalb von drei Jahren aus bis zu 79 Wirtschaftszweigen ganz und aus 45 weiteren teilweise auszusteigen und die privaten Investitionen von 30 auf 65 Prozent zu erhöhen. Sie tat dies, um zusätzliche 14 Milliarden Dollar (12,7 Milliarden Euro) aus anderen internationalen Quellen zu erhalten. Sie kündigte erneut die Privatisierung von 32 Staatsunternehmen bis 2024 an. Darunter befinden sich auch Unternehmen im Besitz des Militärs, das bis zu 40 Prozent der Wirtschaft außerhalb des offiziellen Staatshaushalts besitzt oder kontrolliert. Derartige Versprechen wurden in der Vergangenheit jedoch immer wieder gebrochen und sind daher nur von geringem Wert. Vor wenigen Wochen setzte Ägypten den Verkauf eines Anteils an der staatseigenen Telecom Egypt aufgrund von „Marktbedingungen“ aus, sodass die Regierung nahezu mit Sicherheit ihr Ziel verfehlen wird, 2,5 Milliarden Dollar durch Privatisierungen einzunehmen. Dieses Geld war für die Finanzierungslücke des Landes in Höhe von 5 Milliarden Dollar bis Juni vorgesehen.
Die VAE, Katar und Saudi-Arabien hatten zwar alle mindestens 22 Milliarden Dollar zugesagt, um al-Sisis Finanzen zu stärken, hauptsächlich durch Investitionen. Allerdings wurden nur wenige Verträge unterzeichnet, weil sich Kairo weigert, mehr als Minderheitsanteile zu verkaufen oder den tatsächlichen Wert der Vermögenswerte offenzulegen.
Ägypten hat in den letzten zehn Jahren etwa 92 Milliarden Dollar (83,3 Milliarden Euro) von den Golfmonarchien erhalten, doch in den letzten Jahren sind die Zahlungen stark zurückgegangen. Saudi-Arabien hat angedeutet, es werde nicht mehr bedingungslos Hilfe leisten, da es seine eigenen Profite, Interessen und seinen Einfluss im Auge hat und seine Abhängigkeit vom Öl verringern will. Riad kritisierte al-Sisis Politik, seine Mega-Prestigeprojekte wie die neue Verwaltungshauptstadt außerhalb von Kairo und die Rolle des Militärs in der Wirtschaft. Anfang des Monats musste al-Sisi unterwürfig nach Riad reisen, um sich mit Kronprinz Mohammed bin Salman zu treffen, dem de facto Herrscher des Landes.
In vielen Ländern Afrikas herrscht eine ähnliche wirtschaftliche Misere wie in Ägypten, u.a. in Angola, im Tschad, in Äthiopien, Gabun, Ghana, Kenia, Mali, Nigeria, Sambia und anderen Ländern. Analysten und Denkfabriken warnen deshalb vor möglichen sozialen Unruhen und Bürgerkriegen. Gleichzeitig herrschen am Horn von Afrika, vor allem in Teilen Äthiopiens und Somalias die trockensten Bedingungen seit 1981. Das Welternährungsprogramm warnt vor Hungersnöten und Massensterben, „wie wir es in der jüngeren Geschichte nicht erlebt haben“.
Laut einem Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen befinden sich 24 der 54 Länder mit niedrigem Einkommen, denen die Überschuldung droht, in Afrika. So viele wie nie zuvor stehen aufgrund galoppierender Inflation, Zinserhöhungen der US-Notenbank und anderer großer Zentralbanken sowie des starken Anstiegs des US-Dollars am Rande des Staatsbankrotts.
Sambia war das erste afrikanische Land, das während der Pandemie im Jahr 2020 seine Auslandsschulden von schätzungsweise 15,39 Milliarden Euro nicht bedienen konnte. Die Währung Kwacha ist dieses Jahr im Vergleich zum Dollar um mehr als zehn Prozent gefallen; seine Hauptgläubiger, private Kreditgeber in den Industrienationen, haben Sambia eine Umschuldung verweigert.
Ghana steht vor einer zunehmenden Wirtschaftskrise. Die Währung Cedi hat zwischen Januar und Oktober letzten Jahres 55 Prozent an Wert verloren, was zu einer dramatischen Verteuerung aller Importe geführt hat, während die riesigen globalen Lebensmittel- und Energiekonzerne ungezügelt Profite machen. Mehr als 40 Prozent der Staatseinnahmen werden für Schuldentilgungen aufgewandt. Im Januar setzte Ghana die Zahlung eines Großteils seiner Auslandsschulden aus und wurde damit das dritte afrikanische Land seit Beginn der Pandemie, das zahlungsunfähig wird, obwohl es mit dem IWF ein Darlehen in Höhe von 3 Milliarden Dollar vereinbart hat.
Ähnlich wie Ägypten leidet auch Malawi unter einem Mangel an Devisen und einem Haushaltsdefizit von 1,32 Billionen Kwacha (1,18 Milliarden Euro), was 8,7 Prozent des BIP entspricht. Das hoch verschuldete Land will seine Schulden umstrukturieren, um weitere Gelder vom IWF zu erhalten – zusätzlich zu den im November vereinbarten.
Die Zinserhöhungen der Zentralbanken in den Industrienationen, mit denen sie die Wirtschaft bremsen, eine Rezession auslösen und die Arbeitslosigkeit im Rahmen ihrer Angriffe auf die Arbeiterklasse erhöhen wollen, werden die unerträglichen Bedingungen für die Arbeiter und unterdrückten Massen in den ärmeren Ländern, die einen Großteil der Weltbevölkerung ausmachen, weiter verschlimmern.
Daraus ergibt sich die Notwendigkeit eines vereinten Kampfs der Arbeiterklasse gegen das gesamte Profitsystem und für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft – sowohl in den so genannten Industrienationen als auch in den Entwicklungsländern. Die Ausarbeitung eines internationalen sozialistischen Programms wird im Mittelpunkt der Maiveranstaltung des Internationalen Komitees der Vierten Internationale am 30. April stehen.